Von jenen abentheuerlichen Geister-Nachtwegen kam ich mit durchnäßten Kleidern zurück, vom geschmol- zenen Schnee, man glaubte, ich sei im Garten gewesen. Über Nacht vergaß ich Alles, erst am andern Abend um dieselbe Stunde fiel mir's wieder ein, und die Angst, die ich ausgestanden hatte; ich begriff nicht, wie ich hatte wagen können, diesen öden Weg in der Nacht allein zu gehen, und auf dem wüsten, schaurigen Platz zu verweilen; ich stand an die Hofthüre gelehnt, heute war's nicht so milde und still wie gestern, die Winde hoben sich und braus'ten dahin, sie seufzten auf zu mei- nen Füßen und eilten nach jener Seite, die schwanken- den Pappeln im Garten beugten sich und warfen die Schneelast ab, die Wolken trieben mit ungeheurer Eile, was fest gewurzelt war, schwankte hinüber, was sich ablösen konnte das nahmen die jagenden Winde unauf- haltsam mit sich. -- In einem Nu war auch ich über die Hofthür, und im flüchtigen Lauf athemlos bis an die Kirche gekommen, und nun war ich so froh, daß ich da war; ich lehnte mich an das Gemäuer bis der Athem beschwichtigt war, es war, als ob Leib und Seele in dieser Verborgenheit geläutert würden, ich fühlte die Liebkosungen von meinem Genius in der Brust, ich
Von jenen abentheuerlichen Geiſter-Nachtwegen kam ich mit durchnäßten Kleidern zurück, vom geſchmol- zenen Schnee, man glaubte, ich ſei im Garten geweſen. Über Nacht vergaß ich Alles, erſt am andern Abend um dieſelbe Stunde fiel mir's wieder ein, und die Angſt, die ich ausgeſtanden hatte; ich begriff nicht, wie ich hatte wagen können, dieſen öden Weg in der Nacht allein zu gehen, und auf dem wüſten, ſchaurigen Platz zu verweilen; ich ſtand an die Hofthüre gelehnt, heute war's nicht ſo milde und ſtill wie geſtern, die Winde hoben ſich und brauſ'ten dahin, ſie ſeufzten auf zu mei- nen Füßen und eilten nach jener Seite, die ſchwanken- den Pappeln im Garten beugten ſich und warfen die Schneelaſt ab, die Wolken trieben mit ungeheurer Eile, was feſt gewurzelt war, ſchwankte hinüber, was ſich ablöſen konnte das nahmen die jagenden Winde unauf- haltſam mit ſich. — In einem Nu war auch ich über die Hofthür, und im flüchtigen Lauf athemlos bis an die Kirche gekommen, und nun war ich ſo froh, daß ich da war; ich lehnte mich an das Gemäuer bis der Athem beſchwichtigt war, es war, als ob Leib und Seele in dieſer Verborgenheit geläutert würden, ich fühlte die Liebkoſungen von meinem Genius in der Bruſt, ich
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Von jenen abentheuerlichen Geiſter-Nachtwegen
kam ich mit durchnäßten Kleidern zurück, vom geſchmol-
zenen Schnee, man glaubte, ich ſei im Garten geweſen.
Über Nacht vergaß ich Alles, erſt am andern Abend
um dieſelbe Stunde fiel mir's wieder ein, und die Angſt,
die ich ausgeſtanden hatte; ich begriff nicht, wie ich
hatte wagen können, dieſen öden Weg in der Nacht
allein zu gehen, und auf dem wüſten, ſchaurigen Platz
zu verweilen; ich ſtand an die Hofthüre gelehnt, heute
war's nicht ſo milde und ſtill wie geſtern, die Winde
hoben ſich und brauſ'ten dahin, ſie ſeufzten auf zu mei-
nen Füßen und eilten nach jener Seite, die ſchwanken-
den Pappeln im Garten beugten ſich und warfen die
Schneelaſt ab, die Wolken trieben mit ungeheurer Eile,
was feſt gewurzelt war, ſchwankte hinüber, was ſich
ablöſen konnte das nahmen die jagenden Winde unauf-
haltſam mit ſich. — In einem Nu war auch ich über
die Hofthür, und im flüchtigen Lauf athemlos bis an
die Kirche gekommen, und nun war ich ſo froh, daß
ich da war; ich lehnte mich an das Gemäuer bis der
Athem beſchwichtigt war, es war, als ob Leib und Seele
in dieſer Verborgenheit geläutert würden, ich fühlte die
Liebkoſungen von meinem Genius in der Bruſt, ich
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/127>, abgerufen am 26.11.2024.
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