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Allgemeine Zeitung. Nr. 76. Augsburg, 16. März 1840.

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hinzu, und während Bopp und Hammer litterarisch und philologisch die Fundgruben des Orients ausbeuten, sammeln Lachmann, Wolff, Hoffmann von Fallersleben, Von der Hagen mit frommer Hand die dichterischen Reste des Mittelalters. Wenn ich in dieser schnellen Aufzählung, die ich später wieder vornehmen werde, nicht Hrn. v. Humboldt nenne, so unterlass' ich es, weil meine Leser gewiß seinen Namen schon ausgesprochen haben, denn wenn man von dem wissenschaftlichen Deutschland redet, so fällt er Einem zuerst ein. Geh' ich von diesem Felde der ernsten Studien zu dem der Poesie über, siehe da! die letzten Reime und die letzten Briefe Chamisso's, die der sinkenden Hand des Sterbenden entfielen, und siehe! die süßen Liebesidyllen, die morgenländischen Parabeln und die sinnigen Liedersträuße Friedrich Rückerts. Neben den tristen und kalten Erörterungen, die durch das Buch von Strauß angeregt worden, klingen die frommen Marienlieder und naiven Legenden, welche Guido Görres, der Sohn des Philosophen, wie ein Glaubenswerk unter den Katholiken verbreitet. Neben all den blassen Nachahmungen unserer Litteratur stehen die Dichtungen von Gustav Schwab und die im Norden und Süden gesammelten deutschen Sagen, die mindestens einen nationalen Charakter an sich tragen. Endlich, inmitten einer Unzahl dramatischer Versuche ohne Geist und ohne Kraft, größtentheils ungeschickter Nachbildungen der unsrigen, hat man einige erscheinen sehen, die man als Vorzeichen einer besseren Zukunft betrachten könnte. Dahin gehört unter andern jenes Trauerspiel Griseldis, das der nahe Verwandte eines Diplomaten, des Hrn. v. Münch-Bellinghausen, unter dem bescheidenen Pseudonym Friedrich Halm herausgegeben hat. Es ist dieß eine der rührendsten Traditionen des Mittelalters, dramatisch behandelt von einem Manne, der die naiven Schönheiten und den poetischen Geist jener Zeit ganz durchempfunden. Es ist das Gemälde einer erhabenen Aufopferung - der Aufopferung einer Frau in gränzenloser Liebe zu ihrem Gatten. Da tönen alle jene zaubervollen Namen aus den Sagen der Vorzeit, da leben und weben sie alle, die edeln und anmuthigen Gestalten aus den alten Liederbüchern Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Englands: der tapfere Arthur von der Tafelrunde, die schöne Ginevra mit Lancelot vom See, und Tristan, dessen Heldenfahrten Gottfried von Straßburg erzählt, und der kühne Parcival, über welchen Wolfram von Eschenbach ein Gedicht länger als die Iliade verfaßt hat. Alle diese ritterlichen Bilder verschwinden gleichwohl vor dem der Griseldis, des armen Köhlermädchens, das ein glänzender Hof bewundert, des demuthsvollen Weibes ohne Falsch und ohne Neid, vor der eine Königin sich beugt. Nichts rührender, als die Scene, wo sie, ihres Kindes beraubt, aus ihrer Wohnung vertrieben, von ihrem Gatten verstoßen, noch einen Wunsch der Liebe murmelt für den Mann, der, nachdem er ihr einen erhabenen Rang, einen glorreichen Namen geschenkt, sie nun erbarmungslos in Schmerz und Elend hinausstößt. Dann, als man ihr sagt, daß alles, was sie erlitten, nur ein Spiel war, daß man mit all den Herzenskränkungen und Qualen nur ihre Geduld und Sanftmuth auf die Probe stellen wollte; als sie weiß, daß es ihr Gemahl selbst war, der sie diesen furchtbaren Aengsten preiszugeben gewagt, da ist es um ihre letzte süße Herzenstäuschung, um ihre letzte Freude geschehen. Für ihn, von dem sie sich edel und tief geliebt glaubte, vermochte sie alles zu ertragen: Demüthigung, Armuth, Einsamkeit; aber die Entdeckung, daß sie das Spielzeug einer eiteln Laune, der Gegenstand einer schmachvollen Prüfung werden konnte, sie, die Hochsinnige, Zarte, seiner Liebe so Gewisse, das ist für ihre Seele zu viel. Jetzt erhebt sie sich in ihrer ganzen Würde, und stößt ihrerseits den Mann zurück, der blind genug seyn konnte, sie zu verkennen, grausam genug, sie muthwillig zu tödlichen Martern zu verdammen. Hier schließt das Drama. Es wird durch keinen Mord mit Blut geröthet, aber es rückt das schmerzlichste Bild vor unser Auge - das Bild eines innigen Liebeglaubens, der erlischt, eines hohen Seelenadels, der erliegt, eines brechenden Herzens. *)*)

Es gibt einen andern Zweig der deutschen Litteratur, der, durch seinen schon verjährten Ursprung und seine regelmäßige Wiederkehr, auf ein paar Augenblicke unsere Beachtung verdient. Das sind alle die Almanache oder Taschenbücher, die gegen den Monat December jedes Jahrs mit ihrem Goldschnittglorienschein, ihren Guirlanden und Arabesken, hinter den Glasläden der Buchhandlungen hervorschauen, ähnlich den Reihen von Blumentöpfen, welche die Bewohner des Nordens auf ihre Fenster stellen, um gegen die eintönigen Tinten des Winterhimmels abzuheben. In England druckt man diese "Keepsakes" auf das schönste Velin, bindet sie in Gold und Sammet und reiht sie ein in das Gebiet der Fashion. In Frankreich überläßt man sie der Caprice der Leute aus der Provinz und der Fremden. In Deutschland nimmt man es damit noch ernsthaft. Einer dieser Almanache war es, in welchem gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Göttinger Studenten anfingen die Oden und Elegien zu veröffentlichen, die ein neues Zeitalter der deutschen Dichtkunst ankündigten. Ein solcher Almanach war es, in welchem Goethe und Schiller ihre berühmten Xenien erscheinen ließen; denn diese Almanache waren für Deutschland lange das, was für uns die Revuen sind. In ihnen debutirte der Dichter, der Novellist, und mancher ausgezeichnete Schriftsteller ist dem Taschenbuch treu geblieben, das seine ersten Jugendversuche aufnahm. Tieck hat das Glück der "Urania" gemacht, indem er ihr alljährlich eine seiner artigen Novellen schenkte, und noch kurz vor seinem Tode setzte Chamisso

*) Marmier bemerkt dazu: "Von dieser Tragödie, die Deutschland mit so viel Beifall aufgenommen hat, ist eine französische Uebersetzung unter der Presse, und einer unserer Schauspieldichter arrangirt sie, heißt es, für unsere Bühne." - Wir sind nicht entfernt gemeint, das diesem Drama gezollte Lob zu schmälern, doch möchten wir Eins bemerken. Die alte "Geschichte von Griseldis und dem Markgrafen Walther" ist bekanntlich mehrfach poetisch behandelt, als Novelle, in Balladenform, dramatisch. Von Boccaz bis auf Heinrich Kleist herab haben alle Bearbeiter den glücklichen Ausgang der Erzählung beibehalten. Halm hat ihn tragisch gewendet. Das war ihm ohne Zweifel erlaubt, auch hat er seinen Ausgang der Fabel psychologisch gut motivirt. Nur war die Folge: während die dramatische Verwicklung, die Prüfung der Griseldis, um mit Marmier zu reden, "mittelalterlich naiv" blieb, ist die Katastrophe reflectirend modern geworden, und collidirt so einigermaßen mit jener. Die Menschen des Mittelalters hatten tief und warm empfindende, aber auch sehr lebenszähe Herzen, die ihr tüchtig Theil Leid und Trübsal, sogar Kränkung und Schmach ertragen konnten, ohne zu brechen. Solchen Herzen legen die alten Volksbücher solche Prüfungen auf. Wozu noch kommt, daß damals in der Ehe, trotz alles ritterlichen Minnedienstes, die moralische Abhängigkeit der Frau vom "Eheherrn" eine strengere war, des großen Rangunterschiedes der Gatten im vorliegenden Falle zu geschweigen. Shakspeare, der zwar diesseits des Mittelalters, aber ihm doch nahe steht, und in seinem "Ende gut, Alles gut" ein der Griseldis verwandtes Thema (nach einer andern Boccazischen Novelle) behandelt hat, würde, möchten wir behaupten, die Peripetie der Griseldis nicht auf jenes weibliche Ehren-Punctilio gestellt haben. Damit soll nur gesagt seyn, daß, um der Halm'schen Griseldis sich rein zu erfreuen, man von dem "mittelalterlich Naiven" der Zeit und der handelnden Personen einigermaßen absehen muß. Das ist kein Tadel, oder wär' es einer, so träf' er manches noch berühmtere deutsche Trauerspiel. Die Hauptsache ist doch zuletzt, daß ein Kunstwerk das allgemein Menschliche treu und wahr darstelle; die localen und historischen Schattirungen importiren weniger.

hinzu, und während Bopp und Hammer litterarisch und philologisch die Fundgruben des Orients ausbeuten, sammeln Lachmann, Wolff, Hoffmann von Fallersleben, Von der Hagen mit frommer Hand die dichterischen Reste des Mittelalters. Wenn ich in dieser schnellen Aufzählung, die ich später wieder vornehmen werde, nicht Hrn. v. Humboldt nenne, so unterlass' ich es, weil meine Leser gewiß seinen Namen schon ausgesprochen haben, denn wenn man von dem wissenschaftlichen Deutschland redet, so fällt er Einem zuerst ein. Geh' ich von diesem Felde der ernsten Studien zu dem der Poesie über, siehe da! die letzten Reime und die letzten Briefe Chamisso's, die der sinkenden Hand des Sterbenden entfielen, und siehe! die süßen Liebesidyllen, die morgenländischen Parabeln und die sinnigen Liedersträuße Friedrich Rückerts. Neben den tristen und kalten Erörterungen, die durch das Buch von Strauß angeregt worden, klingen die frommen Marienlieder und naiven Legenden, welche Guido Görres, der Sohn des Philosophen, wie ein Glaubenswerk unter den Katholiken verbreitet. Neben all den blassen Nachahmungen unserer Litteratur stehen die Dichtungen von Gustav Schwab und die im Norden und Süden gesammelten deutschen Sagen, die mindestens einen nationalen Charakter an sich tragen. Endlich, inmitten einer Unzahl dramatischer Versuche ohne Geist und ohne Kraft, größtentheils ungeschickter Nachbildungen der unsrigen, hat man einige erscheinen sehen, die man als Vorzeichen einer besseren Zukunft betrachten könnte. Dahin gehört unter andern jenes Trauerspiel Griseldis, das der nahe Verwandte eines Diplomaten, des Hrn. v. Münch-Bellinghausen, unter dem bescheidenen Pseudonym Friedrich Halm herausgegeben hat. Es ist dieß eine der rührendsten Traditionen des Mittelalters, dramatisch behandelt von einem Manne, der die naiven Schönheiten und den poetischen Geist jener Zeit ganz durchempfunden. Es ist das Gemälde einer erhabenen Aufopferung – der Aufopferung einer Frau in gränzenloser Liebe zu ihrem Gatten. Da tönen alle jene zaubervollen Namen aus den Sagen der Vorzeit, da leben und weben sie alle, die edeln und anmuthigen Gestalten aus den alten Liederbüchern Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Englands: der tapfere Arthur von der Tafelrunde, die schöne Ginevra mit Lancelot vom See, und Tristan, dessen Heldenfahrten Gottfried von Straßburg erzählt, und der kühne Parcival, über welchen Wolfram von Eschenbach ein Gedicht länger als die Iliade verfaßt hat. Alle diese ritterlichen Bilder verschwinden gleichwohl vor dem der Griseldis, des armen Köhlermädchens, das ein glänzender Hof bewundert, des demuthsvollen Weibes ohne Falsch und ohne Neid, vor der eine Königin sich beugt. Nichts rührender, als die Scene, wo sie, ihres Kindes beraubt, aus ihrer Wohnung vertrieben, von ihrem Gatten verstoßen, noch einen Wunsch der Liebe murmelt für den Mann, der, nachdem er ihr einen erhabenen Rang, einen glorreichen Namen geschenkt, sie nun erbarmungslos in Schmerz und Elend hinausstößt. Dann, als man ihr sagt, daß alles, was sie erlitten, nur ein Spiel war, daß man mit all den Herzenskränkungen und Qualen nur ihre Geduld und Sanftmuth auf die Probe stellen wollte; als sie weiß, daß es ihr Gemahl selbst war, der sie diesen furchtbaren Aengsten preiszugeben gewagt, da ist es um ihre letzte süße Herzenstäuschung, um ihre letzte Freude geschehen. Für ihn, von dem sie sich edel und tief geliebt glaubte, vermochte sie alles zu ertragen: Demüthigung, Armuth, Einsamkeit; aber die Entdeckung, daß sie das Spielzeug einer eiteln Laune, der Gegenstand einer schmachvollen Prüfung werden konnte, sie, die Hochsinnige, Zarte, seiner Liebe so Gewisse, das ist für ihre Seele zu viel. Jetzt erhebt sie sich in ihrer ganzen Würde, und stößt ihrerseits den Mann zurück, der blind genug seyn konnte, sie zu verkennen, grausam genug, sie muthwillig zu tödlichen Martern zu verdammen. Hier schließt das Drama. Es wird durch keinen Mord mit Blut geröthet, aber es rückt das schmerzlichste Bild vor unser Auge – das Bild eines innigen Liebeglaubens, der erlischt, eines hohen Seelenadels, der erliegt, eines brechenden Herzens. *)*)

Es gibt einen andern Zweig der deutschen Litteratur, der, durch seinen schon verjährten Ursprung und seine regelmäßige Wiederkehr, auf ein paar Augenblicke unsere Beachtung verdient. Das sind alle die Almanache oder Taschenbücher, die gegen den Monat December jedes Jahrs mit ihrem Goldschnittglorienschein, ihren Guirlanden und Arabesken, hinter den Glasläden der Buchhandlungen hervorschauen, ähnlich den Reihen von Blumentöpfen, welche die Bewohner des Nordens auf ihre Fenster stellen, um gegen die eintönigen Tinten des Winterhimmels abzuheben. In England druckt man diese „Keepsakes“ auf das schönste Velin, bindet sie in Gold und Sammet und reiht sie ein in das Gebiet der Fashion. In Frankreich überläßt man sie der Caprice der Leute aus der Provinz und der Fremden. In Deutschland nimmt man es damit noch ernsthaft. Einer dieser Almanache war es, in welchem gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Göttinger Studenten anfingen die Oden und Elegien zu veröffentlichen, die ein neues Zeitalter der deutschen Dichtkunst ankündigten. Ein solcher Almanach war es, in welchem Goethe und Schiller ihre berühmten Xenien erscheinen ließen; denn diese Almanache waren für Deutschland lange das, was für uns die Revuen sind. In ihnen debutirte der Dichter, der Novellist, und mancher ausgezeichnete Schriftsteller ist dem Taschenbuch treu geblieben, das seine ersten Jugendversuche aufnahm. Tieck hat das Glück der „Urania“ gemacht, indem er ihr alljährlich eine seiner artigen Novellen schenkte, und noch kurz vor seinem Tode setzte Chamisso

*) Marmier bemerkt dazu: „Von dieser Tragödie, die Deutschland mit so viel Beifall aufgenommen hat, ist eine französische Uebersetzung unter der Presse, und einer unserer Schauspieldichter arrangirt sie, heißt es, für unsere Bühne.“ – Wir sind nicht entfernt gemeint, das diesem Drama gezollte Lob zu schmälern, doch möchten wir Eins bemerken. Die alte „Geschichte von Griseldis und dem Markgrafen Walther“ ist bekanntlich mehrfach poetisch behandelt, als Novelle, in Balladenform, dramatisch. Von Boccaz bis auf Heinrich Kleist herab haben alle Bearbeiter den glücklichen Ausgang der Erzählung beibehalten. Halm hat ihn tragisch gewendet. Das war ihm ohne Zweifel erlaubt, auch hat er seinen Ausgang der Fabel psychologisch gut motivirt. Nur war die Folge: während die dramatische Verwicklung, die Prüfung der Griseldis, um mit Marmier zu reden, „mittelalterlich naiv“ blieb, ist die Katastrophe reflectirend modern geworden, und collidirt so einigermaßen mit jener. Die Menschen des Mittelalters hatten tief und warm empfindende, aber auch sehr lebenszähe Herzen, die ihr tüchtig Theil Leid und Trübsal, sogar Kränkung und Schmach ertragen konnten, ohne zu brechen. Solchen Herzen legen die alten Volksbücher solche Prüfungen auf. Wozu noch kommt, daß damals in der Ehe, trotz alles ritterlichen Minnedienstes, die moralische Abhängigkeit der Frau vom „Eheherrn“ eine strengere war, des großen Rangunterschiedes der Gatten im vorliegenden Falle zu geschweigen. Shakspeare, der zwar diesseits des Mittelalters, aber ihm doch nahe steht, und in seinem „Ende gut, Alles gut“ ein der Griseldis verwandtes Thema (nach einer andern Boccazischen Novelle) behandelt hat, würde, möchten wir behaupten, die Peripetie der Griseldis nicht auf jenes weibliche Ehren-Punctilio gestellt haben. Damit soll nur gesagt seyn, daß, um der Halm'schen Griseldis sich rein zu erfreuen, man von dem „mittelalterlich Naiven“ der Zeit und der handelnden Personen einigermaßen absehen muß. Das ist kein Tadel, oder wär' es einer, so träf' er manches noch berühmtere deutsche Trauerspiel. Die Hauptsache ist doch zuletzt, daß ein Kunstwerk das allgemein Menschliche treu und wahr darstelle; die localen und historischen Schattirungen importiren weniger.
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hinzu, und während Bopp und Hammer litterarisch und philologisch die Fundgruben des Orients ausbeuten, sammeln Lachmann, Wolff, Hoffmann von Fallersleben, Von der Hagen mit frommer Hand die dichterischen Reste des Mittelalters. Wenn ich in dieser schnellen Aufzählung, die ich später wieder vornehmen werde, nicht Hrn. v. Humboldt nenne, so unterlass' ich es, weil meine Leser gewiß seinen Namen schon ausgesprochen haben, denn wenn man von dem wissenschaftlichen Deutschland redet, so fällt <hi rendition="#g">er</hi> Einem zuerst ein. Geh' ich von diesem Felde der ernsten Studien zu dem der Poesie über, siehe da! die letzten Reime und die letzten Briefe Chamisso's, die der sinkenden Hand des Sterbenden entfielen, und siehe! die süßen Liebesidyllen, die morgenländischen Parabeln und die sinnigen Liedersträuße Friedrich Rückerts. Neben den tristen und kalten Erörterungen, die durch das Buch von Strauß angeregt worden, klingen die frommen Marienlieder und naiven Legenden, welche Guido Görres, der Sohn des Philosophen, wie ein Glaubenswerk unter den Katholiken verbreitet. Neben all den blassen Nachahmungen unserer Litteratur stehen die Dichtungen von Gustav Schwab und die im Norden und Süden gesammelten deutschen Sagen, die mindestens einen nationalen Charakter an sich tragen. Endlich, inmitten einer Unzahl dramatischer Versuche ohne Geist und ohne Kraft, größtentheils ungeschickter Nachbildungen der unsrigen, hat man einige erscheinen sehen, die man als Vorzeichen einer besseren Zukunft betrachten könnte. Dahin gehört unter andern jenes Trauerspiel Griseldis, das der nahe Verwandte eines Diplomaten, des Hrn. v. Münch-Bellinghausen, unter dem bescheidenen Pseudonym Friedrich Halm herausgegeben hat. 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Nichts rührender, als die Scene, wo sie, ihres Kindes beraubt, aus ihrer Wohnung vertrieben, von ihrem Gatten verstoßen, noch einen Wunsch der Liebe murmelt für den Mann, der, nachdem er ihr einen erhabenen Rang, einen glorreichen Namen geschenkt, sie nun erbarmungslos in Schmerz und Elend hinausstößt. Dann, als man ihr sagt, daß alles, was sie erlitten, nur ein Spiel war, daß man mit all den Herzenskränkungen und Qualen nur ihre Geduld und Sanftmuth auf die Probe stellen wollte; als sie weiß, daß es ihr Gemahl selbst war, der sie diesen furchtbaren Aengsten preiszugeben gewagt, da ist es um ihre letzte süße Herzenstäuschung, um ihre letzte Freude geschehen. Für ihn, von dem sie sich edel und tief geliebt glaubte, vermochte sie alles zu ertragen: Demüthigung, Armuth, Einsamkeit; aber die Entdeckung, daß sie das Spielzeug einer eiteln Laune, der Gegenstand einer schmachvollen Prüfung werden konnte, sie, die Hochsinnige, Zarte, seiner Liebe so Gewisse, das ist für ihre Seele zu viel. Jetzt erhebt sie sich in ihrer ganzen Würde, und stößt ihrerseits den Mann zurück, der blind genug seyn konnte, sie zu verkennen, grausam genug, sie muthwillig zu tödlichen Martern zu verdammen. Hier schließt das Drama. Es wird durch keinen Mord mit Blut geröthet, aber es rückt das schmerzlichste Bild vor unser Auge &#x2013; das Bild eines innigen Liebeglaubens, der erlischt, eines hohen Seelenadels, der erliegt, eines brechenden Herzens. <hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)"> Marmier bemerkt dazu: &#x201E;Von dieser Tragödie, die Deutschland mit so viel Beifall aufgenommen hat, ist eine französische Uebersetzung unter der Presse, und einer unserer Schauspieldichter arrangirt sie, heißt es, für unsere Bühne.&#x201C; &#x2013; Wir sind nicht entfernt gemeint, das diesem Drama gezollte Lob zu schmälern, doch möchten wir Eins bemerken. 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[0602/0010] hinzu, und während Bopp und Hammer litterarisch und philologisch die Fundgruben des Orients ausbeuten, sammeln Lachmann, Wolff, Hoffmann von Fallersleben, Von der Hagen mit frommer Hand die dichterischen Reste des Mittelalters. Wenn ich in dieser schnellen Aufzählung, die ich später wieder vornehmen werde, nicht Hrn. v. Humboldt nenne, so unterlass' ich es, weil meine Leser gewiß seinen Namen schon ausgesprochen haben, denn wenn man von dem wissenschaftlichen Deutschland redet, so fällt er Einem zuerst ein. Geh' ich von diesem Felde der ernsten Studien zu dem der Poesie über, siehe da! die letzten Reime und die letzten Briefe Chamisso's, die der sinkenden Hand des Sterbenden entfielen, und siehe! die süßen Liebesidyllen, die morgenländischen Parabeln und die sinnigen Liedersträuße Friedrich Rückerts. Neben den tristen und kalten Erörterungen, die durch das Buch von Strauß angeregt worden, klingen die frommen Marienlieder und naiven Legenden, welche Guido Görres, der Sohn des Philosophen, wie ein Glaubenswerk unter den Katholiken verbreitet. Neben all den blassen Nachahmungen unserer Litteratur stehen die Dichtungen von Gustav Schwab und die im Norden und Süden gesammelten deutschen Sagen, die mindestens einen nationalen Charakter an sich tragen. Endlich, inmitten einer Unzahl dramatischer Versuche ohne Geist und ohne Kraft, größtentheils ungeschickter Nachbildungen der unsrigen, hat man einige erscheinen sehen, die man als Vorzeichen einer besseren Zukunft betrachten könnte. Dahin gehört unter andern jenes Trauerspiel Griseldis, das der nahe Verwandte eines Diplomaten, des Hrn. v. Münch-Bellinghausen, unter dem bescheidenen Pseudonym Friedrich Halm herausgegeben hat. Es ist dieß eine der rührendsten Traditionen des Mittelalters, dramatisch behandelt von einem Manne, der die naiven Schönheiten und den poetischen Geist jener Zeit ganz durchempfunden. Es ist das Gemälde einer erhabenen Aufopferung – der Aufopferung einer Frau in gränzenloser Liebe zu ihrem Gatten. Da tönen alle jene zaubervollen Namen aus den Sagen der Vorzeit, da leben und weben sie alle, die edeln und anmuthigen Gestalten aus den alten Liederbüchern Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Englands: der tapfere Arthur von der Tafelrunde, die schöne Ginevra mit Lancelot vom See, und Tristan, dessen Heldenfahrten Gottfried von Straßburg erzählt, und der kühne Parcival, über welchen Wolfram von Eschenbach ein Gedicht länger als die Iliade verfaßt hat. Alle diese ritterlichen Bilder verschwinden gleichwohl vor dem der Griseldis, des armen Köhlermädchens, das ein glänzender Hof bewundert, des demuthsvollen Weibes ohne Falsch und ohne Neid, vor der eine Königin sich beugt. Nichts rührender, als die Scene, wo sie, ihres Kindes beraubt, aus ihrer Wohnung vertrieben, von ihrem Gatten verstoßen, noch einen Wunsch der Liebe murmelt für den Mann, der, nachdem er ihr einen erhabenen Rang, einen glorreichen Namen geschenkt, sie nun erbarmungslos in Schmerz und Elend hinausstößt. Dann, als man ihr sagt, daß alles, was sie erlitten, nur ein Spiel war, daß man mit all den Herzenskränkungen und Qualen nur ihre Geduld und Sanftmuth auf die Probe stellen wollte; als sie weiß, daß es ihr Gemahl selbst war, der sie diesen furchtbaren Aengsten preiszugeben gewagt, da ist es um ihre letzte süße Herzenstäuschung, um ihre letzte Freude geschehen. Für ihn, von dem sie sich edel und tief geliebt glaubte, vermochte sie alles zu ertragen: Demüthigung, Armuth, Einsamkeit; aber die Entdeckung, daß sie das Spielzeug einer eiteln Laune, der Gegenstand einer schmachvollen Prüfung werden konnte, sie, die Hochsinnige, Zarte, seiner Liebe so Gewisse, das ist für ihre Seele zu viel. Jetzt erhebt sie sich in ihrer ganzen Würde, und stößt ihrerseits den Mann zurück, der blind genug seyn konnte, sie zu verkennen, grausam genug, sie muthwillig zu tödlichen Martern zu verdammen. Hier schließt das Drama. Es wird durch keinen Mord mit Blut geröthet, aber es rückt das schmerzlichste Bild vor unser Auge – das Bild eines innigen Liebeglaubens, der erlischt, eines hohen Seelenadels, der erliegt, eines brechenden Herzens. *) *) Es gibt einen andern Zweig der deutschen Litteratur, der, durch seinen schon verjährten Ursprung und seine regelmäßige Wiederkehr, auf ein paar Augenblicke unsere Beachtung verdient. Das sind alle die Almanache oder Taschenbücher, die gegen den Monat December jedes Jahrs mit ihrem Goldschnittglorienschein, ihren Guirlanden und Arabesken, hinter den Glasläden der Buchhandlungen hervorschauen, ähnlich den Reihen von Blumentöpfen, welche die Bewohner des Nordens auf ihre Fenster stellen, um gegen die eintönigen Tinten des Winterhimmels abzuheben. In England druckt man diese „Keepsakes“ auf das schönste Velin, bindet sie in Gold und Sammet und reiht sie ein in das Gebiet der Fashion. In Frankreich überläßt man sie der Caprice der Leute aus der Provinz und der Fremden. In Deutschland nimmt man es damit noch ernsthaft. Einer dieser Almanache war es, in welchem gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Göttinger Studenten anfingen die Oden und Elegien zu veröffentlichen, die ein neues Zeitalter der deutschen Dichtkunst ankündigten. Ein solcher Almanach war es, in welchem Goethe und Schiller ihre berühmten Xenien erscheinen ließen; denn diese Almanache waren für Deutschland lange das, was für uns die Revuen sind. In ihnen debutirte der Dichter, der Novellist, und mancher ausgezeichnete Schriftsteller ist dem Taschenbuch treu geblieben, das seine ersten Jugendversuche aufnahm. Tieck hat das Glück der „Urania“ gemacht, indem er ihr alljährlich eine seiner artigen Novellen schenkte, und noch kurz vor seinem Tode setzte Chamisso *) Marmier bemerkt dazu: „Von dieser Tragödie, die Deutschland mit so viel Beifall aufgenommen hat, ist eine französische Uebersetzung unter der Presse, und einer unserer Schauspieldichter arrangirt sie, heißt es, für unsere Bühne.“ – Wir sind nicht entfernt gemeint, das diesem Drama gezollte Lob zu schmälern, doch möchten wir Eins bemerken. Die alte „Geschichte von Griseldis und dem Markgrafen Walther“ ist bekanntlich mehrfach poetisch behandelt, als Novelle, in Balladenform, dramatisch. Von Boccaz bis auf Heinrich Kleist herab haben alle Bearbeiter den glücklichen Ausgang der Erzählung beibehalten. Halm hat ihn tragisch gewendet. Das war ihm ohne Zweifel erlaubt, auch hat er seinen Ausgang der Fabel psychologisch gut motivirt. Nur war die Folge: während die dramatische Verwicklung, die Prüfung der Griseldis, um mit Marmier zu reden, „mittelalterlich naiv“ blieb, ist die Katastrophe reflectirend modern geworden, und collidirt so einigermaßen mit jener. Die Menschen des Mittelalters hatten tief und warm empfindende, aber auch sehr lebenszähe Herzen, die ihr tüchtig Theil Leid und Trübsal, sogar Kränkung und Schmach ertragen konnten, ohne zu brechen. Solchen Herzen legen die alten Volksbücher solche Prüfungen auf. Wozu noch kommt, daß damals in der Ehe, trotz alles ritterlichen Minnedienstes, die moralische Abhängigkeit der Frau vom „Eheherrn“ eine strengere war, des großen Rangunterschiedes der Gatten im vorliegenden Falle zu geschweigen. Shakspeare, der zwar diesseits des Mittelalters, aber ihm doch nahe steht, und in seinem „Ende gut, Alles gut“ ein der Griseldis verwandtes Thema (nach einer andern Boccazischen Novelle) behandelt hat, würde, möchten wir behaupten, die Peripetie der Griseldis nicht auf jenes weibliche Ehren-Punctilio gestellt haben. Damit soll nur gesagt seyn, daß, um der Halm'schen Griseldis sich rein zu erfreuen, man von dem „mittelalterlich Naiven“ der Zeit und der handelnden Personen einigermaßen absehen muß. Das ist kein Tadel, oder wär' es einer, so träf' er manches noch berühmtere deutsche Trauerspiel. Die Hauptsache ist doch zuletzt, daß ein Kunstwerk das allgemein Menschliche treu und wahr darstelle; die localen und historischen Schattirungen importiren weniger.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 76. Augsburg, 16. März 1840, S. 0602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_076_18400316/10>, abgerufen am 21.11.2024.