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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Schwur empor hebe; man sieht sie schon von mehreren
Meilen, jede Viertelstunde macht sie eine andre Miene,
bald treten Wälder hervor, die sie umkleiden, bald
weiche Hügel, oft auch schwimmen Dörfer in den frucht-
reichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewan-
des, die aber bald in seinen Falten wieder versinken. Wir
waren alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im
Wald machten wir Mittag, ein Fuchs wurde verfolgt,
das hielt unsere Reise auf. Da wir ankamen stieg der
Mond zwischen beiden Thürme herauf, wir aber ritten
im finstern Thal durch die kleine Stadt mit holperigen
Straßen; in einer großen Eisengießerei übernachteten
wir. Am Morgen, vor Tag eilte ich hinaus, ich wollte
meine Schöne, die Natur, noch mit verschlossnen Augen
überraschen, ich wollte sehen, wie sie auf dieser Seite, in
dieser süßen Lage sich ausnähme. O Freund, alle Blumen-
kelche voll Thauspiegel, ein Gräschen malt sich im Per-
lenschmuck des andern, ein Blümchen trinkt sein Bild
aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! -- und Dein
Geist, der erquickende, was kann er mehr sein, was
kann er anders sein als reiner Himmelsthau, in dem
sich alles in reinster Urschönheit spiegelt; Spiegel! --
tiefe weisheitsvolle Erkenntniß ist dein Geist, in dem
selbst Du nur Dich spiegelst, und alles Liebe, was der

Schwur empor hebe; man ſieht ſie ſchon von mehreren
Meilen, jede Viertelſtunde macht ſie eine andre Miene,
bald treten Wälder hervor, die ſie umkleiden, bald
weiche Hügel, oft auch ſchwimmen Dörfer in den frucht-
reichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewan-
des, die aber bald in ſeinen Falten wieder verſinken. Wir
waren alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im
Wald machten wir Mittag, ein Fuchs wurde verfolgt,
das hielt unſere Reiſe auf. Da wir ankamen ſtieg der
Mond zwiſchen beiden Thürme herauf, wir aber ritten
im finſtern Thal durch die kleine Stadt mit holperigen
Straßen; in einer großen Eiſengießerei übernachteten
wir. Am Morgen, vor Tag eilte ich hinaus, ich wollte
meine Schöne, die Natur, noch mit verſchloſſnen Augen
überraſchen, ich wollte ſehen, wie ſie auf dieſer Seite, in
dieſer ſüßen Lage ſich ausnähme. O Freund, alle Blumen-
kelche voll Thauſpiegel, ein Gräschen malt ſich im Per-
lenſchmuck des andern, ein Blümchen trinkt ſein Bild
aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! — und Dein
Geiſt, der erquickende, was kann er mehr ſein, was
kann er anders ſein als reiner Himmelsthau, in dem
ſich alles in reinſter Urſchönheit ſpiegelt; Spiegel! —
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[166/0176] Schwur empor hebe; man ſieht ſie ſchon von mehreren Meilen, jede Viertelſtunde macht ſie eine andre Miene, bald treten Wälder hervor, die ſie umkleiden, bald weiche Hügel, oft auch ſchwimmen Dörfer in den frucht- reichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewan- des, die aber bald in ſeinen Falten wieder verſinken. Wir waren alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im Wald machten wir Mittag, ein Fuchs wurde verfolgt, das hielt unſere Reiſe auf. Da wir ankamen ſtieg der Mond zwiſchen beiden Thürme herauf, wir aber ritten im finſtern Thal durch die kleine Stadt mit holperigen Straßen; in einer großen Eiſengießerei übernachteten wir. Am Morgen, vor Tag eilte ich hinaus, ich wollte meine Schöne, die Natur, noch mit verſchloſſnen Augen überraſchen, ich wollte ſehen, wie ſie auf dieſer Seite, in dieſer ſüßen Lage ſich ausnähme. O Freund, alle Blumen- kelche voll Thauſpiegel, ein Gräschen malt ſich im Per- lenſchmuck des andern, ein Blümchen trinkt ſein Bild aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! — und Dein Geiſt, der erquickende, was kann er mehr ſein, was kann er anders ſein als reiner Himmelsthau, in dem ſich alles in reinſter Urſchönheit ſpiegelt; Spiegel! — tiefe weisheitsvolle Erkenntniß iſt dein Geiſt, in dem ſelbſt Du nur Dich ſpiegelſt, und alles Liebe, was der

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/176>, abgerufen am 13.05.2024.