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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenstand es mit
Wohlgefallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der
Herzog auch nicht gesehen habe, -- er war dem göttli-
chen Licht vermählt durch die Schönheit, und dies war
allemal nicht das bitterste Schicksal.

Wenn ich so neben ihm stand und in Gedanken
versunken mit ihm seufzte da fragte er: qui est la? --
Bettine! "Amie viens que je touche tes traits, pour les
apprendre par coeur!"
und so nahm er mich auf den
Schooß, und fuhr mit dem Zeigfinger über meine Stirn,
Nase und Lippen, und sagte mir Schönes über meine
Züge, über das Feuer meiner Augen, als ob er sie se-
hen könne. Einmal fuhr ich mit ihm von Frankfurt
nach Offenbach zur Großmutter, ich saß neben ihm, er
fragte, ob wir noch in der Stadt seien, ob Häuser da
seien und Menschen? -- ich verneinte es, wir waren
auf dem Land, da verwandelte sich plötzlich sein Ge-
sicht, er griff nach mir, er wollte mich an's Herz ziehen,
ich erschrack; schnell wie der Blitz hatte ich mich den
Schlingen seiner Arme entzogen und duckte nieder in
der Ecke des Wagens; er suchte mich, ich lachte heim-
lich, daß er mich nicht fand, da sagte er: "Ton
coeur est-il si mechant pour mepriser, pour se jouer
d'un pauvre aveugle?"
da fürchtete ich mich der Sünde

Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenſtand es mit
Wohlgefallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der
Herzog auch nicht geſehen habe, — er war dem göttli-
chen Licht vermählt durch die Schönheit, und dies war
allemal nicht das bitterſte Schickſal.

Wenn ich ſo neben ihm ſtand und in Gedanken
verſunken mit ihm ſeufzte da fragte er: qui est là? —
Bettine! „Amie viens que je touche tes traits, pour les
apprendre par coeur!“
und ſo nahm er mich auf den
Schooß, und fuhr mit dem Zeigfinger über meine Stirn,
Naſe und Lippen, und ſagte mir Schönes über meine
Züge, über das Feuer meiner Augen, als ob er ſie ſe-
hen könne. Einmal fuhr ich mit ihm von Frankfurt
nach Offenbach zur Großmutter, ich ſaß neben ihm, er
fragte, ob wir noch in der Stadt ſeien, ob Häuſer da
ſeien und Menſchen? — ich verneinte es, wir waren
auf dem Land, da verwandelte ſich plötzlich ſein Ge-
ſicht, er griff nach mir, er wollte mich an's Herz ziehen,
ich erſchrack; ſchnell wie der Blitz hatte ich mich den
Schlingen ſeiner Arme entzogen und duckte nieder in
der Ecke des Wagens; er ſuchte mich, ich lachte heim-
lich, daß er mich nicht fand, da ſagte er: „Ton
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[151/0161] Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenſtand es mit Wohlgefallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der Herzog auch nicht geſehen habe, — er war dem göttli- chen Licht vermählt durch die Schönheit, und dies war allemal nicht das bitterſte Schickſal. Wenn ich ſo neben ihm ſtand und in Gedanken verſunken mit ihm ſeufzte da fragte er: qui est là? — Bettine! „Amie viens que je touche tes traits, pour les apprendre par coeur!“ und ſo nahm er mich auf den Schooß, und fuhr mit dem Zeigfinger über meine Stirn, Naſe und Lippen, und ſagte mir Schönes über meine Züge, über das Feuer meiner Augen, als ob er ſie ſe- hen könne. Einmal fuhr ich mit ihm von Frankfurt nach Offenbach zur Großmutter, ich ſaß neben ihm, er fragte, ob wir noch in der Stadt ſeien, ob Häuſer da ſeien und Menſchen? — ich verneinte es, wir waren auf dem Land, da verwandelte ſich plötzlich ſein Ge- ſicht, er griff nach mir, er wollte mich an's Herz ziehen, ich erſchrack; ſchnell wie der Blitz hatte ich mich den Schlingen ſeiner Arme entzogen und duckte nieder in der Ecke des Wagens; er ſuchte mich, ich lachte heim- lich, daß er mich nicht fand, da ſagte er: „Ton coeur est-il si méchant pour mépriser, pour se jouer d'un pauvre aveugle?“ da fürchtete ich mich der Sünde

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/161>, abgerufen am 21.11.2024.