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Allgemeine Zeitung. Nr. 42. Augsburg, 11. Februar 1840.

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kann gewiß der Vorwurf gemacht werden, die Frage wegen der Trennung von Frankreich zu leicht aufgefaßt zu haben. Er hätte bedenken sollen, daß dieß leichter gesagt als gethan ist, und daß dabei der Friede von Europa aufs Spiel gesetzt worden wäre. Ludwig Philipp, der mit dem ihm eigenen Tact ruhig zusah, wie man sich in London gebärdete, hat den größten Triumph gefeiert, denn er hat die Welt überzeugt, daß von nun an Frankreich und England noch mehr als sonst die Nothwendigkeit fühlen, zusammenzuhalten. Mehemed Ali zieht aus allen diesen diplomatischen Tripotagen den größten Vortheil. Er kann der französischen Regierung nicht genug danken für das, was sie unter so schwierigen Umständen für ihn gethan. Sein politischer Gang ist ihm fernerhin genau vorgeschrieben: sich blindlings an Frankreich zu halten und von hier den Impuls zu empfangen. England dagegen hat aus allem diesen Treiben nichts als Nachtheil zu erwarten, indem es die ganze Welt disgustirt hat. Ich glaube noch hinzufügen zu müssen, daß das von Lord Palmerston im Conseil vorgetragene Project, welches die Propositionen von Rußland gleichsam zurückwies und ganz den Geist der französischen Politik athmete, die allgemeine Zustimmung erhalten hat, natürlich aber von Hrn. v. Brunnow nicht goutirt werden kann.

***

Die Meinung, daß die Mission des Barons Brunnow erfolglos bleiben werde, ist hier ziemlich verbreitet. Während der Zeit der Brunnow'schen Unterhandlungen in London schwebte man hier in einer merkwürdigen Ungewißheit über Alles, was jenseits des Canals vorging. Ueber die Mission selbst scheint unser Cabinet von St. Petersburg aus officiel nicht verständigt worden zu seyn; doch machte Hr. v. Medem eine persönliche Anzeige darüber an das hiesige Ministerium. Natürlich fühlte man sich hier dadurch auf das empfindlichste verletzt, ebenso durch die gänzliche Isolirung, in die sich Graf Sebastiani versetzt sah. Seine Berichte über die Lage der Dinge waren mehr denn unzuverlässig, und die Versicherungen, durch welche Hr. Villemain die Kammer beruhigte, z. B. daß eine englisch-russische Allianz von keinem Bestande seyn könne, waren unter dem Einflusse eines von London dem Cabinette zugekommenen Berichts, daß diese Allianz bereits geschlossen worden, gemacht. Ebenso wurde später das gänzliche Mißlingen der russischen Annäherung an England anher berichtet, was sich auch wieder als unrichtig erwies. - Unser Botschafter am kaiserl. österreichischen Hofe, Graf St. Aulaire, hat um einen Urlaub angehalten, denselben aber nicht erhalten. Wichtige Privatangelegenheiten scheinen den Grafen zu diesem Gesuch bestimmt zu haben, und die Abweisung seiner Bitte könnte den alten, ehrwürdigen Diplomaten in einige Verlegenheit setzen.

Die Notification des preußischen Gesandten, Hrn. v. Arnim, an den Marschall Soult, von welcher ich in meinem letzten Briefe sprach, enthielt, daß die preußische Gesandtschaft in London angewiesen sey, dort die Erklärung abzugeben, wie ihr Hof den Vorschlägen beitrete, die Hr. v. Brunnow dem englischen Cabinet gemacht habe. Der Beitritt Oesterreichs sey bereits erfolgt; beide Mächte ersuchten Frankreich, ein Gleiches zu thun. Ich bemerke hier, daß bekanntlich Unterhandlungen zwischen Frankreich und dem deutschen Zollverein bestehen, die im verwichenen Jahre durch den französischen Commissär bei der Rheinschifffahrtscommission in Mainz, Hrn. Engelhardt, angeknüpft wurden, als derselbe sich in Berlin befand. Das französische Cabinet erwartete eine Antwort von Berlin über diesen Punkt, und da der Marschall wußte, daß ein Courier bei der preußischen Gesandtschaft angelangt sey, fragte er Hrn. v. Arnim gleich beim Eintritt, wie die Antwort in Betreff des Handelsvertrags laute? Er war nicht wenig betroffen, als er erfuhr, daß statt derselben jene Mittheilung eingelaufen war. Das Ministerium sucht allerorts die Nachricht zu verbreiten, die Unterhandlungen zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow seyen ganz abgebrochen, oder es sey wenigstens nichts definitiv verabredet, so daß Hr. Guizot immer noch zu rechter Zeit komme, um den Abschluß scheitern zu machen. Diese Version findet aber wenig Glauben; eher eine andere, die von der russischen Gesandtschaft ausgehen soll, und die ihre Bestätigung in der Eingangs erwähnten Notification findet; sie besteht darin, daß England und Rußland über die Hauptpunkte einig seyen, und nur einige Nebenpunkte zu reguliren bleiben, z. B. wie viel tausend Mann russische Truppen nach Syrien übergeschifft werden? Diese Regulirung sey bis nach der Vermählung der Königin von England verschoben, und die vier Mächte hoffen, mittlerweile werde Frankreich sich doch zum Beitritt verstehen. - Dem Vernehmen nach haben in der Commission zur Begutachtung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours sich selbst unter den dem Ministerium gewogenen Mitgliedern mehrere dahin geäußert, daß die jährlichen 500,000 Fr. auf jeden Fall nur bis zum Ableben des Königs zugestanden werden könnten, indem dann die vorbehaltene Nutznießung aufhöre, und der Herzog sein sehr bedeutendes Privatvermögen selbst genieße. Dieser Entwurf hat in den Provinzen den größten Widerwillen erregt, besonders da er mit einer Epoche allgemeiner Noth und eines Finanzdeficits zusammentrifft; beinahe alle Deputirten erhalten von ihren Wählern Einladungen, dagegen zu stimmen. - Heute wird die Kammer über die Motion des Hrn. Gauguier abstimmen, wonach die salarirten Beamten, welche Deputirten sind, während der Session ihren Gehalt nicht beziehen sollen; sie hat zum Zweck, die Beamten indirect zu nöthigen, die Deputation nicht anzunehmen. Die beinahe allgemeine Stimme ist dagegen, und die Motion wird vermuthlich mit großer Stimmenmehrheit verworfen werden. In der Opposition ist die Rede von einem Amendement, daß gewisse Beamte nicht Deputirte seyn können; allein auch dieß hat keinen Beifall gefunden, nicht um der Sache selbst willen, sondern weil es eigentlich kein Amendement der Motion Gauguier vorstellt, sondern nur den Gegenstand einer neuen besondern Motion abgeben kann. Es wird also Alles beim Alten bleiben, bis etwa die Angelegenheit der Wahlreform in ihrem ganzen Umfang aufs Tapet kömmt, wozu aber bis jetzt noch keine Aussicht vorliegt.

Niederlande.

Die holländischen Blätter bringen eine nicht unbedeutende Liste von höhern Officieren, welche auf Nichtactivitätssold gesetzt werden. - Man meldet aus Leyden vom 1 Febr., daß nach einem dieser Tage in einer Versammlung der Juristenfacultät gefaßten Beschlusse die Examina, welche bisher alle in lateinischer Sprache gehalten wurden, künftig wenigstens für das jetzige niederländische Recht in niederdeutscher Sprache vorgenommen werden sollen.

Deutschland.
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Die gestern Abend hier eingetroffene Nachricht von dem Tode der Erzherzogin Anna Maria Pia, Nichte Sr. Majestät des Königs von Bayern, hat hier am Hofe schmerzliche Theilnahme erregt. - Unser edler Erzbischof, Freiherr v. Gebsattel, hat in diesen Tagen dem hiesigen (v. Kurz'schen) technischen Unterrichts- und Erziehungsinstitut für arme krüppelhafte Kinder die Summe von 6000 fl. zum Geschenke gemacht. - Der Gesundheitszustand unsrer Stadt hat sich in den letzten 14 Tagen gebessert, und die Zahl der Schleimfieberkranken hat sich nach Versicherung der Aerzte um ein Namhaftes verringert.

kann gewiß der Vorwurf gemacht werden, die Frage wegen der Trennung von Frankreich zu leicht aufgefaßt zu haben. Er hätte bedenken sollen, daß dieß leichter gesagt als gethan ist, und daß dabei der Friede von Europa aufs Spiel gesetzt worden wäre. Ludwig Philipp, der mit dem ihm eigenen Tact ruhig zusah, wie man sich in London gebärdete, hat den größten Triumph gefeiert, denn er hat die Welt überzeugt, daß von nun an Frankreich und England noch mehr als sonst die Nothwendigkeit fühlen, zusammenzuhalten. Mehemed Ali zieht aus allen diesen diplomatischen Tripotagen den größten Vortheil. Er kann der französischen Regierung nicht genug danken für das, was sie unter so schwierigen Umständen für ihn gethan. Sein politischer Gang ist ihm fernerhin genau vorgeschrieben: sich blindlings an Frankreich zu halten und von hier den Impuls zu empfangen. England dagegen hat aus allem diesen Treiben nichts als Nachtheil zu erwarten, indem es die ganze Welt disgustirt hat. Ich glaube noch hinzufügen zu müssen, daß das von Lord Palmerston im Conseil vorgetragene Project, welches die Propositionen von Rußland gleichsam zurückwies und ganz den Geist der französischen Politik athmete, die allgemeine Zustimmung erhalten hat, natürlich aber von Hrn. v. Brunnow nicht goutirt werden kann.

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Die Meinung, daß die Mission des Barons Brunnow erfolglos bleiben werde, ist hier ziemlich verbreitet. Während der Zeit der Brunnow'schen Unterhandlungen in London schwebte man hier in einer merkwürdigen Ungewißheit über Alles, was jenseits des Canals vorging. Ueber die Mission selbst scheint unser Cabinet von St. Petersburg aus officiel nicht verständigt worden zu seyn; doch machte Hr. v. Medem eine persönliche Anzeige darüber an das hiesige Ministerium. Natürlich fühlte man sich hier dadurch auf das empfindlichste verletzt, ebenso durch die gänzliche Isolirung, in die sich Graf Sebastiani versetzt sah. Seine Berichte über die Lage der Dinge waren mehr denn unzuverlässig, und die Versicherungen, durch welche Hr. Villemain die Kammer beruhigte, z. B. daß eine englisch-russische Allianz von keinem Bestande seyn könne, waren unter dem Einflusse eines von London dem Cabinette zugekommenen Berichts, daß diese Allianz bereits geschlossen worden, gemacht. Ebenso wurde später das gänzliche Mißlingen der russischen Annäherung an England anher berichtet, was sich auch wieder als unrichtig erwies. – Unser Botschafter am kaiserl. österreichischen Hofe, Graf St. Aulaire, hat um einen Urlaub angehalten, denselben aber nicht erhalten. Wichtige Privatangelegenheiten scheinen den Grafen zu diesem Gesuch bestimmt zu haben, und die Abweisung seiner Bitte könnte den alten, ehrwürdigen Diplomaten in einige Verlegenheit setzen.

Die Notification des preußischen Gesandten, Hrn. v. Arnim, an den Marschall Soult, von welcher ich in meinem letzten Briefe sprach, enthielt, daß die preußische Gesandtschaft in London angewiesen sey, dort die Erklärung abzugeben, wie ihr Hof den Vorschlägen beitrete, die Hr. v. Brunnow dem englischen Cabinet gemacht habe. Der Beitritt Oesterreichs sey bereits erfolgt; beide Mächte ersuchten Frankreich, ein Gleiches zu thun. Ich bemerke hier, daß bekanntlich Unterhandlungen zwischen Frankreich und dem deutschen Zollverein bestehen, die im verwichenen Jahre durch den französischen Commissär bei der Rheinschifffahrtscommission in Mainz, Hrn. Engelhardt, angeknüpft wurden, als derselbe sich in Berlin befand. Das französische Cabinet erwartete eine Antwort von Berlin über diesen Punkt, und da der Marschall wußte, daß ein Courier bei der preußischen Gesandtschaft angelangt sey, fragte er Hrn. v. Arnim gleich beim Eintritt, wie die Antwort in Betreff des Handelsvertrags laute? Er war nicht wenig betroffen, als er erfuhr, daß statt derselben jene Mittheilung eingelaufen war. Das Ministerium sucht allerorts die Nachricht zu verbreiten, die Unterhandlungen zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow seyen ganz abgebrochen, oder es sey wenigstens nichts definitiv verabredet, so daß Hr. Guizot immer noch zu rechter Zeit komme, um den Abschluß scheitern zu machen. Diese Version findet aber wenig Glauben; eher eine andere, die von der russischen Gesandtschaft ausgehen soll, und die ihre Bestätigung in der Eingangs erwähnten Notification findet; sie besteht darin, daß England und Rußland über die Hauptpunkte einig seyen, und nur einige Nebenpunkte zu reguliren bleiben, z. B. wie viel tausend Mann russische Truppen nach Syrien übergeschifft werden? Diese Regulirung sey bis nach der Vermählung der Königin von England verschoben, und die vier Mächte hoffen, mittlerweile werde Frankreich sich doch zum Beitritt verstehen. – Dem Vernehmen nach haben in der Commission zur Begutachtung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours sich selbst unter den dem Ministerium gewogenen Mitgliedern mehrere dahin geäußert, daß die jährlichen 500,000 Fr. auf jeden Fall nur bis zum Ableben des Königs zugestanden werden könnten, indem dann die vorbehaltene Nutznießung aufhöre, und der Herzog sein sehr bedeutendes Privatvermögen selbst genieße. Dieser Entwurf hat in den Provinzen den größten Widerwillen erregt, besonders da er mit einer Epoche allgemeiner Noth und eines Finanzdeficits zusammentrifft; beinahe alle Deputirten erhalten von ihren Wählern Einladungen, dagegen zu stimmen. – Heute wird die Kammer über die Motion des Hrn. Gauguier abstimmen, wonach die salarirten Beamten, welche Deputirten sind, während der Session ihren Gehalt nicht beziehen sollen; sie hat zum Zweck, die Beamten indirect zu nöthigen, die Deputation nicht anzunehmen. Die beinahe allgemeine Stimme ist dagegen, und die Motion wird vermuthlich mit großer Stimmenmehrheit verworfen werden. In der Opposition ist die Rede von einem Amendement, daß gewisse Beamte nicht Deputirte seyn können; allein auch dieß hat keinen Beifall gefunden, nicht um der Sache selbst willen, sondern weil es eigentlich kein Amendement der Motion Gauguier vorstellt, sondern nur den Gegenstand einer neuen besondern Motion abgeben kann. Es wird also Alles beim Alten bleiben, bis etwa die Angelegenheit der Wahlreform in ihrem ganzen Umfang aufs Tapet kömmt, wozu aber bis jetzt noch keine Aussicht vorliegt.

Niederlande.

Die holländischen Blätter bringen eine nicht unbedeutende Liste von höhern Officieren, welche auf Nichtactivitätssold gesetzt werden. – Man meldet aus Leyden vom 1 Febr., daß nach einem dieser Tage in einer Versammlung der Juristenfacultät gefaßten Beschlusse die Examina, welche bisher alle in lateinischer Sprache gehalten wurden, künftig wenigstens für das jetzige niederländische Recht in niederdeutscher Sprache vorgenommen werden sollen.

Deutschland.
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Die gestern Abend hier eingetroffene Nachricht von dem Tode der Erzherzogin Anna Maria Pia, Nichte Sr. Majestät des Königs von Bayern, hat hier am Hofe schmerzliche Theilnahme erregt. – Unser edler Erzbischof, Freiherr v. Gebsattel, hat in diesen Tagen dem hiesigen (v. Kurz'schen) technischen Unterrichts- und Erziehungsinstitut für arme krüppelhafte Kinder die Summe von 6000 fl. zum Geschenke gemacht. – Der Gesundheitszustand unsrer Stadt hat sich in den letzten 14 Tagen gebessert, und die Zahl der Schleimfieberkranken hat sich nach Versicherung der Aerzte um ein Namhaftes verringert.

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[0333/0005] kann gewiß der Vorwurf gemacht werden, die Frage wegen der Trennung von Frankreich zu leicht aufgefaßt zu haben. Er hätte bedenken sollen, daß dieß leichter gesagt als gethan ist, und daß dabei der Friede von Europa aufs Spiel gesetzt worden wäre. Ludwig Philipp, der mit dem ihm eigenen Tact ruhig zusah, wie man sich in London gebärdete, hat den größten Triumph gefeiert, denn er hat die Welt überzeugt, daß von nun an Frankreich und England noch mehr als sonst die Nothwendigkeit fühlen, zusammenzuhalten. Mehemed Ali zieht aus allen diesen diplomatischen Tripotagen den größten Vortheil. Er kann der französischen Regierung nicht genug danken für das, was sie unter so schwierigen Umständen für ihn gethan. Sein politischer Gang ist ihm fernerhin genau vorgeschrieben: sich blindlings an Frankreich zu halten und von hier den Impuls zu empfangen. England dagegen hat aus allem diesen Treiben nichts als Nachtheil zu erwarten, indem es die ganze Welt disgustirt hat. Ich glaube noch hinzufügen zu müssen, daß das von Lord Palmerston im Conseil vorgetragene Project, welches die Propositionen von Rußland gleichsam zurückwies und ganz den Geist der französischen Politik athmete, die allgemeine Zustimmung erhalten hat, natürlich aber von Hrn. v. Brunnow nicht goutirt werden kann. *** Paris 2 Febr. Die Meinung, daß die Mission des Barons Brunnow erfolglos bleiben werde, ist hier ziemlich verbreitet. Während der Zeit der Brunnow'schen Unterhandlungen in London schwebte man hier in einer merkwürdigen Ungewißheit über Alles, was jenseits des Canals vorging. Ueber die Mission selbst scheint unser Cabinet von St. Petersburg aus officiel nicht verständigt worden zu seyn; doch machte Hr. v. Medem eine persönliche Anzeige darüber an das hiesige Ministerium. Natürlich fühlte man sich hier dadurch auf das empfindlichste verletzt, ebenso durch die gänzliche Isolirung, in die sich Graf Sebastiani versetzt sah. Seine Berichte über die Lage der Dinge waren mehr denn unzuverlässig, und die Versicherungen, durch welche Hr. Villemain die Kammer beruhigte, z. B. daß eine englisch-russische Allianz von keinem Bestande seyn könne, waren unter dem Einflusse eines von London dem Cabinette zugekommenen Berichts, daß diese Allianz bereits geschlossen worden, gemacht. Ebenso wurde später das gänzliche Mißlingen der russischen Annäherung an England anher berichtet, was sich auch wieder als unrichtig erwies. – Unser Botschafter am kaiserl. österreichischen Hofe, Graf St. Aulaire, hat um einen Urlaub angehalten, denselben aber nicht erhalten. Wichtige Privatangelegenheiten scheinen den Grafen zu diesem Gesuch bestimmt zu haben, und die Abweisung seiner Bitte könnte den alten, ehrwürdigen Diplomaten in einige Verlegenheit setzen. ∸ Paris, 6 Febr. Die Notification des preußischen Gesandten, Hrn. v. Arnim, an den Marschall Soult, von welcher ich in meinem letzten Briefe sprach, enthielt, daß die preußische Gesandtschaft in London angewiesen sey, dort die Erklärung abzugeben, wie ihr Hof den Vorschlägen beitrete, die Hr. v. Brunnow dem englischen Cabinet gemacht habe. Der Beitritt Oesterreichs sey bereits erfolgt; beide Mächte ersuchten Frankreich, ein Gleiches zu thun. Ich bemerke hier, daß bekanntlich Unterhandlungen zwischen Frankreich und dem deutschen Zollverein bestehen, die im verwichenen Jahre durch den französischen Commissär bei der Rheinschifffahrtscommission in Mainz, Hrn. Engelhardt, angeknüpft wurden, als derselbe sich in Berlin befand. Das französische Cabinet erwartete eine Antwort von Berlin über diesen Punkt, und da der Marschall wußte, daß ein Courier bei der preußischen Gesandtschaft angelangt sey, fragte er Hrn. v. Arnim gleich beim Eintritt, wie die Antwort in Betreff des Handelsvertrags laute? Er war nicht wenig betroffen, als er erfuhr, daß statt derselben jene Mittheilung eingelaufen war. Das Ministerium sucht allerorts die Nachricht zu verbreiten, die Unterhandlungen zwischen Lord Palmerston und Hrn. v. Brunnow seyen ganz abgebrochen, oder es sey wenigstens nichts definitiv verabredet, so daß Hr. Guizot immer noch zu rechter Zeit komme, um den Abschluß scheitern zu machen. Diese Version findet aber wenig Glauben; eher eine andere, die von der russischen Gesandtschaft ausgehen soll, und die ihre Bestätigung in der Eingangs erwähnten Notification findet; sie besteht darin, daß England und Rußland über die Hauptpunkte einig seyen, und nur einige Nebenpunkte zu reguliren bleiben, z. B. wie viel tausend Mann russische Truppen nach Syrien übergeschifft werden? Diese Regulirung sey bis nach der Vermählung der Königin von England verschoben, und die vier Mächte hoffen, mittlerweile werde Frankreich sich doch zum Beitritt verstehen. – Dem Vernehmen nach haben in der Commission zur Begutachtung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours sich selbst unter den dem Ministerium gewogenen Mitgliedern mehrere dahin geäußert, daß die jährlichen 500,000 Fr. auf jeden Fall nur bis zum Ableben des Königs zugestanden werden könnten, indem dann die vorbehaltene Nutznießung aufhöre, und der Herzog sein sehr bedeutendes Privatvermögen selbst genieße. Dieser Entwurf hat in den Provinzen den größten Widerwillen erregt, besonders da er mit einer Epoche allgemeiner Noth und eines Finanzdeficits zusammentrifft; beinahe alle Deputirten erhalten von ihren Wählern Einladungen, dagegen zu stimmen. – Heute wird die Kammer über die Motion des Hrn. Gauguier abstimmen, wonach die salarirten Beamten, welche Deputirten sind, während der Session ihren Gehalt nicht beziehen sollen; sie hat zum Zweck, die Beamten indirect zu nöthigen, die Deputation nicht anzunehmen. Die beinahe allgemeine Stimme ist dagegen, und die Motion wird vermuthlich mit großer Stimmenmehrheit verworfen werden. In der Opposition ist die Rede von einem Amendement, daß gewisse Beamte nicht Deputirte seyn können; allein auch dieß hat keinen Beifall gefunden, nicht um der Sache selbst willen, sondern weil es eigentlich kein Amendement der Motion Gauguier vorstellt, sondern nur den Gegenstand einer neuen besondern Motion abgeben kann. Es wird also Alles beim Alten bleiben, bis etwa die Angelegenheit der Wahlreform in ihrem ganzen Umfang aufs Tapet kömmt, wozu aber bis jetzt noch keine Aussicht vorliegt. Niederlande. Die holländischen Blätter bringen eine nicht unbedeutende Liste von höhern Officieren, welche auf Nichtactivitätssold gesetzt werden. – Man meldet aus Leyden vom 1 Febr., daß nach einem dieser Tage in einer Versammlung der Juristenfacultät gefaßten Beschlusse die Examina, welche bisher alle in lateinischer Sprache gehalten wurden, künftig wenigstens für das jetzige niederländische Recht in niederdeutscher Sprache vorgenommen werden sollen. Deutschland. **München, 9 Februar. Die gestern Abend hier eingetroffene Nachricht von dem Tode der Erzherzogin Anna Maria Pia, Nichte Sr. Majestät des Königs von Bayern, hat hier am Hofe schmerzliche Theilnahme erregt. – Unser edler Erzbischof, Freiherr v. Gebsattel, hat in diesen Tagen dem hiesigen (v. Kurz'schen) technischen Unterrichts- und Erziehungsinstitut für arme krüppelhafte Kinder die Summe von 6000 fl. zum Geschenke gemacht. – Der Gesundheitszustand unsrer Stadt hat sich in den letzten 14 Tagen gebessert, und die Zahl der Schleimfieberkranken hat sich nach Versicherung der Aerzte um ein Namhaftes verringert.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 42. Augsburg, 11. Februar 1840, S. 0333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_042_18400211/5>, abgerufen am 05.05.2024.