[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.den reinen Thau, den die tragische Muse aus ihrer Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum den reinen Thau, den die tragiſche Muſe aus ihrer Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0160" n="150"/> den reinen Thau, den die tragiſche Muſe aus ihrer<lb/> Urne ſprengt, um den Staub der Gemeinheit zu däm-<lb/> pfen, indem ich in tiefer, bewußtloſer Betrachtung über<lb/> ihn verſunken war. — Es war in ſeinem zwanzigſten<lb/> Jahr, im tollen, glühenden Übermuth der Jugend, im<lb/> Gefühl ſeiner überwiegenden Schönheit, und im gehei-<lb/> men Bewußtſein alles deſſen, was dieſer zu Gebot ſtand,<lb/> daß er am Tag der Jagd über die gedeckte Tafel ſprang,<lb/> mit ſeinen Sporn das Tiſchzeug mit Service und Pracht-<lb/> aufſatz auf die Erde riß und am Boden zerſchmetterte,<lb/> um ſeinem liebſten Freund an den Hals zu ſpringen,<lb/> zu umarmen, mit ihm tauſend Abentheuer zu beſprechen.<lb/> Sie theilten ſich auf der Jagd, und der erſte Schuß,<lb/> den der Freund that, war in beide Augenſterne des<lb/> Herzogs.</p><lb/> <p>Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum<lb/> Bewußtſein über ſein Unglück gekommen; ſo wie ich ihn<lb/> ſah, erſchien er mir ganz zu ſich und ſeinem Schickſal<lb/> ſich verhaltend, ohne Mangel, wenn ich andre hörte ſa-<lb/> gen: „wie ſchade, wie traurig, daß der Herzog blind<lb/> iſt!“ ſo fühlte ich's nicht mit, im Gegentheil dachte ich;<lb/> „wie ſchade, daß ihr nicht alle blind ſeid, um die Ge-<lb/> meinheit eurer Züge nicht mit dieſen vergleichen zu dür-<lb/> fen!“ Ja Goethe! Schönheit iſt ja das ſehende Aug'<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [150/0160]
den reinen Thau, den die tragiſche Muſe aus ihrer
Urne ſprengt, um den Staub der Gemeinheit zu däm-
pfen, indem ich in tiefer, bewußtloſer Betrachtung über
ihn verſunken war. — Es war in ſeinem zwanzigſten
Jahr, im tollen, glühenden Übermuth der Jugend, im
Gefühl ſeiner überwiegenden Schönheit, und im gehei-
men Bewußtſein alles deſſen, was dieſer zu Gebot ſtand,
daß er am Tag der Jagd über die gedeckte Tafel ſprang,
mit ſeinen Sporn das Tiſchzeug mit Service und Pracht-
aufſatz auf die Erde riß und am Boden zerſchmetterte,
um ſeinem liebſten Freund an den Hals zu ſpringen,
zu umarmen, mit ihm tauſend Abentheuer zu beſprechen.
Sie theilten ſich auf der Jagd, und der erſte Schuß,
den der Freund that, war in beide Augenſterne des
Herzogs.
Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum
Bewußtſein über ſein Unglück gekommen; ſo wie ich ihn
ſah, erſchien er mir ganz zu ſich und ſeinem Schickſal
ſich verhaltend, ohne Mangel, wenn ich andre hörte ſa-
gen: „wie ſchade, wie traurig, daß der Herzog blind
iſt!“ ſo fühlte ich's nicht mit, im Gegentheil dachte ich;
„wie ſchade, daß ihr nicht alle blind ſeid, um die Ge-
meinheit eurer Züge nicht mit dieſen vergleichen zu dür-
fen!“ Ja Goethe! Schönheit iſt ja das ſehende Aug'
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |