Allgemeine Zeitung. Nr. 110. Augsburg, 19. April 1840.gemacht worden, die sie zurückgewiesen haben, bis ihre Ueberzeugung ihnen die Annahme gestattet habe. Das Cabinet sey also der Opposition entsprungen, das Ministerium ein constitutionelles, parlamentarisches, bereit, vor einer feindlichen Majorität sich zurückzuziehen. Man finde seine Position schwierig, und ihm selbst scheine die Last schwerer als je, und doch hätten die Männer des jetzigen Ministeriums sie annehmen müssen, weil eine Ablehnung für die Gewalt bedenklich gewesen wäre. Was die Wahlreform betreffe, so glaube er, daß die Gewalt einer Erweiterung des Wählerkreises so lange widerstehen müsse, bis eine solche Einstimmigkeit der Forderung entstehe, daß man das Zugeständniß ohne Gefahr nicht länger verweigern könne. Die Septembergesetze sollen erhalten, nur die Definition Attentat geändert werden. Der Redner vergleicht dann die Ruhe in der Pairskammer mit der Schwierigkeit, die Majorität in der andern Kammer zu erhalten. Das Ministerium habe absichtlich das geheime Fondsgesetz als Probe vorangestellt. Er glaube nicht, daß es Menschen gebe, welche den Staat absichtlich in Gefahren stürzen wollten; aber manche wollen böswilligerweise (malicieusement) das Cabinet aufs Aeußerste treiben, um es mit dieser oder jener Partei zu entzweien. Man möge nun gestatten, daß das Cabinet seinen Weg auf seine eigenthümliche Weise zu gehen suche. Er sey überzeugt, daß es mit der Zeit gelingen werde, die Verständigen und Gemäßigten aller Parteien um sich zu vereinen. Die Agenten der Regierung sollen unbelästigt in ihrer Stellung bleiben; zwar hätten die Minister mehr als Eine Beleidigung zu rächen, aber sie hätten es nicht gethan, und würden es nicht thun. Sollte aber nun ein Agent seine Mission nicht verstehen, so habe er aufzuhören, der Verwaltung zu dienen. (Beifall.) Zu der auswärtigen Politik übergehend berührte der Minister zuerst mit wenigen Worten die Oppositionsrede, welche der legitimistische Herzog v. Noailles vor ihm gehalten hatte, und sagte dann im Wesentlichen: "Ich habe nie mißkannt, daß wir in Bezug auf Konstantinopel und Aegypten mit England nicht einig sind. Ich glaube indessen nicht, daß die Russen und Engländer in diesem Augenblick gesonnen sind, jene in Konstantinopel, diese in Aegypten einzufallen. Dieß hieße die Welt in eine jener Umwälzungen stürzen, die Jedermann fürchtet. Selbst wenn es auf irgend einem Throne einen Souverän gäbe, der ein solches Wagstück unternehmen möchte, so würde sein Interesse sich dagegen setzen. Die Dinge gehen in der Wirklichkeit nicht so rasch vor sich, wie in den Köpfen derer, die sich mit Politik beschäftigen. Die Gefahr ist für den Augenblick weder für Konstantinopel noch für Aegypten vorhanden, ich bestreite sie aber nicht für die Zukunft. Der bedrohteste Punkt ist Konstantinopel, bedroht aber erst in der Ferne (dans l'eloignement). Es war sonach natürlich, daß wir unserer alten Allianz mit England getreu blieben. Ich glaube auch, daß man das Interesse, das England hat, sich Aegyptens zu bemächtigen, übertreibt. Frankreich will das türkische Reich aufrecht erhalten, dieß will aber keineswegs sagen, daß man ihm die davon abgerissenen Glieder zurückgeben solle. Frankreich hat geglaubt und glaubt fortwährend, daß die dem Pascha von Aegypten unterworfenen Provinzen sich angemessener in seinen als in den Händen des Sultans befinden, dem sie früher nur viel gekostet haben, während sie ihm jetzt als Nachhut dienen können. Frankreich hat Niemanden ein Geheimniß aus dieser Gesinnung gemacht. Es würde die Staaten des Sultans nicht zerstückelt haben; aber von dem Tage an, wo das Geschick die Trennung Aegyptens entschieden hatte, wollte es, daß der neue Staat geachtet werde. Würde es denn auch so leicht seyn, dem mächtigen Vasallen seine Eroberungen zu entreißen? Frankreich sagte: wir glauben, daß, nachdem der Pascha gewußt hat, Aegypten und Syrien zu erobern und zu regieren, es besser seyn wird, ihm diese Länder zu lassen, als einen selbst für das türkische Reich gefährlichen Brand herbeizuführen. Es wäre höchst bedenklich, unter dem Vorwande der Beschützung des türkischen Reichs irgend eine Macht in sein Inneres einrücken zu lassen. Frankreich würde auf eine Allianz, so sehr es auch an derselben hängt, zu verzichten wissen, so wie seine Interessen dieß fordern. (Beifall.) Will man etwa das Cabinet injuriren, bevor es noch gehandelt hat! ... Ich wiederhole, wenn eine Allianz gebrochen werden muß, die unsere Interessen zu gefährden drohte, so werden wir sie brechen! Zuvor aber blicken Sie auf die Vortheile, die daraus hervorgegangen sind, indem alle politischen Fragen sich friedlich entwickelt haben, was man bloß der Kraft der zwei auf solche Weise verbündeten großen Mächte verdankte." Der Minister durchgeht dann alle Gelegenheiten, wo die Allianz Englands für Frankreich günstig gewesen. "Man will uns, fuhr er fort, mit dem Ehrgeiz Englands in Schrecken jagen; aber in England spricht man ebenfalls von unserem zügellosen Ehrgeiz; man sagt, wir bedrohen Marokko, Tunis, wir besitzen Afrika u. s. w. Die verständigen Engländer lächeln zu solchen Declamationen, gerade wie Sie, meine Herren." Hr. Thiers erklärte schließlich, daß mit dem Tage, wo der Friede nicht mehr mit der Ehre verträglich wäre, er der erste seyn würde, einen Aufruf an das Land ergehen zu lassen, um jenes Gefühl der Nationalgröße wieder zu wecken, das der Friede zwar zur Ruhe wiegen, aber niemals verlöschen könne. (Die Debatten dauerten beim Abgang der Post noch fort.) Der Herzog v. Luynes, Mitglied der Akademie der Inscriptionen und schönen Wissenschaften, ist am 11 April nach Italien abgereist, wohin ihn archäologische Studien rufen. Paris, 14 April. General Athalin, einer der Vertrauten und Adjutanten des Königs, ist sehr gefährlich krank; man zweifelt an seinem Aufkommen. - Morgen beginnen die Debatten über den Entwurf der Rentenconversion; nach der allgemeinen Ansicht der linken Seite werden zwar diese Debatten einige Tage wegnehmen, indessen wird die Kammer den Entwurf mit den Amendements der Commission annehmen. Eben so allgemein glaubt man, die Pairskammer werde ihn wiederum verwerfen, so daß die Maaßregel auch in diesem Jahr nicht zur Ausführung käme. Niederlande. Haag, 13 April. Die parlamentarischen Differenzen der Generalstaaten mit der Regierung sind in diesem Augenblick freilich von ernsterem Charakter, als viele der früheren, und der Kampf wird noch verschiedene Stadien durchlaufen müssen, bis die endliche und vollkommene Verständigung erfolgen dürfte. Gleichwohl ist er nicht von so verwickelter Natur, daß er nicht beiden Theilen Mittel genug ließe, mit allen Kriegsehren von ihm abzulassen. Da die Kammer durch die mehrfachen und bedeutenden Abänderungen in dem Grundgesetze gleichsam den Charakter einer Constituante erhalten hat, und es sich um die Gestaltung der Zukunft in allen Beziehungen des Staatslebens handelt, so ist es natürlich, daß der eine Theil mit so vielen und so großen Ansprüchen als nur immer möglich auftritt und von denselben wenigstens das Wichtigste und Unerläßlichste durchzusetzen sucht, während der andere Theil, wie ein guter Feldherr, Schritt für Schritt sich vertheidigt, und nicht ohne Noth die angegriffenen Posten übergibt. Beide Interessenten sind wohl gleich sehr für das Beste des Vaterlandes erfüllt, und es weichen bloß die Ansichten über Mittel und Wege von einander ab, je nach dem eigenthümlichen Standpunkt, welchen eine Regierung und welchen eine Volksrepräsentation nothwendig einnehmen gemacht worden, die sie zurückgewiesen haben, bis ihre Ueberzeugung ihnen die Annahme gestattet habe. Das Cabinet sey also der Opposition entsprungen, das Ministerium ein constitutionelles, parlamentarisches, bereit, vor einer feindlichen Majorität sich zurückzuziehen. Man finde seine Position schwierig, und ihm selbst scheine die Last schwerer als je, und doch hätten die Männer des jetzigen Ministeriums sie annehmen müssen, weil eine Ablehnung für die Gewalt bedenklich gewesen wäre. Was die Wahlreform betreffe, so glaube er, daß die Gewalt einer Erweiterung des Wählerkreises so lange widerstehen müsse, bis eine solche Einstimmigkeit der Forderung entstehe, daß man das Zugeständniß ohne Gefahr nicht länger verweigern könne. Die Septembergesetze sollen erhalten, nur die Definition Attentat geändert werden. Der Redner vergleicht dann die Ruhe in der Pairskammer mit der Schwierigkeit, die Majorität in der andern Kammer zu erhalten. Das Ministerium habe absichtlich das geheime Fondsgesetz als Probe vorangestellt. Er glaube nicht, daß es Menschen gebe, welche den Staat absichtlich in Gefahren stürzen wollten; aber manche wollen böswilligerweise (malicieusement) das Cabinet aufs Aeußerste treiben, um es mit dieser oder jener Partei zu entzweien. Man möge nun gestatten, daß das Cabinet seinen Weg auf seine eigenthümliche Weise zu gehen suche. Er sey überzeugt, daß es mit der Zeit gelingen werde, die Verständigen und Gemäßigten aller Parteien um sich zu vereinen. Die Agenten der Regierung sollen unbelästigt in ihrer Stellung bleiben; zwar hätten die Minister mehr als Eine Beleidigung zu rächen, aber sie hätten es nicht gethan, und würden es nicht thun. Sollte aber nun ein Agent seine Mission nicht verstehen, so habe er aufzuhören, der Verwaltung zu dienen. (Beifall.) Zu der auswärtigen Politik übergehend berührte der Minister zuerst mit wenigen Worten die Oppositionsrede, welche der legitimistische Herzog v. Noailles vor ihm gehalten hatte, und sagte dann im Wesentlichen: „Ich habe nie mißkannt, daß wir in Bezug auf Konstantinopel und Aegypten mit England nicht einig sind. Ich glaube indessen nicht, daß die Russen und Engländer in diesem Augenblick gesonnen sind, jene in Konstantinopel, diese in Aegypten einzufallen. Dieß hieße die Welt in eine jener Umwälzungen stürzen, die Jedermann fürchtet. Selbst wenn es auf irgend einem Throne einen Souverän gäbe, der ein solches Wagstück unternehmen möchte, so würde sein Interesse sich dagegen setzen. Die Dinge gehen in der Wirklichkeit nicht so rasch vor sich, wie in den Köpfen derer, die sich mit Politik beschäftigen. Die Gefahr ist für den Augenblick weder für Konstantinopel noch für Aegypten vorhanden, ich bestreite sie aber nicht für die Zukunft. Der bedrohteste Punkt ist Konstantinopel, bedroht aber erst in der Ferne (dans l'éloignement). Es war sonach natürlich, daß wir unserer alten Allianz mit England getreu blieben. Ich glaube auch, daß man das Interesse, das England hat, sich Aegyptens zu bemächtigen, übertreibt. Frankreich will das türkische Reich aufrecht erhalten, dieß will aber keineswegs sagen, daß man ihm die davon abgerissenen Glieder zurückgeben solle. Frankreich hat geglaubt und glaubt fortwährend, daß die dem Pascha von Aegypten unterworfenen Provinzen sich angemessener in seinen als in den Händen des Sultans befinden, dem sie früher nur viel gekostet haben, während sie ihm jetzt als Nachhut dienen können. Frankreich hat Niemanden ein Geheimniß aus dieser Gesinnung gemacht. Es würde die Staaten des Sultans nicht zerstückelt haben; aber von dem Tage an, wo das Geschick die Trennung Aegyptens entschieden hatte, wollte es, daß der neue Staat geachtet werde. Würde es denn auch so leicht seyn, dem mächtigen Vasallen seine Eroberungen zu entreißen? Frankreich sagte: wir glauben, daß, nachdem der Pascha gewußt hat, Aegypten und Syrien zu erobern und zu regieren, es besser seyn wird, ihm diese Länder zu lassen, als einen selbst für das türkische Reich gefährlichen Brand herbeizuführen. Es wäre höchst bedenklich, unter dem Vorwande der Beschützung des türkischen Reichs irgend eine Macht in sein Inneres einrücken zu lassen. Frankreich würde auf eine Allianz, so sehr es auch an derselben hängt, zu verzichten wissen, so wie seine Interessen dieß fordern. (Beifall.) Will man etwa das Cabinet injuriren, bevor es noch gehandelt hat! ... Ich wiederhole, wenn eine Allianz gebrochen werden muß, die unsere Interessen zu gefährden drohte, so werden wir sie brechen! Zuvor aber blicken Sie auf die Vortheile, die daraus hervorgegangen sind, indem alle politischen Fragen sich friedlich entwickelt haben, was man bloß der Kraft der zwei auf solche Weise verbündeten großen Mächte verdankte.“ Der Minister durchgeht dann alle Gelegenheiten, wo die Allianz Englands für Frankreich günstig gewesen. „Man will uns, fuhr er fort, mit dem Ehrgeiz Englands in Schrecken jagen; aber in England spricht man ebenfalls von unserem zügellosen Ehrgeiz; man sagt, wir bedrohen Marokko, Tunis, wir besitzen Afrika u. s. w. Die verständigen Engländer lächeln zu solchen Declamationen, gerade wie Sie, meine Herren.“ Hr. Thiers erklärte schließlich, daß mit dem Tage, wo der Friede nicht mehr mit der Ehre verträglich wäre, er der erste seyn würde, einen Aufruf an das Land ergehen zu lassen, um jenes Gefühl der Nationalgröße wieder zu wecken, das der Friede zwar zur Ruhe wiegen, aber niemals verlöschen könne. (Die Debatten dauerten beim Abgang der Post noch fort.) Der Herzog v. Luynes, Mitglied der Akademie der Inscriptionen und schönen Wissenschaften, ist am 11 April nach Italien abgereist, wohin ihn archäologische Studien rufen. Paris, 14 April. General Athalin, einer der Vertrauten und Adjutanten des Königs, ist sehr gefährlich krank; man zweifelt an seinem Aufkommen. – Morgen beginnen die Debatten über den Entwurf der Rentenconversion; nach der allgemeinen Ansicht der linken Seite werden zwar diese Debatten einige Tage wegnehmen, indessen wird die Kammer den Entwurf mit den Amendements der Commission annehmen. Eben so allgemein glaubt man, die Pairskammer werde ihn wiederum verwerfen, so daß die Maaßregel auch in diesem Jahr nicht zur Ausführung käme. Niederlande. Haag, 13 April. Die parlamentarischen Differenzen der Generalstaaten mit der Regierung sind in diesem Augenblick freilich von ernsterem Charakter, als viele der früheren, und der Kampf wird noch verschiedene Stadien durchlaufen müssen, bis die endliche und vollkommene Verständigung erfolgen dürfte. Gleichwohl ist er nicht von so verwickelter Natur, daß er nicht beiden Theilen Mittel genug ließe, mit allen Kriegsehren von ihm abzulassen. Da die Kammer durch die mehrfachen und bedeutenden Abänderungen in dem Grundgesetze gleichsam den Charakter einer Constituante erhalten hat, und es sich um die Gestaltung der Zukunft in allen Beziehungen des Staatslebens handelt, so ist es natürlich, daß der eine Theil mit so vielen und so großen Ansprüchen als nur immer möglich auftritt und von denselben wenigstens das Wichtigste und Unerläßlichste durchzusetzen sucht, während der andere Theil, wie ein guter Feldherr, Schritt für Schritt sich vertheidigt, und nicht ohne Noth die angegriffenen Posten übergibt. 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Was die Wahlreform betreffe, so glaube er, daß die Gewalt einer Erweiterung des Wählerkreises so lange widerstehen müsse, bis eine solche Einstimmigkeit der Forderung entstehe, daß man das Zugeständniß ohne Gefahr nicht länger verweigern könne. Die Septembergesetze sollen erhalten, nur die Definition Attentat geändert werden. Der Redner vergleicht dann die Ruhe in der Pairskammer mit der Schwierigkeit, die Majorität in der andern Kammer zu erhalten. Das Ministerium habe absichtlich das geheime Fondsgesetz als Probe vorangestellt. Er glaube nicht, daß es Menschen gebe, welche den Staat absichtlich in Gefahren stürzen wollten; aber manche wollen böswilligerweise (malicieusement) das Cabinet aufs Aeußerste treiben, um es mit dieser oder jener Partei zu entzweien. Man möge nun gestatten, daß das Cabinet seinen Weg auf seine eigenthümliche Weise zu gehen suche. Er sey überzeugt, daß es mit der Zeit gelingen werde, die Verständigen und Gemäßigten aller Parteien um sich zu vereinen. Die Agenten der Regierung sollen unbelästigt in ihrer Stellung bleiben; zwar hätten die Minister mehr als Eine Beleidigung zu rächen, aber sie hätten es nicht gethan, und würden es nicht thun. Sollte aber nun ein Agent seine Mission nicht verstehen, so habe er aufzuhören, der Verwaltung zu dienen. (Beifall.) Zu der auswärtigen Politik übergehend berührte der Minister zuerst mit wenigen Worten die Oppositionsrede, welche der legitimistische Herzog v. Noailles vor ihm gehalten hatte, und sagte dann im Wesentlichen: „Ich habe nie mißkannt, daß wir in Bezug auf Konstantinopel und Aegypten mit England nicht einig sind. Ich glaube indessen nicht, daß die Russen und Engländer in diesem Augenblick gesonnen sind, jene in Konstantinopel, diese in Aegypten einzufallen. Dieß hieße die Welt in eine jener Umwälzungen stürzen, die Jedermann fürchtet. Selbst wenn es auf irgend einem Throne einen Souverän gäbe, der ein solches Wagstück unternehmen möchte, so würde sein Interesse sich dagegen setzen. Die Dinge gehen in der Wirklichkeit nicht so rasch vor sich, wie in den Köpfen derer, die sich mit Politik beschäftigen. Die Gefahr ist für den Augenblick weder für Konstantinopel noch für Aegypten vorhanden, ich bestreite sie aber nicht für die Zukunft. Der bedrohteste Punkt ist Konstantinopel, bedroht aber erst in der Ferne (dans l'éloignement). Es war sonach natürlich, daß wir unserer alten Allianz mit England getreu blieben. Ich glaube auch, daß man das Interesse, das England hat, sich Aegyptens zu bemächtigen, übertreibt. Frankreich will das türkische Reich aufrecht erhalten, dieß will aber keineswegs sagen, daß man ihm die davon abgerissenen Glieder zurückgeben solle. Frankreich hat geglaubt und glaubt fortwährend, daß die dem Pascha von Aegypten unterworfenen Provinzen sich angemessener in seinen als in den Händen des Sultans befinden, dem sie früher nur viel gekostet haben, während sie ihm jetzt als Nachhut dienen können. Frankreich hat Niemanden ein Geheimniß aus dieser Gesinnung gemacht. Es würde die Staaten des Sultans nicht zerstückelt haben; aber von dem Tage an, wo das Geschick die Trennung Aegyptens entschieden hatte, wollte es, daß der neue Staat geachtet werde. Würde es denn auch so leicht seyn, dem mächtigen Vasallen seine Eroberungen zu entreißen? Frankreich sagte: wir glauben, daß, nachdem der Pascha gewußt hat, Aegypten und Syrien zu erobern und zu regieren, es besser seyn wird, ihm diese Länder zu lassen, als einen selbst für das türkische Reich gefährlichen Brand herbeizuführen. Es wäre höchst bedenklich, unter dem Vorwande der Beschützung des türkischen Reichs irgend eine Macht in sein Inneres einrücken zu lassen. Frankreich würde auf eine Allianz, so sehr es auch an derselben hängt, zu verzichten wissen, so wie seine Interessen dieß fordern. (Beifall.) Will man etwa das Cabinet injuriren, bevor es noch gehandelt hat! ... Ich wiederhole, wenn eine Allianz gebrochen werden muß, die unsere Interessen zu gefährden drohte, so werden wir sie brechen! Zuvor aber blicken Sie auf die Vortheile, die daraus hervorgegangen sind, indem alle politischen Fragen sich friedlich entwickelt haben, was man bloß der Kraft der zwei auf solche Weise verbündeten großen Mächte verdankte.“ Der Minister durchgeht dann alle Gelegenheiten, wo die Allianz Englands für Frankreich günstig gewesen. „Man will uns, fuhr er fort, mit dem Ehrgeiz Englands in Schrecken jagen; aber in England spricht man ebenfalls von unserem zügellosen Ehrgeiz; man sagt, wir bedrohen Marokko, Tunis, wir besitzen Afrika u. s. w. Die verständigen Engländer lächeln zu solchen Declamationen, gerade wie Sie, meine Herren.“ Hr. Thiers erklärte schließlich, daß mit dem Tage, wo der Friede nicht mehr mit der Ehre verträglich wäre, er der erste seyn würde, einen Aufruf an das Land ergehen zu lassen, um jenes Gefühl der Nationalgröße wieder zu wecken, das der Friede zwar zur Ruhe wiegen, aber niemals verlöschen könne. (Die Debatten dauerten beim Abgang der Post noch fort.)</p><lb/> <p>Der Herzog v. 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Da die Kammer durch die mehrfachen und bedeutenden Abänderungen in dem Grundgesetze gleichsam den Charakter einer Constituante erhalten hat, und es sich um die Gestaltung der Zukunft in allen Beziehungen des Staatslebens handelt, so ist es natürlich, daß der eine Theil mit so vielen und so großen Ansprüchen als nur immer möglich auftritt und von denselben wenigstens das Wichtigste und Unerläßlichste durchzusetzen sucht, während der andere Theil, wie ein guter Feldherr, Schritt für Schritt sich vertheidigt, und nicht ohne Noth die angegriffenen Posten übergibt. Beide Interessenten sind wohl gleich sehr für das Beste des Vaterlandes erfüllt, und es weichen bloß die Ansichten über Mittel und Wege von einander ab, je nach dem eigenthümlichen Standpunkt, welchen eine Regierung und welchen eine Volksrepräsentation nothwendig einnehmen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0876/0004]
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Das Ministerium habe absichtlich das geheime Fondsgesetz als Probe vorangestellt. Er glaube nicht, daß es Menschen gebe, welche den Staat absichtlich in Gefahren stürzen wollten; aber manche wollen böswilligerweise (malicieusement) das Cabinet aufs Aeußerste treiben, um es mit dieser oder jener Partei zu entzweien. Man möge nun gestatten, daß das Cabinet seinen Weg auf seine eigenthümliche Weise zu gehen suche. Er sey überzeugt, daß es mit der Zeit gelingen werde, die Verständigen und Gemäßigten aller Parteien um sich zu vereinen. Die Agenten der Regierung sollen unbelästigt in ihrer Stellung bleiben; zwar hätten die Minister mehr als Eine Beleidigung zu rächen, aber sie hätten es nicht gethan, und würden es nicht thun. Sollte aber nun ein Agent seine Mission nicht verstehen, so habe er aufzuhören, der Verwaltung zu dienen. (Beifall.) Zu der auswärtigen Politik übergehend berührte der Minister zuerst mit wenigen Worten die Oppositionsrede, welche der legitimistische Herzog v. Noailles vor ihm gehalten hatte, und sagte dann im Wesentlichen: „Ich habe nie mißkannt, daß wir in Bezug auf Konstantinopel und Aegypten mit England nicht einig sind. Ich glaube indessen nicht, daß die Russen und Engländer in diesem Augenblick gesonnen sind, jene in Konstantinopel, diese in Aegypten einzufallen. Dieß hieße die Welt in eine jener Umwälzungen stürzen, die Jedermann fürchtet. Selbst wenn es auf irgend einem Throne einen Souverän gäbe, der ein solches Wagstück unternehmen möchte, so würde sein Interesse sich dagegen setzen. Die Dinge gehen in der Wirklichkeit nicht so rasch vor sich, wie in den Köpfen derer, die sich mit Politik beschäftigen. Die Gefahr ist für den Augenblick weder für Konstantinopel noch für Aegypten vorhanden, ich bestreite sie aber nicht für die Zukunft. Der bedrohteste Punkt ist Konstantinopel, bedroht aber erst in der Ferne (dans l'éloignement). Es war sonach natürlich, daß wir unserer alten Allianz mit England getreu blieben. Ich glaube auch, daß man das Interesse, das England hat, sich Aegyptens zu bemächtigen, übertreibt. Frankreich will das türkische Reich aufrecht erhalten, dieß will aber keineswegs sagen, daß man ihm die davon abgerissenen Glieder zurückgeben solle. Frankreich hat geglaubt und glaubt fortwährend, daß die dem Pascha von Aegypten unterworfenen Provinzen sich angemessener in seinen als in den Händen des Sultans befinden, dem sie früher nur viel gekostet haben, während sie ihm jetzt als Nachhut dienen können. Frankreich hat Niemanden ein Geheimniß aus dieser Gesinnung gemacht. Es würde die Staaten des Sultans nicht zerstückelt haben; aber von dem Tage an, wo das Geschick die Trennung Aegyptens entschieden hatte, wollte es, daß der neue Staat geachtet werde. Würde es denn auch so leicht seyn, dem mächtigen Vasallen seine Eroberungen zu entreißen? Frankreich sagte: wir glauben, daß, nachdem der Pascha gewußt hat, Aegypten und Syrien zu erobern und zu regieren, es besser seyn wird, ihm diese Länder zu lassen, als einen selbst für das türkische Reich gefährlichen Brand herbeizuführen. Es wäre höchst bedenklich, unter dem Vorwande der Beschützung des türkischen Reichs irgend eine Macht in sein Inneres einrücken zu lassen. Frankreich würde auf eine Allianz, so sehr es auch an derselben hängt, zu verzichten wissen, so wie seine Interessen dieß fordern. (Beifall.) Will man etwa das Cabinet injuriren, bevor es noch gehandelt hat! ... Ich wiederhole, wenn eine Allianz gebrochen werden muß, die unsere Interessen zu gefährden drohte, so werden wir sie brechen! Zuvor aber blicken Sie auf die Vortheile, die daraus hervorgegangen sind, indem alle politischen Fragen sich friedlich entwickelt haben, was man bloß der Kraft der zwei auf solche Weise verbündeten großen Mächte verdankte.“ Der Minister durchgeht dann alle Gelegenheiten, wo die Allianz Englands für Frankreich günstig gewesen. „Man will uns, fuhr er fort, mit dem Ehrgeiz Englands in Schrecken jagen; aber in England spricht man ebenfalls von unserem zügellosen Ehrgeiz; man sagt, wir bedrohen Marokko, Tunis, wir besitzen Afrika u. s. w. Die verständigen Engländer lächeln zu solchen Declamationen, gerade wie Sie, meine Herren.“ Hr. Thiers erklärte schließlich, daß mit dem Tage, wo der Friede nicht mehr mit der Ehre verträglich wäre, er der erste seyn würde, einen Aufruf an das Land ergehen zu lassen, um jenes Gefühl der Nationalgröße wieder zu wecken, das der Friede zwar zur Ruhe wiegen, aber niemals verlöschen könne. (Die Debatten dauerten beim Abgang der Post noch fort.)
Der Herzog v. Luynes, Mitglied der Akademie der Inscriptionen und schönen Wissenschaften, ist am 11 April nach Italien abgereist, wohin ihn archäologische Studien rufen.
_ Paris, 14 April. General Athalin, einer der Vertrauten und Adjutanten des Königs, ist sehr gefährlich krank; man zweifelt an seinem Aufkommen. – Morgen beginnen die Debatten über den Entwurf der Rentenconversion; nach der allgemeinen Ansicht der linken Seite werden zwar diese Debatten einige Tage wegnehmen, indessen wird die Kammer den Entwurf mit den Amendements der Commission annehmen. Eben so allgemein glaubt man, die Pairskammer werde ihn wiederum verwerfen, so daß die Maaßregel auch in diesem Jahr nicht zur Ausführung käme.
Niederlande.
_ Haag, 13 April. Die parlamentarischen Differenzen der Generalstaaten mit der Regierung sind in diesem Augenblick freilich von ernsterem Charakter, als viele der früheren, und der Kampf wird noch verschiedene Stadien durchlaufen müssen, bis die endliche und vollkommene Verständigung erfolgen dürfte. Gleichwohl ist er nicht von so verwickelter Natur, daß er nicht beiden Theilen Mittel genug ließe, mit allen Kriegsehren von ihm abzulassen. Da die Kammer durch die mehrfachen und bedeutenden Abänderungen in dem Grundgesetze gleichsam den Charakter einer Constituante erhalten hat, und es sich um die Gestaltung der Zukunft in allen Beziehungen des Staatslebens handelt, so ist es natürlich, daß der eine Theil mit so vielen und so großen Ansprüchen als nur immer möglich auftritt und von denselben wenigstens das Wichtigste und Unerläßlichste durchzusetzen sucht, während der andere Theil, wie ein guter Feldherr, Schritt für Schritt sich vertheidigt, und nicht ohne Noth die angegriffenen Posten übergibt. Beide Interessenten sind wohl gleich sehr für das Beste des Vaterlandes erfüllt, und es weichen bloß die Ansichten über Mittel und Wege von einander ab, je nach dem eigenthümlichen Standpunkt, welchen eine Regierung und welchen eine Volksrepräsentation nothwendig einnehmen
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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