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Allgemeine Zeitung. Nr. 40. Augsburg, 9. Februar 1840.

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Zug durch die Wüste nach Schendi, und Aufenthalt daselbst.

(Fortsetzung.)

Wir konnten erst am 17 Nachts um 11 Uhr den ersehnten Brunnen Abadlech erreichen, die Thiere waren fast erschöpft und wir selbst todmüde. Man nennt bekanntlich das Kamel "das Schiff der Wüste," und ein berühmter Reisender behauptet, daß auch die Bewegung des Dromedars der eines Schiffes gleiche. Dieß finde ich so ungegründet als möglich. Im langsamen Schritt desselben wird man zwar, gewissermaßen ähnlich, vorwärts und rückwärts geschaukelt, aber so unsanft, daß es mit der Bewegung eines Schiffes auch nicht das Mindeste gemein hat. Im Trabe aber stößt das Thier so gewaltig, daß auf langen Touren diese anhaltende Erschütterung bei den Meisten ein permanentes Kopfweh hervorbringt, welches sich erst nach einigen Stunden Ruhe wieder verliert. Für Hypochondristen mag jedoch die Bewegung heilsam seyn, denn der ganze Körper wird durchschüttelt wie ein Mehlbeutel in der Mühle. Dazu kommen noch die höchst unregelmäßig construirten Sättel, deren üble Wirkung auf die Sitztheile man durch alle aufgebundenen Kissen und Teppiche doch nicht gänzlich aufheben kann. Auf meinem Dromedare, einem schönen Thiere, das aber fast einem Elephanten an Größe gleichkam, saß ich über dem Gerüste meiner Kissen gerade so hoch als auf dem Bock einer englischen stage coach. Der Eigenthümer wollte dieses Dromedar, welches einer besondern Rennomee in der Gegend genießt, durchaus nicht hergeben, als der Kascheff die nöthigen Thiere für mich in Merävi requiriren ließ (Requisitionen, die nicht verweigert werden dürfen, die aber das Gouvernement bezahlt), bis eine Botschaft des Kascheffs, welche dem Widerspänstigen lakonisch andeutete: in einer Stunde dein Dromedar, oder deine Ohren und Nase - die Wahl nicht länger zweifelhaft ließ. Man erschrecke nicht zu sehr über diese Tyrannei. Die Redensart des "Ohren- und Nasenabschneidens" ist seit Mehemed Ali's Regierung hier eben so gut nur figürlich geworden, als bei uns etwa die Drohung: "Einem das Fell über die Ohren zu ziehen." Die erste Phrase bedeutet hier nur einige Kurbatschhiebe, welche eine Sache kurz abmachen, statt deren dem armen Teufel bei uns vielleicht ein Proceß an den Hals geworfen wird, der tausendmal länger dauert und viel Geld kostet, beides dem Araber viel empfindlicher als seine Haut. Das Arbiträre der Requisitionsmaaßregel aber selbst betreffend, so haben wir auch dabei in unserm Vaterlande nichts voraus; denn, wenn man unsern Gutsbesitzern, Pächtern und Bauern ihre Pferde, gegen die schwächste Vergütung, zur Landwehrübung wegnimmt, nachdem man die Menschen schon vorher ohne diese abgeholt hat - so sehe ich in beiden Ländern wenig Unterschied. Gewalt hier wie dort, nur daß sie bei uns so methodisch und daumschraubenartig organisirt ist, daß selbst der Gedanke eines Widerstandes unmöglich wird, während hier noch häufig ein solcher versucht wird, und nicht selten sogar der Einzelne damit ungestraft durchschlüpft. Der französische Cyniker hat also ganz Recht: "Es bleibt immer beim Alten in der Welt, die Hauptsachen verändern sich wenig" - "et il y aura toujours et partout beaucoup de fripons et encore plus de dupes." Freilich sind die Modificationen unzählig und die brillanten Variationen, welche der große Geist fortwährend auf das Thema der Menschheit componirt, höchst wunderbar - aber Macht wird auf der Erde immer mehr oder weniger gemißbraucht werden, im Privat- wie im Staatsleben. . . . Es ist aber viel besser über all dergleichen zu lachen als zu weinen.

Das von Jackdull mitgenommene Fleisch war verfault, ehe wir es genießen konnten, das Wasser des Brunnens, wo wir Halt machten, war ebenfalls faul, und brakisch, Brod und Wein hatten wir nicht mehr, etwas Reis mußte daher unser Abendmahl liefern, wie er schon am Tage unser Frühstück ausgemacht hatte, und am folgenden wieder ausmachen mußte.

Während man am nächsten Morgen aufpackte, hatte ich Kissen und Teppich in den Schatten eines alten Baums legen lassen, und ruhte mit dem Kopf hart am Stamme, bis man mein Dromedar vorführte. Im Aufstehen hörte ich einen zischenden Ton hinter mir, und erblickte mich umwendend eine große Schlange, die, noch halb im hohlen Baumstamme vorborgen, mit Kopf und Vordertheil zusammengeringelt auf meinem Kissen ruhte, dicht neben der Stelle, wo mein Haupt seinen Eindruck zurückgelassen hatte. Es ist kein Zweifel, daß die Schlange, von der Weiche und Wärme angezogen, schon eine geraume Zeit in dieser Stellung neben mir verweilt haben mußte, und nur mein sie störendes schnelles Aufspringen ihr zorniges Zischen verursachte. Sie war ganz schwarz, ungefähr zwei bis drei Finger dick und nach der Eingebornen Aussage von der giftigsten Art. So entgeht man oft Gefahren, ohne das Mindeste davon zu ahnen.

Der Theil der Wüste, den wir an diesem letzten Tage und in der Nacht durchritten, verdiente am besten seinen Namen, denn er bestand durchgängig aus einer endlosen Ebene, plan wie das Meer, und ohne Spur des geringsten Gräschens; doch blieb der Sand hart, und war an vielen Stellen dicht mit zerbröckeltem schwarzen Gestein bedeckt. Erst gegen das Ende unseres Marsches kamen wir an ein Akaziengebüsch, in dem das Grunzen einiger Hyänen unsere Thiere etwas beunruhigte. Wir stiegen ab, um wo möglich eine davon zu schießen, wozu der Mond hell genug schien, konnten sie aber bei ihrer schnellen Flucht nicht einholen. Nach Mitternacht erblickten wir endlich die Häuser von Metemma, seit der Zerstörung Schendi's der Hauptort des Districts, wo Alles noch im tiefsten Schlafe lag, und wir lange Zeit brauchten, ehe wir einen Boten auffinden konnten, um uns nach unsern Zelten am Nil zu führen, der nur beim höchsten Wasserstand die Stadt erreicht, jetzt aber noch eine starke halbe Stunde davon entfernt strömt.

Verdurstet und erschöpft wie wir waren, kann man sich denken, mit welcher Wonne wir seine wohlthätigen Fluthen begrüßten und uns in seinem Nektar berauschten, denn dießmal ward ich vollkommen inne, wie frisches Wasser zum wahren Nektar werden könne.

Nicht viel weniger Genuß gewährte uns am Morgen das Bad, obgleich man uns wegen der nun immer häufiger werdenden Krokodile, die besonders beim Beginn des Flußanschwellens gefährlich sind, sehr davon abrieth. Auch sahen wir während unseres zweitägigen Aufenthalts an dieser Stelle nie einen Eingebornen ins Wasser gehen. Es ist sonderbar, daß diese Thiere an gewissen Orten (und auch dort nicht immer nach Proportion ihrer größern oder geringern Menge) weit mehr als an andern zu fürchten sind. In Assuan z. B. hat man noch nie einen Menschen von ihnen angreifen sehen, während man sich in Ouady-Halfa außerordentlich vor ihnen in

Zug durch die Wüste nach Schendi, und Aufenthalt daselbst.

(Fortsetzung.)

Wir konnten erst am 17 Nachts um 11 Uhr den ersehnten Brunnen Abadlech erreichen, die Thiere waren fast erschöpft und wir selbst todmüde. Man nennt bekanntlich das Kamel „das Schiff der Wüste,“ und ein berühmter Reisender behauptet, daß auch die Bewegung des Dromedars der eines Schiffes gleiche. Dieß finde ich so ungegründet als möglich. Im langsamen Schritt desselben wird man zwar, gewissermaßen ähnlich, vorwärts und rückwärts geschaukelt, aber so unsanft, daß es mit der Bewegung eines Schiffes auch nicht das Mindeste gemein hat. Im Trabe aber stößt das Thier so gewaltig, daß auf langen Touren diese anhaltende Erschütterung bei den Meisten ein permanentes Kopfweh hervorbringt, welches sich erst nach einigen Stunden Ruhe wieder verliert. Für Hypochondristen mag jedoch die Bewegung heilsam seyn, denn der ganze Körper wird durchschüttelt wie ein Mehlbeutel in der Mühle. Dazu kommen noch die höchst unregelmäßig construirten Sättel, deren üble Wirkung auf die Sitztheile man durch alle aufgebundenen Kissen und Teppiche doch nicht gänzlich aufheben kann. Auf meinem Dromedare, einem schönen Thiere, das aber fast einem Elephanten an Größe gleichkam, saß ich über dem Gerüste meiner Kissen gerade so hoch als auf dem Bock einer englischen stage coach. Der Eigenthümer wollte dieses Dromedar, welches einer besondern Rennomée in der Gegend genießt, durchaus nicht hergeben, als der Kascheff die nöthigen Thiere für mich in Merävi requiriren ließ (Requisitionen, die nicht verweigert werden dürfen, die aber das Gouvernement bezahlt), bis eine Botschaft des Kascheffs, welche dem Widerspänstigen lakonisch andeutete: in einer Stunde dein Dromedar, oder deine Ohren und Nase – die Wahl nicht länger zweifelhaft ließ. Man erschrecke nicht zu sehr über diese Tyrannei. Die Redensart des „Ohren- und Nasenabschneidens“ ist seit Mehemed Ali's Regierung hier eben so gut nur figürlich geworden, als bei uns etwa die Drohung: „Einem das Fell über die Ohren zu ziehen.“ Die erste Phrase bedeutet hier nur einige Kurbatschhiebe, welche eine Sache kurz abmachen, statt deren dem armen Teufel bei uns vielleicht ein Proceß an den Hals geworfen wird, der tausendmal länger dauert und viel Geld kostet, beides dem Araber viel empfindlicher als seine Haut. Das Arbiträre der Requisitionsmaaßregel aber selbst betreffend, so haben wir auch dabei in unserm Vaterlande nichts voraus; denn, wenn man unsern Gutsbesitzern, Pächtern und Bauern ihre Pferde, gegen die schwächste Vergütung, zur Landwehrübung wegnimmt, nachdem man die Menschen schon vorher ohne diese abgeholt hat – so sehe ich in beiden Ländern wenig Unterschied. Gewalt hier wie dort, nur daß sie bei uns so methodisch und daumschraubenartig organisirt ist, daß selbst der Gedanke eines Widerstandes unmöglich wird, während hier noch häufig ein solcher versucht wird, und nicht selten sogar der Einzelne damit ungestraft durchschlüpft. Der französische Cyniker hat also ganz Recht: „Es bleibt immer beim Alten in der Welt, die Hauptsachen verändern sich wenig“ – „et il y aura toujours et partout beaucoup de fripons et encore plus de dupes.“ Freilich sind die Modificationen unzählig und die brillanten Variationen, welche der große Geist fortwährend auf das Thema der Menschheit componirt, höchst wunderbar – aber Macht wird auf der Erde immer mehr oder weniger gemißbraucht werden, im Privat- wie im Staatsleben. . . . Es ist aber viel besser über all dergleichen zu lachen als zu weinen.

Das von Jackdull mitgenommene Fleisch war verfault, ehe wir es genießen konnten, das Wasser des Brunnens, wo wir Halt machten, war ebenfalls faul, und brakisch, Brod und Wein hatten wir nicht mehr, etwas Reis mußte daher unser Abendmahl liefern, wie er schon am Tage unser Frühstück ausgemacht hatte, und am folgenden wieder ausmachen mußte.

Während man am nächsten Morgen aufpackte, hatte ich Kissen und Teppich in den Schatten eines alten Baums legen lassen, und ruhte mit dem Kopf hart am Stamme, bis man mein Dromedar vorführte. Im Aufstehen hörte ich einen zischenden Ton hinter mir, und erblickte mich umwendend eine große Schlange, die, noch halb im hohlen Baumstamme vorborgen, mit Kopf und Vordertheil zusammengeringelt auf meinem Kissen ruhte, dicht neben der Stelle, wo mein Haupt seinen Eindruck zurückgelassen hatte. Es ist kein Zweifel, daß die Schlange, von der Weiche und Wärme angezogen, schon eine geraume Zeit in dieser Stellung neben mir verweilt haben mußte, und nur mein sie störendes schnelles Aufspringen ihr zorniges Zischen verursachte. Sie war ganz schwarz, ungefähr zwei bis drei Finger dick und nach der Eingebornen Aussage von der giftigsten Art. So entgeht man oft Gefahren, ohne das Mindeste davon zu ahnen.

Der Theil der Wüste, den wir an diesem letzten Tage und in der Nacht durchritten, verdiente am besten seinen Namen, denn er bestand durchgängig aus einer endlosen Ebene, plan wie das Meer, und ohne Spur des geringsten Gräschens; doch blieb der Sand hart, und war an vielen Stellen dicht mit zerbröckeltem schwarzen Gestein bedeckt. Erst gegen das Ende unseres Marsches kamen wir an ein Akaziengebüsch, in dem das Grunzen einiger Hyänen unsere Thiere etwas beunruhigte. Wir stiegen ab, um wo möglich eine davon zu schießen, wozu der Mond hell genug schien, konnten sie aber bei ihrer schnellen Flucht nicht einholen. Nach Mitternacht erblickten wir endlich die Häuser von Metemma, seit der Zerstörung Schendi's der Hauptort des Districts, wo Alles noch im tiefsten Schlafe lag, und wir lange Zeit brauchten, ehe wir einen Boten auffinden konnten, um uns nach unsern Zelten am Nil zu führen, der nur beim höchsten Wasserstand die Stadt erreicht, jetzt aber noch eine starke halbe Stunde davon entfernt strömt.

Verdurstet und erschöpft wie wir waren, kann man sich denken, mit welcher Wonne wir seine wohlthätigen Fluthen begrüßten und uns in seinem Nektar berauschten, denn dießmal ward ich vollkommen inne, wie frisches Wasser zum wahren Nektar werden könne.

Nicht viel weniger Genuß gewährte uns am Morgen das Bad, obgleich man uns wegen der nun immer häufiger werdenden Krokodile, die besonders beim Beginn des Flußanschwellens gefährlich sind, sehr davon abrieth. Auch sahen wir während unseres zweitägigen Aufenthalts an dieser Stelle nie einen Eingebornen ins Wasser gehen. Es ist sonderbar, daß diese Thiere an gewissen Orten (und auch dort nicht immer nach Proportion ihrer größern oder geringern Menge) weit mehr als an andern zu fürchten sind. In Assuan z. B. hat man noch nie einen Menschen von ihnen angreifen sehen, während man sich in Ouady-Halfa außerordentlich vor ihnen in

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[0313/0009] Zug durch die Wüste nach Schendi, und Aufenthalt daselbst. (Fortsetzung.) ♔Wir konnten erst am 17 Nachts um 11 Uhr den ersehnten Brunnen Abadlech erreichen, die Thiere waren fast erschöpft und wir selbst todmüde. Man nennt bekanntlich das Kamel „das Schiff der Wüste,“ und ein berühmter Reisender behauptet, daß auch die Bewegung des Dromedars der eines Schiffes gleiche. Dieß finde ich so ungegründet als möglich. Im langsamen Schritt desselben wird man zwar, gewissermaßen ähnlich, vorwärts und rückwärts geschaukelt, aber so unsanft, daß es mit der Bewegung eines Schiffes auch nicht das Mindeste gemein hat. Im Trabe aber stößt das Thier so gewaltig, daß auf langen Touren diese anhaltende Erschütterung bei den Meisten ein permanentes Kopfweh hervorbringt, welches sich erst nach einigen Stunden Ruhe wieder verliert. Für Hypochondristen mag jedoch die Bewegung heilsam seyn, denn der ganze Körper wird durchschüttelt wie ein Mehlbeutel in der Mühle. Dazu kommen noch die höchst unregelmäßig construirten Sättel, deren üble Wirkung auf die Sitztheile man durch alle aufgebundenen Kissen und Teppiche doch nicht gänzlich aufheben kann. Auf meinem Dromedare, einem schönen Thiere, das aber fast einem Elephanten an Größe gleichkam, saß ich über dem Gerüste meiner Kissen gerade so hoch als auf dem Bock einer englischen stage coach. Der Eigenthümer wollte dieses Dromedar, welches einer besondern Rennomée in der Gegend genießt, durchaus nicht hergeben, als der Kascheff die nöthigen Thiere für mich in Merävi requiriren ließ (Requisitionen, die nicht verweigert werden dürfen, die aber das Gouvernement bezahlt), bis eine Botschaft des Kascheffs, welche dem Widerspänstigen lakonisch andeutete: in einer Stunde dein Dromedar, oder deine Ohren und Nase – die Wahl nicht länger zweifelhaft ließ. Man erschrecke nicht zu sehr über diese Tyrannei. Die Redensart des „Ohren- und Nasenabschneidens“ ist seit Mehemed Ali's Regierung hier eben so gut nur figürlich geworden, als bei uns etwa die Drohung: „Einem das Fell über die Ohren zu ziehen.“ Die erste Phrase bedeutet hier nur einige Kurbatschhiebe, welche eine Sache kurz abmachen, statt deren dem armen Teufel bei uns vielleicht ein Proceß an den Hals geworfen wird, der tausendmal länger dauert und viel Geld kostet, beides dem Araber viel empfindlicher als seine Haut. Das Arbiträre der Requisitionsmaaßregel aber selbst betreffend, so haben wir auch dabei in unserm Vaterlande nichts voraus; denn, wenn man unsern Gutsbesitzern, Pächtern und Bauern ihre Pferde, gegen die schwächste Vergütung, zur Landwehrübung wegnimmt, nachdem man die Menschen schon vorher ohne diese abgeholt hat – so sehe ich in beiden Ländern wenig Unterschied. Gewalt hier wie dort, nur daß sie bei uns so methodisch und daumschraubenartig organisirt ist, daß selbst der Gedanke eines Widerstandes unmöglich wird, während hier noch häufig ein solcher versucht wird, und nicht selten sogar der Einzelne damit ungestraft durchschlüpft. Der französische Cyniker hat also ganz Recht: „Es bleibt immer beim Alten in der Welt, die Hauptsachen verändern sich wenig“ – „et il y aura toujours et partout beaucoup de fripons et encore plus de dupes.“ Freilich sind die Modificationen unzählig und die brillanten Variationen, welche der große Geist fortwährend auf das Thema der Menschheit componirt, höchst wunderbar – aber Macht wird auf der Erde immer mehr oder weniger gemißbraucht werden, im Privat- wie im Staatsleben. . . . Es ist aber viel besser über all dergleichen zu lachen als zu weinen. Das von Jackdull mitgenommene Fleisch war verfault, ehe wir es genießen konnten, das Wasser des Brunnens, wo wir Halt machten, war ebenfalls faul, und brakisch, Brod und Wein hatten wir nicht mehr, etwas Reis mußte daher unser Abendmahl liefern, wie er schon am Tage unser Frühstück ausgemacht hatte, und am folgenden wieder ausmachen mußte. Während man am nächsten Morgen aufpackte, hatte ich Kissen und Teppich in den Schatten eines alten Baums legen lassen, und ruhte mit dem Kopf hart am Stamme, bis man mein Dromedar vorführte. Im Aufstehen hörte ich einen zischenden Ton hinter mir, und erblickte mich umwendend eine große Schlange, die, noch halb im hohlen Baumstamme vorborgen, mit Kopf und Vordertheil zusammengeringelt auf meinem Kissen ruhte, dicht neben der Stelle, wo mein Haupt seinen Eindruck zurückgelassen hatte. Es ist kein Zweifel, daß die Schlange, von der Weiche und Wärme angezogen, schon eine geraume Zeit in dieser Stellung neben mir verweilt haben mußte, und nur mein sie störendes schnelles Aufspringen ihr zorniges Zischen verursachte. Sie war ganz schwarz, ungefähr zwei bis drei Finger dick und nach der Eingebornen Aussage von der giftigsten Art. So entgeht man oft Gefahren, ohne das Mindeste davon zu ahnen. Der Theil der Wüste, den wir an diesem letzten Tage und in der Nacht durchritten, verdiente am besten seinen Namen, denn er bestand durchgängig aus einer endlosen Ebene, plan wie das Meer, und ohne Spur des geringsten Gräschens; doch blieb der Sand hart, und war an vielen Stellen dicht mit zerbröckeltem schwarzen Gestein bedeckt. Erst gegen das Ende unseres Marsches kamen wir an ein Akaziengebüsch, in dem das Grunzen einiger Hyänen unsere Thiere etwas beunruhigte. Wir stiegen ab, um wo möglich eine davon zu schießen, wozu der Mond hell genug schien, konnten sie aber bei ihrer schnellen Flucht nicht einholen. Nach Mitternacht erblickten wir endlich die Häuser von Metemma, seit der Zerstörung Schendi's der Hauptort des Districts, wo Alles noch im tiefsten Schlafe lag, und wir lange Zeit brauchten, ehe wir einen Boten auffinden konnten, um uns nach unsern Zelten am Nil zu führen, der nur beim höchsten Wasserstand die Stadt erreicht, jetzt aber noch eine starke halbe Stunde davon entfernt strömt. Verdurstet und erschöpft wie wir waren, kann man sich denken, mit welcher Wonne wir seine wohlthätigen Fluthen begrüßten und uns in seinem Nektar berauschten, denn dießmal ward ich vollkommen inne, wie frisches Wasser zum wahren Nektar werden könne. Nicht viel weniger Genuß gewährte uns am Morgen das Bad, obgleich man uns wegen der nun immer häufiger werdenden Krokodile, die besonders beim Beginn des Flußanschwellens gefährlich sind, sehr davon abrieth. Auch sahen wir während unseres zweitägigen Aufenthalts an dieser Stelle nie einen Eingebornen ins Wasser gehen. Es ist sonderbar, daß diese Thiere an gewissen Orten (und auch dort nicht immer nach Proportion ihrer größern oder geringern Menge) weit mehr als an andern zu fürchten sind. In Assuan z. B. hat man noch nie einen Menschen von ihnen angreifen sehen, während man sich in Ouady-Halfa außerordentlich vor ihnen in

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 40. Augsburg, 9. Februar 1840, S. 0313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_040_18400209/9>, abgerufen am 21.11.2024.