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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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gerichtet habe; vernichte nicht mit Deinem Willen, was
Willkühr nie erzeugen könnte.

Ich küsse Deiner Füße Spuren, und will mich nicht
herein drängen in Deine Sinnenwelt, aber sei mit mir
in meiner Gedankenwelt; lege freundlich die Hand auf
das Haupt, das sich beugt, weil es der Liebe geweiht ist.

Der Wind rasselt am Fenster; welche Länder hat
er schon durchstreift? Wo kommt er her? Wie schnell
hat er die Strecke von Dir zu mir durchflogen? hat er
keinen Athemzug, in seinem Rasen und Toben, keinen
Hauch von Dir mit fortgerissen?

Ich habe den Glauben an eine Offenbarung des
Geistes; sie liegt nicht im Gefühl oder im Schauen oder
im Vernehmen; sie bricht hervor aus der Gesammtheit
der auffassenden Organe; wenn die alle der Liebe die-
nen, dann offenbaren sie das Geliebte; sie sind der
Spiegel der inneren Welt.

Ein Dasein im Geliebten haben ohne einen Stand-
punkt sinnlichen Bewußtseins, was kann mächtiger uns
von unserer geistigen Macht und Unendlichkeit über-
zeugen? --

Soll-

gerichtet habe; vernichte nicht mit Deinem Willen, was
Willkühr nie erzeugen könnte.

Ich küſſe Deiner Füße Spuren, und will mich nicht
herein drängen in Deine Sinnenwelt, aber ſei mit mir
in meiner Gedankenwelt; lege freundlich die Hand auf
das Haupt, das ſich beugt, weil es der Liebe geweiht iſt.

Der Wind raſſelt am Fenſter; welche Länder hat
er ſchon durchſtreift? Wo kommt er her? Wie ſchnell
hat er die Strecke von Dir zu mir durchflogen? hat er
keinen Athemzug, in ſeinem Raſen und Toben, keinen
Hauch von Dir mit fortgeriſſen?

Ich habe den Glauben an eine Offenbarung des
Geiſtes; ſie liegt nicht im Gefühl oder im Schauen oder
im Vernehmen; ſie bricht hervor aus der Geſammtheit
der auffaſſenden Organe; wenn die alle der Liebe die-
nen, dann offenbaren ſie das Geliebte; ſie ſind der
Spiegel der inneren Welt.

Ein Daſein im Geliebten haben ohne einen Stand-
punkt ſinnlichen Bewußtſeins, was kann mächtiger uns
von unſerer geiſtigen Macht und Unendlichkeit über-
zeugen? —

Soll-
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[24/0034] gerichtet habe; vernichte nicht mit Deinem Willen, was Willkühr nie erzeugen könnte. Ich küſſe Deiner Füße Spuren, und will mich nicht herein drängen in Deine Sinnenwelt, aber ſei mit mir in meiner Gedankenwelt; lege freundlich die Hand auf das Haupt, das ſich beugt, weil es der Liebe geweiht iſt. Der Wind raſſelt am Fenſter; welche Länder hat er ſchon durchſtreift? Wo kommt er her? Wie ſchnell hat er die Strecke von Dir zu mir durchflogen? hat er keinen Athemzug, in ſeinem Raſen und Toben, keinen Hauch von Dir mit fortgeriſſen? Ich habe den Glauben an eine Offenbarung des Geiſtes; ſie liegt nicht im Gefühl oder im Schauen oder im Vernehmen; ſie bricht hervor aus der Geſammtheit der auffaſſenden Organe; wenn die alle der Liebe die- nen, dann offenbaren ſie das Geliebte; ſie ſind der Spiegel der inneren Welt. Ein Daſein im Geliebten haben ohne einen Stand- punkt ſinnlichen Bewußtſeins, was kann mächtiger uns von unſerer geiſtigen Macht und Unendlichkeit über- zeugen? — Soll-

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/34>, abgerufen am 27.04.2024.