Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Liebe zu Ihr Augen, daß die Abendsonne ihre Glo-
rie über Euch spielen läßt, und der Wolkenhimmel eine
heilige Farbenharmonie Euch lehrt, in die alles ein-
stimmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der silberne
Fluß, der schwarze Wald, der Nebelduft, das giebt Euch
Ihr Augen die Mutter Natur zu trinken, während der
Geist den schönen Abend verlebt im Anschauen des Ge-
liebten. O Ihr Ohren, Euch umtönt die weite Stille, in
ihr erhebt sich das leise Heranbrausen des Windes, es
naht sich ein zweites, es trägt Euch Töne zu aus der
Ferne, die Wellen schlagen seufzend an's Ufer, die Blät-
ter lispeln, nichts regt sich in der Einsamkeit was nicht
sich Euch vertraute Ihr Ohren. Ihr werdet getränkt
durch das ganze Walten der Natur, während Ohr und
Aug und Sprache und Genuß im Busen des Freundes
tief versunken ist. Ach paradiesisches Mahl, wo die Kost
sich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wollust ist,
und diese Offenbarung wird.

Diese Frucht! duftend, reif, niedersinkend aus dem
Äther! -- welcher Baum hat sie abgeschüttelt von den
überreichen Ästen? während wir Wange an Wange ge-
lehnt, ihrer und der Zeit vergessen. Diese Gedanken,
sind sie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit
trägt und die er Liebenden in den Schooß schüttelt, die

Der Liebe zu Ihr Augen, daß die Abendſonne ihre Glo-
rie über Euch ſpielen läßt, und der Wolkenhimmel eine
heilige Farbenharmonie Euch lehrt, in die alles ein-
ſtimmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der ſilberne
Fluß, der ſchwarze Wald, der Nebelduft, das giebt Euch
Ihr Augen die Mutter Natur zu trinken, während der
Geiſt den ſchönen Abend verlebt im Anſchauen des Ge-
liebten. O Ihr Ohren, Euch umtönt die weite Stille, in
ihr erhebt ſich das leiſe Heranbrauſen des Windes, es
naht ſich ein zweites, es trägt Euch Töne zu aus der
Ferne, die Wellen ſchlagen ſeufzend an's Ufer, die Blät-
ter liſpeln, nichts regt ſich in der Einſamkeit was nicht
ſich Euch vertraute Ihr Ohren. Ihr werdet getränkt
durch das ganze Walten der Natur, während Ohr und
Aug und Sprache und Genuß im Buſen des Freundes
tief verſunken iſt. Ach paradieſiſches Mahl, wo die Koſt
ſich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wolluſt iſt,
und dieſe Offenbarung wird.

Dieſe Frucht! duftend, reif, niederſinkend aus dem
Äther! — welcher Baum hat ſie abgeſchüttelt von den
überreichen Äſten? während wir Wange an Wange ge-
lehnt, ihrer und der Zeit vergeſſen. Dieſe Gedanken,
ſind ſie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit
trägt und die er Liebenden in den Schooß ſchüttelt, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="69"/>
Der Liebe zu Ihr Augen, daß die Abend&#x017F;onne ihre Glo-<lb/>
rie über Euch &#x017F;pielen läßt, und der Wolkenhimmel eine<lb/>
heilige Farbenharmonie Euch lehrt, in die alles ein-<lb/>
&#x017F;timmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der &#x017F;ilberne<lb/>
Fluß, der &#x017F;chwarze Wald, der Nebelduft, das giebt Euch<lb/>
Ihr Augen die Mutter Natur zu trinken, während der<lb/>
Gei&#x017F;t den &#x017F;chönen Abend verlebt im An&#x017F;chauen des Ge-<lb/>
liebten. O Ihr Ohren, Euch umtönt die weite Stille, in<lb/>
ihr erhebt &#x017F;ich das lei&#x017F;e Heranbrau&#x017F;en des Windes, es<lb/>
naht &#x017F;ich ein zweites, es trägt Euch Töne zu aus der<lb/>
Ferne, die Wellen &#x017F;chlagen &#x017F;eufzend an's Ufer, die Blät-<lb/>
ter li&#x017F;peln, nichts regt &#x017F;ich in der Ein&#x017F;amkeit was nicht<lb/>
&#x017F;ich Euch vertraute Ihr Ohren. Ihr werdet getränkt<lb/>
durch das ganze Walten der Natur, während Ohr und<lb/>
Aug und Sprache und Genuß im Bu&#x017F;en des Freundes<lb/>
tief ver&#x017F;unken i&#x017F;t. Ach paradie&#x017F;i&#x017F;ches Mahl, wo die Ko&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wollu&#x017F;t i&#x017F;t,<lb/>
und <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> Offenbarung wird.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Frucht! duftend, reif, nieder&#x017F;inkend aus dem<lb/>
Äther! &#x2014; welcher Baum hat &#x017F;ie abge&#x017F;chüttelt von den<lb/>
überreichen Ä&#x017F;ten? während wir Wange an Wange ge-<lb/>
lehnt, ihrer und der Zeit verge&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;e Gedanken,<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit<lb/>
trägt und die er Liebenden in den Schooß &#x017F;chüttelt, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0079] Der Liebe zu Ihr Augen, daß die Abendſonne ihre Glo- rie über Euch ſpielen läßt, und der Wolkenhimmel eine heilige Farbenharmonie Euch lehrt, in die alles ein- ſtimmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der ſilberne Fluß, der ſchwarze Wald, der Nebelduft, das giebt Euch Ihr Augen die Mutter Natur zu trinken, während der Geiſt den ſchönen Abend verlebt im Anſchauen des Ge- liebten. O Ihr Ohren, Euch umtönt die weite Stille, in ihr erhebt ſich das leiſe Heranbrauſen des Windes, es naht ſich ein zweites, es trägt Euch Töne zu aus der Ferne, die Wellen ſchlagen ſeufzend an's Ufer, die Blät- ter liſpeln, nichts regt ſich in der Einſamkeit was nicht ſich Euch vertraute Ihr Ohren. Ihr werdet getränkt durch das ganze Walten der Natur, während Ohr und Aug und Sprache und Genuß im Buſen des Freundes tief verſunken iſt. Ach paradieſiſches Mahl, wo die Koſt ſich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wolluſt iſt, und dieſe Offenbarung wird. Dieſe Frucht! duftend, reif, niederſinkend aus dem Äther! — welcher Baum hat ſie abgeſchüttelt von den überreichen Äſten? während wir Wange an Wange ge- lehnt, ihrer und der Zeit vergeſſen. Dieſe Gedanken, ſind ſie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit trägt und die er Liebenden in den Schooß ſchüttelt, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/79
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/79>, abgerufen am 13.05.2024.