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Allgemeine Zeitung. Nr. 35. Augsburg, 4. Februar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
4 Februar1840

Rede Macaulay's in Edinburg.

Die in England und Schottland erledigten Wahlen entschieden oder entscheiden sich für die ministeriellen Bewerber, und dasselbe wird nach aller Wahrscheinlichkeit bei der irischen Grafschaft Mayo der Fall seyn. Die Ministeriellen haben auf solche Weise in ihren Reihen keinen materiellen Verlust erlitten, während zugleich in diesem Resultat eine moralische Verstärkung für sie liegt. In der wichtigen Stadt Birmingham unterlag der humoristische conservative Rechtsgelehrte Sir Charles Wetherell, gegen des zurückgetretenen Th. Attwood ultraradicalen Freund, Hrn. Muntz, mit 907 gegen 1458 Stimmen. Der torystische Courier macht dem Publicum die etwas unwahrscheinliche Versicherung, Wetherell habe von der Ehre, welche die Birminghamer Conservativen ihm zugedacht, gar nichts gewußt. Einen schwereren Stand hatte in Newark der neue Solicitor-General (vormalige Sergeant) Hr. Thomas Wilde gegen Hrn. Thesiger, einen der gesuchtesten und thätigsten Londoner Sachwalter; doch unterlag dieser mit einer Minorität von 9 Stimmen (533 gegen 542). Auch in Beverley, dessen voriger Repräsentant Hr. Fox ein Tory war, scheint der neue torystische Bewerber, der Bruder des Zurückgetretenen, gegen seinen whiggischen Gegner Hrn. Lamde Murray, einen von den Directoren der Nationalbank von Irland, im Poll zurückzubleiben. (Siehe dagegen oben unter Großbritannien.) In Edinburg erfolgte die Wiedererwählung des neuen Kriegsministers, Hrn. Macaulay, ohne alle Opposition. Die Rede, die dabei der letztere in einer Versammlung seiner Wähler hielt, welcher der Lord Provost (Bürgermeister) der schottischen Hauptstadt präsidirte, ist lesenswerth. "Mylord Provost und meine Herren!" sprach er, "als ich das letztemal in diesem Saal vor Ihnen redete, erklärte ich mich ausdrücklich als Freund und Unterstützer von Ihrer Maj. Regierung. Jetzt erschein' ich vor Ihnen als ein Mitglied dieser Regierung, bereit, sowohl von meinem persönlichen Benehmen als solchem Rechenschaft zu geben, wie den Charakter dieser Verwaltung zu vertheidigen. Mich bloß persönlich Berührendes will ich sehr kurz abfertigen. Die gegen mich erhobenen Beschuldigungen sind in der That kaum eine Entgegnung werth, und wenn ich mich erinnere, wie viele weit bessere und weisere Männer als ich in weit minder bewegten Zeiten, als die gegenwärtige Periode, die Erfahrung machten, daß weder Talente noch Rechtschaffenheit sie vor der schnödesten Verleumdung schützen konnten, so schäm' ich mich fast auf Nachreden gegen mich anzuspielen, an die ich nicht ohne Lächeln denken kann. Nur in Bezug auf die Ballotfrage erlauben Sie mir ein paar Worte. Man hat mir, zum Theil in gedruckten ausführlichen Deductionen, vorgeworfen, ich hätte mit meiner Rede im Unterhaus zu Gunsten des Ballots die Sache der Unwahrheit, der Heimlichkeit und Falschheit im Staatsleben fördern, in unser brittisches Vaterland, das sich mit Recht der Offenheit und männlichen Geradheit im Charakter seiner Bewohner rühmt, ein System der Doppelzüngigkeit und Lüge einführen wollen. Was ich wirklich sagte, ist dieß: das geläufige Argument gegen das Ballot, daß es der Falschheit Vorschub leiste und damit den Nationalcharakter beeinträchtige, bekämpfte ich mit der Entgegnung, erstens daß dieser Beweissatz unstichhaltig sey, und dann, daß er von denen, die ihn aufstellen, nicht in gutem Glauben vorgebracht werde. Lassen Sie mich meine Beweisführung kurz wiederholen. Unwahrheit ist etwas Unsittliches, das ist ohne allen Zweifel zuzugeben; nicht minder muß aber auch eingeräumt werden, daß der corrupte Mißbrauch eines anvertrauten öffentlichen Rechts, um dadurch einen Privatvortheil zu erlangen oder einen Privatnachtheil zu vermeiden, gleichfalls unsittlich ist, und zu dieser letztern Unsittlichkeit bietet der Mangel des Ballots eine starke Lockung dar. Der Mann, der jetzt ein ehrliches Votum abgibt, wird unter dem Schutze des Ballotsystems dasselbe thun; derjenige aber, der jetzt aus Schwäche seiner Grundsätze seiner Ueberzeugung zuwiderstimmt, wird dann, wo die Hoffnung auf Gewinn und die Furcht vor Nachtheil gleicherweise wegfallen, vermuthlich seiner Ueberzeugung folgen. In dieser Hinsicht also scheint die Moralität durch die Einführung des Ballots nicht das Mindeste zu leiden. Meine andere Einrede war die Frage: handeln sie, die dieses Argument gegen das Ballot gebrauchen, in Uebereinstimmung mit sich selbst? Ist ihr gewaltiges Grausen vor der Unwahrheit auch aufrichtig? Wenn nicht minder zu entschuldigende Unwahrheiten von ihren Standesgenossen, den Reichen, Mächtigen, Gebildeten, ausgehen, da gibt sich kein solches Grausen kund; da gilt es z. B. für einen berühmten Litteraten nicht als unehrenhaft die von ihm geschriebenen Werke zu verläugnen.*) (Zuruf.) Dergleichen schließt keinen von der fashionablen Gesellschaft aus. Aber, ich frage, ist das nicht eine lockere Moral, wenn man die Unwahrheiten vornehmer Leute bemäntelt, aber einen tugendhaften Abscheu gegen den armen Mann affectirt, der vielleicht, um nicht als Bettler mit Frau und Kind von Haus und Hof getrieben zu werden, unter dem Ballotsystem sagen würde, er habe für einen Tory gestimmt, während er für einen Whig gestimmt hätte? Darf man da nicht mit der Schrift sprechen: "Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seiget und Kamele verschlucket?" (Zuruf.) "Du Heuchler, ziehe am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach besiehe, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest." (Großer Beifall.) Heißt es die Sünde beschönigen, wenn man eine Stufenfolge der Sünden annimmt? Bemäntle ich den Diebstahl, wenn ich sage, es sey ein Unterschied zwischen einer Mutter, die einen Laib Brod stiehlt, um ihr verhungerndes Kind zu sättigen, und einem Taschendieb, der ein lasterhaftes Leben mit anderer Leute Börsen und Sacktüchern unterhält? Entschuldige ich Mord und Todtschlag, wenn ich erstern für strafbarer als letztern erkläre? Entschuldige ich den Hochverrath, weil ich zwischen einem Rädelsführer von guter Erziehung und in guten Vermögensumständen, den sein Ehrgeiz zur Erschütterung der Staatsgesellschaft anspornt, und seinen unwissenden Anhängern unterscheide, die sich gleich Schafen zur Schlachtbank führen lassen? (Zuruf.) Und wie bei Diebstahl, Tödtung und Hochverrath, so gibt es auch bei der Lüge eine Stufenfolge der Sündlichkeit. Es gibt Unwahrheiten, die ein Mensch in der äußersten Gefahr sagt, um sich gegen Grausamkeit und Unrecht zu schützen; - darf man eine solche nicht läßlicher finden als andere? Nehmen wir den bekanntesten Fall der Art in unserer Geschichte, wo eine Nothlüge die gefährdete Krone schützte. Nach der Schlacht von Worcester wurde Karl II von den verfolgenden Cromwellianern in seinem Versteck aufgefunden.

*) Es ist uns nicht klar, wen Macauley hier im Sinn hat; er müßte denn etwa Brougham meinen, der im vorigen Jahre die Autorschaft des "Briefs an die Königin," der so großes Aufsehen machte, ablehnte, ohne jedoch das Publicum zu überzeugen. Das "a man distinguished in letters (was Briefe und Litteratur bedeutet) wäre dann ein glückliches Wortspiel.

Beilage zur Allgemeinen Zeitung
4 Februar1840

Rede Macaulay's in Edinburg.

Die in England und Schottland erledigten Wahlen entschieden oder entscheiden sich für die ministeriellen Bewerber, und dasselbe wird nach aller Wahrscheinlichkeit bei der irischen Grafschaft Mayo der Fall seyn. Die Ministeriellen haben auf solche Weise in ihren Reihen keinen materiellen Verlust erlitten, während zugleich in diesem Resultat eine moralische Verstärkung für sie liegt. In der wichtigen Stadt Birmingham unterlag der humoristische conservative Rechtsgelehrte Sir Charles Wetherell, gegen des zurückgetretenen Th. Attwood ultraradicalen Freund, Hrn. Muntz, mit 907 gegen 1458 Stimmen. Der torystische Courier macht dem Publicum die etwas unwahrscheinliche Versicherung, Wetherell habe von der Ehre, welche die Birminghamer Conservativen ihm zugedacht, gar nichts gewußt. Einen schwereren Stand hatte in Newark der neue Solicitor-General (vormalige Sergeant) Hr. Thomas Wilde gegen Hrn. Thesiger, einen der gesuchtesten und thätigsten Londoner Sachwalter; doch unterlag dieser mit einer Minorität von 9 Stimmen (533 gegen 542). Auch in Beverley, dessen voriger Repräsentant Hr. Fox ein Tory war, scheint der neue torystische Bewerber, der Bruder des Zurückgetretenen, gegen seinen whiggischen Gegner Hrn. Lamde Murray, einen von den Directoren der Nationalbank von Irland, im Poll zurückzubleiben. (Siehe dagegen oben unter Großbritannien.) In Edinburg erfolgte die Wiedererwählung des neuen Kriegsministers, Hrn. Macaulay, ohne alle Opposition. Die Rede, die dabei der letztere in einer Versammlung seiner Wähler hielt, welcher der Lord Provost (Bürgermeister) der schottischen Hauptstadt präsidirte, ist lesenswerth. „Mylord Provost und meine Herren!“ sprach er, „als ich das letztemal in diesem Saal vor Ihnen redete, erklärte ich mich ausdrücklich als Freund und Unterstützer von Ihrer Maj. Regierung. Jetzt erschein' ich vor Ihnen als ein Mitglied dieser Regierung, bereit, sowohl von meinem persönlichen Benehmen als solchem Rechenschaft zu geben, wie den Charakter dieser Verwaltung zu vertheidigen. Mich bloß persönlich Berührendes will ich sehr kurz abfertigen. Die gegen mich erhobenen Beschuldigungen sind in der That kaum eine Entgegnung werth, und wenn ich mich erinnere, wie viele weit bessere und weisere Männer als ich in weit minder bewegten Zeiten, als die gegenwärtige Periode, die Erfahrung machten, daß weder Talente noch Rechtschaffenheit sie vor der schnödesten Verleumdung schützen konnten, so schäm' ich mich fast auf Nachreden gegen mich anzuspielen, an die ich nicht ohne Lächeln denken kann. Nur in Bezug auf die Ballotfrage erlauben Sie mir ein paar Worte. Man hat mir, zum Theil in gedruckten ausführlichen Deductionen, vorgeworfen, ich hätte mit meiner Rede im Unterhaus zu Gunsten des Ballots die Sache der Unwahrheit, der Heimlichkeit und Falschheit im Staatsleben fördern, in unser brittisches Vaterland, das sich mit Recht der Offenheit und männlichen Geradheit im Charakter seiner Bewohner rühmt, ein System der Doppelzüngigkeit und Lüge einführen wollen. Was ich wirklich sagte, ist dieß: das geläufige Argument gegen das Ballot, daß es der Falschheit Vorschub leiste und damit den Nationalcharakter beeinträchtige, bekämpfte ich mit der Entgegnung, erstens daß dieser Beweissatz unstichhaltig sey, und dann, daß er von denen, die ihn aufstellen, nicht in gutem Glauben vorgebracht werde. Lassen Sie mich meine Beweisführung kurz wiederholen. Unwahrheit ist etwas Unsittliches, das ist ohne allen Zweifel zuzugeben; nicht minder muß aber auch eingeräumt werden, daß der corrupte Mißbrauch eines anvertrauten öffentlichen Rechts, um dadurch einen Privatvortheil zu erlangen oder einen Privatnachtheil zu vermeiden, gleichfalls unsittlich ist, und zu dieser letztern Unsittlichkeit bietet der Mangel des Ballots eine starke Lockung dar. Der Mann, der jetzt ein ehrliches Votum abgibt, wird unter dem Schutze des Ballotsystems dasselbe thun; derjenige aber, der jetzt aus Schwäche seiner Grundsätze seiner Ueberzeugung zuwiderstimmt, wird dann, wo die Hoffnung auf Gewinn und die Furcht vor Nachtheil gleicherweise wegfallen, vermuthlich seiner Ueberzeugung folgen. In dieser Hinsicht also scheint die Moralität durch die Einführung des Ballots nicht das Mindeste zu leiden. Meine andere Einrede war die Frage: handeln sie, die dieses Argument gegen das Ballot gebrauchen, in Uebereinstimmung mit sich selbst? Ist ihr gewaltiges Grausen vor der Unwahrheit auch aufrichtig? Wenn nicht minder zu entschuldigende Unwahrheiten von ihren Standesgenossen, den Reichen, Mächtigen, Gebildeten, ausgehen, da gibt sich kein solches Grausen kund; da gilt es z. B. für einen berühmten Litteraten nicht als unehrenhaft die von ihm geschriebenen Werke zu verläugnen.*) (Zuruf.) Dergleichen schließt keinen von der fashionablen Gesellschaft aus. Aber, ich frage, ist das nicht eine lockere Moral, wenn man die Unwahrheiten vornehmer Leute bemäntelt, aber einen tugendhaften Abscheu gegen den armen Mann affectirt, der vielleicht, um nicht als Bettler mit Frau und Kind von Haus und Hof getrieben zu werden, unter dem Ballotsystem sagen würde, er habe für einen Tory gestimmt, während er für einen Whig gestimmt hätte? Darf man da nicht mit der Schrift sprechen: „Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seiget und Kamele verschlucket?“ (Zuruf.) „Du Heuchler, ziehe am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach besiehe, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest.“ (Großer Beifall.) Heißt es die Sünde beschönigen, wenn man eine Stufenfolge der Sünden annimmt? Bemäntle ich den Diebstahl, wenn ich sage, es sey ein Unterschied zwischen einer Mutter, die einen Laib Brod stiehlt, um ihr verhungerndes Kind zu sättigen, und einem Taschendieb, der ein lasterhaftes Leben mit anderer Leute Börsen und Sacktüchern unterhält? Entschuldige ich Mord und Todtschlag, wenn ich erstern für strafbarer als letztern erkläre? Entschuldige ich den Hochverrath, weil ich zwischen einem Rädelsführer von guter Erziehung und in guten Vermögensumständen, den sein Ehrgeiz zur Erschütterung der Staatsgesellschaft anspornt, und seinen unwissenden Anhängern unterscheide, die sich gleich Schafen zur Schlachtbank führen lassen? (Zuruf.) Und wie bei Diebstahl, Tödtung und Hochverrath, so gibt es auch bei der Lüge eine Stufenfolge der Sündlichkeit. Es gibt Unwahrheiten, die ein Mensch in der äußersten Gefahr sagt, um sich gegen Grausamkeit und Unrecht zu schützen; – darf man eine solche nicht läßlicher finden als andere? Nehmen wir den bekanntesten Fall der Art in unserer Geschichte, wo eine Nothlüge die gefährdete Krone schützte. Nach der Schlacht von Worcester wurde Karl II von den verfolgenden Cromwellianern in seinem Versteck aufgefunden.

*) Es ist uns nicht klar, wen Macauley hier im Sinn hat; er müßte denn etwa Brougham meinen, der im vorigen Jahre die Autorschaft des „Briefs an die Königin,“ der so großes Aufsehen machte, ablehnte, ohne jedoch das Publicum zu überzeugen. Das „a man distinguished in letters (was Briefe und Litteratur bedeutet) wäre dann ein glückliches Wortspiel.
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Jetzt erschein' ich vor Ihnen als ein Mitglied dieser Regierung, bereit, sowohl von meinem persönlichen Benehmen als solchem Rechenschaft zu geben, wie den Charakter dieser Verwaltung zu vertheidigen. Mich bloß persönlich Berührendes will ich sehr kurz abfertigen. Die gegen mich erhobenen Beschuldigungen sind in der That kaum eine Entgegnung werth, und wenn ich mich erinnere, wie viele weit bessere und weisere Männer als ich in weit minder bewegten Zeiten, als die gegenwärtige Periode, die Erfahrung machten, daß weder Talente noch Rechtschaffenheit sie vor der schnödesten Verleumdung schützen konnten, so schäm' ich mich fast auf Nachreden gegen mich anzuspielen, an die ich nicht ohne Lächeln denken kann. Nur in Bezug auf die Ballotfrage erlauben Sie mir ein paar Worte. Man hat mir, zum Theil in gedruckten ausführlichen Deductionen, vorgeworfen, ich hätte mit meiner Rede im Unterhaus zu Gunsten des Ballots die Sache der Unwahrheit, der Heimlichkeit und Falschheit im Staatsleben fördern, in unser brittisches Vaterland, das sich mit Recht der Offenheit und männlichen Geradheit im Charakter seiner Bewohner rühmt, ein System der Doppelzüngigkeit und Lüge einführen wollen. Was ich wirklich sagte, ist dieß: das geläufige Argument gegen das Ballot, daß es der Falschheit Vorschub leiste und damit den Nationalcharakter beeinträchtige, bekämpfte ich mit der Entgegnung, erstens daß dieser Beweissatz unstichhaltig sey, und dann, daß er von denen, die ihn aufstellen, nicht in gutem Glauben vorgebracht werde. Lassen Sie mich meine Beweisführung kurz wiederholen. Unwahrheit ist etwas Unsittliches, das ist ohne allen Zweifel zuzugeben; nicht minder muß aber auch eingeräumt werden, daß der corrupte Mißbrauch eines anvertrauten öffentlichen Rechts, um dadurch einen Privatvortheil zu erlangen oder einen Privatnachtheil zu vermeiden, gleichfalls unsittlich ist, und zu dieser letztern Unsittlichkeit bietet der Mangel des Ballots eine starke Lockung dar. Der Mann, der jetzt ein ehrliches Votum abgibt, wird unter dem Schutze des Ballotsystems dasselbe thun; derjenige aber, der jetzt aus Schwäche seiner Grundsätze seiner Ueberzeugung zuwiderstimmt, wird dann, wo die Hoffnung auf Gewinn und die Furcht vor Nachtheil gleicherweise wegfallen, vermuthlich seiner Ueberzeugung folgen. In dieser Hinsicht also scheint die Moralität durch die Einführung des Ballots nicht das Mindeste zu leiden. Meine andere Einrede war die Frage: handeln sie, die dieses Argument gegen das Ballot gebrauchen, in Uebereinstimmung mit sich selbst? Ist ihr gewaltiges Grausen vor der Unwahrheit auch aufrichtig? Wenn nicht minder zu entschuldigende Unwahrheiten von ihren Standesgenossen, den Reichen, Mächtigen, Gebildeten, ausgehen, da gibt sich kein solches Grausen kund; da gilt es z. B. für einen berühmten Litteraten nicht als unehrenhaft die von ihm geschriebenen Werke zu verläugnen.<note place="foot" n="*)">Es ist uns nicht klar, <hi rendition="#g">wen</hi> Macauley hier im Sinn hat; er müßte denn etwa <hi rendition="#g">Brougham</hi> meinen, der im vorigen Jahre die Autorschaft des &#x201E;Briefs an die Königin,&#x201C; der so großes Aufsehen machte, ablehnte, ohne jedoch das Publicum zu überzeugen. Das &#x201E;a man distinguished in <hi rendition="#i">letters</hi> (was Briefe <hi rendition="#g">und</hi> Litteratur bedeutet) wäre dann ein glückliches Wortspiel.</note> (Zuruf.) Dergleichen schließt keinen von der fashionablen Gesellschaft aus. Aber, ich frage, ist das nicht eine lockere Moral, wenn man die Unwahrheiten vornehmer Leute bemäntelt, aber einen tugendhaften Abscheu gegen den armen Mann affectirt, der vielleicht, um nicht als Bettler mit Frau und Kind von Haus und Hof getrieben zu werden, unter dem Ballotsystem sagen würde, er habe für einen Tory gestimmt, während er für einen Whig gestimmt hätte? Darf man da nicht mit der Schrift sprechen: &#x201E;Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seiget und Kamele verschlucket?&#x201C; (Zuruf.) &#x201E;Du Heuchler, ziehe am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach besiehe, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest.&#x201C; (Großer Beifall.) Heißt es die Sünde beschönigen, wenn man eine Stufenfolge der Sünden annimmt? Bemäntle ich den Diebstahl, wenn ich sage, es sey ein Unterschied zwischen einer Mutter, die einen Laib Brod stiehlt, um ihr verhungerndes Kind zu sättigen, und einem Taschendieb, der ein lasterhaftes Leben mit anderer Leute Börsen und Sacktüchern unterhält? Entschuldige ich Mord und Todtschlag, wenn ich erstern für strafbarer als letztern erkläre? Entschuldige ich den Hochverrath, weil ich zwischen einem Rädelsführer von guter Erziehung und in guten Vermögensumständen, den sein Ehrgeiz zur Erschütterung der Staatsgesellschaft anspornt, und seinen unwissenden Anhängern unterscheide, die sich gleich Schafen zur Schlachtbank führen lassen? (Zuruf.) Und wie bei Diebstahl, Tödtung und Hochverrath, so gibt es auch bei der Lüge eine Stufenfolge der Sündlichkeit. Es gibt Unwahrheiten, die ein Mensch in der äußersten Gefahr sagt, um sich gegen Grausamkeit und Unrecht zu schützen; &#x2013; darf man eine solche nicht läßlicher finden als andere? 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[0273/0008] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 4 Februar1840 Rede Macaulay's in Edinburg. London, 25 Jan. Die in England und Schottland erledigten Wahlen entschieden oder entscheiden sich für die ministeriellen Bewerber, und dasselbe wird nach aller Wahrscheinlichkeit bei der irischen Grafschaft Mayo der Fall seyn. Die Ministeriellen haben auf solche Weise in ihren Reihen keinen materiellen Verlust erlitten, während zugleich in diesem Resultat eine moralische Verstärkung für sie liegt. In der wichtigen Stadt Birmingham unterlag der humoristische conservative Rechtsgelehrte Sir Charles Wetherell, gegen des zurückgetretenen Th. Attwood ultraradicalen Freund, Hrn. Muntz, mit 907 gegen 1458 Stimmen. Der torystische Courier macht dem Publicum die etwas unwahrscheinliche Versicherung, Wetherell habe von der Ehre, welche die Birminghamer Conservativen ihm zugedacht, gar nichts gewußt. Einen schwereren Stand hatte in Newark der neue Solicitor-General (vormalige Sergeant) Hr. Thomas Wilde gegen Hrn. Thesiger, einen der gesuchtesten und thätigsten Londoner Sachwalter; doch unterlag dieser mit einer Minorität von 9 Stimmen (533 gegen 542). Auch in Beverley, dessen voriger Repräsentant Hr. Fox ein Tory war, scheint der neue torystische Bewerber, der Bruder des Zurückgetretenen, gegen seinen whiggischen Gegner Hrn. Lamde Murray, einen von den Directoren der Nationalbank von Irland, im Poll zurückzubleiben. (Siehe dagegen oben unter Großbritannien.) In Edinburg erfolgte die Wiedererwählung des neuen Kriegsministers, Hrn. Macaulay, ohne alle Opposition. Die Rede, die dabei der letztere in einer Versammlung seiner Wähler hielt, welcher der Lord Provost (Bürgermeister) der schottischen Hauptstadt präsidirte, ist lesenswerth. „Mylord Provost und meine Herren!“ sprach er, „als ich das letztemal in diesem Saal vor Ihnen redete, erklärte ich mich ausdrücklich als Freund und Unterstützer von Ihrer Maj. Regierung. Jetzt erschein' ich vor Ihnen als ein Mitglied dieser Regierung, bereit, sowohl von meinem persönlichen Benehmen als solchem Rechenschaft zu geben, wie den Charakter dieser Verwaltung zu vertheidigen. Mich bloß persönlich Berührendes will ich sehr kurz abfertigen. Die gegen mich erhobenen Beschuldigungen sind in der That kaum eine Entgegnung werth, und wenn ich mich erinnere, wie viele weit bessere und weisere Männer als ich in weit minder bewegten Zeiten, als die gegenwärtige Periode, die Erfahrung machten, daß weder Talente noch Rechtschaffenheit sie vor der schnödesten Verleumdung schützen konnten, so schäm' ich mich fast auf Nachreden gegen mich anzuspielen, an die ich nicht ohne Lächeln denken kann. Nur in Bezug auf die Ballotfrage erlauben Sie mir ein paar Worte. Man hat mir, zum Theil in gedruckten ausführlichen Deductionen, vorgeworfen, ich hätte mit meiner Rede im Unterhaus zu Gunsten des Ballots die Sache der Unwahrheit, der Heimlichkeit und Falschheit im Staatsleben fördern, in unser brittisches Vaterland, das sich mit Recht der Offenheit und männlichen Geradheit im Charakter seiner Bewohner rühmt, ein System der Doppelzüngigkeit und Lüge einführen wollen. Was ich wirklich sagte, ist dieß: das geläufige Argument gegen das Ballot, daß es der Falschheit Vorschub leiste und damit den Nationalcharakter beeinträchtige, bekämpfte ich mit der Entgegnung, erstens daß dieser Beweissatz unstichhaltig sey, und dann, daß er von denen, die ihn aufstellen, nicht in gutem Glauben vorgebracht werde. Lassen Sie mich meine Beweisführung kurz wiederholen. Unwahrheit ist etwas Unsittliches, das ist ohne allen Zweifel zuzugeben; nicht minder muß aber auch eingeräumt werden, daß der corrupte Mißbrauch eines anvertrauten öffentlichen Rechts, um dadurch einen Privatvortheil zu erlangen oder einen Privatnachtheil zu vermeiden, gleichfalls unsittlich ist, und zu dieser letztern Unsittlichkeit bietet der Mangel des Ballots eine starke Lockung dar. Der Mann, der jetzt ein ehrliches Votum abgibt, wird unter dem Schutze des Ballotsystems dasselbe thun; derjenige aber, der jetzt aus Schwäche seiner Grundsätze seiner Ueberzeugung zuwiderstimmt, wird dann, wo die Hoffnung auf Gewinn und die Furcht vor Nachtheil gleicherweise wegfallen, vermuthlich seiner Ueberzeugung folgen. In dieser Hinsicht also scheint die Moralität durch die Einführung des Ballots nicht das Mindeste zu leiden. Meine andere Einrede war die Frage: handeln sie, die dieses Argument gegen das Ballot gebrauchen, in Uebereinstimmung mit sich selbst? Ist ihr gewaltiges Grausen vor der Unwahrheit auch aufrichtig? Wenn nicht minder zu entschuldigende Unwahrheiten von ihren Standesgenossen, den Reichen, Mächtigen, Gebildeten, ausgehen, da gibt sich kein solches Grausen kund; da gilt es z. B. für einen berühmten Litteraten nicht als unehrenhaft die von ihm geschriebenen Werke zu verläugnen. *) (Zuruf.) Dergleichen schließt keinen von der fashionablen Gesellschaft aus. Aber, ich frage, ist das nicht eine lockere Moral, wenn man die Unwahrheiten vornehmer Leute bemäntelt, aber einen tugendhaften Abscheu gegen den armen Mann affectirt, der vielleicht, um nicht als Bettler mit Frau und Kind von Haus und Hof getrieben zu werden, unter dem Ballotsystem sagen würde, er habe für einen Tory gestimmt, während er für einen Whig gestimmt hätte? Darf man da nicht mit der Schrift sprechen: „Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seiget und Kamele verschlucket?“ (Zuruf.) „Du Heuchler, ziehe am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach besiehe, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest.“ (Großer Beifall.) Heißt es die Sünde beschönigen, wenn man eine Stufenfolge der Sünden annimmt? Bemäntle ich den Diebstahl, wenn ich sage, es sey ein Unterschied zwischen einer Mutter, die einen Laib Brod stiehlt, um ihr verhungerndes Kind zu sättigen, und einem Taschendieb, der ein lasterhaftes Leben mit anderer Leute Börsen und Sacktüchern unterhält? Entschuldige ich Mord und Todtschlag, wenn ich erstern für strafbarer als letztern erkläre? Entschuldige ich den Hochverrath, weil ich zwischen einem Rädelsführer von guter Erziehung und in guten Vermögensumständen, den sein Ehrgeiz zur Erschütterung der Staatsgesellschaft anspornt, und seinen unwissenden Anhängern unterscheide, die sich gleich Schafen zur Schlachtbank führen lassen? (Zuruf.) Und wie bei Diebstahl, Tödtung und Hochverrath, so gibt es auch bei der Lüge eine Stufenfolge der Sündlichkeit. Es gibt Unwahrheiten, die ein Mensch in der äußersten Gefahr sagt, um sich gegen Grausamkeit und Unrecht zu schützen; – darf man eine solche nicht läßlicher finden als andere? Nehmen wir den bekanntesten Fall der Art in unserer Geschichte, wo eine Nothlüge die gefährdete Krone schützte. Nach der Schlacht von Worcester wurde Karl II von den verfolgenden Cromwellianern in seinem Versteck aufgefunden. *) Es ist uns nicht klar, wen Macauley hier im Sinn hat; er müßte denn etwa Brougham meinen, der im vorigen Jahre die Autorschaft des „Briefs an die Königin,“ der so großes Aufsehen machte, ablehnte, ohne jedoch das Publicum zu überzeugen. Das „a man distinguished in letters (was Briefe und Litteratur bedeutet) wäre dann ein glückliches Wortspiel.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 35. Augsburg, 4. Februar 1840, S. 0273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_035_18400204/8>, abgerufen am 21.11.2024.