[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.meines Muthwillens, ich setzte mich wieder an seine meines Muthwillens, ich ſetzte mich wieder an ſeine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0162" n="152"/> meines Muthwillens, ich ſetzte mich wieder an ſeine<lb/> Seite und ließ ihn gewähren, mich an ſich ziehen, mich<lb/> heftig an ſein Herz drücken, nur mit dem Geſicht beugte<lb/> ich aus und gab ihm die Wange wenn er nach dem<lb/> Mund ſuchte. Er fragte, ob ich einen Beichtvater<lb/> habe? — ob ich dieſem erzählen werde, daß er mich ge-<lb/> küßt habe. Ich ſagte naiv ſchalkhaft: wenn er glaube,<lb/> daß dies dem Beichtvater Vergnügen machen werde, ſo<lb/> wolle ich's ihm erzählen. <hi rendition="#aq">„Non, mon amie, cela ne lui<lb/> plaira pas, il n'en faut rien dire, cela ne lui plaira abso-<lb/> lument pas, n'en dites rien à personne.“</hi> In Offenbach<lb/> erzählte ich's der Großmutter, die ſah mich an und<lb/> ſagte: „mein Kind! ein blinder Mann, ein armer<lb/> Mann!“ — Im Nachhauſefahren fragte er, ob ich<lb/> der Großmutter geſagt habe, daß er mich geküßt habe;<lb/> ich ſagte „ja.“ Nun, war die Großmutter bös? —<lb/> „Nein,“ <hi rendition="#aq">„et bien? est ce qu'elle n'a rien dit?“ —<lb/> „oui!“ — „et quoi?“</hi> — „ein blinder Mann, ein armer<lb/> Mann!“ <hi rendition="#aq">„O oui!“</hi> rief er, <hi rendition="#aq">„elle a bien raison!</hi> ein<lb/> blinder Mann, ein armer Mann!“ und ſo rief er ein-<lb/> mal ums andre: „ein blinder Mann, ein armer<lb/> Mann!“ bis er endlich in einen lauten Schrei der<lb/> Klage ausbrach, der mir wie ein Schwert durch's Herz<lb/> drang, aber meine Augen blieben trocken, während <hi rendition="#g">ſei-<lb/></hi></p> </div> </body> </text> </TEI> [152/0162]
meines Muthwillens, ich ſetzte mich wieder an ſeine
Seite und ließ ihn gewähren, mich an ſich ziehen, mich
heftig an ſein Herz drücken, nur mit dem Geſicht beugte
ich aus und gab ihm die Wange wenn er nach dem
Mund ſuchte. Er fragte, ob ich einen Beichtvater
habe? — ob ich dieſem erzählen werde, daß er mich ge-
küßt habe. Ich ſagte naiv ſchalkhaft: wenn er glaube,
daß dies dem Beichtvater Vergnügen machen werde, ſo
wolle ich's ihm erzählen. „Non, mon amie, cela ne lui
plaira pas, il n'en faut rien dire, cela ne lui plaira abso-
lument pas, n'en dites rien à personne.“ In Offenbach
erzählte ich's der Großmutter, die ſah mich an und
ſagte: „mein Kind! ein blinder Mann, ein armer
Mann!“ — Im Nachhauſefahren fragte er, ob ich
der Großmutter geſagt habe, daß er mich geküßt habe;
ich ſagte „ja.“ Nun, war die Großmutter bös? —
„Nein,“ „et bien? est ce qu'elle n'a rien dit?“ —
„oui!“ — „et quoi?“ — „ein blinder Mann, ein armer
Mann!“ „O oui!“ rief er, „elle a bien raison! ein
blinder Mann, ein armer Mann!“ und ſo rief er ein-
mal ums andre: „ein blinder Mann, ein armer
Mann!“ bis er endlich in einen lauten Schrei der
Klage ausbrach, der mir wie ein Schwert durch's Herz
drang, aber meine Augen blieben trocken, während ſei-
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