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Allgemeine Zeitung. Nr. 24. Augsburg, 24. Januar 1840.

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haben. Er hat sonach vergessen, daß in dem Kampfe, worin Napoleon unterlegen ist, die Ungerechtigkeit, die Unredlichkeit, die Verbrechen aller Art, selbst der bezahlte Mord, zu den gewohnten Mitteln Englands gehörten, und daß jener denkwürdige Kampf der Kampf der Rechtlichkeit und des Genie's gegen die Perfidie und das Geld gewesen ist. Daß man diese Erinnerungen nicht aufweckt, begreifen wir; daß aber in einer französischen Kammer ein französischer Redner auftritt, der Geschichte widerspricht, Frankreich das Unrecht eines Angriffs aufbürdet, wo wir Alles, nur nicht die Gerechtigkeit, gegen uns hatten, dieß begreifen wir nicht. Dabei ist aber Hr. Thiers nicht stehen geblieben. Nachdem er die Vergangenheit entstellt, will er uns Illusionen für die Gegenwart geben. Seiner Ansicht nach wäre England über die Tractate von 1815 enttäuscht; es wäre bereit, sie aus Freundschaft für uns wieder umzuarbeiten; es würde zugeben, daß sich die Continentalmacht Frankreichs vergrößerte. An welchen Symptomen hat Hr. Thiers diese Geneigtheit erkannt? Etwa an der uneigennützigen Politik, worin England unsere Regierung in den letzten zehn Jahren fest gehalten hat? Etwa an seinen Intriguen, um sich ausschließlich des Handelsmonopols in Spanien zu bemächtigen? Etwa an den beständigen Protestationen seiner halbamtlichen Journale gegen den Ehrgeiz Frankreichs? Etwa in der von ihm beständig an den Tag gelegten Opposition gegen jede Vereinigung Belgiens und des Rheinufers mit unsern Gränzen? Etwa in der im vorigen Jahre zu Stande gebrachten Zerstückelung des Königreichs Leopolds, in dem Deutschland gegen uns gegebenen Luxemburg? Endlich etwa in der von Hrn. Thiers selbst der englischen Diplomatie zugeschriebenen Aeußerung: es liegt wenig daran, ob die Belgier geopfert werden? Nein, England wünscht keine Revision der Tractate von 1815, und unsre Allianz mit ihm auf solche Hoffnungen stützen, heißt das Land durch Chimären irre führen. Während Hr. Thiers Frankreich in dem Kriege von 1792 Unrecht gibt, schiebt er auch dem Manne, welcher das französische Interesse im Orient repräsentirt, dem Pascha von Aegypten, alles Unrecht der gegenwärtigen Lage zu. Nach Hrn. Thiers ist England gegen Mehemed Ali aufgebracht, weil er den Weltfrieden gestört habe. Hier hat wiederum Hr. Thiers allgemein bekannte Thatsachen vergessen. Nicht der Pascha, sondern die Intriguen Englands sind es, welche diesen Frieden gestört haben. England ist es, das die Leidenschaften Mahmuds angeblasen, ihm die Officiere für seine Heere, die Lehrer und die Matrosen zur Organisirung seiner Flotte geliefert. England ist es, das den Oberbefehlshaber des Sultans auf das Schlachtfeld von Nisib hingedrängt hat. England ist es, das nach der Niederlage den Muth Mahmuds wieder aufzurichten suchte, das ihm neuerdings Waffen und Officiere anbot und ihm vorstellte, daß sich eine verlorne Schlacht ja wieder gutmachen lasse. Diese historischen Wahrheiten sind in der Frage von Bedeutung, denn man wird ohne Zweifel nicht annehmen, daß Lord Ponsonby einen solchen Brand angefacht habe, um den Russen Anlaß zu geben, ihre Fahnen wieder an den Gestaden des Bosporus wehen zu lassen. Nur ein großes Interesse konnte es zu dem Entschlusse bringen, eine solche Gefahr zu laufen, und dieses große Interesse war die Zerstörung der Macht Mehemeds, um durch Aegypten in den Besitz der neuen Straße nach Ostindien zu kommen. Wie konnte hiernach Hr. Thiers sagen, England sey nicht der Feind Mehemed Ali's, und strebe nicht nach der Eroberung Aegyptens? Wenn er es glaubt, so hüte man sich wohl, ihm das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten zu geben, denn dann ist er der unschuldigste der Dupes, die jemals Lord Palmerston gemacht hat. Wenn er es nicht glaubt ... doch wir nehmen an, daß er es glaubt. Inzwischen gehört die Frage zu den allerbedeutsamsten, und die öffentliche Meinung darf sich nicht leichtsinnig der Aufrichtigkeit des Hrn. Thiers überlassen. Die Frage berührt den reichsten Verkehr der Welt, und es handelt sich davon, wem er zufallen soll, Frankreich oder England. Die bewundernswürdige Rede des Hrn. Mauguin hat uns gezeigt, wie in Folge der Bemühungen und der Fortschritte der Russen der Handel Asiens eine andere Richtung nehmen, und über das schwarze Meer und die Donau gehen müßte, wenn man nicht eine kürzere Straße, als die um das Cap der guten Hoffnung schaffen würde. Diese Straße ist gefunden, es ist die über den Isthmus von Suez, der wohlfeilste und der geradeste Weg zwischen Europa und Indien. Aegypten ist zum Entrepot dieses unermeßlichen Handels bestimmt. Dieß ist schon ein hinreichender Grund, daß sich England um jeden Preis Alexandria's und Kairo's bemächtigen will. Dieser Grund ist aber nicht der einzige. Auf der andern Seite des ägyptischen Gestades erhebt sich eine Nation, blüht ein Hafen, die von Natur durch ihre geographische Lage bestimmt sind, als Vermittler der Berührungen Europa's mit dem unabhängigen Aegypten zu dienen. Diese Nation ist Frankreich, dieser Hafen ist Marseille. Versteht man nun, warum Aegypten englisch seyn soll? Man muß den indischen Handel aus der logischen Bahn, die ihn uns zudrängt, heraustreiben, und ihm Einhalt thun; Aegypten muß englisch und das Entrepot für Indien werden, wie Malta es für Aegypten ist, denn London ist die Metropole Malta's. Wenn wir sonach die englische Allianz nur um den Preis erhalten könnten, den Hr. Thiers darauf zu setzen scheint, so würden wir seine erklärten Gegner werden. Müßten wir uns zu Werkzeugen der Politik Englands machen, bestände unsre Rolle nur darin, die Bemühung des ganzen Continents aufzuhalten, während England an der Spitze seiner Kriegsschiffe ohne Hinderniß siegen, und sich des Meers bemächtigen würde, verzichtete man auf allen Ehrgeiz, eine furchtbare, imposante Seemacht zu besitzen, müßte man unsrer besten Freundin allen Gewinn und alle Gedanken an entfernte Niederlassungen, an gedeihende Colonien überlassen, so würden wir Frankreich nicht mehr als die verbündete Macht, sondern als die Vasallin Englands ansehen." - Das Charivari enthält spottende Artikel gegen Hrn. Thiers, unter andern in Form eines Schreibens Lord Granville's an Lord Thiers, worin ihm jener zu seiner herrlicher englischen Rede Glück wünscht, und sich als berechtigt erklärt, ihn als Landsmann, als einen wahren Sohn Albions zu begrüßen. In seinem Carillon sagt dieses Journal: "Wenn die Rede des Hrn. Thiers in England ankommt, braucht sie nicht übersetzt zu werden. Sie ist reines Englisch."

Obiger Artikel des Commerce bedarf keines Commentars, wenn es auch einige Verwunderung erregt, die Anklagen gegen Thiers von denselben Seiten ausgehen zu sehen, die ihn noch kürzlich als den würdigsten Geschichtschreiber des Kaiserreichs bezeichnet hatten. Im Uebrigen verweisen wir auf Thiers' Geschichte der Revolution, in welcher er einen zu hohen Standpunkt einnahm, als daß er die Verblendung begehen könnte, in dem Kampf, der Frankreich und die Welt theilte, auf der einen Seite nur Perfidie und Gemeinheit, auf der andern nur Redlichkeit und Genie zu erblicken. Was Deutschland in diesem Streit der Tribune und der Presse näher berührt, ist die, um mit der Sprache des National zu reden, cynische Offenheit, mit der über Belgien und Deutschland das Loos geworfen wird. Die Brüsseler Blätter äußern sich indignirt über diese uneigennützige Freundschaft, und in den deutschen Journalen würde dieselbe Gesinnung vom Rhein bis zur Ostsee widerhallen,


haben. Er hat sonach vergessen, daß in dem Kampfe, worin Napoleon unterlegen ist, die Ungerechtigkeit, die Unredlichkeit, die Verbrechen aller Art, selbst der bezahlte Mord, zu den gewohnten Mitteln Englands gehörten, und daß jener denkwürdige Kampf der Kampf der Rechtlichkeit und des Genie's gegen die Perfidie und das Geld gewesen ist. Daß man diese Erinnerungen nicht aufweckt, begreifen wir; daß aber in einer französischen Kammer ein französischer Redner auftritt, der Geschichte widerspricht, Frankreich das Unrecht eines Angriffs aufbürdet, wo wir Alles, nur nicht die Gerechtigkeit, gegen uns hatten, dieß begreifen wir nicht. Dabei ist aber Hr. Thiers nicht stehen geblieben. Nachdem er die Vergangenheit entstellt, will er uns Illusionen für die Gegenwart geben. Seiner Ansicht nach wäre England über die Tractate von 1815 enttäuscht; es wäre bereit, sie aus Freundschaft für uns wieder umzuarbeiten; es würde zugeben, daß sich die Continentalmacht Frankreichs vergrößerte. An welchen Symptomen hat Hr. Thiers diese Geneigtheit erkannt? Etwa an der uneigennützigen Politik, worin England unsere Regierung in den letzten zehn Jahren fest gehalten hat? Etwa an seinen Intriguen, um sich ausschließlich des Handelsmonopols in Spanien zu bemächtigen? Etwa an den beständigen Protestationen seiner halbamtlichen Journale gegen den Ehrgeiz Frankreichs? Etwa in der von ihm beständig an den Tag gelegten Opposition gegen jede Vereinigung Belgiens und des Rheinufers mit unsern Gränzen? Etwa in der im vorigen Jahre zu Stande gebrachten Zerstückelung des Königreichs Leopolds, in dem Deutschland gegen uns gegebenen Luxemburg? Endlich etwa in der von Hrn. Thiers selbst der englischen Diplomatie zugeschriebenen Aeußerung: es liegt wenig daran, ob die Belgier geopfert werden? Nein, England wünscht keine Revision der Tractate von 1815, und unsre Allianz mit ihm auf solche Hoffnungen stützen, heißt das Land durch Chimären irre führen. Während Hr. Thiers Frankreich in dem Kriege von 1792 Unrecht gibt, schiebt er auch dem Manne, welcher das französische Interesse im Orient repräsentirt, dem Pascha von Aegypten, alles Unrecht der gegenwärtigen Lage zu. Nach Hrn. Thiers ist England gegen Mehemed Ali aufgebracht, weil er den Weltfrieden gestört habe. Hier hat wiederum Hr. Thiers allgemein bekannte Thatsachen vergessen. Nicht der Pascha, sondern die Intriguen Englands sind es, welche diesen Frieden gestört haben. England ist es, das die Leidenschaften Mahmuds angeblasen, ihm die Officiere für seine Heere, die Lehrer und die Matrosen zur Organisirung seiner Flotte geliefert. England ist es, das den Oberbefehlshaber des Sultans auf das Schlachtfeld von Nisib hingedrängt hat. England ist es, das nach der Niederlage den Muth Mahmuds wieder aufzurichten suchte, das ihm neuerdings Waffen und Officiere anbot und ihm vorstellte, daß sich eine verlorne Schlacht ja wieder gutmachen lasse. Diese historischen Wahrheiten sind in der Frage von Bedeutung, denn man wird ohne Zweifel nicht annehmen, daß Lord Ponsonby einen solchen Brand angefacht habe, um den Russen Anlaß zu geben, ihre Fahnen wieder an den Gestaden des Bosporus wehen zu lassen. Nur ein großes Interesse konnte es zu dem Entschlusse bringen, eine solche Gefahr zu laufen, und dieses große Interesse war die Zerstörung der Macht Mehemeds, um durch Aegypten in den Besitz der neuen Straße nach Ostindien zu kommen. Wie konnte hiernach Hr. Thiers sagen, England sey nicht der Feind Mehemed Ali's, und strebe nicht nach der Eroberung Aegyptens? Wenn er es glaubt, so hüte man sich wohl, ihm das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten zu geben, denn dann ist er der unschuldigste der Dupes, die jemals Lord Palmerston gemacht hat. Wenn er es nicht glaubt ... doch wir nehmen an, daß er es glaubt. Inzwischen gehört die Frage zu den allerbedeutsamsten, und die öffentliche Meinung darf sich nicht leichtsinnig der Aufrichtigkeit des Hrn. Thiers überlassen. Die Frage berührt den reichsten Verkehr der Welt, und es handelt sich davon, wem er zufallen soll, Frankreich oder England. Die bewundernswürdige Rede des Hrn. Mauguin hat uns gezeigt, wie in Folge der Bemühungen und der Fortschritte der Russen der Handel Asiens eine andere Richtung nehmen, und über das schwarze Meer und die Donau gehen müßte, wenn man nicht eine kürzere Straße, als die um das Cap der guten Hoffnung schaffen würde. Diese Straße ist gefunden, es ist die über den Isthmus von Suez, der wohlfeilste und der geradeste Weg zwischen Europa und Indien. Aegypten ist zum Entrepot dieses unermeßlichen Handels bestimmt. Dieß ist schon ein hinreichender Grund, daß sich England um jeden Preis Alexandria's und Kairo's bemächtigen will. Dieser Grund ist aber nicht der einzige. Auf der andern Seite des ägyptischen Gestades erhebt sich eine Nation, blüht ein Hafen, die von Natur durch ihre geographische Lage bestimmt sind, als Vermittler der Berührungen Europa's mit dem unabhängigen Aegypten zu dienen. Diese Nation ist Frankreich, dieser Hafen ist Marseille. Versteht man nun, warum Aegypten englisch seyn soll? Man muß den indischen Handel aus der logischen Bahn, die ihn uns zudrängt, heraustreiben, und ihm Einhalt thun; Aegypten muß englisch und das Entrepot für Indien werden, wie Malta es für Aegypten ist, denn London ist die Metropole Malta's. Wenn wir sonach die englische Allianz nur um den Preis erhalten könnten, den Hr. Thiers darauf zu setzen scheint, so würden wir seine erklärten Gegner werden. Müßten wir uns zu Werkzeugen der Politik Englands machen, bestände unsre Rolle nur darin, die Bemühung des ganzen Continents aufzuhalten, während England an der Spitze seiner Kriegsschiffe ohne Hinderniß siegen, und sich des Meers bemächtigen würde, verzichtete man auf allen Ehrgeiz, eine furchtbare, imposante Seemacht zu besitzen, müßte man unsrer besten Freundin allen Gewinn und alle Gedanken an entfernte Niederlassungen, an gedeihende Colonien überlassen, so würden wir Frankreich nicht mehr als die verbündete Macht, sondern als die Vasallin Englands ansehen.“ – Das Charivari enthält spottende Artikel gegen Hrn. Thiers, unter andern in Form eines Schreibens Lord Granville's an Lord Thiers, worin ihm jener zu seiner herrlicher englischen Rede Glück wünscht, und sich als berechtigt erklärt, ihn als Landsmann, als einen wahren Sohn Albions zu begrüßen. In seinem Carillon sagt dieses Journal: „Wenn die Rede des Hrn. Thiers in England ankommt, braucht sie nicht übersetzt zu werden. Sie ist reines Englisch.“

Obiger Artikel des Commerce bedarf keines Commentars, wenn es auch einige Verwunderung erregt, die Anklagen gegen Thiers von denselben Seiten ausgehen zu sehen, die ihn noch kürzlich als den würdigsten Geschichtschreiber des Kaiserreichs bezeichnet hatten. Im Uebrigen verweisen wir auf Thiers' Geschichte der Revolution, in welcher er einen zu hohen Standpunkt einnahm, als daß er die Verblendung begehen könnte, in dem Kampf, der Frankreich und die Welt theilte, auf der einen Seite nur Perfidie und Gemeinheit, auf der andern nur Redlichkeit und Genie zu erblicken. Was Deutschland in diesem Streit der Tribune und der Presse näher berührt, ist die, um mit der Sprache des National zu reden, cynische Offenheit, mit der über Belgien und Deutschland das Loos geworfen wird. Die Brüsseler Blätter äußern sich indignirt über diese uneigennützige Freundschaft, und in den deutschen Journalen würde dieselbe Gesinnung vom Rhein bis zur Ostsee widerhallen,

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haben. Er hat sonach vergessen, daß in dem Kampfe, worin Napoleon unterlegen ist, die Ungerechtigkeit, die Unredlichkeit, die Verbrechen aller Art, selbst der bezahlte Mord, zu den gewohnten Mitteln Englands gehörten, und daß jener denkwürdige Kampf der Kampf der Rechtlichkeit und des Genie's gegen die Perfidie und das Geld gewesen ist. Daß man diese Erinnerungen nicht aufweckt, begreifen wir; daß aber in einer französischen Kammer ein französischer Redner auftritt, der Geschichte widerspricht, Frankreich das Unrecht eines Angriffs aufbürdet, wo wir Alles, nur nicht die Gerechtigkeit, gegen uns hatten, dieß begreifen wir nicht. Dabei ist aber Hr. Thiers nicht stehen geblieben. Nachdem er die Vergangenheit entstellt, will er uns Illusionen für die Gegenwart geben. Seiner Ansicht nach wäre England über die Tractate von 1815 enttäuscht; es wäre bereit, sie aus Freundschaft für uns wieder umzuarbeiten; es würde zugeben, daß sich die Continentalmacht Frankreichs vergrößerte. An welchen Symptomen hat Hr. Thiers diese Geneigtheit erkannt? Etwa an der uneigennützigen Politik, worin England unsere Regierung in den letzten zehn Jahren fest gehalten hat? Etwa an seinen Intriguen, um sich ausschließlich des Handelsmonopols in Spanien zu bemächtigen? Etwa an den beständigen Protestationen seiner halbamtlichen Journale gegen den Ehrgeiz Frankreichs? Etwa in der von ihm beständig an den Tag gelegten Opposition gegen jede Vereinigung Belgiens und des Rheinufers mit unsern Gränzen? Etwa in der im vorigen Jahre zu Stande gebrachten Zerstückelung des Königreichs Leopolds, in dem Deutschland gegen uns gegebenen Luxemburg? Endlich etwa in der von Hrn. Thiers selbst der englischen Diplomatie zugeschriebenen Aeußerung: es liegt wenig daran, ob die Belgier geopfert werden? Nein, England wünscht keine Revision der Tractate von 1815, und unsre Allianz mit ihm auf solche Hoffnungen stützen, heißt das Land durch Chimären irre führen. Während Hr. Thiers Frankreich in dem Kriege von 1792 Unrecht gibt, schiebt er auch dem Manne, welcher das französische Interesse im Orient repräsentirt, dem Pascha von Aegypten, alles Unrecht der gegenwärtigen Lage zu. Nach Hrn. Thiers ist England gegen Mehemed Ali aufgebracht, weil er den Weltfrieden gestört habe. Hier hat wiederum Hr. Thiers allgemein bekannte Thatsachen vergessen. Nicht der Pascha, sondern die Intriguen Englands sind es, welche diesen Frieden gestört haben. England ist es, das die Leidenschaften Mahmuds angeblasen, ihm die Officiere für seine Heere, die Lehrer und die Matrosen zur Organisirung seiner Flotte geliefert. England ist es, das den Oberbefehlshaber des Sultans auf das Schlachtfeld von Nisib hingedrängt hat. England ist es, das nach der Niederlage den Muth Mahmuds wieder aufzurichten suchte, das ihm neuerdings Waffen und Officiere anbot und ihm vorstellte, daß sich eine verlorne Schlacht ja wieder gutmachen lasse. Diese historischen Wahrheiten sind in der Frage von Bedeutung, denn man wird ohne Zweifel nicht annehmen, daß Lord Ponsonby einen solchen Brand angefacht habe, um den Russen Anlaß zu geben, ihre Fahnen wieder an den Gestaden des Bosporus wehen zu lassen. Nur ein großes Interesse konnte es zu dem Entschlusse bringen, eine solche Gefahr zu laufen, und dieses große Interesse war die Zerstörung der Macht Mehemeds, um durch Aegypten in den Besitz der neuen Straße nach Ostindien zu kommen. Wie konnte hiernach Hr. Thiers sagen, England sey nicht der Feind Mehemed Ali's, und strebe nicht nach der Eroberung Aegyptens? Wenn er es glaubt, so hüte man sich wohl, ihm das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten zu geben, denn dann ist er der unschuldigste der Dupes, die jemals Lord Palmerston gemacht hat. Wenn er es nicht glaubt ... doch wir nehmen an, daß er es glaubt. Inzwischen gehört die Frage zu den allerbedeutsamsten, und die öffentliche Meinung darf sich nicht leichtsinnig der Aufrichtigkeit des Hrn. Thiers überlassen. Die Frage berührt den reichsten Verkehr der Welt, und es handelt sich davon, wem er zufallen soll, Frankreich oder England. Die bewundernswürdige Rede des Hrn. Mauguin hat uns gezeigt, wie in Folge der Bemühungen und der Fortschritte der Russen der Handel Asiens eine andere Richtung nehmen, und über das schwarze Meer und die Donau gehen müßte, wenn man nicht eine kürzere Straße, als die um das Cap der guten Hoffnung schaffen würde. Diese Straße ist gefunden, es ist die über den Isthmus von Suez, der wohlfeilste und der geradeste Weg zwischen Europa und Indien. Aegypten ist zum Entrepot dieses unermeßlichen Handels bestimmt. Dieß ist schon ein hinreichender Grund, daß sich England um jeden Preis Alexandria's und Kairo's bemächtigen will. Dieser Grund ist aber nicht der einzige. Auf der andern Seite des ägyptischen Gestades erhebt sich eine Nation, blüht ein Hafen, die von Natur durch ihre geographische Lage bestimmt sind, als Vermittler der Berührungen Europa's mit dem unabhängigen Aegypten zu dienen. Diese Nation ist Frankreich, dieser Hafen ist Marseille. Versteht man nun, warum Aegypten englisch seyn soll? Man muß den indischen Handel aus der logischen Bahn, die ihn uns zudrängt, heraustreiben, und ihm Einhalt thun; Aegypten muß englisch und das Entrepot für Indien werden, wie Malta es für Aegypten ist, denn London ist die Metropole Malta's. Wenn wir sonach die englische Allianz nur um den Preis erhalten könnten, den Hr. Thiers darauf zu setzen scheint, so würden wir seine erklärten Gegner werden. Müßten wir uns zu Werkzeugen der Politik Englands machen, bestände unsre Rolle nur darin, die Bemühung des ganzen Continents aufzuhalten, während England an der Spitze seiner Kriegsschiffe ohne Hinderniß siegen, und sich des Meers bemächtigen würde, verzichtete man auf allen Ehrgeiz, eine furchtbare, imposante Seemacht zu besitzen, müßte man unsrer <hi rendition="#g">besten Freundin</hi> allen Gewinn und alle Gedanken an entfernte Niederlassungen, an gedeihende Colonien überlassen, so würden wir Frankreich nicht mehr als die verbündete Macht, sondern als die Vasallin Englands ansehen.&#x201C; &#x2013; Das <hi rendition="#g">Charivari</hi> enthält spottende Artikel gegen Hrn. Thiers, unter andern in Form eines Schreibens Lord Granville's an Lord Thiers, worin ihm jener zu seiner herrlicher <hi rendition="#g">englischen</hi> Rede Glück wünscht, und sich als berechtigt erklärt, ihn als Landsmann, als einen wahren Sohn Albions zu begrüßen. 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[0188/0004] haben. Er hat sonach vergessen, daß in dem Kampfe, worin Napoleon unterlegen ist, die Ungerechtigkeit, die Unredlichkeit, die Verbrechen aller Art, selbst der bezahlte Mord, zu den gewohnten Mitteln Englands gehörten, und daß jener denkwürdige Kampf der Kampf der Rechtlichkeit und des Genie's gegen die Perfidie und das Geld gewesen ist. Daß man diese Erinnerungen nicht aufweckt, begreifen wir; daß aber in einer französischen Kammer ein französischer Redner auftritt, der Geschichte widerspricht, Frankreich das Unrecht eines Angriffs aufbürdet, wo wir Alles, nur nicht die Gerechtigkeit, gegen uns hatten, dieß begreifen wir nicht. Dabei ist aber Hr. Thiers nicht stehen geblieben. Nachdem er die Vergangenheit entstellt, will er uns Illusionen für die Gegenwart geben. Seiner Ansicht nach wäre England über die Tractate von 1815 enttäuscht; es wäre bereit, sie aus Freundschaft für uns wieder umzuarbeiten; es würde zugeben, daß sich die Continentalmacht Frankreichs vergrößerte. An welchen Symptomen hat Hr. Thiers diese Geneigtheit erkannt? Etwa an der uneigennützigen Politik, worin England unsere Regierung in den letzten zehn Jahren fest gehalten hat? Etwa an seinen Intriguen, um sich ausschließlich des Handelsmonopols in Spanien zu bemächtigen? Etwa an den beständigen Protestationen seiner halbamtlichen Journale gegen den Ehrgeiz Frankreichs? Etwa in der von ihm beständig an den Tag gelegten Opposition gegen jede Vereinigung Belgiens und des Rheinufers mit unsern Gränzen? Etwa in der im vorigen Jahre zu Stande gebrachten Zerstückelung des Königreichs Leopolds, in dem Deutschland gegen uns gegebenen Luxemburg? Endlich etwa in der von Hrn. Thiers selbst der englischen Diplomatie zugeschriebenen Aeußerung: es liegt wenig daran, ob die Belgier geopfert werden? Nein, England wünscht keine Revision der Tractate von 1815, und unsre Allianz mit ihm auf solche Hoffnungen stützen, heißt das Land durch Chimären irre führen. Während Hr. Thiers Frankreich in dem Kriege von 1792 Unrecht gibt, schiebt er auch dem Manne, welcher das französische Interesse im Orient repräsentirt, dem Pascha von Aegypten, alles Unrecht der gegenwärtigen Lage zu. Nach Hrn. Thiers ist England gegen Mehemed Ali aufgebracht, weil er den Weltfrieden gestört habe. Hier hat wiederum Hr. Thiers allgemein bekannte Thatsachen vergessen. Nicht der Pascha, sondern die Intriguen Englands sind es, welche diesen Frieden gestört haben. England ist es, das die Leidenschaften Mahmuds angeblasen, ihm die Officiere für seine Heere, die Lehrer und die Matrosen zur Organisirung seiner Flotte geliefert. England ist es, das den Oberbefehlshaber des Sultans auf das Schlachtfeld von Nisib hingedrängt hat. England ist es, das nach der Niederlage den Muth Mahmuds wieder aufzurichten suchte, das ihm neuerdings Waffen und Officiere anbot und ihm vorstellte, daß sich eine verlorne Schlacht ja wieder gutmachen lasse. Diese historischen Wahrheiten sind in der Frage von Bedeutung, denn man wird ohne Zweifel nicht annehmen, daß Lord Ponsonby einen solchen Brand angefacht habe, um den Russen Anlaß zu geben, ihre Fahnen wieder an den Gestaden des Bosporus wehen zu lassen. Nur ein großes Interesse konnte es zu dem Entschlusse bringen, eine solche Gefahr zu laufen, und dieses große Interesse war die Zerstörung der Macht Mehemeds, um durch Aegypten in den Besitz der neuen Straße nach Ostindien zu kommen. Wie konnte hiernach Hr. Thiers sagen, England sey nicht der Feind Mehemed Ali's, und strebe nicht nach der Eroberung Aegyptens? Wenn er es glaubt, so hüte man sich wohl, ihm das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten zu geben, denn dann ist er der unschuldigste der Dupes, die jemals Lord Palmerston gemacht hat. Wenn er es nicht glaubt ... doch wir nehmen an, daß er es glaubt. Inzwischen gehört die Frage zu den allerbedeutsamsten, und die öffentliche Meinung darf sich nicht leichtsinnig der Aufrichtigkeit des Hrn. Thiers überlassen. Die Frage berührt den reichsten Verkehr der Welt, und es handelt sich davon, wem er zufallen soll, Frankreich oder England. Die bewundernswürdige Rede des Hrn. Mauguin hat uns gezeigt, wie in Folge der Bemühungen und der Fortschritte der Russen der Handel Asiens eine andere Richtung nehmen, und über das schwarze Meer und die Donau gehen müßte, wenn man nicht eine kürzere Straße, als die um das Cap der guten Hoffnung schaffen würde. Diese Straße ist gefunden, es ist die über den Isthmus von Suez, der wohlfeilste und der geradeste Weg zwischen Europa und Indien. Aegypten ist zum Entrepot dieses unermeßlichen Handels bestimmt. Dieß ist schon ein hinreichender Grund, daß sich England um jeden Preis Alexandria's und Kairo's bemächtigen will. Dieser Grund ist aber nicht der einzige. Auf der andern Seite des ägyptischen Gestades erhebt sich eine Nation, blüht ein Hafen, die von Natur durch ihre geographische Lage bestimmt sind, als Vermittler der Berührungen Europa's mit dem unabhängigen Aegypten zu dienen. Diese Nation ist Frankreich, dieser Hafen ist Marseille. Versteht man nun, warum Aegypten englisch seyn soll? Man muß den indischen Handel aus der logischen Bahn, die ihn uns zudrängt, heraustreiben, und ihm Einhalt thun; Aegypten muß englisch und das Entrepot für Indien werden, wie Malta es für Aegypten ist, denn London ist die Metropole Malta's. Wenn wir sonach die englische Allianz nur um den Preis erhalten könnten, den Hr. Thiers darauf zu setzen scheint, so würden wir seine erklärten Gegner werden. Müßten wir uns zu Werkzeugen der Politik Englands machen, bestände unsre Rolle nur darin, die Bemühung des ganzen Continents aufzuhalten, während England an der Spitze seiner Kriegsschiffe ohne Hinderniß siegen, und sich des Meers bemächtigen würde, verzichtete man auf allen Ehrgeiz, eine furchtbare, imposante Seemacht zu besitzen, müßte man unsrer besten Freundin allen Gewinn und alle Gedanken an entfernte Niederlassungen, an gedeihende Colonien überlassen, so würden wir Frankreich nicht mehr als die verbündete Macht, sondern als die Vasallin Englands ansehen.“ – Das Charivari enthält spottende Artikel gegen Hrn. Thiers, unter andern in Form eines Schreibens Lord Granville's an Lord Thiers, worin ihm jener zu seiner herrlicher englischen Rede Glück wünscht, und sich als berechtigt erklärt, ihn als Landsmann, als einen wahren Sohn Albions zu begrüßen. In seinem Carillon sagt dieses Journal: „Wenn die Rede des Hrn. Thiers in England ankommt, braucht sie nicht übersetzt zu werden. Sie ist reines Englisch.“ Obiger Artikel des Commerce bedarf keines Commentars, wenn es auch einige Verwunderung erregt, die Anklagen gegen Thiers von denselben Seiten ausgehen zu sehen, die ihn noch kürzlich als den würdigsten Geschichtschreiber des Kaiserreichs bezeichnet hatten. Im Uebrigen verweisen wir auf Thiers' Geschichte der Revolution, in welcher er einen zu hohen Standpunkt einnahm, als daß er die Verblendung begehen könnte, in dem Kampf, der Frankreich und die Welt theilte, auf der einen Seite nur Perfidie und Gemeinheit, auf der andern nur Redlichkeit und Genie zu erblicken. Was Deutschland in diesem Streit der Tribune und der Presse näher berührt, ist die, um mit der Sprache des National zu reden, cynische Offenheit, mit der über Belgien und Deutschland das Loos geworfen wird. Die Brüsseler Blätter äußern sich indignirt über diese uneigennützige Freundschaft, und in den deutschen Journalen würde dieselbe Gesinnung vom Rhein bis zur Ostsee widerhallen,

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 24. Augsburg, 24. Januar 1840, S. 0188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_024_18400124/4>, abgerufen am 27.04.2024.