Furcht nichtig ist, er muß das Reich der Einbildung durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich sein weil sie lebendig ist und frei, und auch nur das Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geist der alles fürchtet weil er es nicht faßt. Erkenntniß hebt jede Gegenmacht auf. Ich will Dir sagen wie es ist beim Sterben, ich habs auf der alten Warte gelernt. -- Unten mit schwebender Angst hinauf geklettert, -- die innerliche Wahrheitsstimme half mir die Einbildung die so frech selbst mit Erscheinungen mich bedrängte, be¬ zwingen, ein paarmal zagte ich zwischen Erd und Him¬ mel auf der morschen Leiter, aber die Luft hauchte schon herab, so erhob ich mich plötzlich und von allen Seiten athmete mich Freiheit an, so grad ists beim Sterben; je weniger das Leben Licht erstritten hat, Geist gewor¬ den ist, je mehr scheut es den Geist, je mehr drängt sich am Lebensende die Einbildung ihm auf, und beschränkt den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Mensch ist Sclave der Einbildung die ihm sein Inneres läugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht schon in den dunklen baufälligen Thurm zu ihm nieder daß er die morschgewordne Leiter die zur Freiheit führt mit doppelter Kühnheit erschwingt, und unmöglich kann diese im finstern Thurm mit dem Aufschwung ins Freie
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Furcht nichtig iſt, er muß das Reich der Einbildung durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich ſein weil ſie lebendig iſt und frei, und auch nur das Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geiſt der alles fürchtet weil er es nicht faßt. Erkenntniß hebt jede Gegenmacht auf. Ich will Dir ſagen wie es iſt beim Sterben, ich habs auf der alten Warte gelernt. — Unten mit ſchwebender Angſt hinauf geklettert, — die innerliche Wahrheitsſtimme half mir die Einbildung die ſo frech ſelbſt mit Erſcheinungen mich bedrängte, be¬ zwingen, ein paarmal zagte ich zwiſchen Erd und Him¬ mel auf der morſchen Leiter, aber die Luft hauchte ſchon herab, ſo erhob ich mich plötzlich und von allen Seiten athmete mich Freiheit an, ſo grad iſts beim Sterben; je weniger das Leben Licht erſtritten hat, Geiſt gewor¬ den iſt, je mehr ſcheut es den Geiſt, je mehr drängt ſich am Lebensende die Einbildung ihm auf, und beſchränkt den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Menſch iſt Sclave der Einbildung die ihm ſein Inneres läugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht ſchon in den dunklen baufälligen Thurm zu ihm nieder daß er die morſchgewordne Leiter die zur Freiheit führt mit doppelter Kühnheit erſchwingt, und unmöglich kann dieſe im finſtern Thurm mit dem Aufſchwung ins Freie
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Furcht nichtig iſt, er muß das Reich der Einbildung
durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich
ſein weil ſie lebendig iſt und frei, und auch nur das
Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geiſt
der alles fürchtet weil er es nicht faßt. Erkenntniß hebt
jede Gegenmacht auf. Ich will Dir ſagen wie es iſt
beim Sterben, ich habs auf der alten Warte gelernt. —
Unten mit ſchwebender Angſt hinauf geklettert, — die
innerliche Wahrheitsſtimme half mir die Einbildung die
ſo frech ſelbſt mit Erſcheinungen mich bedrängte, be¬
zwingen, ein paarmal zagte ich zwiſchen Erd und Him¬
mel auf der morſchen Leiter, aber die Luft hauchte ſchon
herab, ſo erhob ich mich plötzlich und von allen Seiten
athmete mich Freiheit an, ſo grad iſts beim Sterben;
je weniger das Leben Licht erſtritten hat, Geiſt gewor¬
den iſt, je mehr ſcheut es den Geiſt, je mehr drängt ſich
am Lebensende die Einbildung ihm auf, und beſchränkt
den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Menſch
iſt Sclave der Einbildung die ihm ſein Inneres
läugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht ſchon in
den dunklen baufälligen Thurm zu ihm nieder daß er
die morſchgewordne Leiter die zur Freiheit führt mit
doppelter Kühnheit erſchwingt, und unmöglich kann
dieſe im finſtern Thurm mit dem Aufſchwung ins Freie
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/137>, abgerufen am 24.11.2024.
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