Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg, 4. März 1840.blieb. Ohne Beispiele in der Fremde suchen zu wollen, bietet das lombardo-venezianische Königreich in dieser Beziehung ein schönes Muster dar. Khiwa. Das Pariser Journal la France läßt sich angeblich aus St. Petersburg schreiben: "Der Khan von Khiwa ist 53 Jahre alt - tapfer, aber indolent. Er selbst, wie man sagt, würde mit Rußland gern in gutem Einvernehmen seyn, aber er läßt sich durch den Einfluß seiner Favoritgemahlin, eines schönen und stolzen Weibes von 22 Jahren, bestimmen, welche die Schwester des Sultans der unabhängigen Kirgisen und sehr kriegslustig ist. Sie hat 5000 Mann Infanterie und 26,000 Mann khiwanischer Reiterei zur Vertheidigung der Hauptstadt bewaffnet, und ihren Bruder um Hülfe angegangen, der sich aber auf das bestimmteste weigerte, an einem Kriege gegen Rußland Theil zu nehmen. Sie selbst soll unter dem Einfluß eines Italieners stehen, der in ihres Gatten Palast den Majordomus macht. Der Khan besitzt muthmaßlich große Schätze, und seine Marställe sind mit den schönsten Pferden asiatischer Race angefüllt. Er hat 600 fremde Sklaven in seinem Dienst, da die Khiwanen alle Krieger sind und sich nicht zu Domestikendiensten brauchen lassen. Die Bevölkerung seines Gebiets besteht aus 426,000 freien (männlichen) Khiwanen und 85,000 Sklaven." St. Petersburg. Dr. Dahl, seit mehreren Jahren im Gouvernement Orenburg in öffentlichen Dienstverhältnissen stehend, dem Generallieutenant Perowsky auf seiner gegenwärtigen Expedition nach Khiwa als Beamter für besondere Aufträge beigegeben, gab uns neuerlichst interessante Data über dieses Land. Er verdankte sie der mündlichen Mittheilung der jüngst aus Khiwa nach Orenburg zurückgekehrten Gefangenen. Wir entlehnen der Schrift Nachstehendes: "Khiwa's gegenwärtiger Khan Alla-Kul regiert seit 1826. Er hat zwei Söhne: Rahman-Kul-Thura, jetzt 25, und Hadschai-Kul-Thura, jetzt 20 Jahre. Alla-Kul wird jetzt gegen 45 Jahre zählen. Seine Dynastie ist aus dem Stamme der Usbeken". - Khiwa steht im Umfange seiner Größe und Bevölkerung dem benachbarten Buchara weit nach. Letztere möchte etwas über 200,000 Individuen beiderlei Geschlechter betragen. Sie besteht aus einem Gemisch von Karakalpaken, Truchmenen, Usbeken und Sarten. Von ersteren zählt man im ganzen Khanat nicht über 1000 Männer; die Truchmenen, für die besten Krieger geltend, haben sich in den letzten Jahren zahlreich dort übergesiedelt; die Usbeken, der Urstamm der Bevölkerung, halten sich für die ersten und gehen nur wenig mit den übrigen Bewohnern um. Khiwa, die Hauptstadt des Landes, zählt an 20,000 Bewohner. Es ist auf einer Anhöhe erbaut, ringsum von einem Erdwall umgeben. Die Festung, von Thonstein aufgeführt, bildet ein Rondell, deren Mauer unter 3 Faden, oben aber nur eine Arschine Dicke hat. Die Höhe beträgt 8 Arschine. In derselben sind in abgemessenen Zwischenräumen Schießscharten zur Vertheidigung bei feindlichen Ueberfällen angebracht, Kanonen aber nicht aufgestellt. Vier Thore führen aus der Stadt nach den verschiedensten Richtungen. Vor ihr liegen zwei kleine Seen. Gegen zwei Tagmärsche von der Stadt ist der Hauptfluß des Landes, Aliju-darja; von diesem ist ein Canal in die Stadt geleitet, nicht tief, nur von Manneshöhe. Von diesem aus gehen wieder 160 kleine Canäle nach allen Seiten des Landes, das überhaupt von Canälen durchschnitten ist, zur Anfeuchtung und Bewässerung des Bodens; denn wenn die Felder und Gärten nicht von den gefangenen Russen und Persern (Schiiten) täglich mit dem mühsamsten Eifer gelockert, geebnet und befeuchtet werden, gedeiht nichts auf ihnen. Die Festung hat an 2000 Häuser, sie sind alle von Thon, mit platten Dächern, ohne Fenster; ihre Stelle vertreten Löcher in der Mauer, durch welche das Tageslicht ins Innere der Wohnungen fällt. Eine Menge anderer Häuser befindet sich außerhalb der Festung, alle gehen aber rund um die letztere und dehnen sich nach allen Seiten weit über eine Werst aus. Die Gassen sind nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch in allen übrigen Städten des Khanats krumm, dergestalt eng, daß mit Mühe nur ein Bauerwagen passiren kann und über allen Begriff, unrein und schmutzig. Im Herbst zur Regenzeit sind die Straßen in den Städten und die Landwege vor Schmutz nicht zu passiren. Der Khan hat seine Wohnung in einem besonderen Hause in der Festung, dessen Aeußeres ganz seiner Umgebung entspricht. Vor seinem Hause befindet sich keine Wache, nur zwei bis drei Thürhüter wahren die äußeren Zugänge, diese aber auch nach Belieben, sie kommen und gehen von ihren Posten wie es ihnen gefällt und sind ohne Waffen. Der Khan trägt beständig einen krummen Säbel an der Seite. Seine Streitkräfte mögen einige 20,000 Mann betragen. Der Khan soll an zehn Frauen besitzen. Die älteste von ihnen, die Tochter eines Kirgisen-Sultans, ist eine seiner nächsten Verwandten. Den Frauen des Khans wird das tägliche Brod nach Gewicht zugemessen. Für den ganzen Hofstaat sind täglich bestimmt drei Pud Weizenmehl (120 Pfund), zwei Pud Reis, ein Pud Fleisch, anderthalb Pud Sesam-Butter. Die Oekonomie geht so weit, daß viele der Frauen gezwungen sind, die Reste des kargen Pillaw zum Verkauf auf den Bazar zu senden, um für den daraus gelösten Kopeken etwas Seide oder andere Bagatellen einzukaufen. Jede besitzt ihr besonderes Kämmerchen. Die kleine Hofküche besorgt eine gefangene Perserin, die selbst kaum dabei gesättigt wird; bei der großen ist eine Russin angestellt, deren Amt unweit lucrativer ist. Zweimal täglich erscheinen bei ihr die Dienstboten vom ganzen Hofe des Khans, von seinen Frauen und Kindern, alle mit irdenen Geschirren versehen. Jedem verabreicht die Russin größere oder kleinere Portionen, nach der Charge und dem Range der Absender, und dabei erübrigt sie so viel, daß sie an jedem Abend ein mit Mundvorrath gefülltes Säckchen nach Hause bringt. Der Khan erhält natürlich vor allen die größte Portion, die er nie verzehrt; von den Resten sättigen sich später seine ersten Minister und Hofbeamten, die darauf schon in den Vorgemächern harren. Bei der Theilung pflegt es nicht selten zu argen Raufereien zu kommen. Vom ganzen Hofe ist der Khan der einzige, der Thee trinkt, jedoch nur den gemeinen Ziegel- oder Kalmücken-Thee, selten besseren. Nur zweimal in der Woche erlaubt er sich, dazu Zucker zu nehmen. Er bedient sich einer chinesischen Tasse. Auch an diesem Genusse läßt er zuweilen seine vertrautesten Günstlinge Theil nehmen. Seine Frauen und Kinder erhalten nie Thee. - Des Khans älteste Frau ist berechtigt, jedes Jahr eine Reise zum Besuch ihres Bruders auf einige Tage nach der Kirgisen-Horde zu machen. Sie tritt sie allemal zur Nachtzeit an, in einer einfachen Arba (Bauerwagen) mit einem Pferde bespannt, mit dem zu einer andern Zeit Dünger geführt wird. Das Pferd leitet ein Gefangener am Zaume. Die Khanin begleiten eine oder zwei ihrer Mädchen. Alla-Kul ist von schwachem Gemüthe, überaus unterwürfig dieser Frau, die große Gewalt über ihn übt. Sie ist von eigensinnigem Charakter und streng gegen ihre Sklavinnen. Ihre Bedienten sind nur Gefangene, häufig blieb. Ohne Beispiele in der Fremde suchen zu wollen, bietet das lombardo-venezianische Königreich in dieser Beziehung ein schönes Muster dar. Khiwa. Das Pariser Journal la France läßt sich angeblich aus St. Petersburg schreiben: „Der Khan von Khiwa ist 53 Jahre alt – tapfer, aber indolent. Er selbst, wie man sagt, würde mit Rußland gern in gutem Einvernehmen seyn, aber er läßt sich durch den Einfluß seiner Favoritgemahlin, eines schönen und stolzen Weibes von 22 Jahren, bestimmen, welche die Schwester des Sultans der unabhängigen Kirgisen und sehr kriegslustig ist. Sie hat 5000 Mann Infanterie und 26,000 Mann khiwanischer Reiterei zur Vertheidigung der Hauptstadt bewaffnet, und ihren Bruder um Hülfe angegangen, der sich aber auf das bestimmteste weigerte, an einem Kriege gegen Rußland Theil zu nehmen. Sie selbst soll unter dem Einfluß eines Italieners stehen, der in ihres Gatten Palast den Majordomus macht. Der Khan besitzt muthmaßlich große Schätze, und seine Marställe sind mit den schönsten Pferden asiatischer Race angefüllt. Er hat 600 fremde Sklaven in seinem Dienst, da die Khiwanen alle Krieger sind und sich nicht zu Domestikendiensten brauchen lassen. Die Bevölkerung seines Gebiets besteht aus 426,000 freien (männlichen) Khiwanen und 85,000 Sklaven.“ St. Petersburg. Dr. Dahl, seit mehreren Jahren im Gouvernement Orenburg in öffentlichen Dienstverhältnissen stehend, dem Generallieutenant Perowsky auf seiner gegenwärtigen Expedition nach Khiwa als Beamter für besondere Aufträge beigegeben, gab uns neuerlichst interessante Data über dieses Land. Er verdankte sie der mündlichen Mittheilung der jüngst aus Khiwa nach Orenburg zurückgekehrten Gefangenen. Wir entlehnen der Schrift Nachstehendes: „Khiwa's gegenwärtiger Khan Alla-Kul regiert seit 1826. Er hat zwei Söhne: Rahman-Kul-Thura, jetzt 25, und Hadschai-Kul-Thura, jetzt 20 Jahre. Alla-Kul wird jetzt gegen 45 Jahre zählen. Seine Dynastie ist aus dem Stamme der Usbeken“. – Khiwa steht im Umfange seiner Größe und Bevölkerung dem benachbarten Buchara weit nach. Letztere möchte etwas über 200,000 Individuen beiderlei Geschlechter betragen. Sie besteht aus einem Gemisch von Karakalpaken, Truchmenen, Usbeken und Sarten. Von ersteren zählt man im ganzen Khanat nicht über 1000 Männer; die Truchmenen, für die besten Krieger geltend, haben sich in den letzten Jahren zahlreich dort übergesiedelt; die Usbeken, der Urstamm der Bevölkerung, halten sich für die ersten und gehen nur wenig mit den übrigen Bewohnern um. Khiwa, die Hauptstadt des Landes, zählt an 20,000 Bewohner. Es ist auf einer Anhöhe erbaut, ringsum von einem Erdwall umgeben. Die Festung, von Thonstein aufgeführt, bildet ein Rondell, deren Mauer unter 3 Faden, oben aber nur eine Arschine Dicke hat. Die Höhe beträgt 8 Arschine. In derselben sind in abgemessenen Zwischenräumen Schießscharten zur Vertheidigung bei feindlichen Ueberfällen angebracht, Kanonen aber nicht aufgestellt. Vier Thore führen aus der Stadt nach den verschiedensten Richtungen. Vor ihr liegen zwei kleine Seen. Gegen zwei Tagmärsche von der Stadt ist der Hauptfluß des Landes, Aliju-darja; von diesem ist ein Canal in die Stadt geleitet, nicht tief, nur von Manneshöhe. Von diesem aus gehen wieder 160 kleine Canäle nach allen Seiten des Landes, das überhaupt von Canälen durchschnitten ist, zur Anfeuchtung und Bewässerung des Bodens; denn wenn die Felder und Gärten nicht von den gefangenen Russen und Persern (Schiiten) täglich mit dem mühsamsten Eifer gelockert, geebnet und befeuchtet werden, gedeiht nichts auf ihnen. Die Festung hat an 2000 Häuser, sie sind alle von Thon, mit platten Dächern, ohne Fenster; ihre Stelle vertreten Löcher in der Mauer, durch welche das Tageslicht ins Innere der Wohnungen fällt. Eine Menge anderer Häuser befindet sich außerhalb der Festung, alle gehen aber rund um die letztere und dehnen sich nach allen Seiten weit über eine Werst aus. Die Gassen sind nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch in allen übrigen Städten des Khanats krumm, dergestalt eng, daß mit Mühe nur ein Bauerwagen passiren kann und über allen Begriff, unrein und schmutzig. Im Herbst zur Regenzeit sind die Straßen in den Städten und die Landwege vor Schmutz nicht zu passiren. Der Khan hat seine Wohnung in einem besonderen Hause in der Festung, dessen Aeußeres ganz seiner Umgebung entspricht. Vor seinem Hause befindet sich keine Wache, nur zwei bis drei Thürhüter wahren die äußeren Zugänge, diese aber auch nach Belieben, sie kommen und gehen von ihren Posten wie es ihnen gefällt und sind ohne Waffen. Der Khan trägt beständig einen krummen Säbel an der Seite. Seine Streitkräfte mögen einige 20,000 Mann betragen. Der Khan soll an zehn Frauen besitzen. Die älteste von ihnen, die Tochter eines Kirgisen-Sultans, ist eine seiner nächsten Verwandten. Den Frauen des Khans wird das tägliche Brod nach Gewicht zugemessen. Für den ganzen Hofstaat sind täglich bestimmt drei Pud Weizenmehl (120 Pfund), zwei Pud Reis, ein Pud Fleisch, anderthalb Pud Sesam-Butter. Die Oekonomie geht so weit, daß viele der Frauen gezwungen sind, die Reste des kargen Pillaw zum Verkauf auf den Bazar zu senden, um für den daraus gelösten Kopeken etwas Seide oder andere Bagatellen einzukaufen. Jede besitzt ihr besonderes Kämmerchen. Die kleine Hofküche besorgt eine gefangene Perserin, die selbst kaum dabei gesättigt wird; bei der großen ist eine Russin angestellt, deren Amt unweit lucrativer ist. Zweimal täglich erscheinen bei ihr die Dienstboten vom ganzen Hofe des Khans, von seinen Frauen und Kindern, alle mit irdenen Geschirren versehen. Jedem verabreicht die Russin größere oder kleinere Portionen, nach der Charge und dem Range der Absender, und dabei erübrigt sie so viel, daß sie an jedem Abend ein mit Mundvorrath gefülltes Säckchen nach Hause bringt. Der Khan erhält natürlich vor allen die größte Portion, die er nie verzehrt; von den Resten sättigen sich später seine ersten Minister und Hofbeamten, die darauf schon in den Vorgemächern harren. Bei der Theilung pflegt es nicht selten zu argen Raufereien zu kommen. Vom ganzen Hofe ist der Khan der einzige, der Thee trinkt, jedoch nur den gemeinen Ziegel- oder Kalmücken-Thee, selten besseren. Nur zweimal in der Woche erlaubt er sich, dazu Zucker zu nehmen. Er bedient sich einer chinesischen Tasse. Auch an diesem Genusse läßt er zuweilen seine vertrautesten Günstlinge Theil nehmen. Seine Frauen und Kinder erhalten nie Thee. – Des Khans älteste Frau ist berechtigt, jedes Jahr eine Reise zum Besuch ihres Bruders auf einige Tage nach der Kirgisen-Horde zu machen. Sie tritt sie allemal zur Nachtzeit an, in einer einfachen Arba (Bauerwagen) mit einem Pferde bespannt, mit dem zu einer andern Zeit Dünger geführt wird. Das Pferd leitet ein Gefangener am Zaume. Die Khanin begleiten eine oder zwei ihrer Mädchen. Alla-Kul ist von schwachem Gemüthe, überaus unterwürfig dieser Frau, die große Gewalt über ihn übt. Sie ist von eigensinnigem Charakter und streng gegen ihre Sklavinnen. Ihre Bedienten sind nur Gefangene, häufig <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="0509"/> blieb. Ohne Beispiele in der Fremde suchen zu wollen, bietet das lombardo-venezianische Königreich in dieser Beziehung ein schönes Muster dar.</p> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Khiwa.</hi> </head><lb/> <p>Das Pariser Journal <hi rendition="#g">la France</hi> läßt sich angeblich aus <hi rendition="#b">St. Petersburg</hi> schreiben: „Der Khan von Khiwa ist 53 Jahre alt – tapfer, aber indolent. 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Seine Dynastie ist aus dem Stamme der Usbeken“. – Khiwa steht im Umfange seiner Größe und Bevölkerung dem benachbarten Buchara weit nach. Letztere möchte etwas über 200,000 Individuen beiderlei Geschlechter betragen. Sie besteht aus einem Gemisch von Karakalpaken, Truchmenen, Usbeken und Sarten. Von ersteren zählt man im ganzen Khanat nicht über 1000 Männer; die Truchmenen, für die besten Krieger geltend, haben sich in den letzten Jahren zahlreich dort übergesiedelt; die Usbeken, der Urstamm der Bevölkerung, halten sich für die ersten und gehen nur wenig mit den übrigen Bewohnern um. Khiwa, die Hauptstadt des Landes, zählt an 20,000 Bewohner. Es ist auf einer Anhöhe erbaut, ringsum von einem Erdwall umgeben. Die Festung, von Thonstein aufgeführt, bildet ein Rondell, deren Mauer unter 3 Faden, oben aber nur eine Arschine Dicke hat. Die Höhe beträgt 8 Arschine. In derselben sind in abgemessenen Zwischenräumen Schießscharten zur Vertheidigung bei feindlichen Ueberfällen angebracht, Kanonen aber nicht aufgestellt. Vier Thore führen aus der Stadt nach den verschiedensten Richtungen. Vor ihr liegen zwei kleine Seen. Gegen zwei Tagmärsche von der Stadt ist der Hauptfluß des Landes, Aliju-darja; von diesem ist ein Canal in die Stadt geleitet, nicht tief, nur von Manneshöhe. Von diesem aus gehen wieder 160 kleine Canäle nach allen Seiten des Landes, das überhaupt von Canälen durchschnitten ist, zur Anfeuchtung und Bewässerung des Bodens; denn wenn die Felder und Gärten nicht von den gefangenen Russen und Persern (Schiiten) täglich mit dem mühsamsten Eifer gelockert, geebnet und befeuchtet werden, gedeiht nichts auf ihnen. Die Festung hat an 2000 Häuser, sie sind alle von Thon, mit platten Dächern, ohne Fenster; ihre Stelle vertreten Löcher in der Mauer, durch welche das Tageslicht ins Innere der Wohnungen fällt. Eine Menge anderer Häuser befindet sich außerhalb der Festung, alle gehen aber rund um die letztere und dehnen sich nach allen Seiten weit über eine Werst aus. Die Gassen sind nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch in allen übrigen Städten des Khanats krumm, dergestalt eng, daß mit Mühe nur ein Bauerwagen passiren kann und über allen Begriff, unrein und schmutzig. Im Herbst zur Regenzeit sind die Straßen in den Städten und die Landwege vor Schmutz nicht zu passiren. Der Khan hat seine Wohnung in einem besonderen Hause in der Festung, dessen Aeußeres ganz seiner Umgebung entspricht. Vor seinem Hause befindet sich keine Wache, nur zwei bis drei Thürhüter wahren die äußeren Zugänge, diese aber auch nach Belieben, sie kommen und gehen von ihren Posten wie es ihnen gefällt und sind ohne Waffen. Der Khan trägt beständig einen krummen Säbel an der Seite. Seine Streitkräfte mögen einige 20,000 Mann betragen.</p><lb/> <p>Der Khan soll an zehn Frauen besitzen. Die älteste von ihnen, die Tochter eines Kirgisen-Sultans, ist eine seiner nächsten Verwandten. Den Frauen des Khans wird das tägliche Brod nach Gewicht zugemessen. Für den ganzen Hofstaat sind täglich bestimmt drei Pud Weizenmehl (120 Pfund), zwei Pud Reis, ein Pud Fleisch, anderthalb Pud Sesam-Butter. Die Oekonomie geht so weit, daß viele der Frauen gezwungen sind, die Reste des kargen Pillaw zum Verkauf auf den Bazar zu senden, um für den daraus gelösten Kopeken etwas Seide oder andere Bagatellen einzukaufen. Jede besitzt ihr besonderes Kämmerchen. Die kleine Hofküche besorgt eine gefangene Perserin, die selbst kaum dabei gesättigt wird; bei der großen ist eine Russin angestellt, deren Amt unweit lucrativer ist. Zweimal täglich erscheinen bei ihr die Dienstboten vom ganzen Hofe des Khans, von seinen Frauen und Kindern, alle mit irdenen Geschirren versehen. Jedem verabreicht die Russin größere oder kleinere Portionen, nach der Charge und dem Range der Absender, und dabei erübrigt sie so viel, daß sie an jedem Abend ein mit Mundvorrath gefülltes Säckchen nach Hause bringt. Der Khan erhält natürlich vor allen die größte Portion, die er nie verzehrt; von den Resten sättigen sich später seine ersten Minister und Hofbeamten, die darauf schon in den Vorgemächern harren. Bei der Theilung pflegt es nicht selten zu argen Raufereien zu kommen. Vom ganzen Hofe ist der Khan der einzige, der Thee trinkt, jedoch nur den gemeinen Ziegel- oder Kalmücken-Thee, selten besseren. Nur zweimal in der Woche erlaubt er sich, dazu Zucker zu nehmen. Er bedient sich einer chinesischen Tasse. Auch an diesem Genusse läßt er zuweilen seine vertrautesten Günstlinge Theil nehmen. Seine Frauen und Kinder erhalten nie Thee. – Des Khans älteste Frau ist berechtigt, jedes Jahr eine Reise zum Besuch ihres Bruders auf einige Tage nach der Kirgisen-Horde zu machen. Sie tritt sie allemal zur Nachtzeit an, in einer einfachen Arba (Bauerwagen) mit einem Pferde bespannt, mit dem zu einer andern Zeit Dünger geführt wird. Das Pferd leitet ein Gefangener am Zaume. Die Khanin begleiten eine oder zwei ihrer Mädchen. Alla-Kul ist von schwachem Gemüthe, überaus unterwürfig dieser Frau, die große Gewalt über ihn übt. Sie ist von eigensinnigem Charakter und streng gegen ihre Sklavinnen. Ihre Bedienten sind nur Gefangene, häufig<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509/0013]
blieb. Ohne Beispiele in der Fremde suchen zu wollen, bietet das lombardo-venezianische Königreich in dieser Beziehung ein schönes Muster dar.
Khiwa.
Das Pariser Journal la France läßt sich angeblich aus St. Petersburg schreiben: „Der Khan von Khiwa ist 53 Jahre alt – tapfer, aber indolent. Er selbst, wie man sagt, würde mit Rußland gern in gutem Einvernehmen seyn, aber er läßt sich durch den Einfluß seiner Favoritgemahlin, eines schönen und stolzen Weibes von 22 Jahren, bestimmen, welche die Schwester des Sultans der unabhängigen Kirgisen und sehr kriegslustig ist. Sie hat 5000 Mann Infanterie und 26,000 Mann khiwanischer Reiterei zur Vertheidigung der Hauptstadt bewaffnet, und ihren Bruder um Hülfe angegangen, der sich aber auf das bestimmteste weigerte, an einem Kriege gegen Rußland Theil zu nehmen. Sie selbst soll unter dem Einfluß eines Italieners stehen, der in ihres Gatten Palast den Majordomus macht. Der Khan besitzt muthmaßlich große Schätze, und seine Marställe sind mit den schönsten Pferden asiatischer Race angefüllt. Er hat 600 fremde Sklaven in seinem Dienst, da die Khiwanen alle Krieger sind und sich nicht zu Domestikendiensten brauchen lassen. Die Bevölkerung seines Gebiets besteht aus 426,000 freien (männlichen) Khiwanen und 85,000 Sklaven.“
_ St. Petersburg. Dr. Dahl, seit mehreren Jahren im Gouvernement Orenburg in öffentlichen Dienstverhältnissen stehend, dem Generallieutenant Perowsky auf seiner gegenwärtigen Expedition nach Khiwa als Beamter für besondere Aufträge beigegeben, gab uns neuerlichst interessante Data über dieses Land. Er verdankte sie der mündlichen Mittheilung der jüngst aus Khiwa nach Orenburg zurückgekehrten Gefangenen. Wir entlehnen der Schrift Nachstehendes: „Khiwa's gegenwärtiger Khan Alla-Kul regiert seit 1826. Er hat zwei Söhne: Rahman-Kul-Thura, jetzt 25, und Hadschai-Kul-Thura, jetzt 20 Jahre. Alla-Kul wird jetzt gegen 45 Jahre zählen. Seine Dynastie ist aus dem Stamme der Usbeken“. – Khiwa steht im Umfange seiner Größe und Bevölkerung dem benachbarten Buchara weit nach. Letztere möchte etwas über 200,000 Individuen beiderlei Geschlechter betragen. Sie besteht aus einem Gemisch von Karakalpaken, Truchmenen, Usbeken und Sarten. Von ersteren zählt man im ganzen Khanat nicht über 1000 Männer; die Truchmenen, für die besten Krieger geltend, haben sich in den letzten Jahren zahlreich dort übergesiedelt; die Usbeken, der Urstamm der Bevölkerung, halten sich für die ersten und gehen nur wenig mit den übrigen Bewohnern um. Khiwa, die Hauptstadt des Landes, zählt an 20,000 Bewohner. Es ist auf einer Anhöhe erbaut, ringsum von einem Erdwall umgeben. Die Festung, von Thonstein aufgeführt, bildet ein Rondell, deren Mauer unter 3 Faden, oben aber nur eine Arschine Dicke hat. Die Höhe beträgt 8 Arschine. In derselben sind in abgemessenen Zwischenräumen Schießscharten zur Vertheidigung bei feindlichen Ueberfällen angebracht, Kanonen aber nicht aufgestellt. Vier Thore führen aus der Stadt nach den verschiedensten Richtungen. Vor ihr liegen zwei kleine Seen. Gegen zwei Tagmärsche von der Stadt ist der Hauptfluß des Landes, Aliju-darja; von diesem ist ein Canal in die Stadt geleitet, nicht tief, nur von Manneshöhe. Von diesem aus gehen wieder 160 kleine Canäle nach allen Seiten des Landes, das überhaupt von Canälen durchschnitten ist, zur Anfeuchtung und Bewässerung des Bodens; denn wenn die Felder und Gärten nicht von den gefangenen Russen und Persern (Schiiten) täglich mit dem mühsamsten Eifer gelockert, geebnet und befeuchtet werden, gedeiht nichts auf ihnen. Die Festung hat an 2000 Häuser, sie sind alle von Thon, mit platten Dächern, ohne Fenster; ihre Stelle vertreten Löcher in der Mauer, durch welche das Tageslicht ins Innere der Wohnungen fällt. Eine Menge anderer Häuser befindet sich außerhalb der Festung, alle gehen aber rund um die letztere und dehnen sich nach allen Seiten weit über eine Werst aus. Die Gassen sind nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch in allen übrigen Städten des Khanats krumm, dergestalt eng, daß mit Mühe nur ein Bauerwagen passiren kann und über allen Begriff, unrein und schmutzig. Im Herbst zur Regenzeit sind die Straßen in den Städten und die Landwege vor Schmutz nicht zu passiren. Der Khan hat seine Wohnung in einem besonderen Hause in der Festung, dessen Aeußeres ganz seiner Umgebung entspricht. Vor seinem Hause befindet sich keine Wache, nur zwei bis drei Thürhüter wahren die äußeren Zugänge, diese aber auch nach Belieben, sie kommen und gehen von ihren Posten wie es ihnen gefällt und sind ohne Waffen. Der Khan trägt beständig einen krummen Säbel an der Seite. Seine Streitkräfte mögen einige 20,000 Mann betragen.
Der Khan soll an zehn Frauen besitzen. Die älteste von ihnen, die Tochter eines Kirgisen-Sultans, ist eine seiner nächsten Verwandten. Den Frauen des Khans wird das tägliche Brod nach Gewicht zugemessen. Für den ganzen Hofstaat sind täglich bestimmt drei Pud Weizenmehl (120 Pfund), zwei Pud Reis, ein Pud Fleisch, anderthalb Pud Sesam-Butter. Die Oekonomie geht so weit, daß viele der Frauen gezwungen sind, die Reste des kargen Pillaw zum Verkauf auf den Bazar zu senden, um für den daraus gelösten Kopeken etwas Seide oder andere Bagatellen einzukaufen. Jede besitzt ihr besonderes Kämmerchen. Die kleine Hofküche besorgt eine gefangene Perserin, die selbst kaum dabei gesättigt wird; bei der großen ist eine Russin angestellt, deren Amt unweit lucrativer ist. Zweimal täglich erscheinen bei ihr die Dienstboten vom ganzen Hofe des Khans, von seinen Frauen und Kindern, alle mit irdenen Geschirren versehen. Jedem verabreicht die Russin größere oder kleinere Portionen, nach der Charge und dem Range der Absender, und dabei erübrigt sie so viel, daß sie an jedem Abend ein mit Mundvorrath gefülltes Säckchen nach Hause bringt. Der Khan erhält natürlich vor allen die größte Portion, die er nie verzehrt; von den Resten sättigen sich später seine ersten Minister und Hofbeamten, die darauf schon in den Vorgemächern harren. Bei der Theilung pflegt es nicht selten zu argen Raufereien zu kommen. Vom ganzen Hofe ist der Khan der einzige, der Thee trinkt, jedoch nur den gemeinen Ziegel- oder Kalmücken-Thee, selten besseren. Nur zweimal in der Woche erlaubt er sich, dazu Zucker zu nehmen. Er bedient sich einer chinesischen Tasse. Auch an diesem Genusse läßt er zuweilen seine vertrautesten Günstlinge Theil nehmen. Seine Frauen und Kinder erhalten nie Thee. – Des Khans älteste Frau ist berechtigt, jedes Jahr eine Reise zum Besuch ihres Bruders auf einige Tage nach der Kirgisen-Horde zu machen. Sie tritt sie allemal zur Nachtzeit an, in einer einfachen Arba (Bauerwagen) mit einem Pferde bespannt, mit dem zu einer andern Zeit Dünger geführt wird. Das Pferd leitet ein Gefangener am Zaume. Die Khanin begleiten eine oder zwei ihrer Mädchen. Alla-Kul ist von schwachem Gemüthe, überaus unterwürfig dieser Frau, die große Gewalt über ihn übt. Sie ist von eigensinnigem Charakter und streng gegen ihre Sklavinnen. Ihre Bedienten sind nur Gefangene, häufig
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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