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Allgemeine Zeitung. Nr. 10. Augsburg, 10. Januar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
4 Januar 1840

Beobachtungen auf einer Reise durch die Türkei und Griechenland.*)

(Der Redaction erst jetzt über Marseille zugekommen.) Wer zuerst die Provinzen und dann die Hauptstadt des türkischen Reichs kennen lernt, muß gestehen, daß ihm hier ein Contrast begegnet, wie er in Europa nirgends zwischen Land und Hauptstadt besteht. Wir haben bereits in einem früheren Schreiben der gränzenlosen Verarmung und Entvölkerung der türkischen Provinzen gedacht. Je mehr beide mit jedem Tage zunehmen, desto mehr concentriren sich die Reste des türkischen Volks in den großen Städten. Es ist, als ob das Volk in der dunklen Vorahnung seines Untergangs zusammen laufe - nicht um zu widerstehen, sondern nur einem Instincte folgend. Die Wirkung dieser Concentrirung ist aber keineswegs etwa ein Wachsen der Bevölkerung der Städte, vielmehr mindert sich diese auch trotz allem dem. Auch sind der großen Städte gar wenige; und je größer, desto größer auch die Zahl der Griechen, Armenier, Juden und Franken. Welche Bedeutung bereits die Franken in der Türkei haben, ergibt sich wohl am einleuchtendsten aus dem Einfluß der fränkischen, d. i. europäischen Consuln in allen Handelsstädten des türkischen Reichs. Ist doch im Grunde schon dieses Einmischen, diese politische Macht der Consuln ein vollständiges Zeugniß der Barbarei des Volks, unter welchem dieselbe ausgeübt wird. Man denke sich nur einmal den Fall umgekehrt. Es ist die Macht der christlichen Bildung über die Uncultur, oder vielmehr über die Unfähigkeit zur Cultur, d. i. über die Barbarei. Wir sagen der christlichen Bildung. Denn so wenig wir geneigt sind zur Proselytenmacherei, so wenig läßt sich verkennen, daß es eben das christliche Element der europäischen Cultur, das Element der Freiheit ist, welches fast ohne der Menschen Zuthun den Erzfeind des Christenthums besiegt hat, und daß es eben in der Christlichkeit dieser Bildung liegt, daß der Türke als Mohammedaner, zu derselben unfähig, d. h. ein Barbar ist, wie die Hellenen mit diesem Namen eben die ihrer, der hellenischen, Bildung Unfähigen bezeichneten.

Vorerst noch einige Worte über die Nicht-Türken, und zunächst über die Franken. Sehen Sie diese großen festen Häuser mit den ausgedehnten Hofplätzen und Waarenlagern, blicken Sie durch die offene Hausthür auf die marmorgetäfelte Hausflur, hinter welcher ein kleines, aber unter frischem Laub schattiges Gärtchen so einladend Kühlung bietet, während die Nymphe der Sprudelquelle von frühern bessern Tagen singt. Treten Sie nur hinein, Sie sind auch als Fremder freundlich empfangen, Sie kommen ja hier, im Barbarenlande, ein Hellene, ein Christ, ein Freier zu Ihresgleichen, unter Sklaven, die, sich empörend, der Herrschaft sich bemächtigt haben, und zwar, unglaublich! auf bereits mehr denn vier Jahrhunderte. Man muß sich dessen erinnern, denn wer es nicht wüßte, der würde nimmer glauben, daß in diesen breiteren reinlicheren Straßen, in diesen soliden geräumigen Wohnungen nicht die Herrschenden des Landes wohnen, sondern die Beherrschten, nur Franken, nur Christen, nur Schützlinge jener rohen, heute selbst zum Kriege unfähigen, geist- und kraftlosen Nachkommen der Feinde Europa's, jener faulen Schmaucher dort oben in den engen schmutzigen Gassen, in den hölzernen, stets verschlossenen Baracken, inwendig ausgestattet mit dem Haushalt der Verweichlichung, in den abgesperrten Wohnungen der beschränktesten Subjectivität.

Glauben Sie nicht, es hätten mir die Türken etwas zu leide gethan, daß ich so hart gegen sie erscheine. Im Gegentheil, sie sind namentlich in neuester Zeit gegen Fremde sehr höflich, ja gegen Fremde viel mehr als gegen Türken; sie hegen schon vor der fränkischen Kleidung einen gewissen Respect, und wer (wie es oft geschieht) ihre Kleidung anlegt, der degradirt sich in ihren Augen, statt daß er bei ihnen gewänne: eine Beobachtung, die man auch unter den Griechen machen kann, welche sehr häufig mit einer gewissen Empfindlichkeit, als würde ihrer Schwäche geschmeichelt, davon sprechen, daß ihr König seit einiger Zeit die zwar weniger malerische Tracht der Cultur und des gebildeten Europa's gegen die griechische Tracht vertauscht hat. Es ist, beiläufig bemerkt, ein großer Vorzug der sogenannten unmalerischen europäischen Tracht, daß sie die Individualität viel mehr hervortreten läßt, welche unter der blendenden Pracht der Goldstickerei und der bunten Farben um so mehr verschwindet, als schon der vollkommen gleiche Schnitt der Volkstracht dieselbe verdeckt. Wenn man in Nauplia eine Reihe von Palikarenchefs spazieren gehen sah, konnte man aus einiger Ferne keinen unterscheiden, alle waren sich gleich wie Exemplare einer und derselben Auflage, es sey denn der kleine Tzavellas ging neben dem großen Vassos. - Doch um wieder auf die Türken zu kommen: sie sind heutzutage, wie gesagt, ganz manierlich, höflich, sie haben stets meinen Gruß freundlichst erwiedert, haben mir gefällig den Weg gezeigt, haben mir die besten Melonen geschenkt, die ich je gegessen, und hätten mir sicher manchen andern Beistand geleistet, hätte ich dessen bedurft, und - dennoch sind sie Barbaren.

Nächst den Franken am meisten, ja zum Theil höher geachtet sind in der Türkei die Armenier. Hobhouse rühmt es dem Schah Abbas sehr nach, daß er einen Theil Armenier aus ihrem Vaterlande nach Persien deportirte, und dadurch diese einst so kriegerische, dann ackerbauende Nation zu Kaufleuten machte; und er behauptet, derselbe habe ein schlagendes, vielleicht einziges Beispiel gegeben von dem Beruf eines kräftigen Individuums, die Lebensweise und den Charakter eines ganzen Volks zu ändern. (?) Das Hauptverdienst indessen war wohl nicht des Schahs, sondern der Armenier, welche, seit jener Zeit über ganz Asien verbreitet, den großen Handel durch die Türkei und Persien in ihren Händen haben. Dr. Walsh schätzt die ganze Nation auf 1,351,000, von denen eine Million noch in ihrem Vaterlande wohnen, während von den übrigen etwa 200,000 auf Konstantinopel und die Nachbarschaft kommen, und 100,000 auf Persien. Missionsberichte schätzen die Armenier in der ganzen Türkei auf 1,500,000. Die Armenier in den größern Städten der Türkei sind hauptsächlich Mäkler und Bankiers. Sie sind in letzterer Beziehung für die türkische Regierung und für alle Beamten des Staats von großer Wichtigkeit, indem sie die Münze des Sultans und die Finanzen des Staats leiten. Wie unentbehrlich sie für die Pascha's sind, wurde bereits früher erwähnt. Wiewohl sie Christen sind, scheinen sie doch mit keinen der übrigen christlichen Einwohner des Reichs in irgend einem Verhältniß zu stehen, welches auf Religionsgemeinschaft schließen ließe. Sie hegen eine Verachtung gegen die Griechen, fast nicht geringer, als ihre Herren

*) Der Verfasser, ein deutscher Gelehrter, sah nicht zum erstenmal die Levante.

Beilage zur Allgemeinen Zeitung
4 Januar 1840

Beobachtungen auf einer Reise durch die Türkei und Griechenland.*)

(Der Redaction erst jetzt über Marseille zugekommen.) Wer zuerst die Provinzen und dann die Hauptstadt des türkischen Reichs kennen lernt, muß gestehen, daß ihm hier ein Contrast begegnet, wie er in Europa nirgends zwischen Land und Hauptstadt besteht. Wir haben bereits in einem früheren Schreiben der gränzenlosen Verarmung und Entvölkerung der türkischen Provinzen gedacht. Je mehr beide mit jedem Tage zunehmen, desto mehr concentriren sich die Reste des türkischen Volks in den großen Städten. Es ist, als ob das Volk in der dunklen Vorahnung seines Untergangs zusammen laufe – nicht um zu widerstehen, sondern nur einem Instincte folgend. Die Wirkung dieser Concentrirung ist aber keineswegs etwa ein Wachsen der Bevölkerung der Städte, vielmehr mindert sich diese auch trotz allem dem. Auch sind der großen Städte gar wenige; und je größer, desto größer auch die Zahl der Griechen, Armenier, Juden und Franken. Welche Bedeutung bereits die Franken in der Türkei haben, ergibt sich wohl am einleuchtendsten aus dem Einfluß der fränkischen, d. i. europäischen Consuln in allen Handelsstädten des türkischen Reichs. Ist doch im Grunde schon dieses Einmischen, diese politische Macht der Consuln ein vollständiges Zeugniß der Barbarei des Volks, unter welchem dieselbe ausgeübt wird. Man denke sich nur einmal den Fall umgekehrt. Es ist die Macht der christlichen Bildung über die Uncultur, oder vielmehr über die Unfähigkeit zur Cultur, d. i. über die Barbarei. Wir sagen der christlichen Bildung. Denn so wenig wir geneigt sind zur Proselytenmacherei, so wenig läßt sich verkennen, daß es eben das christliche Element der europäischen Cultur, das Element der Freiheit ist, welches fast ohne der Menschen Zuthun den Erzfeind des Christenthums besiegt hat, und daß es eben in der Christlichkeit dieser Bildung liegt, daß der Türke als Mohammedaner, zu derselben unfähig, d. h. ein Barbar ist, wie die Hellenen mit diesem Namen eben die ihrer, der hellenischen, Bildung Unfähigen bezeichneten.

Vorerst noch einige Worte über die Nicht-Türken, und zunächst über die Franken. Sehen Sie diese großen festen Häuser mit den ausgedehnten Hofplätzen und Waarenlagern, blicken Sie durch die offene Hausthür auf die marmorgetäfelte Hausflur, hinter welcher ein kleines, aber unter frischem Laub schattiges Gärtchen so einladend Kühlung bietet, während die Nymphe der Sprudelquelle von frühern bessern Tagen singt. Treten Sie nur hinein, Sie sind auch als Fremder freundlich empfangen, Sie kommen ja hier, im Barbarenlande, ein Hellene, ein Christ, ein Freier zu Ihresgleichen, unter Sklaven, die, sich empörend, der Herrschaft sich bemächtigt haben, und zwar, unglaublich! auf bereits mehr denn vier Jahrhunderte. Man muß sich dessen erinnern, denn wer es nicht wüßte, der würde nimmer glauben, daß in diesen breiteren reinlicheren Straßen, in diesen soliden geräumigen Wohnungen nicht die Herrschenden des Landes wohnen, sondern die Beherrschten, nur Franken, nur Christen, nur Schützlinge jener rohen, heute selbst zum Kriege unfähigen, geist- und kraftlosen Nachkommen der Feinde Europa's, jener faulen Schmaucher dort oben in den engen schmutzigen Gassen, in den hölzernen, stets verschlossenen Baracken, inwendig ausgestattet mit dem Haushalt der Verweichlichung, in den abgesperrten Wohnungen der beschränktesten Subjectivität.

Glauben Sie nicht, es hätten mir die Türken etwas zu leide gethan, daß ich so hart gegen sie erscheine. Im Gegentheil, sie sind namentlich in neuester Zeit gegen Fremde sehr höflich, ja gegen Fremde viel mehr als gegen Türken; sie hegen schon vor der fränkischen Kleidung einen gewissen Respect, und wer (wie es oft geschieht) ihre Kleidung anlegt, der degradirt sich in ihren Augen, statt daß er bei ihnen gewänne: eine Beobachtung, die man auch unter den Griechen machen kann, welche sehr häufig mit einer gewissen Empfindlichkeit, als würde ihrer Schwäche geschmeichelt, davon sprechen, daß ihr König seit einiger Zeit die zwar weniger malerische Tracht der Cultur und des gebildeten Europa's gegen die griechische Tracht vertauscht hat. Es ist, beiläufig bemerkt, ein großer Vorzug der sogenannten unmalerischen europäischen Tracht, daß sie die Individualität viel mehr hervortreten läßt, welche unter der blendenden Pracht der Goldstickerei und der bunten Farben um so mehr verschwindet, als schon der vollkommen gleiche Schnitt der Volkstracht dieselbe verdeckt. Wenn man in Nauplia eine Reihe von Palikarenchefs spazieren gehen sah, konnte man aus einiger Ferne keinen unterscheiden, alle waren sich gleich wie Exemplare einer und derselben Auflage, es sey denn der kleine Tzavellas ging neben dem großen Vassos. – Doch um wieder auf die Türken zu kommen: sie sind heutzutage, wie gesagt, ganz manierlich, höflich, sie haben stets meinen Gruß freundlichst erwiedert, haben mir gefällig den Weg gezeigt, haben mir die besten Melonen geschenkt, die ich je gegessen, und hätten mir sicher manchen andern Beistand geleistet, hätte ich dessen bedurft, und – dennoch sind sie Barbaren.

Nächst den Franken am meisten, ja zum Theil höher geachtet sind in der Türkei die Armenier. Hobhouse rühmt es dem Schah Abbas sehr nach, daß er einen Theil Armenier aus ihrem Vaterlande nach Persien deportirte, und dadurch diese einst so kriegerische, dann ackerbauende Nation zu Kaufleuten machte; und er behauptet, derselbe habe ein schlagendes, vielleicht einziges Beispiel gegeben von dem Beruf eines kräftigen Individuums, die Lebensweise und den Charakter eines ganzen Volks zu ändern. (?) Das Hauptverdienst indessen war wohl nicht des Schahs, sondern der Armenier, welche, seit jener Zeit über ganz Asien verbreitet, den großen Handel durch die Türkei und Persien in ihren Händen haben. Dr. Walsh schätzt die ganze Nation auf 1,351,000, von denen eine Million noch in ihrem Vaterlande wohnen, während von den übrigen etwa 200,000 auf Konstantinopel und die Nachbarschaft kommen, und 100,000 auf Persien. Missionsberichte schätzen die Armenier in der ganzen Türkei auf 1,500,000. Die Armenier in den größern Städten der Türkei sind hauptsächlich Mäkler und Bankiers. Sie sind in letzterer Beziehung für die türkische Regierung und für alle Beamten des Staats von großer Wichtigkeit, indem sie die Münze des Sultans und die Finanzen des Staats leiten. Wie unentbehrlich sie für die Pascha's sind, wurde bereits früher erwähnt. Wiewohl sie Christen sind, scheinen sie doch mit keinen der übrigen christlichen Einwohner des Reichs in irgend einem Verhältniß zu stehen, welches auf Religionsgemeinschaft schließen ließe. Sie hegen eine Verachtung gegen die Griechen, fast nicht geringer, als ihre Herren

*) Der Verfasser, ein deutscher Gelehrter, sah nicht zum erstenmal die Levante.
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[0073/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 4 Januar 1840 Beobachtungen auf einer Reise durch die Türkei und Griechenland. *) _ Im Archipelagus, Ende November. (Der Redaction erst jetzt über Marseille zugekommen.) Wer zuerst die Provinzen und dann die Hauptstadt des türkischen Reichs kennen lernt, muß gestehen, daß ihm hier ein Contrast begegnet, wie er in Europa nirgends zwischen Land und Hauptstadt besteht. Wir haben bereits in einem früheren Schreiben der gränzenlosen Verarmung und Entvölkerung der türkischen Provinzen gedacht. Je mehr beide mit jedem Tage zunehmen, desto mehr concentriren sich die Reste des türkischen Volks in den großen Städten. Es ist, als ob das Volk in der dunklen Vorahnung seines Untergangs zusammen laufe – nicht um zu widerstehen, sondern nur einem Instincte folgend. Die Wirkung dieser Concentrirung ist aber keineswegs etwa ein Wachsen der Bevölkerung der Städte, vielmehr mindert sich diese auch trotz allem dem. Auch sind der großen Städte gar wenige; und je größer, desto größer auch die Zahl der Griechen, Armenier, Juden und Franken. Welche Bedeutung bereits die Franken in der Türkei haben, ergibt sich wohl am einleuchtendsten aus dem Einfluß der fränkischen, d. i. europäischen Consuln in allen Handelsstädten des türkischen Reichs. Ist doch im Grunde schon dieses Einmischen, diese politische Macht der Consuln ein vollständiges Zeugniß der Barbarei des Volks, unter welchem dieselbe ausgeübt wird. Man denke sich nur einmal den Fall umgekehrt. Es ist die Macht der christlichen Bildung über die Uncultur, oder vielmehr über die Unfähigkeit zur Cultur, d. i. über die Barbarei. Wir sagen der christlichen Bildung. Denn so wenig wir geneigt sind zur Proselytenmacherei, so wenig läßt sich verkennen, daß es eben das christliche Element der europäischen Cultur, das Element der Freiheit ist, welches fast ohne der Menschen Zuthun den Erzfeind des Christenthums besiegt hat, und daß es eben in der Christlichkeit dieser Bildung liegt, daß der Türke als Mohammedaner, zu derselben unfähig, d. h. ein Barbar ist, wie die Hellenen mit diesem Namen eben die ihrer, der hellenischen, Bildung Unfähigen bezeichneten. Vorerst noch einige Worte über die Nicht-Türken, und zunächst über die Franken. Sehen Sie diese großen festen Häuser mit den ausgedehnten Hofplätzen und Waarenlagern, blicken Sie durch die offene Hausthür auf die marmorgetäfelte Hausflur, hinter welcher ein kleines, aber unter frischem Laub schattiges Gärtchen so einladend Kühlung bietet, während die Nymphe der Sprudelquelle von frühern bessern Tagen singt. Treten Sie nur hinein, Sie sind auch als Fremder freundlich empfangen, Sie kommen ja hier, im Barbarenlande, ein Hellene, ein Christ, ein Freier zu Ihresgleichen, unter Sklaven, die, sich empörend, der Herrschaft sich bemächtigt haben, und zwar, unglaublich! auf bereits mehr denn vier Jahrhunderte. Man muß sich dessen erinnern, denn wer es nicht wüßte, der würde nimmer glauben, daß in diesen breiteren reinlicheren Straßen, in diesen soliden geräumigen Wohnungen nicht die Herrschenden des Landes wohnen, sondern die Beherrschten, nur Franken, nur Christen, nur Schützlinge jener rohen, heute selbst zum Kriege unfähigen, geist- und kraftlosen Nachkommen der Feinde Europa's, jener faulen Schmaucher dort oben in den engen schmutzigen Gassen, in den hölzernen, stets verschlossenen Baracken, inwendig ausgestattet mit dem Haushalt der Verweichlichung, in den abgesperrten Wohnungen der beschränktesten Subjectivität. Glauben Sie nicht, es hätten mir die Türken etwas zu leide gethan, daß ich so hart gegen sie erscheine. Im Gegentheil, sie sind namentlich in neuester Zeit gegen Fremde sehr höflich, ja gegen Fremde viel mehr als gegen Türken; sie hegen schon vor der fränkischen Kleidung einen gewissen Respect, und wer (wie es oft geschieht) ihre Kleidung anlegt, der degradirt sich in ihren Augen, statt daß er bei ihnen gewänne: eine Beobachtung, die man auch unter den Griechen machen kann, welche sehr häufig mit einer gewissen Empfindlichkeit, als würde ihrer Schwäche geschmeichelt, davon sprechen, daß ihr König seit einiger Zeit die zwar weniger malerische Tracht der Cultur und des gebildeten Europa's gegen die griechische Tracht vertauscht hat. Es ist, beiläufig bemerkt, ein großer Vorzug der sogenannten unmalerischen europäischen Tracht, daß sie die Individualität viel mehr hervortreten läßt, welche unter der blendenden Pracht der Goldstickerei und der bunten Farben um so mehr verschwindet, als schon der vollkommen gleiche Schnitt der Volkstracht dieselbe verdeckt. Wenn man in Nauplia eine Reihe von Palikarenchefs spazieren gehen sah, konnte man aus einiger Ferne keinen unterscheiden, alle waren sich gleich wie Exemplare einer und derselben Auflage, es sey denn der kleine Tzavellas ging neben dem großen Vassos. – Doch um wieder auf die Türken zu kommen: sie sind heutzutage, wie gesagt, ganz manierlich, höflich, sie haben stets meinen Gruß freundlichst erwiedert, haben mir gefällig den Weg gezeigt, haben mir die besten Melonen geschenkt, die ich je gegessen, und hätten mir sicher manchen andern Beistand geleistet, hätte ich dessen bedurft, und – dennoch sind sie Barbaren. Nächst den Franken am meisten, ja zum Theil höher geachtet sind in der Türkei die Armenier. Hobhouse rühmt es dem Schah Abbas sehr nach, daß er einen Theil Armenier aus ihrem Vaterlande nach Persien deportirte, und dadurch diese einst so kriegerische, dann ackerbauende Nation zu Kaufleuten machte; und er behauptet, derselbe habe ein schlagendes, vielleicht einziges Beispiel gegeben von dem Beruf eines kräftigen Individuums, die Lebensweise und den Charakter eines ganzen Volks zu ändern. (?) Das Hauptverdienst indessen war wohl nicht des Schahs, sondern der Armenier, welche, seit jener Zeit über ganz Asien verbreitet, den großen Handel durch die Türkei und Persien in ihren Händen haben. Dr. Walsh schätzt die ganze Nation auf 1,351,000, von denen eine Million noch in ihrem Vaterlande wohnen, während von den übrigen etwa 200,000 auf Konstantinopel und die Nachbarschaft kommen, und 100,000 auf Persien. Missionsberichte schätzen die Armenier in der ganzen Türkei auf 1,500,000. Die Armenier in den größern Städten der Türkei sind hauptsächlich Mäkler und Bankiers. Sie sind in letzterer Beziehung für die türkische Regierung und für alle Beamten des Staats von großer Wichtigkeit, indem sie die Münze des Sultans und die Finanzen des Staats leiten. Wie unentbehrlich sie für die Pascha's sind, wurde bereits früher erwähnt. Wiewohl sie Christen sind, scheinen sie doch mit keinen der übrigen christlichen Einwohner des Reichs in irgend einem Verhältniß zu stehen, welches auf Religionsgemeinschaft schließen ließe. Sie hegen eine Verachtung gegen die Griechen, fast nicht geringer, als ihre Herren *) Der Verfasser, ein deutscher Gelehrter, sah nicht zum erstenmal die Levante.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 10. Augsburg, 10. Januar 1840, S. 0073. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_010_18400110/9>, abgerufen am 21.11.2024.