Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Da mich später der, der mich liebt und kennt,
einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blu-
men, die ich junges Kind aus der erstorbenen Hand des
hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und
ob es wohl so kommen werde, daß auch mich der Tod
beim pflanzen der Blumen überrasche; der Tod, der
triumphirende Herold des Lebens, der Befreier von ir-
discher Schwere.

Aber jene andre Nonne, jung und schön, deren
lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum
Altar trug: -- ich hab' nicht geweint, da man die alte
Gärtnerin zu Grabe trug, obschon sie meine Freundin
gewesen war, und mir manche Gartenkunst gelehrt hatte.
Es kam mir so natürlich vor und so behaglich, daß ich
nicht einmal darüber verwundert war; aber damals,
als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Rosen
auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel,
unter dem Geläute aller Glocken, vor der in alle üppige
Pracht gekleideten jugendlichen Braut Christi einherschritt;
da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Bischof
stand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob
sie sich Christo vermählen wolle, und man ihr auf ihr
Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen
Haare abschnitt, welche ich auf einem goldenen Teller

Da mich ſpäter der, der mich liebt und kennt,
einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blu-
men, die ich junges Kind aus der erſtorbenen Hand des
hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und
ob es wohl ſo kommen werde, daß auch mich der Tod
beim pflanzen der Blumen überraſche; der Tod, der
triumphirende Herold des Lebens, der Befreier von ir-
diſcher Schwere.

Aber jene andre Nonne, jung und ſchön, deren
lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum
Altar trug: — ich hab' nicht geweint, da man die alte
Gärtnerin zu Grabe trug, obſchon ſie meine Freundin
geweſen war, und mir manche Gartenkunſt gelehrt hatte.
Es kam mir ſo natürlich vor und ſo behaglich, daß ich
nicht einmal darüber verwundert war; aber damals,
als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Roſen
auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel,
unter dem Geläute aller Glocken, vor der in alle üppige
Pracht gekleideten jugendlichen Braut Chriſti einherſchritt;
da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Biſchof
ſtand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob
ſie ſich Chriſto vermählen wolle, und man ihr auf ihr
Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen
Haare abſchnitt, welche ich auf einem goldenen Teller

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0081" n="71"/>
Da mich &#x017F;päter <hi rendition="#g">der, der mich liebt und kennt</hi>,<lb/>
einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blu-<lb/>
men, die ich junges Kind aus der er&#x017F;torbenen Hand des<lb/>
hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und<lb/>
ob es wohl &#x017F;o kommen werde, daß auch mich der Tod<lb/>
beim pflanzen der Blumen überra&#x017F;che; der Tod, der<lb/>
triumphirende Herold des Lebens, der Befreier von ir-<lb/>
di&#x017F;cher Schwere.</p><lb/>
          <p>Aber jene andre Nonne, jung und &#x017F;chön, deren<lb/>
lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum<lb/>
Altar trug: &#x2014; ich hab' nicht geweint, da man die alte<lb/>
Gärtnerin zu Grabe trug, ob&#x017F;chon &#x017F;ie meine Freundin<lb/>
gewe&#x017F;en war, und mir manche Gartenkun&#x017F;t gelehrt hatte.<lb/>
Es kam mir &#x017F;o natürlich vor und &#x017F;o behaglich, daß ich<lb/>
nicht einmal darüber verwundert war; aber damals,<lb/>
als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Ro&#x017F;en<lb/>
auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel,<lb/>
unter dem Geläute aller Glocken, vor der in alle üppige<lb/>
Pracht gekleideten jugendlichen Braut Chri&#x017F;ti einher&#x017F;chritt;<lb/>
da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Bi&#x017F;chof<lb/>
&#x017F;tand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich Chri&#x017F;to vermählen wolle, und man ihr auf ihr<lb/>
Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen<lb/>
Haare ab&#x017F;chnitt, welche ich auf einem goldenen Teller<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0081] Da mich ſpäter der, der mich liebt und kennt, einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blu- men, die ich junges Kind aus der erſtorbenen Hand des hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und ob es wohl ſo kommen werde, daß auch mich der Tod beim pflanzen der Blumen überraſche; der Tod, der triumphirende Herold des Lebens, der Befreier von ir- diſcher Schwere. Aber jene andre Nonne, jung und ſchön, deren lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum Altar trug: — ich hab' nicht geweint, da man die alte Gärtnerin zu Grabe trug, obſchon ſie meine Freundin geweſen war, und mir manche Gartenkunſt gelehrt hatte. Es kam mir ſo natürlich vor und ſo behaglich, daß ich nicht einmal darüber verwundert war; aber damals, als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Roſen auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel, unter dem Geläute aller Glocken, vor der in alle üppige Pracht gekleideten jugendlichen Braut Chriſti einherſchritt; da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Biſchof ſtand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob ſie ſich Chriſto vermählen wolle, und man ihr auf ihr Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen Haare abſchnitt, welche ich auf einem goldenen Teller

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/81
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/81>, abgerufen am 21.11.2024.