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Allgemeine Zeitung. Nr. 18. Augsburg, 18. Januar 1840.

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ihm erfolgte in Aegypten, unter der Autorität eines Pascha's, seines Vasallen, ein ernsterer und kräftigerer Versuch der Regeneration. Dort wußte man, mit Verzichtleistung auf die barbarische Taktik der Orientalen, regelmäßige, tapfere und taktisch geübte Truppen zu bilden; vielleicht unter der Eingebung eines französischen Officiers, des Obristen Selves, der ein Türke und ein großer General wurde. So hat jener mächtige Vicekönig, der noch nicht vollständig ein Volk zu bilden vermochte, sich wenigstens eine kühne und ergebene Armee geschaffen. Würden Sie es wohl billigen, wenn man am Vorabend der großen Bewegungen, die im Orient sich vorbereiten, jene vollbrachte That, die aus unserer Civilisation das, was sie Starkes und Kriegerisches hat, an sich genommen, für nichts gerechnet hätte? Sollte man vergessen, daß den unvollständigen Reformen von Konstantinopel gegenüber in Alexandrien und Kairo jene große Aufstellung einer Armee nach europäischem Maaßstabe erfolgt ist, und daß jene Armee selbst der Sache des Sultans gedient hat durch Besiegung der Wechabiten und durch die Rettung der heiligen Städte Mekka und Medina? Die große Frage liegt in der Nothwendigkeit der Erhaltung dessen, was von muselmännischer Macht und Lebenskräftigkeit noch übrig ist. Nach dem System des Hrn. v. Lamartine, welcher die unverzügliche Theilung des ottomannischen Reichs verlangt, müßte man diese Kraft, statt sie zu erhalten, zu zerstören sich beeilen. Für diejenigen aber, die glauben, daß bei einer alsbaldigen Theilung Frankreich nichts gewänne, daß eine im Ganzen ungerechte Handlung für Frankreich nur eine Täuschung seyn würde, blieb nichts übrig, als für die Aufrechthaltung des türkischen Reichs und die Bewahrung aller jener Kräfte zu sorgen, die sich in seinem Schooße gebildet haben, und die, selbst gespalten, die Reste seiner Macht und die lebenskräftigsten Elemente seiner Dauer repräsentiren - jener Dauer, die, wenn wir der Geschichte glauben, sich noch verlängern, und mehr als Eine Prophezeiung Lügen strafen, mehr als Einen Ehrgeiz täuschen kann. ... Aber, sagt der gewandte Redner, alsdann müßte man die Partei, der man sich angeschlossen, aufs äußerste unterstützen. "Weil ihr an die Dauer des ottomannischen Reichs glaubtet, weil ihr dessen Fortdauer wünschtet, so mußte man auch Alles zu dessen Gedeihen, zu dessen Erhebung, zur Unterdrückung aller Hindernisse, die sich in seinem Schoße ergeben möchten, aufwenden. Wie! hätten Sie es für eine gute Politik im französischen oder im muselmännischen Sinne gehalten, Alexandrien zu blokiren, die Flotte des Paschas von Aegypten oder die ottomannische Flotte, die er durch den Abfall eines muselmännischen Admirals erhalten hatte, zu verbrennen? Glauben Sie, daß Alles, was unter irgend einer Form, ein Element der muselmännischen Lebenskraft zerstört hätte, nicht dadurch allein schon ein gegen das Herz des Reichs geführter Streich gewesen wäre, der die ehrgeizigen Absichten Dritter erleichtert hätte? Mir scheint dieß offenbar. (Beifall.) Die Regierung hat sonach, was man auch immer sagen mag, weise gehandelt, daß sie nicht über die Eindrücke und Rathschläge hinausgegangen ist, die sie innerhalb dieser Mauern empfangen hat, und die ihr dem Nationalwunsche zu entsprechen schienen. ... "Sie sind, so sagt man uns, die Ursache gewesen, daß die türkische Flotte Konstantinopel verlassen hat. Sie sind Ursache gewesen, daß eine Conferenz stattgefunden, Sie sind Ursache gewesen, daß jene Conferenz noch kein Resultat hat; Sie hatten Unrecht, sich in sie einzulassen; Sie haben Unrecht, aus ihr zu treten; Sie haben Unrecht, wenn Sie nicht aus ihr getreten sind." Hier haben Sie alle Einwürfe beisammen. Die türkische Flotte! Niemand konnte machen, daß dieser Abfall nicht stattfand. Die Conferenz! Ihr konntet nicht verhindern, daß sie sich bildete; Niemand konnte seinen Beitritt verweigern. Augenblicklich würde Mißtrauen gegen denjenigen eingetreten seyn, der sich, bevor er noch gewußt, ob Grund dazu vorhanden sey, davon losgesagt hätte; eiu gerechter Vorwurf würde denjenigen getroffen haben, der nicht dazu hätte beitragen wollen, daß die ausschließliche Protection aufhöre und eine allgemeine werde. Denn ein ausschließliches Protectorat war es, das gebieterisch die Meerenge der Dardanellen schließen und das türkische Reich und Europa zugleich bedrohen konnte. Die getheilten Protectionen hörten gerade dadurch, daß sie getheilt waren, auf, ehrgeizig zu seyn. "Ihr hattet aber, nachdem ihr euch diesen Absichten beigesellt, Unrecht, euch davon zu trennen!" Was dieß betrifft, so kann, da die Thatsachen noch zu keinem Schlusse gekommen sind, Niemand weder Tadel noch Hoffnung, noch Voraussagung aussprechen. Ich weiß übrigens wohl, daß es heutzutage kein diplomatisches Geheimniß mehr gibt. Ich weiß, daß Alles schnell bekannt wird, und deßwegen darf man auch bei den geheimsten Unterhandlungen, in dem Bewußtseyn, daß doch Alles zur öffentlichen Kunde komme, die Würde seines Landes nie verläugnen. Ich will keine neuen Bemerkungen beifügen, um der gelehrten Rede, welche dem glänzenden Vortrag des Hrn. v. Lamartine voranging, zu antworten; ich will nicht versuchen, in jene große politische, militärische und geographische Bahn, welche der ehrenwerthe Hr. Mauguin durchlaufen hat, einzugehen; nur will ich aus seiner Aeußerung eine Folgerung ziehen, die vielleicht für eine entfernte Zukunft nicht beruhigend, aber für das gegenwärtige Interesse von Europa befriedigend ist. Der Redner hat mit Kraft jene zwei großen Mächte geschildert, die von so weiter Ferne her ihre Arme ausstrecken, um sich zu fassen, und einander zu erdrücken. Er ist in eine Menge Details eingegangen, die für die Geschichte merkwürdig, für die gegenwärtige Politik und für den Gegenstoß, den sie auf Europa ausüben können, belehrend sind. Was geht aber daraus hervor, meine Herren? Daß man keine Furcht zu haben braucht vor einer Allianz zweier Staaten, die auf so vielen Punkten sich berühren und in Rivalität mit einander gerathen, daß man den Widerstreit der Interessen zuletzt als einen unversöhnlichen betrachten muß. Es liegen in den menschlichen Dingen gewisse Nothwendigkeiten des Instincts und der Ehre, unübersteigliche Divergenzen, die uns beruhigen können, selbst wenn wir den Berechnungen des größten und schmiegsamsten Ehrgeizes gegenüber stehen. Ein englischer Staatsmann, dessen Worte in seinem Lande unvergessen sind, hat den Ausspruch gethan: "Wer das baltische Meer und Konstantinopel besitzt, wird Herr der Welt seyn." Meine Herren, England will so wenig, wie wir, daß Jemand Gebieter der Welt sey." (Sensation und lange Bewegung in der Versammlung.)

Der Temps gibt als gewiß an, daß der Cardinal Latour d'Auvergne das Erzbisthum von Paris abgelehnt und erklärt habe, er sey fest entschlossen, die Diöcese Arras und die ihm anvertraute Heerde nicht zu verlassen, da er zu lange inmitten derselben gelebt habe, um nicht zu wünschen, auch in ihr zu sterben.

Die Akademie der Inscriptionen und schönen Wissenschaften hat am 11 Januar an die Stelle des Herzogs von Blacas den Marquis von Villeneuve-Trans zu ihrem Mitglied ernannt. Bei dem ersten Scrutin hatte dieser 18, Hr. Biot 15, Hr. v. Caumont 5 und Hr. Jollois 2, bei dem zweiten Scrutin Hr. v. Villeneuve-Trans 21, Hr. Biot 17, Hr. v. Calmon 1 Stimme unter 40 Votanten erhalten.

(Commerce.) Hr. v. Rumigny ist am 11 Jan. mit mehreren Officieren des Generalstabs nach Toulon abgereist, nachdem


ihm erfolgte in Aegypten, unter der Autorität eines Pascha's, seines Vasallen, ein ernsterer und kräftigerer Versuch der Regeneration. Dort wußte man, mit Verzichtleistung auf die barbarische Taktik der Orientalen, regelmäßige, tapfere und taktisch geübte Truppen zu bilden; vielleicht unter der Eingebung eines französischen Officiers, des Obristen Selves, der ein Türke und ein großer General wurde. So hat jener mächtige Vicekönig, der noch nicht vollständig ein Volk zu bilden vermochte, sich wenigstens eine kühne und ergebene Armee geschaffen. Würden Sie es wohl billigen, wenn man am Vorabend der großen Bewegungen, die im Orient sich vorbereiten, jene vollbrachte That, die aus unserer Civilisation das, was sie Starkes und Kriegerisches hat, an sich genommen, für nichts gerechnet hätte? Sollte man vergessen, daß den unvollständigen Reformen von Konstantinopel gegenüber in Alexandrien und Kairo jene große Aufstellung einer Armee nach europäischem Maaßstabe erfolgt ist, und daß jene Armee selbst der Sache des Sultans gedient hat durch Besiegung der Wechabiten und durch die Rettung der heiligen Städte Mekka und Medina? Die große Frage liegt in der Nothwendigkeit der Erhaltung dessen, was von muselmännischer Macht und Lebenskräftigkeit noch übrig ist. Nach dem System des Hrn. v. Lamartine, welcher die unverzügliche Theilung des ottomannischen Reichs verlangt, müßte man diese Kraft, statt sie zu erhalten, zu zerstören sich beeilen. Für diejenigen aber, die glauben, daß bei einer alsbaldigen Theilung Frankreich nichts gewänne, daß eine im Ganzen ungerechte Handlung für Frankreich nur eine Täuschung seyn würde, blieb nichts übrig, als für die Aufrechthaltung des türkischen Reichs und die Bewahrung aller jener Kräfte zu sorgen, die sich in seinem Schooße gebildet haben, und die, selbst gespalten, die Reste seiner Macht und die lebenskräftigsten Elemente seiner Dauer repräsentiren – jener Dauer, die, wenn wir der Geschichte glauben, sich noch verlängern, und mehr als Eine Prophezeiung Lügen strafen, mehr als Einen Ehrgeiz täuschen kann. ... Aber, sagt der gewandte Redner, alsdann müßte man die Partei, der man sich angeschlossen, aufs äußerste unterstützen. „Weil ihr an die Dauer des ottomannischen Reichs glaubtet, weil ihr dessen Fortdauer wünschtet, so mußte man auch Alles zu dessen Gedeihen, zu dessen Erhebung, zur Unterdrückung aller Hindernisse, die sich in seinem Schoße ergeben möchten, aufwenden. Wie! hätten Sie es für eine gute Politik im französischen oder im muselmännischen Sinne gehalten, Alexandrien zu blokiren, die Flotte des Paschas von Aegypten oder die ottomannische Flotte, die er durch den Abfall eines muselmännischen Admirals erhalten hatte, zu verbrennen? Glauben Sie, daß Alles, was unter irgend einer Form, ein Element der muselmännischen Lebenskraft zerstört hätte, nicht dadurch allein schon ein gegen das Herz des Reichs geführter Streich gewesen wäre, der die ehrgeizigen Absichten Dritter erleichtert hätte? Mir scheint dieß offenbar. (Beifall.) Die Regierung hat sonach, was man auch immer sagen mag, weise gehandelt, daß sie nicht über die Eindrücke und Rathschläge hinausgegangen ist, die sie innerhalb dieser Mauern empfangen hat, und die ihr dem Nationalwunsche zu entsprechen schienen. ... „Sie sind, so sagt man uns, die Ursache gewesen, daß die türkische Flotte Konstantinopel verlassen hat. Sie sind Ursache gewesen, daß eine Conferenz stattgefunden, Sie sind Ursache gewesen, daß jene Conferenz noch kein Resultat hat; Sie hatten Unrecht, sich in sie einzulassen; Sie haben Unrecht, aus ihr zu treten; Sie haben Unrecht, wenn Sie nicht aus ihr getreten sind.“ Hier haben Sie alle Einwürfe beisammen. Die türkische Flotte! Niemand konnte machen, daß dieser Abfall nicht stattfand. Die Conferenz! Ihr konntet nicht verhindern, daß sie sich bildete; Niemand konnte seinen Beitritt verweigern. Augenblicklich würde Mißtrauen gegen denjenigen eingetreten seyn, der sich, bevor er noch gewußt, ob Grund dazu vorhanden sey, davon losgesagt hätte; eiu gerechter Vorwurf würde denjenigen getroffen haben, der nicht dazu hätte beitragen wollen, daß die ausschließliche Protection aufhöre und eine allgemeine werde. Denn ein ausschließliches Protectorat war es, das gebieterisch die Meerenge der Dardanellen schließen und das türkische Reich und Europa zugleich bedrohen konnte. Die getheilten Protectionen hörten gerade dadurch, daß sie getheilt waren, auf, ehrgeizig zu seyn. „Ihr hattet aber, nachdem ihr euch diesen Absichten beigesellt, Unrecht, euch davon zu trennen!“ Was dieß betrifft, so kann, da die Thatsachen noch zu keinem Schlusse gekommen sind, Niemand weder Tadel noch Hoffnung, noch Voraussagung aussprechen. Ich weiß übrigens wohl, daß es heutzutage kein diplomatisches Geheimniß mehr gibt. Ich weiß, daß Alles schnell bekannt wird, und deßwegen darf man auch bei den geheimsten Unterhandlungen, in dem Bewußtseyn, daß doch Alles zur öffentlichen Kunde komme, die Würde seines Landes nie verläugnen. Ich will keine neuen Bemerkungen beifügen, um der gelehrten Rede, welche dem glänzenden Vortrag des Hrn. v. Lamartine voranging, zu antworten; ich will nicht versuchen, in jene große politische, militärische und geographische Bahn, welche der ehrenwerthe Hr. Mauguin durchlaufen hat, einzugehen; nur will ich aus seiner Aeußerung eine Folgerung ziehen, die vielleicht für eine entfernte Zukunft nicht beruhigend, aber für das gegenwärtige Interesse von Europa befriedigend ist. Der Redner hat mit Kraft jene zwei großen Mächte geschildert, die von so weiter Ferne her ihre Arme ausstrecken, um sich zu fassen, und einander zu erdrücken. Er ist in eine Menge Details eingegangen, die für die Geschichte merkwürdig, für die gegenwärtige Politik und für den Gegenstoß, den sie auf Europa ausüben können, belehrend sind. Was geht aber daraus hervor, meine Herren? Daß man keine Furcht zu haben braucht vor einer Allianz zweier Staaten, die auf so vielen Punkten sich berühren und in Rivalität mit einander gerathen, daß man den Widerstreit der Interessen zuletzt als einen unversöhnlichen betrachten muß. Es liegen in den menschlichen Dingen gewisse Nothwendigkeiten des Instincts und der Ehre, unübersteigliche Divergenzen, die uns beruhigen können, selbst wenn wir den Berechnungen des größten und schmiegsamsten Ehrgeizes gegenüber stehen. Ein englischer Staatsmann, dessen Worte in seinem Lande unvergessen sind, hat den Ausspruch gethan: „Wer das baltische Meer und Konstantinopel besitzt, wird Herr der Welt seyn.“ Meine Herren, England will so wenig, wie wir, daß Jemand Gebieter der Welt sey.“ (Sensation und lange Bewegung in der Versammlung.)

Der Temps gibt als gewiß an, daß der Cardinal Latour d'Auvergne das Erzbisthum von Paris abgelehnt und erklärt habe, er sey fest entschlossen, die Diöcese Arras und die ihm anvertraute Heerde nicht zu verlassen, da er zu lange inmitten derselben gelebt habe, um nicht zu wünschen, auch in ihr zu sterben.

Die Akademie der Inscriptionen und schönen Wissenschaften hat am 11 Januar an die Stelle des Herzogs von Blacas den Marquis von Villeneuve-Trans zu ihrem Mitglied ernannt. Bei dem ersten Scrutin hatte dieser 18, Hr. Biot 15, Hr. v. Caumont 5 und Hr. Jollois 2, bei dem zweiten Scrutin Hr. v. Villeneuve-Trans 21, Hr. Biot 17, Hr. v. Calmon 1 Stimme unter 40 Votanten erhalten.

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ihm erfolgte in Aegypten, unter der Autorität eines Pascha's, seines Vasallen, ein ernsterer und kräftigerer Versuch der Regeneration. Dort wußte man, mit Verzichtleistung auf die barbarische Taktik der Orientalen, regelmäßige, tapfere und taktisch geübte Truppen zu bilden; vielleicht unter der Eingebung eines französischen Officiers, des Obristen Selves, der ein Türke und ein großer General wurde. So hat jener mächtige Vicekönig, der noch nicht vollständig ein Volk zu bilden vermochte, sich wenigstens eine kühne und ergebene Armee geschaffen. Würden Sie es wohl billigen, wenn man am Vorabend der großen Bewegungen, die im Orient sich vorbereiten, jene vollbrachte That, die aus unserer Civilisation das, was sie Starkes und Kriegerisches hat, an sich genommen, für nichts gerechnet hätte? Sollte man vergessen, daß den unvollständigen Reformen von Konstantinopel gegenüber in Alexandrien und Kairo jene große Aufstellung einer Armee nach europäischem Maaßstabe erfolgt ist, und daß jene Armee selbst der Sache des Sultans gedient hat durch Besiegung der Wechabiten und durch die Rettung der heiligen Städte Mekka und Medina? Die große Frage liegt in der Nothwendigkeit der Erhaltung dessen, was von muselmännischer Macht und Lebenskräftigkeit noch übrig ist. Nach dem System des Hrn. v. Lamartine, welcher die unverzügliche Theilung des ottomannischen Reichs verlangt, müßte man diese Kraft, statt sie zu erhalten, zu zerstören sich beeilen. Für diejenigen aber, die glauben, daß bei einer alsbaldigen Theilung Frankreich nichts gewänne, daß eine im Ganzen ungerechte Handlung für Frankreich nur eine Täuschung seyn würde, blieb nichts übrig, als für die Aufrechthaltung des türkischen Reichs und die Bewahrung aller jener Kräfte zu sorgen, die sich in seinem Schooße gebildet haben, und die, selbst gespalten, die Reste seiner Macht und die lebenskräftigsten Elemente seiner Dauer repräsentiren &#x2013; jener Dauer, die, wenn wir der Geschichte glauben, sich noch verlängern, und mehr als Eine Prophezeiung Lügen strafen, mehr als Einen Ehrgeiz täuschen kann. ... Aber, sagt der gewandte Redner, alsdann müßte man die Partei, der man sich angeschlossen, aufs äußerste unterstützen. &#x201E;Weil ihr an die Dauer des ottomannischen Reichs glaubtet, weil ihr dessen Fortdauer wünschtet, so mußte man auch Alles zu dessen Gedeihen, zu dessen Erhebung, zur Unterdrückung aller Hindernisse, die sich in seinem Schoße ergeben möchten, aufwenden. Wie! hätten Sie es für eine gute Politik im französischen oder im muselmännischen Sinne gehalten, Alexandrien zu blokiren, die Flotte des Paschas von Aegypten oder die ottomannische Flotte, die er durch den Abfall eines muselmännischen Admirals erhalten hatte, zu verbrennen? Glauben Sie, daß Alles, was unter irgend einer Form, ein Element der muselmännischen Lebenskraft zerstört hätte, nicht dadurch allein schon ein gegen das Herz des Reichs geführter Streich gewesen wäre, der die ehrgeizigen Absichten Dritter erleichtert hätte? Mir scheint dieß offenbar. (Beifall.) Die Regierung hat sonach, was man auch immer sagen mag, weise gehandelt, daß sie nicht über die Eindrücke und Rathschläge hinausgegangen ist, die sie innerhalb dieser Mauern empfangen hat, und die ihr dem Nationalwunsche zu entsprechen schienen. ... &#x201E;Sie sind, so sagt man uns, die Ursache gewesen, daß die türkische Flotte Konstantinopel verlassen hat. Sie sind Ursache gewesen, daß eine Conferenz stattgefunden, Sie sind Ursache gewesen, daß jene Conferenz noch kein Resultat hat; Sie hatten Unrecht, sich in sie einzulassen; Sie haben Unrecht, aus ihr zu treten; Sie haben Unrecht, wenn Sie nicht aus ihr getreten sind.&#x201C; Hier haben Sie alle Einwürfe beisammen. Die türkische Flotte! Niemand konnte machen, daß dieser Abfall nicht stattfand. Die Conferenz! Ihr konntet nicht verhindern, daß sie sich bildete; Niemand konnte seinen Beitritt verweigern. Augenblicklich würde Mißtrauen gegen denjenigen eingetreten seyn, der sich, bevor er noch gewußt, ob Grund dazu vorhanden sey, davon losgesagt hätte; eiu gerechter Vorwurf würde denjenigen getroffen haben, der nicht dazu hätte beitragen wollen, daß die ausschließliche Protection aufhöre und eine allgemeine werde. Denn ein ausschließliches Protectorat war es, das gebieterisch die Meerenge der Dardanellen schließen und das türkische Reich und Europa zugleich bedrohen konnte. Die getheilten Protectionen hörten gerade dadurch, daß sie getheilt waren, auf, ehrgeizig zu seyn. &#x201E;Ihr hattet aber, nachdem ihr euch diesen Absichten beigesellt, Unrecht, euch davon zu trennen!&#x201C; Was dieß betrifft, so kann, da die Thatsachen noch zu keinem Schlusse gekommen sind, Niemand weder Tadel noch Hoffnung, noch Voraussagung aussprechen. Ich weiß übrigens wohl, daß es heutzutage kein diplomatisches Geheimniß mehr gibt. Ich weiß, daß Alles schnell bekannt wird, und deßwegen darf man auch bei den geheimsten Unterhandlungen, in dem Bewußtseyn, daß doch Alles zur öffentlichen Kunde komme, die Würde seines Landes nie verläugnen. Ich will keine neuen Bemerkungen beifügen, um der gelehrten Rede, welche dem glänzenden Vortrag des Hrn. v. Lamartine voranging, zu antworten; ich will nicht versuchen, in jene große politische, militärische und geographische Bahn, welche der ehrenwerthe Hr. Mauguin durchlaufen hat, einzugehen; nur will ich aus seiner Aeußerung eine Folgerung ziehen, die vielleicht für eine entfernte Zukunft nicht beruhigend, aber für das gegenwärtige Interesse von Europa befriedigend ist. Der Redner hat mit Kraft jene zwei großen Mächte geschildert, die von so weiter Ferne her ihre Arme ausstrecken, um sich zu fassen, und einander zu erdrücken. Er ist in eine Menge Details eingegangen, die für die Geschichte merkwürdig, für die gegenwärtige Politik und für den Gegenstoß, den sie auf Europa ausüben können, belehrend sind. Was geht aber daraus hervor, meine Herren? Daß man keine Furcht zu haben braucht vor einer Allianz zweier Staaten, die auf so vielen Punkten sich berühren und in Rivalität mit einander gerathen, daß man den Widerstreit der Interessen zuletzt als einen unversöhnlichen betrachten muß. Es liegen in den menschlichen Dingen gewisse Nothwendigkeiten des Instincts und der Ehre, unübersteigliche Divergenzen, die uns beruhigen können, selbst wenn wir den Berechnungen des größten und schmiegsamsten Ehrgeizes gegenüber stehen. Ein englischer Staatsmann, dessen Worte in seinem Lande unvergessen sind, hat den Ausspruch gethan: &#x201E;Wer das baltische Meer und Konstantinopel besitzt, wird Herr der Welt seyn.&#x201C; Meine Herren, England will so wenig, wie wir, daß Jemand Gebieter der Welt sey.&#x201C; (Sensation und lange Bewegung in der Versammlung.)</p><lb/>
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[0139/0003] ihm erfolgte in Aegypten, unter der Autorität eines Pascha's, seines Vasallen, ein ernsterer und kräftigerer Versuch der Regeneration. Dort wußte man, mit Verzichtleistung auf die barbarische Taktik der Orientalen, regelmäßige, tapfere und taktisch geübte Truppen zu bilden; vielleicht unter der Eingebung eines französischen Officiers, des Obristen Selves, der ein Türke und ein großer General wurde. So hat jener mächtige Vicekönig, der noch nicht vollständig ein Volk zu bilden vermochte, sich wenigstens eine kühne und ergebene Armee geschaffen. Würden Sie es wohl billigen, wenn man am Vorabend der großen Bewegungen, die im Orient sich vorbereiten, jene vollbrachte That, die aus unserer Civilisation das, was sie Starkes und Kriegerisches hat, an sich genommen, für nichts gerechnet hätte? Sollte man vergessen, daß den unvollständigen Reformen von Konstantinopel gegenüber in Alexandrien und Kairo jene große Aufstellung einer Armee nach europäischem Maaßstabe erfolgt ist, und daß jene Armee selbst der Sache des Sultans gedient hat durch Besiegung der Wechabiten und durch die Rettung der heiligen Städte Mekka und Medina? Die große Frage liegt in der Nothwendigkeit der Erhaltung dessen, was von muselmännischer Macht und Lebenskräftigkeit noch übrig ist. Nach dem System des Hrn. v. Lamartine, welcher die unverzügliche Theilung des ottomannischen Reichs verlangt, müßte man diese Kraft, statt sie zu erhalten, zu zerstören sich beeilen. Für diejenigen aber, die glauben, daß bei einer alsbaldigen Theilung Frankreich nichts gewänne, daß eine im Ganzen ungerechte Handlung für Frankreich nur eine Täuschung seyn würde, blieb nichts übrig, als für die Aufrechthaltung des türkischen Reichs und die Bewahrung aller jener Kräfte zu sorgen, die sich in seinem Schooße gebildet haben, und die, selbst gespalten, die Reste seiner Macht und die lebenskräftigsten Elemente seiner Dauer repräsentiren – jener Dauer, die, wenn wir der Geschichte glauben, sich noch verlängern, und mehr als Eine Prophezeiung Lügen strafen, mehr als Einen Ehrgeiz täuschen kann. ... Aber, sagt der gewandte Redner, alsdann müßte man die Partei, der man sich angeschlossen, aufs äußerste unterstützen. „Weil ihr an die Dauer des ottomannischen Reichs glaubtet, weil ihr dessen Fortdauer wünschtet, so mußte man auch Alles zu dessen Gedeihen, zu dessen Erhebung, zur Unterdrückung aller Hindernisse, die sich in seinem Schoße ergeben möchten, aufwenden. Wie! hätten Sie es für eine gute Politik im französischen oder im muselmännischen Sinne gehalten, Alexandrien zu blokiren, die Flotte des Paschas von Aegypten oder die ottomannische Flotte, die er durch den Abfall eines muselmännischen Admirals erhalten hatte, zu verbrennen? Glauben Sie, daß Alles, was unter irgend einer Form, ein Element der muselmännischen Lebenskraft zerstört hätte, nicht dadurch allein schon ein gegen das Herz des Reichs geführter Streich gewesen wäre, der die ehrgeizigen Absichten Dritter erleichtert hätte? Mir scheint dieß offenbar. (Beifall.) Die Regierung hat sonach, was man auch immer sagen mag, weise gehandelt, daß sie nicht über die Eindrücke und Rathschläge hinausgegangen ist, die sie innerhalb dieser Mauern empfangen hat, und die ihr dem Nationalwunsche zu entsprechen schienen. ... „Sie sind, so sagt man uns, die Ursache gewesen, daß die türkische Flotte Konstantinopel verlassen hat. Sie sind Ursache gewesen, daß eine Conferenz stattgefunden, Sie sind Ursache gewesen, daß jene Conferenz noch kein Resultat hat; Sie hatten Unrecht, sich in sie einzulassen; Sie haben Unrecht, aus ihr zu treten; Sie haben Unrecht, wenn Sie nicht aus ihr getreten sind.“ Hier haben Sie alle Einwürfe beisammen. Die türkische Flotte! Niemand konnte machen, daß dieser Abfall nicht stattfand. Die Conferenz! Ihr konntet nicht verhindern, daß sie sich bildete; Niemand konnte seinen Beitritt verweigern. Augenblicklich würde Mißtrauen gegen denjenigen eingetreten seyn, der sich, bevor er noch gewußt, ob Grund dazu vorhanden sey, davon losgesagt hätte; eiu gerechter Vorwurf würde denjenigen getroffen haben, der nicht dazu hätte beitragen wollen, daß die ausschließliche Protection aufhöre und eine allgemeine werde. Denn ein ausschließliches Protectorat war es, das gebieterisch die Meerenge der Dardanellen schließen und das türkische Reich und Europa zugleich bedrohen konnte. Die getheilten Protectionen hörten gerade dadurch, daß sie getheilt waren, auf, ehrgeizig zu seyn. „Ihr hattet aber, nachdem ihr euch diesen Absichten beigesellt, Unrecht, euch davon zu trennen!“ Was dieß betrifft, so kann, da die Thatsachen noch zu keinem Schlusse gekommen sind, Niemand weder Tadel noch Hoffnung, noch Voraussagung aussprechen. Ich weiß übrigens wohl, daß es heutzutage kein diplomatisches Geheimniß mehr gibt. Ich weiß, daß Alles schnell bekannt wird, und deßwegen darf man auch bei den geheimsten Unterhandlungen, in dem Bewußtseyn, daß doch Alles zur öffentlichen Kunde komme, die Würde seines Landes nie verläugnen. Ich will keine neuen Bemerkungen beifügen, um der gelehrten Rede, welche dem glänzenden Vortrag des Hrn. v. Lamartine voranging, zu antworten; ich will nicht versuchen, in jene große politische, militärische und geographische Bahn, welche der ehrenwerthe Hr. Mauguin durchlaufen hat, einzugehen; nur will ich aus seiner Aeußerung eine Folgerung ziehen, die vielleicht für eine entfernte Zukunft nicht beruhigend, aber für das gegenwärtige Interesse von Europa befriedigend ist. Der Redner hat mit Kraft jene zwei großen Mächte geschildert, die von so weiter Ferne her ihre Arme ausstrecken, um sich zu fassen, und einander zu erdrücken. Er ist in eine Menge Details eingegangen, die für die Geschichte merkwürdig, für die gegenwärtige Politik und für den Gegenstoß, den sie auf Europa ausüben können, belehrend sind. Was geht aber daraus hervor, meine Herren? Daß man keine Furcht zu haben braucht vor einer Allianz zweier Staaten, die auf so vielen Punkten sich berühren und in Rivalität mit einander gerathen, daß man den Widerstreit der Interessen zuletzt als einen unversöhnlichen betrachten muß. Es liegen in den menschlichen Dingen gewisse Nothwendigkeiten des Instincts und der Ehre, unübersteigliche Divergenzen, die uns beruhigen können, selbst wenn wir den Berechnungen des größten und schmiegsamsten Ehrgeizes gegenüber stehen. Ein englischer Staatsmann, dessen Worte in seinem Lande unvergessen sind, hat den Ausspruch gethan: „Wer das baltische Meer und Konstantinopel besitzt, wird Herr der Welt seyn.“ Meine Herren, England will so wenig, wie wir, daß Jemand Gebieter der Welt sey.“ (Sensation und lange Bewegung in der Versammlung.) Der Temps gibt als gewiß an, daß der Cardinal Latour d'Auvergne das Erzbisthum von Paris abgelehnt und erklärt habe, er sey fest entschlossen, die Diöcese Arras und die ihm anvertraute Heerde nicht zu verlassen, da er zu lange inmitten derselben gelebt habe, um nicht zu wünschen, auch in ihr zu sterben. Die Akademie der Inscriptionen und schönen Wissenschaften hat am 11 Januar an die Stelle des Herzogs von Blacas den Marquis von Villeneuve-Trans zu ihrem Mitglied ernannt. Bei dem ersten Scrutin hatte dieser 18, Hr. Biot 15, Hr. v. Caumont 5 und Hr. Jollois 2, bei dem zweiten Scrutin Hr. v. Villeneuve-Trans 21, Hr. Biot 17, Hr. v. Calmon 1 Stimme unter 40 Votanten erhalten. (Commerce.) Hr. v. Rumigny ist am 11 Jan. mit mehreren Officieren des Generalstabs nach Toulon abgereist, nachdem

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 18. Augsburg, 18. Januar 1840, S. 0139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_018_18400118/3>, abgerufen am 29.04.2024.