Allgemeine Zeitung. Nr. 24. Augsburg, 24. Januar 1840.
Am naivsten drückt sich über die Rheingränze die Gazette de France aus; sie meint, man brauchte bloß Hrn. v. Chateaubriand zu berufen: "Bekanntlich hat der Herzog von Noailles in seiner merkwürdigen Rede das Zeugniß des Vicomte v. Chateaubriand angerufen, ein Zeugniß, das in seinem "Congreß von Verona" aufgezeichnet ist, um daran zu erinnern, daß sich die Restauration damit beschäftigte, die Revision der Tractate von 1815, und dadurch die Rheingränze zu erhalten. Man erzählt, ein Deputirter der Linken, der jener Sitzung auf einer Galerie beiwohnte, hätte sich umgedreht und zu einem seiner Nachbarn gesagt: "Hätten wir dieß gewußt, so hätte es keine Revolution gegeben." Wir für unsern Theil müssen nun sagen, daß wenn man die Rheingränze will, es noch Zeit dazu ist, sie zu erhalten. Hr. v. Chateaubriand ist noch immer da, und hat sein System in Betreff der auswärtigen Politik ebenso wenig, wie seine Grundsätze geändert." - Mit insolenterer Drohung ließ sich das Capitol schon seit Wochen fast Tag für Tag vernehmen. Hr. Charles Durand, der in Frankfurt bekanntlich sehr cajolirt worden war, und der in dem Journal de Francfort die Franzosen täglich wegen ihrer Ansprüche nach außen lächerlich gemacht hatte, rief ihnen, so wie er nach Paris zurückgekehrt war, zu: "Frankreich hat sich die Verträge von 1815 aufbürden lassen; es mußte sich wohl dazu hergeben, denn es war besiegt und die stärkere Macht gebot. Die Verträge von 1815 haben Frankreich, Europa gegenüber, in eine Lage versetzt, von der es sich selbst keinen rechten Begriff macht. Ja, Franzosen aller Meinungen, ihr kennt nicht das Ausland, wie wir es kennen, die wir es gesehen und gehört haben, die wir euch unsere Beobachtungen als eine patriotische Huldigung zum Besten geben. Unsere Regierung macht den Höfling der fremden Cabinette; ihre unterwürfige Folgsamkeit scheint ihre Schwäche zu verrathen. So sehr läßt sie sich beherrschen von dem Streben, nicht zu provociren, daß man dahin gekommen ist, sie für unmächtig zu halten. Frankreichs Mannheit (virilite) hat Europa erschreckt; um Europa zu beruhigen, hat man Frankreich entmannt. Wir sagen es laut: der Tag ist gekommen, an welchem uns Recht werden muß; das letzte unserer schmachvollen Jahre läuft zu Ende; der Augenblick ist günstig, den Mächten zu erklären, daß Frankreich, wieder so reich, so stark, so kraftvoll geworden, als es jemals war, auch seinen Rang unter den Nationen von neuem einnehmen will. Es ist sonnenklar, daß es nur wollen darf." ... Die Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung antwortete schon neulich darauf: "Das Capitol scheint nicht zu wissen, daß man 1815 in Deutschland weit mehr von Frankreich verlangte, als die Verträge stipulirt haben, welche es für so ungerecht hart und darum für zerrissen zu werden vorbestimmt erklärt. Nach der Methode des Capitols könnte der deutsche Bund zürnend recriminiren: wir haben euch 1815 weniger abgenommen, als wir wohl gesollt hätten; ihr sprecht von der Rheingränze; mit weit mehr Fug und Recht dürften wir uns nach Elsaß und Lothringen umsehen; nehmt euch ein Beispiel an unserer Mäßigung; sie wird uns noch heute von mehr als einer Seite her vorgeworfen; wir aber glauben, daß die Nationen jetzt Besseres zu thun haben, als Haß zu nähren und veraltete Fehden anzufrischen. - Am 20 Sept. 1815, genau zwei Monate vor dem Abschluß des zweiten Pariser Friedens, beleuchtete Görres den Stand der Verhandlungen. "Es hat den Anschein genommen, als ob der Ausgang nicht so ausfallen werde, wie ihn das deutsche Volk erwarten durfte; Deutschland steht nicht, wie es im Krieg gestanden, recht in der Mitte der Macht, die gegen Frankreich sich erhoben. ... In der That, wie will bei einem so übermüthigen Volke, wie die Franzosen sind, ein Friede bestehen, läßt man abermal (wie 1814) sie in ihrer ganzen Macht ungekränkt und unverkleinert bei einander stehen? 28 Millionen Einwohner (jetzt wohl 32 Mill.) zwischen Alpen und Pyrenäen in stätigem Zusammenhange eingedrängt, von einem und demselben Geist beseelt, von unruhiger (capitolinischer)
Am naivsten drückt sich über die Rheingränze die Gazette de France aus; sie meint, man brauchte bloß Hrn. v. Chateaubriand zu berufen: „Bekanntlich hat der Herzog von Noailles in seiner merkwürdigen Rede das Zeugniß des Vicomte v. Chateaubriand angerufen, ein Zeugniß, das in seinem „Congreß von Verona“ aufgezeichnet ist, um daran zu erinnern, daß sich die Restauration damit beschäftigte, die Revision der Tractate von 1815, und dadurch die Rheingränze zu erhalten. Man erzählt, ein Deputirter der Linken, der jener Sitzung auf einer Galerie beiwohnte, hätte sich umgedreht und zu einem seiner Nachbarn gesagt: „Hätten wir dieß gewußt, so hätte es keine Revolution gegeben.“ Wir für unsern Theil müssen nun sagen, daß wenn man die Rheingränze will, es noch Zeit dazu ist, sie zu erhalten. Hr. v. Chateaubriand ist noch immer da, und hat sein System in Betreff der auswärtigen Politik ebenso wenig, wie seine Grundsätze geändert.“ – Mit insolenterer Drohung ließ sich das Capitol schon seit Wochen fast Tag für Tag vernehmen. Hr. Charles Durand, der in Frankfurt bekanntlich sehr cajolirt worden war, und der in dem Journal de Francfort die Franzosen täglich wegen ihrer Ansprüche nach außen lächerlich gemacht hatte, rief ihnen, so wie er nach Paris zurückgekehrt war, zu: „Frankreich hat sich die Verträge von 1815 aufbürden lassen; es mußte sich wohl dazu hergeben, denn es war besiegt und die stärkere Macht gebot. Die Verträge von 1815 haben Frankreich, Europa gegenüber, in eine Lage versetzt, von der es sich selbst keinen rechten Begriff macht. Ja, Franzosen aller Meinungen, ihr kennt nicht das Ausland, wie wir es kennen, die wir es gesehen und gehört haben, die wir euch unsere Beobachtungen als eine patriotische Huldigung zum Besten geben. Unsere Regierung macht den Höfling der fremden Cabinette; ihre unterwürfige Folgsamkeit scheint ihre Schwäche zu verrathen. So sehr läßt sie sich beherrschen von dem Streben, nicht zu provociren, daß man dahin gekommen ist, sie für unmächtig zu halten. Frankreichs Mannheit (virilité) hat Europa erschreckt; um Europa zu beruhigen, hat man Frankreich entmannt. Wir sagen es laut: der Tag ist gekommen, an welchem uns Recht werden muß; das letzte unserer schmachvollen Jahre läuft zu Ende; der Augenblick ist günstig, den Mächten zu erklären, daß Frankreich, wieder so reich, so stark, so kraftvoll geworden, als es jemals war, auch seinen Rang unter den Nationen von neuem einnehmen will. Es ist sonnenklar, daß es nur wollen darf.“ ... Die Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung antwortete schon neulich darauf: „Das Capitol scheint nicht zu wissen, daß man 1815 in Deutschland weit mehr von Frankreich verlangte, als die Verträge stipulirt haben, welche es für so ungerecht hart und darum für zerrissen zu werden vorbestimmt erklärt. Nach der Methode des Capitols könnte der deutsche Bund zürnend recriminiren: wir haben euch 1815 weniger abgenommen, als wir wohl gesollt hätten; ihr sprecht von der Rheingränze; mit weit mehr Fug und Recht dürften wir uns nach Elsaß und Lothringen umsehen; nehmt euch ein Beispiel an unserer Mäßigung; sie wird uns noch heute von mehr als einer Seite her vorgeworfen; wir aber glauben, daß die Nationen jetzt Besseres zu thun haben, als Haß zu nähren und veraltete Fehden anzufrischen. – Am 20 Sept. 1815, genau zwei Monate vor dem Abschluß des zweiten Pariser Friedens, beleuchtete Görres den Stand der Verhandlungen. „Es hat den Anschein genommen, als ob der Ausgang nicht so ausfallen werde, wie ihn das deutsche Volk erwarten durfte; Deutschland steht nicht, wie es im Krieg gestanden, recht in der Mitte der Macht, die gegen Frankreich sich erhoben. ... In der That, wie will bei einem so übermüthigen Volke, wie die Franzosen sind, ein Friede bestehen, läßt man abermal (wie 1814) sie in ihrer ganzen Macht ungekränkt und unverkleinert bei einander stehen? 28 Millionen Einwohner (jetzt wohl 32 Mill.) zwischen Alpen und Pyrenäen in stätigem Zusammenhange eingedrängt, von einem und demselben Geist beseelt, von unruhiger (capitolinischer) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="0189"/><lb/> wenn nicht das ängstliche Maaß, das an alle gelegt worden, wir möchten sagen, die Gewohnheit, nur fremde Gedanken auszudrücken, in den meisten die Fähigkeit oder die Lust jeder selbstständigen Aeußerung unterdrückt hätte. Doch nicht alle haben geschwiegen. Als der Herzog v. Noailles in der Paiskammer ausrief: „Frankreich müsse, mit Rußland alliirt, seine Vortheile am Rhein suchen, um dort einen Zuwachs zu gewinnen, der seine Armee um 100,000 Mann und seine Staatseinnahmen um 100 Millionen vermehre,“ da mahnten badische Blätter, welch frevelnde Beschimpfung unserer Nationalehre in der Thatsache liege, daß in den Verhandlungen eines gesetzgebenden Körpers in Frankreich die Verstümmelung der deutschen Nation für nothwendige Politik der französischen Regierung erklärt werde. – Kurz nach jenen Worten in der Pairskammer erhob Hr. v. Lamartine in der Deputirtenkammer dieselbe Stimme. „Frankreich hat (so sprach er in der Sitzung vom 11 Jan.) neben seinem Interesse der Erhaltung auch ein Interesse der Ausbreitung (un interèt de développement). Sie Alle kennen letzteres. Es liegt in der Natur, in dem Recht Frankreichs, es liegt mehr noch in seinen ruhmvollen Erinnerungen, es ist eben so legitim, als sein Recht zu existiren; denn eine Nation, welche weder ihren ganzen Raum, noch all' ihre Gränzen, noch all' ihre Einflüsse hat, existirt nicht so vollständig, als ihre Natur, ihre Bestimmung es verlangt. Es ist wohl überflüssig, daß ich bei diesem Gegenstand noch länger verweile; es ist mehr als ein System, es ist eine Volksleidenschaft, ein Vorurtheil der Größe damit verbunden. Sprecht von dem Rhein und den Alpen, und ihr werdet verstanden, bevor ihr ausgesprochen. Der Ruhm war dort, sein Geist ist noch dort, <hi rendition="#g">seine Fahne wird wieder dort sich entfalten</hi>“ – Das <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> glaubt dazu bemerken zu müssen: „Das System der Entschädigung in Europa wäre auf Frankreich nur dann anwendbar, wenn England, Rußland und Oesterreich, denen nach der Meinung des Hrn. v. Lamartine das ottomanische Reich zufiele, an Frankreich gränzten. Dieß ist aber nicht der Fall. England ist gewiß nicht geneigt, uns die Insel Jersey für den Isthmus von Suez abzutreten. Wem könnten wir denn etwas nehmen? Den Mächten, welche bei der Theilung des Orients nichts erhalten haben? Wahrhaftig eine seltsame Ausgleichung! Wir sollen also zu Piemont sagen: Oesterreich hat Bosnien und Albanien erhalten, tritt uns dafür Savoyen ab. Wir sollen zu Preußen sagen: Rußland hat Konstantinopel und Bulgarien erhalten, gib uns dafür die Provinz Niederrhein; zu Bayern und Belgien: England hat Aegypten und Cypern bekommen, gebt uns dafür Landau und Speyer, und ihr Belgier tretet uns euer ganzes Königreich ab, dessen Erhaltung Europa eben erst feierlich garantirt hat. Dergleichen Tauschhandel läßt sich nicht wohl vorschlagen. Ueberdieß ist zu bemerken, daß wir Rußland, England und Oesterreich Besitzungen abtreten würden, welche so zu sagen vacant und leicht zu occupiren sind, während man uns dagegen Besitzungen überließe, die wir erst erobern müßten. Bei dieser Theilung also würde Rußland den Bosporus, Oesterreich das türkische Küstenland am adriatischen Meere, England Aegypten erhalten – und was hätten wir? Einen Krieg mit unsern Nachbarn, um ihnen ihre Provinzen zu entreißen.“ (Eine weitere Antwort auf Lamartine's „Vorurtheil der Größe“ findet sich in unserer heutigen Beilage.)</p><lb/> <p>Am naivsten drückt sich über die Rheingränze die <hi rendition="#g">Gazette de France</hi> aus; sie meint, man brauchte bloß Hrn. v. Chateaubriand zu berufen: „Bekanntlich hat der Herzog von Noailles in seiner merkwürdigen Rede das Zeugniß des Vicomte v. Chateaubriand angerufen, ein Zeugniß, das in seinem „Congreß von Verona“ aufgezeichnet ist, um daran zu erinnern, daß sich die Restauration damit beschäftigte, die Revision der Tractate von 1815, und dadurch die Rheingränze zu erhalten. Man erzählt, ein Deputirter der Linken, der jener Sitzung auf einer Galerie beiwohnte, hätte sich umgedreht und zu einem seiner Nachbarn gesagt: „Hätten wir dieß gewußt, so hätte es keine Revolution gegeben.“ Wir für unsern Theil müssen nun sagen, daß wenn man die Rheingränze will, es noch Zeit dazu ist, sie zu erhalten. Hr. v. Chateaubriand ist noch immer da, und hat sein System in Betreff der auswärtigen Politik ebenso wenig, wie seine Grundsätze geändert.“ – Mit insolenterer Drohung ließ sich das <hi rendition="#g">Capitol</hi> schon seit Wochen fast Tag für Tag vernehmen. Hr. Charles Durand, der in Frankfurt bekanntlich sehr cajolirt worden war, und der in dem Journal de Francfort die Franzosen täglich wegen ihrer Ansprüche nach außen lächerlich gemacht hatte, rief ihnen, so wie er nach Paris zurückgekehrt war, zu: „Frankreich hat sich die Verträge von 1815 aufbürden lassen; es mußte sich wohl dazu hergeben, denn es war besiegt und die stärkere Macht gebot. Die Verträge von 1815 haben Frankreich, Europa gegenüber, in eine Lage versetzt, von der es sich selbst keinen rechten Begriff macht. Ja, Franzosen aller Meinungen, ihr kennt nicht das Ausland, wie wir es kennen, die wir es gesehen und gehört haben, die wir euch unsere Beobachtungen als eine patriotische Huldigung zum Besten geben. Unsere Regierung macht den Höfling der fremden Cabinette; ihre unterwürfige Folgsamkeit scheint ihre Schwäche zu verrathen. So sehr läßt sie sich beherrschen von dem Streben, nicht zu provociren, daß man dahin gekommen ist, sie für unmächtig zu halten. Frankreichs Mannheit (virilité) hat Europa erschreckt; um Europa zu beruhigen, hat man Frankreich entmannt. Wir sagen es laut: der Tag ist gekommen, an welchem uns Recht werden muß; das letzte unserer schmachvollen Jahre läuft zu Ende; der Augenblick ist günstig, den Mächten zu erklären, daß Frankreich, wieder so reich, so stark, so kraftvoll geworden, als es jemals war, auch seinen Rang unter den Nationen von neuem einnehmen will. Es ist sonnenklar, daß es nur wollen darf.“ ...</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Frankfurter</hi> Ober-Post-Amts-Zeitung antwortete schon neulich darauf: „Das Capitol scheint nicht zu wissen, daß man 1815 in Deutschland weit <hi rendition="#g">mehr</hi> von Frankreich verlangte, als die Verträge stipulirt haben, welche es für so ungerecht hart und darum für zerrissen zu werden vorbestimmt erklärt. Nach der Methode des Capitols könnte der deutsche Bund zürnend recriminiren: wir haben euch 1815 weniger abgenommen, als wir wohl gesollt hätten; ihr sprecht von der Rheingränze; mit weit mehr Fug und Recht dürften wir uns nach Elsaß und Lothringen umsehen; nehmt euch ein Beispiel an unserer Mäßigung; sie wird uns noch heute von mehr als <hi rendition="#g">einer</hi> Seite her vorgeworfen; wir aber glauben, daß die Nationen jetzt Besseres zu thun haben, als Haß zu nähren und veraltete Fehden anzufrischen. – Am 20 Sept. 1815, genau zwei Monate vor dem Abschluß des zweiten Pariser Friedens, beleuchtete Görres den Stand der Verhandlungen. „Es hat den Anschein genommen, als ob der Ausgang nicht so ausfallen werde, wie ihn das deutsche Volk erwarten durfte; Deutschland steht nicht, wie es im Krieg gestanden, recht in der Mitte der Macht, die gegen Frankreich sich erhoben. ... In der That, wie will bei einem so übermüthigen Volke, wie die Franzosen sind, ein Friede bestehen, läßt man abermal (wie 1814) sie in ihrer ganzen Macht ungekränkt und unverkleinert bei einander stehen? 28 Millionen Einwohner (jetzt wohl 32 Mill.) zwischen Alpen und Pyrenäen in stätigem Zusammenhange eingedrängt, von einem und demselben Geist beseelt, von unruhiger (capitolinischer)<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189/0005]
wenn nicht das ängstliche Maaß, das an alle gelegt worden, wir möchten sagen, die Gewohnheit, nur fremde Gedanken auszudrücken, in den meisten die Fähigkeit oder die Lust jeder selbstständigen Aeußerung unterdrückt hätte. Doch nicht alle haben geschwiegen. Als der Herzog v. Noailles in der Paiskammer ausrief: „Frankreich müsse, mit Rußland alliirt, seine Vortheile am Rhein suchen, um dort einen Zuwachs zu gewinnen, der seine Armee um 100,000 Mann und seine Staatseinnahmen um 100 Millionen vermehre,“ da mahnten badische Blätter, welch frevelnde Beschimpfung unserer Nationalehre in der Thatsache liege, daß in den Verhandlungen eines gesetzgebenden Körpers in Frankreich die Verstümmelung der deutschen Nation für nothwendige Politik der französischen Regierung erklärt werde. – Kurz nach jenen Worten in der Pairskammer erhob Hr. v. Lamartine in der Deputirtenkammer dieselbe Stimme. „Frankreich hat (so sprach er in der Sitzung vom 11 Jan.) neben seinem Interesse der Erhaltung auch ein Interesse der Ausbreitung (un interèt de développement). Sie Alle kennen letzteres. Es liegt in der Natur, in dem Recht Frankreichs, es liegt mehr noch in seinen ruhmvollen Erinnerungen, es ist eben so legitim, als sein Recht zu existiren; denn eine Nation, welche weder ihren ganzen Raum, noch all' ihre Gränzen, noch all' ihre Einflüsse hat, existirt nicht so vollständig, als ihre Natur, ihre Bestimmung es verlangt. Es ist wohl überflüssig, daß ich bei diesem Gegenstand noch länger verweile; es ist mehr als ein System, es ist eine Volksleidenschaft, ein Vorurtheil der Größe damit verbunden. Sprecht von dem Rhein und den Alpen, und ihr werdet verstanden, bevor ihr ausgesprochen. Der Ruhm war dort, sein Geist ist noch dort, seine Fahne wird wieder dort sich entfalten“ – Das Journal des Débats glaubt dazu bemerken zu müssen: „Das System der Entschädigung in Europa wäre auf Frankreich nur dann anwendbar, wenn England, Rußland und Oesterreich, denen nach der Meinung des Hrn. v. Lamartine das ottomanische Reich zufiele, an Frankreich gränzten. Dieß ist aber nicht der Fall. England ist gewiß nicht geneigt, uns die Insel Jersey für den Isthmus von Suez abzutreten. Wem könnten wir denn etwas nehmen? Den Mächten, welche bei der Theilung des Orients nichts erhalten haben? Wahrhaftig eine seltsame Ausgleichung! Wir sollen also zu Piemont sagen: Oesterreich hat Bosnien und Albanien erhalten, tritt uns dafür Savoyen ab. Wir sollen zu Preußen sagen: Rußland hat Konstantinopel und Bulgarien erhalten, gib uns dafür die Provinz Niederrhein; zu Bayern und Belgien: England hat Aegypten und Cypern bekommen, gebt uns dafür Landau und Speyer, und ihr Belgier tretet uns euer ganzes Königreich ab, dessen Erhaltung Europa eben erst feierlich garantirt hat. Dergleichen Tauschhandel läßt sich nicht wohl vorschlagen. Ueberdieß ist zu bemerken, daß wir Rußland, England und Oesterreich Besitzungen abtreten würden, welche so zu sagen vacant und leicht zu occupiren sind, während man uns dagegen Besitzungen überließe, die wir erst erobern müßten. Bei dieser Theilung also würde Rußland den Bosporus, Oesterreich das türkische Küstenland am adriatischen Meere, England Aegypten erhalten – und was hätten wir? Einen Krieg mit unsern Nachbarn, um ihnen ihre Provinzen zu entreißen.“ (Eine weitere Antwort auf Lamartine's „Vorurtheil der Größe“ findet sich in unserer heutigen Beilage.)
Am naivsten drückt sich über die Rheingränze die Gazette de France aus; sie meint, man brauchte bloß Hrn. v. Chateaubriand zu berufen: „Bekanntlich hat der Herzog von Noailles in seiner merkwürdigen Rede das Zeugniß des Vicomte v. Chateaubriand angerufen, ein Zeugniß, das in seinem „Congreß von Verona“ aufgezeichnet ist, um daran zu erinnern, daß sich die Restauration damit beschäftigte, die Revision der Tractate von 1815, und dadurch die Rheingränze zu erhalten. Man erzählt, ein Deputirter der Linken, der jener Sitzung auf einer Galerie beiwohnte, hätte sich umgedreht und zu einem seiner Nachbarn gesagt: „Hätten wir dieß gewußt, so hätte es keine Revolution gegeben.“ Wir für unsern Theil müssen nun sagen, daß wenn man die Rheingränze will, es noch Zeit dazu ist, sie zu erhalten. Hr. v. Chateaubriand ist noch immer da, und hat sein System in Betreff der auswärtigen Politik ebenso wenig, wie seine Grundsätze geändert.“ – Mit insolenterer Drohung ließ sich das Capitol schon seit Wochen fast Tag für Tag vernehmen. Hr. Charles Durand, der in Frankfurt bekanntlich sehr cajolirt worden war, und der in dem Journal de Francfort die Franzosen täglich wegen ihrer Ansprüche nach außen lächerlich gemacht hatte, rief ihnen, so wie er nach Paris zurückgekehrt war, zu: „Frankreich hat sich die Verträge von 1815 aufbürden lassen; es mußte sich wohl dazu hergeben, denn es war besiegt und die stärkere Macht gebot. Die Verträge von 1815 haben Frankreich, Europa gegenüber, in eine Lage versetzt, von der es sich selbst keinen rechten Begriff macht. Ja, Franzosen aller Meinungen, ihr kennt nicht das Ausland, wie wir es kennen, die wir es gesehen und gehört haben, die wir euch unsere Beobachtungen als eine patriotische Huldigung zum Besten geben. Unsere Regierung macht den Höfling der fremden Cabinette; ihre unterwürfige Folgsamkeit scheint ihre Schwäche zu verrathen. So sehr läßt sie sich beherrschen von dem Streben, nicht zu provociren, daß man dahin gekommen ist, sie für unmächtig zu halten. Frankreichs Mannheit (virilité) hat Europa erschreckt; um Europa zu beruhigen, hat man Frankreich entmannt. Wir sagen es laut: der Tag ist gekommen, an welchem uns Recht werden muß; das letzte unserer schmachvollen Jahre läuft zu Ende; der Augenblick ist günstig, den Mächten zu erklären, daß Frankreich, wieder so reich, so stark, so kraftvoll geworden, als es jemals war, auch seinen Rang unter den Nationen von neuem einnehmen will. Es ist sonnenklar, daß es nur wollen darf.“ ...
Die Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung antwortete schon neulich darauf: „Das Capitol scheint nicht zu wissen, daß man 1815 in Deutschland weit mehr von Frankreich verlangte, als die Verträge stipulirt haben, welche es für so ungerecht hart und darum für zerrissen zu werden vorbestimmt erklärt. Nach der Methode des Capitols könnte der deutsche Bund zürnend recriminiren: wir haben euch 1815 weniger abgenommen, als wir wohl gesollt hätten; ihr sprecht von der Rheingränze; mit weit mehr Fug und Recht dürften wir uns nach Elsaß und Lothringen umsehen; nehmt euch ein Beispiel an unserer Mäßigung; sie wird uns noch heute von mehr als einer Seite her vorgeworfen; wir aber glauben, daß die Nationen jetzt Besseres zu thun haben, als Haß zu nähren und veraltete Fehden anzufrischen. – Am 20 Sept. 1815, genau zwei Monate vor dem Abschluß des zweiten Pariser Friedens, beleuchtete Görres den Stand der Verhandlungen. „Es hat den Anschein genommen, als ob der Ausgang nicht so ausfallen werde, wie ihn das deutsche Volk erwarten durfte; Deutschland steht nicht, wie es im Krieg gestanden, recht in der Mitte der Macht, die gegen Frankreich sich erhoben. ... In der That, wie will bei einem so übermüthigen Volke, wie die Franzosen sind, ein Friede bestehen, läßt man abermal (wie 1814) sie in ihrer ganzen Macht ungekränkt und unverkleinert bei einander stehen? 28 Millionen Einwohner (jetzt wohl 32 Mill.) zwischen Alpen und Pyrenäen in stätigem Zusammenhange eingedrängt, von einem und demselben Geist beseelt, von unruhiger (capitolinischer)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |