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Allgemeine Zeitung. Nr. 5. Augsburg, 5. Januar 1840.

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aber darum lehrreich gewesen, weil es die Stellungen der verschiedenen Mächte aufklärte, und sie nöthigte, ihre Meinung offen zu sagen; wenigstens war dieß in Beziehung auf Frankreich der Fall, und seine Lossagung von der englischen Allianz, wenn gleich diese in der Thronrede noch vorangestellt wird, wurde durch seine Erklärung für Mehemed Ali und dessen Forderungen offenkundig. War man einmal zu einem solchen offenen Schritt genöthigt, so mußte man auch denselben vertheidigen, die öffentliche Meinung dafür stimmen, und was für feinere Ohren die fein gedrechselten Artikel des Journal des Debats waren, das soll vielleicht vorliegende Schrift für die gröberen leisten.

Nachdem der Verfasser in den acht ersten Capiteln seiner wohlfeilen Declamationslust gegen England Luft gemacht, kommt er im neunten auf das große Streitroß der Politik des vorigen Jahres und erörtert die Interessen der betheiligten Mächte. Wir heben hier begreiflicherweise nur die Punkte heraus, welche für Frankreichs Stellung zu Rußland und England entscheidend sind, und wir stoßen hier gleich auf die Stelle, wo es heißt, daß "eine kräftig combinirte, bewaffnete Neutralität zugleich eine hinreichende Garantie gegen das Umsichgreifen Rußlands und als Zügel gegen die maritimen und commerciellen Usurpationen Englands dienen könne." Das Schlachtfeld zwischen England und Rußland sey zwar tief in Asien, und diesem Kampf könnten die übrigen Mächte Europa's müßig zusehen, indeß verkennt der Verfasser nicht und hebt es auch besonders hervor, daß "eine Reorganisation der Türkei und die Herrschaft über Aegypten, Candien und Cypern England allein sein indisches Reich sichern könne;" es sey jedoch, was auch wir nicht in Abrede stellen, "das Interesse Frankreichs und aller andern maritimen Mächte Europa's, die Vortheile des indischen Handels gleicher zu vertheilen, und diese gleichere Vertheilung könne nur dann sich ergeben, wenn Aegypten mit Syrien verbunden eine hinreichend starke Nationalität bilde, um Asien gegen den Ehrgeiz Rußlands und Englands zu vertheidigen." Die Politik Frankreichs, Mehemed Ali gegen England zu vertheidigen, tritt hier deutlich hervor, und der Verfasser bleibt uns nur die Antwort schuldig, wie es mit der Neutralität Frankreichs aussieht, wenn England sein indisches Reich nicht ohne den Besitz von Aegypten und Candia erhalten kann, die Unabhängigkeit Aegyptens aber durch das höchste Interesse Frankreichs geboten ist. So sagt der Verfasser Seite 182: "Frankreich hat durchaus kein Interesse, England in seinem Kampfe gegen Rußland zu unterstützen, im Gegentheil, es hat bei der Civilisirung des Orients alles zu gewinnen, während England alles zu verlieren hat. Als ein im Mittelmeer gelegener Staat ist sein dringendstes Interesse, daß der indische Handel dem ausschließlichen Monopol der Engländer entzogen werde, über Kairo, Alexandria und Konstantinopel nach Marseille gehe; als Seemacht muß es die Zerstreuung und Schwächung der englischen Flotten wünschen." Während so das erste und directeste Interesse Frankreichs, dem Verfasser zufolge, gegen England gerichtet ist, betrachtet er die Frage über Konstantinopel und die Dardanellen als einen Gegenstand, "zu dessen Discutirung die Ereignisse erst später führen werden." Diese Sprache ist ganz deutlich: nicht Rußland, England ist der Feind Frankreichs, und Englands Plane im Orient müssen durchkreuzt werden. Da man aber nicht mit Einem Sprunge zur russischen Allianz umschlagen kann, so muß Frankreich das oben erwähnte System der bewaffneten Neutralität ergreifen, "um sich die Mittel zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts zu sichern und auf diejenige Seite zu neigen, wo ihm die Ereignisse den Platz anweisen werden." Um diese hohe Stellung einnehmen zu können, muß Frankreich seine "Föderativinteressen" sorgsam pflegen. Zu diesem Ende muß es vorerst das "zur Vertheidigung seiner Gränzen unumgänglich nothwendige Gebiet haben", d. h. die Rheingränze, und dann muß es seine Alliirten um sich sammeln, nämlich "alle die Staaten, deren Vertheidigung Frankreich seit den Reformationskriegen übernahm, nämlich Belgien, die Schweiz, Dänemark, Schweden, Italien, Spanien, die unabhängigen Mitglieder der deutschen Familie und die freien Männer aller Länder, deren Sache stets die Sache Frankreichs war." Man sieht, daß ist nichts mehr und nichts weniger, als eine neue Auflage desselben Systems, das Ludwig XIV, die Republik und Napoleon verfolgt haben, vermehrt und verbessert von Hrn. P. Sarrans Junior. Es ist das westeuropäische Kaiserreich, umgeben von seinen fügsamen Trabanten, nichts mehr und nichts weniger, als das alte Lied, das uns die französischen Politiker seit 25 Jahren bis zum Ueberdruß vorgesungen. Auch sind die Napoleonischen Reminiscenzen keineswegs vergessen. Was aus Preußen und Oesterreich werden soll, das setzt uns der Verfasser gleichfalls mit einer ungemeinen Naivität auseinander. Beide sollen ihren Antheil an Polen herausgeben, und mit diesem vereint Frankreichs Vormauer gegen Rußland bilden; dafür werden sie gnädig, das eine mit Hannover und Mecklenburg, das andere mit Corfu bedacht. In dieser ganzen Auseinandersetzung ist auch nicht Ein neuer Zug, Alles ist Reminiscenz und Wiederaufwärmung Napoleonischer Plane und Ideen. Man hat in der politisch-militärischen Rumpelkammer nachgesucht und Scanderbegs Schwert daraus hervorgezogen, es fehlt nur Scanderbegs Arm.

Es ist ganz überflüssig, nachzuweisen, wie der Verfasser insichtlich der maritimen Stellung Frankreichs, England gegenüber, auch nur wieder Napoleonische Ideen auskramt; wer Frankreichs Geschichte unter dem Consulat auch nur oberflächlich kennt, weiß auswendig, wie Holland, Spanien und Ligurien die französischen Flotten verstärken, und Dänemark, Schweden, Neapel, Portugal und die Vereinigten Staaten unter dem Fittiche Frankreichs für ein neues Seerecht gegen Englands Raubsystem kämpfen sollen. In Allem dem ist, wie bemerkt, auch nicht Ein neuer Gedanke und am allerwenigsten der Weg angezeigt, wie man zu dem vorgesteckten Ziel gelangen könne. Die ganze Idee einer solchen bewaffneten Neutralität und eines consolidirten Uebergewichts über den europäischen Westen erscheint als eine auf die Nationaleitelkeit berechnete Prahlerei, die nur die Systemveränderung decken, den Abfall vom englischen Bündniß, dem ohnehin kein Kundiger eine Dauer versprach, beschönigen und den Uebertritt zur russischen Allianz vermitteln soll. Man hat diese Idee vielleicht einem enragirten Oppositionsmann in den Mund gelegt, einerseits, um die Schrift um so leichter zu desavouiren, anderntheils aber, um dem Auskramen Napoleonischer Erinnerungen keinen Zwang anthun zu müssen, und sich das Ansehen zu geben, als thue man nur das Allernothwendigste, und als verlange die öffentliche Stimme noch viel mehr. Diese Annahme, daß die Schrift von Sarrans mittelbar oder unmittelbar durch die Regierung veranlaßt worden sey, ist vielleicht ungegründet, allein dieß ändert an der Sache im Wesentlichen gar nichts, da hinsichtlich der äußern Verhältnisse alle Parteien Frankreichs übereinstimmend handeln und das Verfahren der Regierung den Vorschlägen und Forderungen des Hrn. Sarrans ganz conform ist. Jedenfalls muß sie es gern sehen, wenn so übertriebene Ansichten ausgesprochen werden, weil dann ihre eigene scheinbare Mäßigung nur um so mehr hervortritt; denn im Ernste können der jetzigen französischen Regierung solche Plane wohl nicht

aber darum lehrreich gewesen, weil es die Stellungen der verschiedenen Mächte aufklärte, und sie nöthigte, ihre Meinung offen zu sagen; wenigstens war dieß in Beziehung auf Frankreich der Fall, und seine Lossagung von der englischen Allianz, wenn gleich diese in der Thronrede noch vorangestellt wird, wurde durch seine Erklärung für Mehemed Ali und dessen Forderungen offenkundig. War man einmal zu einem solchen offenen Schritt genöthigt, so mußte man auch denselben vertheidigen, die öffentliche Meinung dafür stimmen, und was für feinere Ohren die fein gedrechselten Artikel des Journal des Débats waren, das soll vielleicht vorliegende Schrift für die gröberen leisten.

Nachdem der Verfasser in den acht ersten Capiteln seiner wohlfeilen Declamationslust gegen England Luft gemacht, kommt er im neunten auf das große Streitroß der Politik des vorigen Jahres und erörtert die Interessen der betheiligten Mächte. Wir heben hier begreiflicherweise nur die Punkte heraus, welche für Frankreichs Stellung zu Rußland und England entscheidend sind, und wir stoßen hier gleich auf die Stelle, wo es heißt, daß „eine kräftig combinirte, bewaffnete Neutralität zugleich eine hinreichende Garantie gegen das Umsichgreifen Rußlands und als Zügel gegen die maritimen und commerciellen Usurpationen Englands dienen könne.“ Das Schlachtfeld zwischen England und Rußland sey zwar tief in Asien, und diesem Kampf könnten die übrigen Mächte Europa's müßig zusehen, indeß verkennt der Verfasser nicht und hebt es auch besonders hervor, daß „eine Reorganisation der Türkei und die Herrschaft über Aegypten, Candien und Cypern England allein sein indisches Reich sichern könne;“ es sey jedoch, was auch wir nicht in Abrede stellen, „das Interesse Frankreichs und aller andern maritimen Mächte Europa's, die Vortheile des indischen Handels gleicher zu vertheilen, und diese gleichere Vertheilung könne nur dann sich ergeben, wenn Aegypten mit Syrien verbunden eine hinreichend starke Nationalität bilde, um Asien gegen den Ehrgeiz Rußlands und Englands zu vertheidigen.“ Die Politik Frankreichs, Mehemed Ali gegen England zu vertheidigen, tritt hier deutlich hervor, und der Verfasser bleibt uns nur die Antwort schuldig, wie es mit der Neutralität Frankreichs aussieht, wenn England sein indisches Reich nicht ohne den Besitz von Aegypten und Candia erhalten kann, die Unabhängigkeit Aegyptens aber durch das höchste Interesse Frankreichs geboten ist. So sagt der Verfasser Seite 182: „Frankreich hat durchaus kein Interesse, England in seinem Kampfe gegen Rußland zu unterstützen, im Gegentheil, es hat bei der Civilisirung des Orients alles zu gewinnen, während England alles zu verlieren hat. Als ein im Mittelmeer gelegener Staat ist sein dringendstes Interesse, daß der indische Handel dem ausschließlichen Monopol der Engländer entzogen werde, über Kairo, Alexandria und Konstantinopel nach Marseille gehe; als Seemacht muß es die Zerstreuung und Schwächung der englischen Flotten wünschen.“ Während so das erste und directeste Interesse Frankreichs, dem Verfasser zufolge, gegen England gerichtet ist, betrachtet er die Frage über Konstantinopel und die Dardanellen als einen Gegenstand, „zu dessen Discutirung die Ereignisse erst später führen werden.“ Diese Sprache ist ganz deutlich: nicht Rußland, England ist der Feind Frankreichs, und Englands Plane im Orient müssen durchkreuzt werden. Da man aber nicht mit Einem Sprunge zur russischen Allianz umschlagen kann, so muß Frankreich das oben erwähnte System der bewaffneten Neutralität ergreifen, „um sich die Mittel zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts zu sichern und auf diejenige Seite zu neigen, wo ihm die Ereignisse den Platz anweisen werden.“ Um diese hohe Stellung einnehmen zu können, muß Frankreich seine „Föderativinteressen“ sorgsam pflegen. Zu diesem Ende muß es vorerst das „zur Vertheidigung seiner Gränzen unumgänglich nothwendige Gebiet haben“, d. h. die Rheingränze, und dann muß es seine Alliirten um sich sammeln, nämlich „alle die Staaten, deren Vertheidigung Frankreich seit den Reformationskriegen übernahm, nämlich Belgien, die Schweiz, Dänemark, Schweden, Italien, Spanien, die unabhängigen Mitglieder der deutschen Familie und die freien Männer aller Länder, deren Sache stets die Sache Frankreichs war.“ Man sieht, daß ist nichts mehr und nichts weniger, als eine neue Auflage desselben Systems, das Ludwig XIV, die Republik und Napoleon verfolgt haben, vermehrt und verbessert von Hrn. P. Sarrans Junior. Es ist das westeuropäische Kaiserreich, umgeben von seinen fügsamen Trabanten, nichts mehr und nichts weniger, als das alte Lied, das uns die französischen Politiker seit 25 Jahren bis zum Ueberdruß vorgesungen. Auch sind die Napoleonischen Reminiscenzen keineswegs vergessen. Was aus Preußen und Oesterreich werden soll, das setzt uns der Verfasser gleichfalls mit einer ungemeinen Naivität auseinander. Beide sollen ihren Antheil an Polen herausgeben, und mit diesem vereint Frankreichs Vormauer gegen Rußland bilden; dafür werden sie gnädig, das eine mit Hannover und Mecklenburg, das andere mit Corfu bedacht. In dieser ganzen Auseinandersetzung ist auch nicht Ein neuer Zug, Alles ist Reminiscenz und Wiederaufwärmung Napoleonischer Plane und Ideen. Man hat in der politisch-militärischen Rumpelkammer nachgesucht und Scanderbegs Schwert daraus hervorgezogen, es fehlt nur Scanderbegs Arm.

Es ist ganz überflüssig, nachzuweisen, wie der Verfasser insichtlich der maritimen Stellung Frankreichs, England gegenüber, auch nur wieder Napoleonische Ideen auskramt; wer Frankreichs Geschichte unter dem Consulat auch nur oberflächlich kennt, weiß auswendig, wie Holland, Spanien und Ligurien die französischen Flotten verstärken, und Dänemark, Schweden, Neapel, Portugal und die Vereinigten Staaten unter dem Fittiche Frankreichs für ein neues Seerecht gegen Englands Raubsystem kämpfen sollen. In Allem dem ist, wie bemerkt, auch nicht Ein neuer Gedanke und am allerwenigsten der Weg angezeigt, wie man zu dem vorgesteckten Ziel gelangen könne. Die ganze Idee einer solchen bewaffneten Neutralität und eines consolidirten Uebergewichts über den europäischen Westen erscheint als eine auf die Nationaleitelkeit berechnete Prahlerei, die nur die Systemveränderung decken, den Abfall vom englischen Bündniß, dem ohnehin kein Kundiger eine Dauer versprach, beschönigen und den Uebertritt zur russischen Allianz vermitteln soll. Man hat diese Idee vielleicht einem enragirten Oppositionsmann in den Mund gelegt, einerseits, um die Schrift um so leichter zu desavouiren, anderntheils aber, um dem Auskramen Napoleonischer Erinnerungen keinen Zwang anthun zu müssen, und sich das Ansehen zu geben, als thue man nur das Allernothwendigste, und als verlange die öffentliche Stimme noch viel mehr. Diese Annahme, daß die Schrift von Sarrans mittelbar oder unmittelbar durch die Regierung veranlaßt worden sey, ist vielleicht ungegründet, allein dieß ändert an der Sache im Wesentlichen gar nichts, da hinsichtlich der äußern Verhältnisse alle Parteien Frankreichs übereinstimmend handeln und das Verfahren der Regierung den Vorschlägen und Forderungen des Hrn. Sarrans ganz conform ist. Jedenfalls muß sie es gern sehen, wenn so übertriebene Ansichten ausgesprochen werden, weil dann ihre eigene scheinbare Mäßigung nur um so mehr hervortritt; denn im Ernste können der jetzigen französischen Regierung solche Plane wohl nicht

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[0036/0012] aber darum lehrreich gewesen, weil es die Stellungen der verschiedenen Mächte aufklärte, und sie nöthigte, ihre Meinung offen zu sagen; wenigstens war dieß in Beziehung auf Frankreich der Fall, und seine Lossagung von der englischen Allianz, wenn gleich diese in der Thronrede noch vorangestellt wird, wurde durch seine Erklärung für Mehemed Ali und dessen Forderungen offenkundig. War man einmal zu einem solchen offenen Schritt genöthigt, so mußte man auch denselben vertheidigen, die öffentliche Meinung dafür stimmen, und was für feinere Ohren die fein gedrechselten Artikel des Journal des Débats waren, das soll vielleicht vorliegende Schrift für die gröberen leisten. Nachdem der Verfasser in den acht ersten Capiteln seiner wohlfeilen Declamationslust gegen England Luft gemacht, kommt er im neunten auf das große Streitroß der Politik des vorigen Jahres und erörtert die Interessen der betheiligten Mächte. Wir heben hier begreiflicherweise nur die Punkte heraus, welche für Frankreichs Stellung zu Rußland und England entscheidend sind, und wir stoßen hier gleich auf die Stelle, wo es heißt, daß „eine kräftig combinirte, bewaffnete Neutralität zugleich eine hinreichende Garantie gegen das Umsichgreifen Rußlands und als Zügel gegen die maritimen und commerciellen Usurpationen Englands dienen könne.“ Das Schlachtfeld zwischen England und Rußland sey zwar tief in Asien, und diesem Kampf könnten die übrigen Mächte Europa's müßig zusehen, indeß verkennt der Verfasser nicht und hebt es auch besonders hervor, daß „eine Reorganisation der Türkei und die Herrschaft über Aegypten, Candien und Cypern England allein sein indisches Reich sichern könne;“ es sey jedoch, was auch wir nicht in Abrede stellen, „das Interesse Frankreichs und aller andern maritimen Mächte Europa's, die Vortheile des indischen Handels gleicher zu vertheilen, und diese gleichere Vertheilung könne nur dann sich ergeben, wenn Aegypten mit Syrien verbunden eine hinreichend starke Nationalität bilde, um Asien gegen den Ehrgeiz Rußlands und Englands zu vertheidigen.“ Die Politik Frankreichs, Mehemed Ali gegen England zu vertheidigen, tritt hier deutlich hervor, und der Verfasser bleibt uns nur die Antwort schuldig, wie es mit der Neutralität Frankreichs aussieht, wenn England sein indisches Reich nicht ohne den Besitz von Aegypten und Candia erhalten kann, die Unabhängigkeit Aegyptens aber durch das höchste Interesse Frankreichs geboten ist. So sagt der Verfasser Seite 182: „Frankreich hat durchaus kein Interesse, England in seinem Kampfe gegen Rußland zu unterstützen, im Gegentheil, es hat bei der Civilisirung des Orients alles zu gewinnen, während England alles zu verlieren hat. Als ein im Mittelmeer gelegener Staat ist sein dringendstes Interesse, daß der indische Handel dem ausschließlichen Monopol der Engländer entzogen werde, über Kairo, Alexandria und Konstantinopel nach Marseille gehe; als Seemacht muß es die Zerstreuung und Schwächung der englischen Flotten wünschen.“ Während so das erste und directeste Interesse Frankreichs, dem Verfasser zufolge, gegen England gerichtet ist, betrachtet er die Frage über Konstantinopel und die Dardanellen als einen Gegenstand, „zu dessen Discutirung die Ereignisse erst später führen werden.“ Diese Sprache ist ganz deutlich: nicht Rußland, England ist der Feind Frankreichs, und Englands Plane im Orient müssen durchkreuzt werden. Da man aber nicht mit Einem Sprunge zur russischen Allianz umschlagen kann, so muß Frankreich das oben erwähnte System der bewaffneten Neutralität ergreifen, „um sich die Mittel zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts zu sichern und auf diejenige Seite zu neigen, wo ihm die Ereignisse den Platz anweisen werden.“ Um diese hohe Stellung einnehmen zu können, muß Frankreich seine „Föderativinteressen“ sorgsam pflegen. Zu diesem Ende muß es vorerst das „zur Vertheidigung seiner Gränzen unumgänglich nothwendige Gebiet haben“, d. h. die Rheingränze, und dann muß es seine Alliirten um sich sammeln, nämlich „alle die Staaten, deren Vertheidigung Frankreich seit den Reformationskriegen übernahm, nämlich Belgien, die Schweiz, Dänemark, Schweden, Italien, Spanien, die unabhängigen Mitglieder der deutschen Familie und die freien Männer aller Länder, deren Sache stets die Sache Frankreichs war.“ Man sieht, daß ist nichts mehr und nichts weniger, als eine neue Auflage desselben Systems, das Ludwig XIV, die Republik und Napoleon verfolgt haben, vermehrt und verbessert von Hrn. P. Sarrans Junior. Es ist das westeuropäische Kaiserreich, umgeben von seinen fügsamen Trabanten, nichts mehr und nichts weniger, als das alte Lied, das uns die französischen Politiker seit 25 Jahren bis zum Ueberdruß vorgesungen. Auch sind die Napoleonischen Reminiscenzen keineswegs vergessen. Was aus Preußen und Oesterreich werden soll, das setzt uns der Verfasser gleichfalls mit einer ungemeinen Naivität auseinander. Beide sollen ihren Antheil an Polen herausgeben, und mit diesem vereint Frankreichs Vormauer gegen Rußland bilden; dafür werden sie gnädig, das eine mit Hannover und Mecklenburg, das andere mit Corfu bedacht. In dieser ganzen Auseinandersetzung ist auch nicht Ein neuer Zug, Alles ist Reminiscenz und Wiederaufwärmung Napoleonischer Plane und Ideen. Man hat in der politisch-militärischen Rumpelkammer nachgesucht und Scanderbegs Schwert daraus hervorgezogen, es fehlt nur Scanderbegs Arm. Es ist ganz überflüssig, nachzuweisen, wie der Verfasser insichtlich der maritimen Stellung Frankreichs, England gegenüber, auch nur wieder Napoleonische Ideen auskramt; wer Frankreichs Geschichte unter dem Consulat auch nur oberflächlich kennt, weiß auswendig, wie Holland, Spanien und Ligurien die französischen Flotten verstärken, und Dänemark, Schweden, Neapel, Portugal und die Vereinigten Staaten unter dem Fittiche Frankreichs für ein neues Seerecht gegen Englands Raubsystem kämpfen sollen. In Allem dem ist, wie bemerkt, auch nicht Ein neuer Gedanke und am allerwenigsten der Weg angezeigt, wie man zu dem vorgesteckten Ziel gelangen könne. Die ganze Idee einer solchen bewaffneten Neutralität und eines consolidirten Uebergewichts über den europäischen Westen erscheint als eine auf die Nationaleitelkeit berechnete Prahlerei, die nur die Systemveränderung decken, den Abfall vom englischen Bündniß, dem ohnehin kein Kundiger eine Dauer versprach, beschönigen und den Uebertritt zur russischen Allianz vermitteln soll. Man hat diese Idee vielleicht einem enragirten Oppositionsmann in den Mund gelegt, einerseits, um die Schrift um so leichter zu desavouiren, anderntheils aber, um dem Auskramen Napoleonischer Erinnerungen keinen Zwang anthun zu müssen, und sich das Ansehen zu geben, als thue man nur das Allernothwendigste, und als verlange die öffentliche Stimme noch viel mehr. Diese Annahme, daß die Schrift von Sarrans mittelbar oder unmittelbar durch die Regierung veranlaßt worden sey, ist vielleicht ungegründet, allein dieß ändert an der Sache im Wesentlichen gar nichts, da hinsichtlich der äußern Verhältnisse alle Parteien Frankreichs übereinstimmend handeln und das Verfahren der Regierung den Vorschlägen und Forderungen des Hrn. Sarrans ganz conform ist. Jedenfalls muß sie es gern sehen, wenn so übertriebene Ansichten ausgesprochen werden, weil dann ihre eigene scheinbare Mäßigung nur um so mehr hervortritt; denn im Ernste können der jetzigen französischen Regierung solche Plane wohl nicht

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 5. Augsburg, 5. Januar 1840, S. 0036. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_005_18400105/12>, abgerufen am 21.11.2024.