Allgemeine Zeitung. Nr. 77. Augsburg, 17. März 1840.[Tabelle] "Wenn berühmte Autoren", bemerkt der angezogene Aufsatz, "die im Rufe stehen, aus dem Deutschen ihre Specialität gemacht zu haben und es von Grund aus zu kennen, auf eine so himmelschreiende Weise den Sinn verdrehen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie die untergeordneten Uebersetzer mit unsern classischen Meisterwerken umspringen. Es ist wahrlich nicht zu verwundern, daß die französische Kritik, welche das Original nach einer solchen Schülerarbeit beurtheilt, mit Stolz und Verachtung auf unsere Meisterwerke herabsieht und sie mangelhaft, bisweilen trivial und abgeschmackt findet." Der genannte Hr. Lerminier ist derselbe Gelehrte, der in seinem Buch "au-dela du Rhin" unter Anderm referirt hat, der Unterricht im Latein sey in den deutschen Schulen recht passabel, im Griechischen aber seyen die französischen Colleges besser. (Ipsissima verba!) Schade nur, daß seit dem Tode der Straßburger Philologen, deren französische Namen beinahe wie deutsche klingen, und seit Paul Louis Courriers berühmtem Dintenklecks auf den Longus in Florenz, die Franzosen ihre griechische Gelehrsamkeit so gar sehr unter den Scheffel stellen, und es z. B. deutschen Gelehrten überlassen, den Thesaurus des Heinrich Stephanus neu herauszugeben. Doch um auch unsrerseits nicht mit Tadel zu endigen, wollen wir aus einem Artikel von Henri Blaze, einem der geistvollsten französischen Kritiker in der Revue des deux Mondes (s. "Blätter zur Kunde der Litteratur des Auslands" 1839 Nr. 115 ff.) eine Uebersetzprobe ausheben, welche beweist, daß, wenn irgend ein Franzose, Hr. Blaze im Stande wäre, seinen Landsleuten das Goethe'sche Meisterwerk würdig nachzubilden. Es ist Gretchens Gebet: "O neige, du Schmerzenreiche" etc. O daigne, daigne, Mere, dont le coeur saigne, Pencher ton front vers ma douleur! L'epee au coeur, L'ame chagrine, Tu vois ton fils mourir sur la colline. Ton regard cherche le ciel, Tu lances vers l'Eternel Des soupirs pour sa misere, Pour la tienne aussi, pauvre mere! Qui sentira jamais L'affreux exces De la douleur qui me dechire? Ce que mon coeur a de regrets, Ce qu'il craint et ce qu'il desire? Toi seule, toi seule le sais. En quelque endroit que j'aille Un mal cruel travaille Mon coeur tout en emoi, Je suis seule a cette heure, Je pleure, pleure, pleure, Mon coeur se brise en moi. Quand l'aube allait paraitre, En te cueillant ces fleurs, J'arrosais de mes pleurs Les pots de ma fenetre. Et le premier rayon Du soleil m'a surprise, Sur mon seant assise, Dans mon affliction. Ah! sauve moi de la mort, de l'affront! Daigne, daigne, Toi, dont le coeur saigne, Vers ma douleur pencher ton divin front! Documente über die Religionsverhältnisse in Rußland. (Beschluß.) II. Bericht, welchen die Einwohner des Dorfes Uszacz, Bezirks Lepel, in der Provinz Witepsk erstatteten. Im Monat August 1835 sendeten wir Bewohner der Pfarrei Uszacz eine Bittschrift an den Cultusminister zu St. Petersburg, in welchem wir seine Gnade und sein Erbarmen anflehten, weil wir, unserer Kirche beraubt, gezwungen wären, eine Religion äußerlich zu bekennen, welche wir nicht annehmen wollten. Wir blieben aber ohne Antwort; nur benachrichtigte uns der Bischof Bulhak, daß bald eine Commission mit dem uns bestimmten Priester anlangen werde. Und in der That ist die Commission am 2 Dec. erschienen, und hat das von ihr zusammenberufene Volk aufgefordert, die griechische Religion anzunehmen. Aber wir riefen alle einstimmig: "Wir wollen Alle in unserm Glauben sterben; niemals haben wir eine andere Religion gewollt, und wollen auch jetzt keine dergleichen." Darauf ging die Commission von Worten zur That über, d. h. man riß uns die Haare aus, man schlug uns das Gesicht blutig, man gab uns Stöße an den Kopf, man warf einige ins Gefängniß und transportirte andere in die Stadt Lepel. Endlich, wie die Commission sah, daß diese Mittel nicht fruchteten, verbot sie allen griechisch-unirten Priestern, uns Beichte zu hören oder andern geistlichen Beistand zu leisten. Aber wir haben gesagt: "Wir werden ohne Priester bleiben; wir werden unsere Gebete zu Haus verrichten; wir werden ohne Priester sterben, uns einander Beichte hören, aber euren Glauben nehmen wir nicht an. Eher bereite man uns das Loos des seligen Josaphat, das wünschen wir." Und die Commission entfernte sich, unserer Thränen und Bitten spottend; wir aber blieben zurück, wie irrende Schafe, und haben keine Zuflucht. Wir zeichnen u. s. w. III. Bittschrift der Bewohner von Lubowicz, Districts Babinowicz, in der Provinz Mohilew. Allerdurchlauchtigster, allergnädigster Kaiser! Hören Sie die Stimme derer, welche unverschuldet Verfolgung leiden, die Stimme derer, welche die Gnade Ew. kaiserl. Majestät anflehen. Unsere Vorfahren, dem griechisch-unirten Glauben angehörend, brachten treu dem Thron und dem Vaterland ihr Leben in dieser Religion zu; wir, in diesem Glauben geboren, bekannten uns lange Zeit frei zu ihm. Aber nach dem höchsten Willen, wie man uns sagte, der Kaiserin Katharina, glücklichen Angedenkens, wendete die Ortsobrigkeit Leibesstrafen und gewaltsame Mittel an, um, was ihr auch glückte, viele unserer Pfarrgenossen zur Abschwörung des Glaubens ihrer Väter zu bringen. Einige indessen, obwohl sie denselben Strafen unterworfen worden, verharrten im alten Glauben, auf den göttlichen Schutz rechnend und ihre Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Kaiserin setzend. Unsere Hoffnung täuschte uns auch nicht, die Kaiserin that der Verfolgung Einhalt und ließ uns bei der Religion unserer Väter; wir bekannten diese Religion bis jetzt frei unter dem Schutz Ihres kaiserlichen Willens, und glaubten nicht, daß ohne einen ausdrücklichen Befehl Ew. kaiserl. Maj. wir in dem Bekenntniß des Glaubens gestört werden könnten, welchen auch unsere Voreltern bekannten, und in welchem wir, wie diese, geboren sind. Aber die Priester der herrschenden Religion zwingen uns, unter dem Vorwand, daß einige von uns zur Gemeinschaft der griechisch-russischen Kirche gehört, was nicht stattgehabt, unsern Glauben abzuschwören, nicht durch Körperstrafen, sondern durch härtere Mittel, d. h. uns allen geistlichen Beistandes beraubend, unsern eigenen Priestern verwehrend, [Tabelle] „Wenn berühmte Autoren“, bemerkt der angezogene Aufsatz, „die im Rufe stehen, aus dem Deutschen ihre Specialität gemacht zu haben und es von Grund aus zu kennen, auf eine so himmelschreiende Weise den Sinn verdrehen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie die untergeordneten Uebersetzer mit unsern classischen Meisterwerken umspringen. Es ist wahrlich nicht zu verwundern, daß die französische Kritik, welche das Original nach einer solchen Schülerarbeit beurtheilt, mit Stolz und Verachtung auf unsere Meisterwerke herabsieht und sie mangelhaft, bisweilen trivial und abgeschmackt findet.“ Der genannte Hr. Lerminier ist derselbe Gelehrte, der in seinem Buch „au-delà du Rhin“ unter Anderm referirt hat, der Unterricht im Latein sey in den deutschen Schulen recht passabel, im Griechischen aber seyen die französischen Colléges besser. (Ipsissima verba!) Schade nur, daß seit dem Tode der Straßburger Philologen, deren französische Namen beinahe wie deutsche klingen, und seit Paul Louis Courriers berühmtem Dintenklecks auf den Longus in Florenz, die Franzosen ihre griechische Gelehrsamkeit so gar sehr unter den Scheffel stellen, und es z. B. deutschen Gelehrten überlassen, den Thesaurus des Heinrich Stephanus neu herauszugeben. Doch um auch unsrerseits nicht mit Tadel zu endigen, wollen wir aus einem Artikel von Henri Blaze, einem der geistvollsten französischen Kritiker in der Revue des deux Mondes (s. „Blätter zur Kunde der Litteratur des Auslands“ 1839 Nr. 115 ff.) eine Uebersetzprobe ausheben, welche beweist, daß, wenn irgend ein Franzose, Hr. Blaze im Stande wäre, seinen Landsleuten das Goethe'sche Meisterwerk würdig nachzubilden. Es ist Gretchens Gebet: „O neige, du Schmerzenreiche“ etc. O daigne, daigne, Mère, dont le cœur saigne, Pencher ton front vers ma douleur! L'épée au cœur, L'àme chagrine, Tu vois ton fils mourir sur la colline. Ton regard cherche le ciel, Tu lances vers l'Eternel Des soupirs pour sa misère, Pour la tienne aussi, pauvre mère! Qui sentira jamais L'affreux excès De la douleur qui me déchire? Ce que mon cœur a de regrets, Ce qu'il craint et ce qu'il désire? Toi seule, toi seule le sais. En quelque endroit que j'aille Un mal cruel travaille Mon cœur tout en émoi, Je suis seule à cette heure, Je pleure, pleure, pleure, Mon cœur se brise en moi. Quand l'aube allait paraitre, En te cueillant ces fleurs, J'arrosais de mes pleurs Les pots de ma fenètre. Et le premier rayon Du soleil m'a surprise, Sur mon séant assise, Dans mon affliction. Ah! sauve moi de la mort, de l'affront! Daigne, daigne, Toi, dont le cœur saigne, Vers ma douleur pencher ton divin front! Documente über die Religionsverhältnisse in Rußland. (Beschluß.) II. Bericht, welchen die Einwohner des Dorfes Uszacz, Bezirks Lepel, in der Provinz Witepsk erstatteten. Im Monat August 1835 sendeten wir Bewohner der Pfarrei Uszacz eine Bittschrift an den Cultusminister zu St. Petersburg, in welchem wir seine Gnade und sein Erbarmen anflehten, weil wir, unserer Kirche beraubt, gezwungen wären, eine Religion äußerlich zu bekennen, welche wir nicht annehmen wollten. Wir blieben aber ohne Antwort; nur benachrichtigte uns der Bischof Bulhak, daß bald eine Commission mit dem uns bestimmten Priester anlangen werde. Und in der That ist die Commission am 2 Dec. erschienen, und hat das von ihr zusammenberufene Volk aufgefordert, die griechische Religion anzunehmen. Aber wir riefen alle einstimmig: „Wir wollen Alle in unserm Glauben sterben; niemals haben wir eine andere Religion gewollt, und wollen auch jetzt keine dergleichen.“ Darauf ging die Commission von Worten zur That über, d. h. man riß uns die Haare aus, man schlug uns das Gesicht blutig, man gab uns Stöße an den Kopf, man warf einige ins Gefängniß und transportirte andere in die Stadt Lepel. Endlich, wie die Commission sah, daß diese Mittel nicht fruchteten, verbot sie allen griechisch-unirten Priestern, uns Beichte zu hören oder andern geistlichen Beistand zu leisten. Aber wir haben gesagt: „Wir werden ohne Priester bleiben; wir werden unsere Gebete zu Haus verrichten; wir werden ohne Priester sterben, uns einander Beichte hören, aber euren Glauben nehmen wir nicht an. Eher bereite man uns das Loos des seligen Josaphat, das wünschen wir.“ Und die Commission entfernte sich, unserer Thränen und Bitten spottend; wir aber blieben zurück, wie irrende Schafe, und haben keine Zuflucht. Wir zeichnen u. s. w. III. Bittschrift der Bewohner von Lubowicz, Districts Babinowicz, in der Provinz Mohilew. Allerdurchlauchtigster, allergnädigster Kaiser! Hören Sie die Stimme derer, welche unverschuldet Verfolgung leiden, die Stimme derer, welche die Gnade Ew. kaiserl. Majestät anflehen. Unsere Vorfahren, dem griechisch-unirten Glauben angehörend, brachten treu dem Thron und dem Vaterland ihr Leben in dieser Religion zu; wir, in diesem Glauben geboren, bekannten uns lange Zeit frei zu ihm. Aber nach dem höchsten Willen, wie man uns sagte, der Kaiserin Katharina, glücklichen Angedenkens, wendete die Ortsobrigkeit Leibesstrafen und gewaltsame Mittel an, um, was ihr auch glückte, viele unserer Pfarrgenossen zur Abschwörung des Glaubens ihrer Väter zu bringen. Einige indessen, obwohl sie denselben Strafen unterworfen worden, verharrten im alten Glauben, auf den göttlichen Schutz rechnend und ihre Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Kaiserin setzend. Unsere Hoffnung täuschte uns auch nicht, die Kaiserin that der Verfolgung Einhalt und ließ uns bei der Religion unserer Väter; wir bekannten diese Religion bis jetzt frei unter dem Schutz Ihres kaiserlichen Willens, und glaubten nicht, daß ohne einen ausdrücklichen Befehl Ew. kaiserl. Maj. wir in dem Bekenntniß des Glaubens gestört werden könnten, welchen auch unsere Voreltern bekannten, und in welchem wir, wie diese, geboren sind. Aber die Priester der herrschenden Religion zwingen uns, unter dem Vorwand, daß einige von uns zur Gemeinschaft der griechisch-russischen Kirche gehört, was nicht stattgehabt, unsern Glauben abzuschwören, nicht durch Körperstrafen, sondern durch härtere Mittel, d. h. uns allen geistlichen Beistandes beraubend, unsern eigenen Priestern verwehrend, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0011" n="0611"/> <table> <row> <cell/> </row> </table> <p>„Wenn berühmte Autoren“, bemerkt der angezogene Aufsatz, „die im Rufe stehen, aus dem Deutschen ihre Specialität gemacht zu haben und es von Grund aus zu kennen, auf eine so himmelschreiende Weise den Sinn verdrehen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie die untergeordneten Uebersetzer mit unsern classischen Meisterwerken umspringen. Es ist wahrlich nicht zu verwundern, daß die französische Kritik, welche das Original nach einer solchen Schülerarbeit beurtheilt, mit Stolz und Verachtung auf unsere Meisterwerke herabsieht und sie mangelhaft, bisweilen trivial und abgeschmackt findet.“ Der genannte Hr. Lerminier ist derselbe Gelehrte, der in seinem Buch „au-delà du Rhin“ unter Anderm referirt hat, der Unterricht im Latein sey in den deutschen Schulen recht passabel, im Griechischen aber seyen die französischen Colléges besser. (Ipsissima verba!) Schade nur, daß seit dem Tode der Straßburger Philologen, deren französische Namen <hi rendition="#g">beinahe</hi> wie deutsche klingen, und seit Paul Louis Courriers berühmtem Dintenklecks auf den Longus in Florenz, die Franzosen ihre griechische Gelehrsamkeit so gar sehr unter den Scheffel stellen, und es z. 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Endlich, wie die Commission sah, daß diese Mittel nicht fruchteten, verbot sie allen griechisch-unirten Priestern, uns Beichte zu hören oder andern geistlichen Beistand zu leisten. Aber wir haben gesagt: „Wir werden ohne Priester bleiben; wir werden unsere Gebete zu Haus verrichten; wir werden ohne Priester sterben, uns einander Beichte hören, aber euren Glauben nehmen wir nicht an. Eher bereite man uns das Loos des seligen Josaphat, das wünschen wir.“ Und die Commission entfernte sich, unserer Thränen und Bitten spottend; wir aber blieben zurück, wie irrende Schafe, und haben keine Zuflucht. Wir zeichnen u. s. w.</p><lb/> <p>III. <hi rendition="#g">Bittschrift der Bewohner von Lubowicz</hi>, <hi rendition="#g">Districts Babinowicz</hi>, <hi rendition="#g">in der Provinz Mohilew</hi>. Allerdurchlauchtigster, allergnädigster Kaiser! Hören Sie die Stimme derer, welche unverschuldet Verfolgung leiden, die Stimme derer, welche die Gnade Ew. kaiserl. Majestät anflehen. 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Maj. wir in dem Bekenntniß des Glaubens gestört werden könnten, welchen auch unsere Voreltern bekannten, und in welchem wir, wie diese, geboren sind. Aber die Priester der herrschenden Religion zwingen uns, unter dem Vorwand, daß einige von uns zur Gemeinschaft der griechisch-russischen Kirche gehört, was nicht stattgehabt, unsern Glauben abzuschwören, nicht durch Körperstrafen, sondern durch härtere Mittel, d. h. uns allen geistlichen Beistandes beraubend, unsern eigenen Priestern verwehrend,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0611/0011]
„Wenn berühmte Autoren“, bemerkt der angezogene Aufsatz, „die im Rufe stehen, aus dem Deutschen ihre Specialität gemacht zu haben und es von Grund aus zu kennen, auf eine so himmelschreiende Weise den Sinn verdrehen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie die untergeordneten Uebersetzer mit unsern classischen Meisterwerken umspringen. Es ist wahrlich nicht zu verwundern, daß die französische Kritik, welche das Original nach einer solchen Schülerarbeit beurtheilt, mit Stolz und Verachtung auf unsere Meisterwerke herabsieht und sie mangelhaft, bisweilen trivial und abgeschmackt findet.“ Der genannte Hr. Lerminier ist derselbe Gelehrte, der in seinem Buch „au-delà du Rhin“ unter Anderm referirt hat, der Unterricht im Latein sey in den deutschen Schulen recht passabel, im Griechischen aber seyen die französischen Colléges besser. (Ipsissima verba!) Schade nur, daß seit dem Tode der Straßburger Philologen, deren französische Namen beinahe wie deutsche klingen, und seit Paul Louis Courriers berühmtem Dintenklecks auf den Longus in Florenz, die Franzosen ihre griechische Gelehrsamkeit so gar sehr unter den Scheffel stellen, und es z. B. deutschen Gelehrten überlassen, den Thesaurus des Heinrich Stephanus neu herauszugeben.
Doch um auch unsrerseits nicht mit Tadel zu endigen, wollen wir aus einem Artikel von Henri Blaze, einem der geistvollsten französischen Kritiker in der Revue des deux Mondes (s. „Blätter zur Kunde der Litteratur des Auslands“ 1839 Nr. 115 ff.) eine Uebersetzprobe ausheben, welche beweist, daß, wenn irgend ein Franzose, Hr. Blaze im Stande wäre, seinen Landsleuten das Goethe'sche Meisterwerk würdig nachzubilden. Es ist Gretchens Gebet: „O neige, du Schmerzenreiche“ etc.
O daigne, daigne,
Mère, dont le cœur saigne,
Pencher ton front vers ma douleur!
L'épée au cœur,
L'àme chagrine,
Tu vois ton fils mourir sur la colline.
Ton regard cherche le ciel,
Tu lances vers l'Eternel
Des soupirs pour sa misère,
Pour la tienne aussi, pauvre mère!
Qui sentira jamais
L'affreux excès
De la douleur qui me déchire?
Ce que mon cœur a de regrets,
Ce qu'il craint et ce qu'il désire?
Toi seule, toi seule le sais.
En quelque endroit que j'aille
Un mal cruel travaille
Mon cœur tout en émoi,
Je suis seule à cette heure,
Je pleure, pleure, pleure,
Mon cœur se brise en moi.
Quand l'aube allait paraitre,
En te cueillant ces fleurs,
J'arrosais de mes pleurs
Les pots de ma fenètre.
Et le premier rayon
Du soleil m'a surprise,
Sur mon séant assise,
Dans mon affliction.
Ah! sauve moi de la mort, de l'affront!
Daigne, daigne,
Toi, dont le cœur saigne,
Vers ma douleur pencher ton divin front!
Documente über die Religionsverhältnisse in Rußland.
(Beschluß.)
II. Bericht, welchen die Einwohner des Dorfes Uszacz, Bezirks Lepel, in der Provinz Witepsk erstatteten. Im Monat August 1835 sendeten wir Bewohner der Pfarrei Uszacz eine Bittschrift an den Cultusminister zu St. Petersburg, in welchem wir seine Gnade und sein Erbarmen anflehten, weil wir, unserer Kirche beraubt, gezwungen wären, eine Religion äußerlich zu bekennen, welche wir nicht annehmen wollten. Wir blieben aber ohne Antwort; nur benachrichtigte uns der Bischof Bulhak, daß bald eine Commission mit dem uns bestimmten Priester anlangen werde. Und in der That ist die Commission am 2 Dec. erschienen, und hat das von ihr zusammenberufene Volk aufgefordert, die griechische Religion anzunehmen. Aber wir riefen alle einstimmig: „Wir wollen Alle in unserm Glauben sterben; niemals haben wir eine andere Religion gewollt, und wollen auch jetzt keine dergleichen.“ Darauf ging die Commission von Worten zur That über, d. h. man riß uns die Haare aus, man schlug uns das Gesicht blutig, man gab uns Stöße an den Kopf, man warf einige ins Gefängniß und transportirte andere in die Stadt Lepel. Endlich, wie die Commission sah, daß diese Mittel nicht fruchteten, verbot sie allen griechisch-unirten Priestern, uns Beichte zu hören oder andern geistlichen Beistand zu leisten. Aber wir haben gesagt: „Wir werden ohne Priester bleiben; wir werden unsere Gebete zu Haus verrichten; wir werden ohne Priester sterben, uns einander Beichte hören, aber euren Glauben nehmen wir nicht an. Eher bereite man uns das Loos des seligen Josaphat, das wünschen wir.“ Und die Commission entfernte sich, unserer Thränen und Bitten spottend; wir aber blieben zurück, wie irrende Schafe, und haben keine Zuflucht. Wir zeichnen u. s. w.
III. Bittschrift der Bewohner von Lubowicz, Districts Babinowicz, in der Provinz Mohilew. Allerdurchlauchtigster, allergnädigster Kaiser! Hören Sie die Stimme derer, welche unverschuldet Verfolgung leiden, die Stimme derer, welche die Gnade Ew. kaiserl. Majestät anflehen. Unsere Vorfahren, dem griechisch-unirten Glauben angehörend, brachten treu dem Thron und dem Vaterland ihr Leben in dieser Religion zu; wir, in diesem Glauben geboren, bekannten uns lange Zeit frei zu ihm. Aber nach dem höchsten Willen, wie man uns sagte, der Kaiserin Katharina, glücklichen Angedenkens, wendete die Ortsobrigkeit Leibesstrafen und gewaltsame Mittel an, um, was ihr auch glückte, viele unserer Pfarrgenossen zur Abschwörung des Glaubens ihrer Väter zu bringen. Einige indessen, obwohl sie denselben Strafen unterworfen worden, verharrten im alten Glauben, auf den göttlichen Schutz rechnend und ihre Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Kaiserin setzend. Unsere Hoffnung täuschte uns auch nicht, die Kaiserin that der Verfolgung Einhalt und ließ uns bei der Religion unserer Väter; wir bekannten diese Religion bis jetzt frei unter dem Schutz Ihres kaiserlichen Willens, und glaubten nicht, daß ohne einen ausdrücklichen Befehl Ew. kaiserl. Maj. wir in dem Bekenntniß des Glaubens gestört werden könnten, welchen auch unsere Voreltern bekannten, und in welchem wir, wie diese, geboren sind. Aber die Priester der herrschenden Religion zwingen uns, unter dem Vorwand, daß einige von uns zur Gemeinschaft der griechisch-russischen Kirche gehört, was nicht stattgehabt, unsern Glauben abzuschwören, nicht durch Körperstrafen, sondern durch härtere Mittel, d. h. uns allen geistlichen Beistandes beraubend, unsern eigenen Priestern verwehrend,
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