Bäume ihre silbernen Zweige unter dem wandelnden Mondlicht aus. Diese Kälte war so warm, so freund- lich, hier war nichts unverständlich, nichts zu fürchten, es war, als sei ich den bösen Geistern da drinnen ent- wischt; hier draußen sprachen die guten um so vernehm- licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih- rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leise und behend kletterte ich über das Hofthor, jenseits werfe ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen, und in flüchtigen Sprüngen setze ich über den Schnee. Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit gestei- gerter Angst und klopfendem Herzen komme ich an, scheu und furchtsam seh ich mich um, aber ich zaudere nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen Weg durch das zusammengefallne, überschneite Gestein, bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich lausche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach, und wie der Wind in dem losen Sparrwerk rasselt, ich denke: "ob das die Geister sind?" -- sie senken sich herab, -- ich suche meine Angst zu bekämpfen, sie schweben in geringer Höhe über mir, -- die Furcht be- schwichtigt sich allmählig; es war, als ob ich die offne Brust dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz vorher noch für meinen Feind gehalten hatte.
Bäume ihre ſilbernen Zweige unter dem wandelnden Mondlicht aus. Dieſe Kälte war ſo warm, ſo freund- lich, hier war nichts unverſtändlich, nichts zu fürchten, es war, als ſei ich den böſen Geiſtern da drinnen ent- wiſcht; hier draußen ſprachen die guten um ſo vernehm- licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih- rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leiſe und behend kletterte ich über das Hofthor, jenſeits werfe ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen, und in flüchtigen Sprüngen ſetze ich über den Schnee. Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit geſtei- gerter Angſt und klopfendem Herzen komme ich an, ſcheu und furchtſam ſeh ich mich um, aber ich zaudere nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen Weg durch das zuſammengefallne, überſchneite Geſtein, bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich lauſche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach, und wie der Wind in dem loſen Sparrwerk raſſelt, ich denke: „ob das die Geiſter ſind?“ — ſie ſenken ſich herab, — ich ſuche meine Angſt zu bekämpfen, ſie ſchweben in geringer Höhe über mir, — die Furcht be- ſchwichtigt ſich allmählig; es war, als ob ich die offne Bruſt dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz vorher noch für meinen Feind gehalten hatte.
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Bäume ihre ſilbernen Zweige unter dem wandelnden
Mondlicht aus. Dieſe Kälte war ſo warm, ſo freund-
lich, hier war nichts unverſtändlich, nichts zu fürchten,
es war, als ſei ich den böſen Geiſtern da drinnen ent-
wiſcht; hier draußen ſprachen die guten um ſo vernehm-
licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih-
rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leiſe
und behend kletterte ich über das Hofthor, jenſeits werfe
ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen,
und in flüchtigen Sprüngen ſetze ich über den Schnee.
Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit geſtei-
gerter Angſt und klopfendem Herzen komme ich an,
ſcheu und furchtſam ſeh ich mich um, aber ich zaudere
nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen
Weg durch das zuſammengefallne, überſchneite Geſtein,
bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich
lauſche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach,
und wie der Wind in dem loſen Sparrwerk raſſelt,
ich denke: „ob das die Geiſter ſind?“ — ſie ſenken
ſich herab, — ich ſuche meine Angſt zu bekämpfen, ſie
ſchweben in geringer Höhe über mir, — die Furcht be-
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offne Bruſt dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/122>, abgerufen am 10.05.2024.
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