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Allgemeine Zeitung. Nr. 10. Augsburg, 10. Januar 1840.

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die Türken, deren Sprache unter ihnen viel gebräuchlicher ist, als die armenische, welche wohl dann und wann gesprochen, aber nicht geschrieben wird. Sie gelten für sehr ruhige Unterthanen, nur auf Handel und Gewinn bedacht, und von Charakter feig. Jemehr die Türkei in der Achtung Europa's sinkt, desto mehr muß auch dieser Nation ihre Superiorität über ihre Beherrscher zum Bewußtseyn kommen, um so mehr als der Handel sie fortwährend mit Europäern in Verbindung bringt. Und wenn einst sich die Armenier erinnern, daß auch sie ein Vaterland haben mit einer Million Glaubensgenossen ihrer Nation, dann werden auch sie ihre Ansprüche, wie die Griechen (in Griechenland sind nur 800,000 Einwohner) aufs Kreuz bauen und als Christen ihre Freiheit begehren.

Die Griechen in Kleinasien scheinen sich von denen Europa's wesentlich zu unterscheiden. Sie sind in jeder Beziehung hinter ihnen zurück. Während der europäische Grieche gar zu leicht eitel, übermüthig erscheint, ist der asiatische Grieche kleinmüthig und gedrückt. Ich glaube wohl, daß der griechische Befreiungskrieg und die nachfolgenden Jahre das Meiste dazu beigetragen haben. Indessen waren die europäischen Griechen stets in näherer Verbindung mit Europa, und wenn wir nicht irren, wandten sich seit langer Zeit schon alle vorbereitenden Bestrebung viel mehr nach Morea und Livadien als nach Kleinasien. Auch sind die Griechen in Kleinasien verhältnißmäßig weniger zahlreich, als sie es vor dem Ausbruch des Krieges in Griechenland waren. Bei allem dem zeigt sich auch unter ihnen der Einfluß des Christenthums, christlicher Geistesfreiheit neben dem tödtenden Islamismus. Ich habe wiederholt die Bemerkung gemacht, daß neben den mehr und mehr aussterbenden türkischen Dörfern die griechischen sich fortwährend vergrößern. Die Häuser sind zwar klein, überschreiten im Aeußern nicht die gefährliche Schwelle des Scheins der Wohlhabenheit, allein sie sind reinlich, in gutem Stand gehalten, und ihre Einwohner, wenn's Sonntag ist und die Arbeit ruht, sind fröhlich, zierlich gekleidet und erfreuen sich einer Geselligkeit, welche allein schon beweist, wie hoch sie über den Türken stehen. Wie viel man über Irrthümer und Aberglauben in der griechischen Kirche klagen mag, das Christenthum, welches seine humanen Segnungen in dieser Nähe der Barbarei so klar hervortreten läßt, das Christenthum dringt durch alle menschlichen Verunstaltungen mit seiner verborgenen Kraft hindurch, und täglich mehr überzeuge ich mich, daß es das Christenthum ist, welches, den Griechen wie ein Talisman von ihren Vätern mitgegeben, das Volk auf einer kaum geglaubten Stufe humaner Bildung bei gänzlichen Mangel an europäischer Civilisation und in der unmittelbaren Nachbarschaft geistiger Unfreiheit erhalten hat. Während die Moscheen, die Gräber, die heiligen Quellen der Türken verfallen, begegnete ich an einem Tage in zwei griechischen Dörfern neuen geräumigen und mit künstlerischem Streben verzierten Kirchen, wie das verjüngte Griechenland sie noch nicht erhalten hat, und wie sie früher wohl auch in diesen Dörfern nicht existirten. Denn sicherlich hat sich durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte die Lage der Christen und besonders der Griechen in der Türkei verbessert. Es wird ihnen vielleicht zum Glück gereichen, daß sie den Türken in so vielen Dingen dienstbar sind. Sie bestellen ihren Garten, sie führen für sie die Feder, sie sind in unzähligen Fällen ihre Unterhändler bei Fremden, die nicht Türkisch sprechen, und sind namentlich lange ihre Vermittler bei den fremden Gesandtschaften gewesen, als ein Dragoman beinahe einem Staatssecretär der auswärtigen Angelegenheiten gleich zu achten war.

(Beschluß folgt.)


Der Kaukasus und seine Bewohner.*)

Die Bewohner der Hochebenen und Thalschluchten innerhalb des Kaukasus und der an seinen Ausgängen nach Nord und Süd sich hinziehenden Alpengebirge haben seit dem Beginn unserer Geschichte bis auf den heutigen Tag nicht bloß für sich selbst ihre Unabhängigkeit von den benachbarten großen Reichen der Römer, Griechen und Perser, der Mongolen, Türken und Russen behauptet, sondern unter und neben ihnen fanden auch alle in den Völkerstürmen, die von Norden und Osten über Asien und Europa einbrachen, zersprengten, der Knechtschaft entfliehenden Stämme und Horden eine sichere Zuflucht. Die Kette des Kaukasus oder des hohen Gebirges - dieß ist die Bedeutung des Namens - welche sich längs des östlichen Gestades des schwarzen Meeres hinzieht, steigt gegen den Elbrus hin in Spitzen empor von zwölf- bis über fünfzehntausend Pariser Fuß Höhe. Elbrus, Elbordsch im Pehlvi des Bundehesch, oder der glänzende Berg, wurden von den alten Persern außer diesem noch mehrere andere Gletscher genannt. Bei den Tscherkessen heißt diese höchste aller Schneekuppen der Kette Oscha machua oder der glückliche Berg; denn hier thront, nach einer alten Sage des Landes, gleichwie Indra auf dem Weltberg Meru, Dschin Padischah, der Fürst der Geister, in dessen Nähe sich das Volk flüchtet in unglücklichen Kriegsläuften. An seinem Fuß, im Lande der Abchasen und der Karatschai, entspringt der reißende, durch die wilden, tapfern Bewohner seiner Ufer, wie durch seine zahlreichen Nebenflüsse berühmte Kuban, von den Tscherkessen Pschi Skehr, Altwasser genannt, und unsern der Quellen dieses Stromes die große und die kleine Kuma, welche dem kaspischen Meere zueilen. Ostwärts dieses Trachytfelsens sprudeln die große und kleine Malka, der Baksan und der Tschegem aus der Erde hervor, und auf dem jenseitigen Abhang im Süden der Rhion mit mehreren seiner reißenden Nebenflüsse. Es scheint, daß noch heutigen Tags unter den Bewohnern dieser Geklüfte das Andenken an den trotzigen, weltstürmenden Prometheus sich lebend erhalten habe. Häufig hört man, sagen die umwohnenden Abchasen, aus einer der gähnenden Thalschluchten Seufzer und Kettengeklirre herauftönen. Einstens, fährt die Sage fort, stieg ein Mann unseres Volkes in die unermeßliche Tiefe hinab und fand daselbst einen ungeheuren Riesen, der in folgenden Worten ihn anredete: "O du Bewohner der Erde, der du tollkühn es wagtest, mich hienieden zu besuchen! wie lebt man denn jetzt da oben? Ist die Frau noch treu ihrem Manne; gehorcht die Tochter noch der Mutter und der Sohn seinem Vater?" - "Ja," antwortete der unerschrockene Abchase. - "Nun so bin ich," knirschte der Riese, "verdammt, hier noch lange Zeit zu seufzen und zu ächzen."

In der Ferne gesehen, erscheint die Grundlage des Kaukasus gleichwie ein einförmiger, schwarzer Wall, welcher den darüber schwebenden Schneegebirgen zum Fundament dient. Dieses wird von tiefen Schluchten durchschnitten, in welchen die schäumenden Bergströme sich herabstürzen, gold- und silberhaltiges Erz mit sich führend, und schnellen Laufes dem Meer entgegeneilen. An dem Fuße der zahlreichen Bergspitzen ziehen sich längs der Thalschluchten fruchtreiche Hochebenen hin, wo Ulmen, Eschen, Eichen und Fruchtbäume mancherlei Art üppig emporwachsen, an welchen wiederum bis zur Krone hinauf der Weinstock sich schlängelt. Zwischendrin liegen die anmuthigen Wohnungen der Tscherkessen und Abchasen. Von Pschad aus,

*) Aus einem nächstens erscheinenden Werke, "Rußland und die Tscherkessen" überschrieben, von Karl Ch. Fried. Neumann.


die Türken, deren Sprache unter ihnen viel gebräuchlicher ist, als die armenische, welche wohl dann und wann gesprochen, aber nicht geschrieben wird. Sie gelten für sehr ruhige Unterthanen, nur auf Handel und Gewinn bedacht, und von Charakter feig. Jemehr die Türkei in der Achtung Europa's sinkt, desto mehr muß auch dieser Nation ihre Superiorität über ihre Beherrscher zum Bewußtseyn kommen, um so mehr als der Handel sie fortwährend mit Europäern in Verbindung bringt. Und wenn einst sich die Armenier erinnern, daß auch sie ein Vaterland haben mit einer Million Glaubensgenossen ihrer Nation, dann werden auch sie ihre Ansprüche, wie die Griechen (in Griechenland sind nur 800,000 Einwohner) aufs Kreuz bauen und als Christen ihre Freiheit begehren.

Die Griechen in Kleinasien scheinen sich von denen Europa's wesentlich zu unterscheiden. Sie sind in jeder Beziehung hinter ihnen zurück. Während der europäische Grieche gar zu leicht eitel, übermüthig erscheint, ist der asiatische Grieche kleinmüthig und gedrückt. Ich glaube wohl, daß der griechische Befreiungskrieg und die nachfolgenden Jahre das Meiste dazu beigetragen haben. Indessen waren die europäischen Griechen stets in näherer Verbindung mit Europa, und wenn wir nicht irren, wandten sich seit langer Zeit schon alle vorbereitenden Bestrebung viel mehr nach Morea und Livadien als nach Kleinasien. Auch sind die Griechen in Kleinasien verhältnißmäßig weniger zahlreich, als sie es vor dem Ausbruch des Krieges in Griechenland waren. Bei allem dem zeigt sich auch unter ihnen der Einfluß des Christenthums, christlicher Geistesfreiheit neben dem tödtenden Islamismus. Ich habe wiederholt die Bemerkung gemacht, daß neben den mehr und mehr aussterbenden türkischen Dörfern die griechischen sich fortwährend vergrößern. Die Häuser sind zwar klein, überschreiten im Aeußern nicht die gefährliche Schwelle des Scheins der Wohlhabenheit, allein sie sind reinlich, in gutem Stand gehalten, und ihre Einwohner, wenn's Sonntag ist und die Arbeit ruht, sind fröhlich, zierlich gekleidet und erfreuen sich einer Geselligkeit, welche allein schon beweist, wie hoch sie über den Türken stehen. Wie viel man über Irrthümer und Aberglauben in der griechischen Kirche klagen mag, das Christenthum, welches seine humanen Segnungen in dieser Nähe der Barbarei so klar hervortreten läßt, das Christenthum dringt durch alle menschlichen Verunstaltungen mit seiner verborgenen Kraft hindurch, und täglich mehr überzeuge ich mich, daß es das Christenthum ist, welches, den Griechen wie ein Talisman von ihren Vätern mitgegeben, das Volk auf einer kaum geglaubten Stufe humaner Bildung bei gänzlichen Mangel an europäischer Civilisation und in der unmittelbaren Nachbarschaft geistiger Unfreiheit erhalten hat. Während die Moscheen, die Gräber, die heiligen Quellen der Türken verfallen, begegnete ich an einem Tage in zwei griechischen Dörfern neuen geräumigen und mit künstlerischem Streben verzierten Kirchen, wie das verjüngte Griechenland sie noch nicht erhalten hat, und wie sie früher wohl auch in diesen Dörfern nicht existirten. Denn sicherlich hat sich durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte die Lage der Christen und besonders der Griechen in der Türkei verbessert. Es wird ihnen vielleicht zum Glück gereichen, daß sie den Türken in so vielen Dingen dienstbar sind. Sie bestellen ihren Garten, sie führen für sie die Feder, sie sind in unzähligen Fällen ihre Unterhändler bei Fremden, die nicht Türkisch sprechen, und sind namentlich lange ihre Vermittler bei den fremden Gesandtschaften gewesen, als ein Dragoman beinahe einem Staatssecretär der auswärtigen Angelegenheiten gleich zu achten war.

(Beschluß folgt.)


Der Kaukasus und seine Bewohner.*)

Die Bewohner der Hochebenen und Thalschluchten innerhalb des Kaukasus und der an seinen Ausgängen nach Nord und Süd sich hinziehenden Alpengebirge haben seit dem Beginn unserer Geschichte bis auf den heutigen Tag nicht bloß für sich selbst ihre Unabhängigkeit von den benachbarten großen Reichen der Römer, Griechen und Perser, der Mongolen, Türken und Russen behauptet, sondern unter und neben ihnen fanden auch alle in den Völkerstürmen, die von Norden und Osten über Asien und Europa einbrachen, zersprengten, der Knechtschaft entfliehenden Stämme und Horden eine sichere Zuflucht. Die Kette des Kaukasus oder des hohen Gebirges – dieß ist die Bedeutung des Namens – welche sich längs des östlichen Gestades des schwarzen Meeres hinzieht, steigt gegen den Elbrus hin in Spitzen empor von zwölf- bis über fünfzehntausend Pariser Fuß Höhe. Elbrus, Elbordsch im Pehlvi des Bundehesch, oder der glänzende Berg, wurden von den alten Persern außer diesem noch mehrere andere Gletscher genannt. Bei den Tscherkessen heißt diese höchste aller Schneekuppen der Kette Oscha machua oder der glückliche Berg; denn hier thront, nach einer alten Sage des Landes, gleichwie Indra auf dem Weltberg Meru, Dschin Padischah, der Fürst der Geister, in dessen Nähe sich das Volk flüchtet in unglücklichen Kriegsläuften. An seinem Fuß, im Lande der Abchasen und der Karatschai, entspringt der reißende, durch die wilden, tapfern Bewohner seiner Ufer, wie durch seine zahlreichen Nebenflüsse berühmte Kuban, von den Tscherkessen Pschi Skehr, Altwasser genannt, und unsern der Quellen dieses Stromes die große und die kleine Kuma, welche dem kaspischen Meere zueilen. Ostwärts dieses Trachytfelsens sprudeln die große und kleine Malka, der Baksan und der Tschegem aus der Erde hervor, und auf dem jenseitigen Abhang im Süden der Rhion mit mehreren seiner reißenden Nebenflüsse. Es scheint, daß noch heutigen Tags unter den Bewohnern dieser Geklüfte das Andenken an den trotzigen, weltstürmenden Prometheus sich lebend erhalten habe. Häufig hört man, sagen die umwohnenden Abchasen, aus einer der gähnenden Thalschluchten Seufzer und Kettengeklirre herauftönen. Einstens, fährt die Sage fort, stieg ein Mann unseres Volkes in die unermeßliche Tiefe hinab und fand daselbst einen ungeheuren Riesen, der in folgenden Worten ihn anredete: „O du Bewohner der Erde, der du tollkühn es wagtest, mich hienieden zu besuchen! wie lebt man denn jetzt da oben? Ist die Frau noch treu ihrem Manne; gehorcht die Tochter noch der Mutter und der Sohn seinem Vater?“ – „Ja,“ antwortete der unerschrockene Abchase. – „Nun so bin ich,“ knirschte der Riese, „verdammt, hier noch lange Zeit zu seufzen und zu ächzen.“

In der Ferne gesehen, erscheint die Grundlage des Kaukasus gleichwie ein einförmiger, schwarzer Wall, welcher den darüber schwebenden Schneegebirgen zum Fundament dient. Dieses wird von tiefen Schluchten durchschnitten, in welchen die schäumenden Bergströme sich herabstürzen, gold- und silberhaltiges Erz mit sich führend, und schnellen Laufes dem Meer entgegeneilen. An dem Fuße der zahlreichen Bergspitzen ziehen sich längs der Thalschluchten fruchtreiche Hochebenen hin, wo Ulmen, Eschen, Eichen und Fruchtbäume mancherlei Art üppig emporwachsen, an welchen wiederum bis zur Krone hinauf der Weinstock sich schlängelt. Zwischendrin liegen die anmuthigen Wohnungen der Tscherkessen und Abchasen. Von Pschad aus,

*) Aus einem nächstens erscheinenden Werke, „Rußland und die Tscherkessen“ überschrieben, von Karl Ch. Fried. Neumann.
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[0074/0010] die Türken, deren Sprache unter ihnen viel gebräuchlicher ist, als die armenische, welche wohl dann und wann gesprochen, aber nicht geschrieben wird. Sie gelten für sehr ruhige Unterthanen, nur auf Handel und Gewinn bedacht, und von Charakter feig. Jemehr die Türkei in der Achtung Europa's sinkt, desto mehr muß auch dieser Nation ihre Superiorität über ihre Beherrscher zum Bewußtseyn kommen, um so mehr als der Handel sie fortwährend mit Europäern in Verbindung bringt. Und wenn einst sich die Armenier erinnern, daß auch sie ein Vaterland haben mit einer Million Glaubensgenossen ihrer Nation, dann werden auch sie ihre Ansprüche, wie die Griechen (in Griechenland sind nur 800,000 Einwohner) aufs Kreuz bauen und als Christen ihre Freiheit begehren. Die Griechen in Kleinasien scheinen sich von denen Europa's wesentlich zu unterscheiden. Sie sind in jeder Beziehung hinter ihnen zurück. Während der europäische Grieche gar zu leicht eitel, übermüthig erscheint, ist der asiatische Grieche kleinmüthig und gedrückt. Ich glaube wohl, daß der griechische Befreiungskrieg und die nachfolgenden Jahre das Meiste dazu beigetragen haben. Indessen waren die europäischen Griechen stets in näherer Verbindung mit Europa, und wenn wir nicht irren, wandten sich seit langer Zeit schon alle vorbereitenden Bestrebung viel mehr nach Morea und Livadien als nach Kleinasien. Auch sind die Griechen in Kleinasien verhältnißmäßig weniger zahlreich, als sie es vor dem Ausbruch des Krieges in Griechenland waren. Bei allem dem zeigt sich auch unter ihnen der Einfluß des Christenthums, christlicher Geistesfreiheit neben dem tödtenden Islamismus. Ich habe wiederholt die Bemerkung gemacht, daß neben den mehr und mehr aussterbenden türkischen Dörfern die griechischen sich fortwährend vergrößern. Die Häuser sind zwar klein, überschreiten im Aeußern nicht die gefährliche Schwelle des Scheins der Wohlhabenheit, allein sie sind reinlich, in gutem Stand gehalten, und ihre Einwohner, wenn's Sonntag ist und die Arbeit ruht, sind fröhlich, zierlich gekleidet und erfreuen sich einer Geselligkeit, welche allein schon beweist, wie hoch sie über den Türken stehen. Wie viel man über Irrthümer und Aberglauben in der griechischen Kirche klagen mag, das Christenthum, welches seine humanen Segnungen in dieser Nähe der Barbarei so klar hervortreten läßt, das Christenthum dringt durch alle menschlichen Verunstaltungen mit seiner verborgenen Kraft hindurch, und täglich mehr überzeuge ich mich, daß es das Christenthum ist, welches, den Griechen wie ein Talisman von ihren Vätern mitgegeben, das Volk auf einer kaum geglaubten Stufe humaner Bildung bei gänzlichen Mangel an europäischer Civilisation und in der unmittelbaren Nachbarschaft geistiger Unfreiheit erhalten hat. Während die Moscheen, die Gräber, die heiligen Quellen der Türken verfallen, begegnete ich an einem Tage in zwei griechischen Dörfern neuen geräumigen und mit künstlerischem Streben verzierten Kirchen, wie das verjüngte Griechenland sie noch nicht erhalten hat, und wie sie früher wohl auch in diesen Dörfern nicht existirten. Denn sicherlich hat sich durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte die Lage der Christen und besonders der Griechen in der Türkei verbessert. Es wird ihnen vielleicht zum Glück gereichen, daß sie den Türken in so vielen Dingen dienstbar sind. Sie bestellen ihren Garten, sie führen für sie die Feder, sie sind in unzähligen Fällen ihre Unterhändler bei Fremden, die nicht Türkisch sprechen, und sind namentlich lange ihre Vermittler bei den fremden Gesandtschaften gewesen, als ein Dragoman beinahe einem Staatssecretär der auswärtigen Angelegenheiten gleich zu achten war. (Beschluß folgt.) Der Kaukasus und seine Bewohner. *) * Die Bewohner der Hochebenen und Thalschluchten innerhalb des Kaukasus und der an seinen Ausgängen nach Nord und Süd sich hinziehenden Alpengebirge haben seit dem Beginn unserer Geschichte bis auf den heutigen Tag nicht bloß für sich selbst ihre Unabhängigkeit von den benachbarten großen Reichen der Römer, Griechen und Perser, der Mongolen, Türken und Russen behauptet, sondern unter und neben ihnen fanden auch alle in den Völkerstürmen, die von Norden und Osten über Asien und Europa einbrachen, zersprengten, der Knechtschaft entfliehenden Stämme und Horden eine sichere Zuflucht. Die Kette des Kaukasus oder des hohen Gebirges – dieß ist die Bedeutung des Namens – welche sich längs des östlichen Gestades des schwarzen Meeres hinzieht, steigt gegen den Elbrus hin in Spitzen empor von zwölf- bis über fünfzehntausend Pariser Fuß Höhe. Elbrus, Elbordsch im Pehlvi des Bundehesch, oder der glänzende Berg, wurden von den alten Persern außer diesem noch mehrere andere Gletscher genannt. Bei den Tscherkessen heißt diese höchste aller Schneekuppen der Kette Oscha machua oder der glückliche Berg; denn hier thront, nach einer alten Sage des Landes, gleichwie Indra auf dem Weltberg Meru, Dschin Padischah, der Fürst der Geister, in dessen Nähe sich das Volk flüchtet in unglücklichen Kriegsläuften. An seinem Fuß, im Lande der Abchasen und der Karatschai, entspringt der reißende, durch die wilden, tapfern Bewohner seiner Ufer, wie durch seine zahlreichen Nebenflüsse berühmte Kuban, von den Tscherkessen Pschi Skehr, Altwasser genannt, und unsern der Quellen dieses Stromes die große und die kleine Kuma, welche dem kaspischen Meere zueilen. Ostwärts dieses Trachytfelsens sprudeln die große und kleine Malka, der Baksan und der Tschegem aus der Erde hervor, und auf dem jenseitigen Abhang im Süden der Rhion mit mehreren seiner reißenden Nebenflüsse. Es scheint, daß noch heutigen Tags unter den Bewohnern dieser Geklüfte das Andenken an den trotzigen, weltstürmenden Prometheus sich lebend erhalten habe. Häufig hört man, sagen die umwohnenden Abchasen, aus einer der gähnenden Thalschluchten Seufzer und Kettengeklirre herauftönen. Einstens, fährt die Sage fort, stieg ein Mann unseres Volkes in die unermeßliche Tiefe hinab und fand daselbst einen ungeheuren Riesen, der in folgenden Worten ihn anredete: „O du Bewohner der Erde, der du tollkühn es wagtest, mich hienieden zu besuchen! wie lebt man denn jetzt da oben? Ist die Frau noch treu ihrem Manne; gehorcht die Tochter noch der Mutter und der Sohn seinem Vater?“ – „Ja,“ antwortete der unerschrockene Abchase. – „Nun so bin ich,“ knirschte der Riese, „verdammt, hier noch lange Zeit zu seufzen und zu ächzen.“ In der Ferne gesehen, erscheint die Grundlage des Kaukasus gleichwie ein einförmiger, schwarzer Wall, welcher den darüber schwebenden Schneegebirgen zum Fundament dient. Dieses wird von tiefen Schluchten durchschnitten, in welchen die schäumenden Bergströme sich herabstürzen, gold- und silberhaltiges Erz mit sich führend, und schnellen Laufes dem Meer entgegeneilen. An dem Fuße der zahlreichen Bergspitzen ziehen sich längs der Thalschluchten fruchtreiche Hochebenen hin, wo Ulmen, Eschen, Eichen und Fruchtbäume mancherlei Art üppig emporwachsen, an welchen wiederum bis zur Krone hinauf der Weinstock sich schlängelt. Zwischendrin liegen die anmuthigen Wohnungen der Tscherkessen und Abchasen. Von Pschad aus, *) Aus einem nächstens erscheinenden Werke, „Rußland und die Tscherkessen“ überschrieben, von Karl Ch. Fried. Neumann.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 10. Augsburg, 10. Januar 1840, S. 0074. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_010_18400110/10>, abgerufen am 29.04.2024.