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Allgemeine Zeitung. Nr. 110. Augsburg, 19. April 1840.

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muß. Die niederländische Regierung ist noch immer den Wünschen des Volks entgegen gekommen, sobald sie nur die Ueberzeugung gewonnen, welches der wahre Ausdruck derselben sey. Inwiefern dieß gegenwärtig der Fall, hält schwer zu entscheiden, da die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Classen in Holland sehr verschiedenartig und oft nicht immer in genügender und Alle gleichbefriedigender Weise zu verschmelzen sind; daher auch nicht immer der Deputirte dieser oder jener Provinz und Stadt in dem einzelnen speciellen Punkte wirklich dem Mandate seiner Committenten Folge leistet, sondern eigene Interessen oder doch diejenigen einer stark betheiligten Classe vertritt, während er bei andern Fragen mit ihnen übereinstimmt und ihre Gesinnungen ausspricht. Unter einer großen Fraction der Abgeordneten ist allerdings gegenwärtig die Tendenz nach Mitregierung immer sichtbarer, und Ihr Correspondent vom Niederrhein hat die Motive derselben, so wie die Situationen der Parteien mit Gründlichkeit und Scharfsinn gezeichnet. Es sind alte, seit 25 Jahren eingeschlafene Erinnerungen, sehr bedenklicher Natur, welche man gewaltsam wieder wecken möchte; Erinnerungen, der Freiheit und der Nationalunabhängigkeit gleich gefährlich, wie der Monarchie und ihrem Lebensprincip. Sie tauchten theilweise schon während des Zeitraums der 15 Jahre auf, in der Erscheinung jener Freiwilligen, welche die Masse der belgischen Opposition verstärkten und derselben so gefährliche Waffen und so willkommenen Zuzug brachten. Der status quo von 1830 bis 1839 lieferte Veranlassungen genug, um von Zeit zu Zeit sich wieder vernehmen zu lassen; aber die stärkere Nothwendigkeit der gemeinsamen Nationalehre legte Stillschweigen auf, wollte man anders nicht den Ruf des selbstverläugnenden Patriotismus einbüßen. Nach Abschluß des Definitiv-Vergleichs fühlte man sich aller fernern Rücksichten entbunden, und die Reorganisation des Grondwet eröffnete einen um so bequemern und weitern Kampfplatz, als die Hoffnungen und Forderungen der, übrigens durch tüchtige, ja ausgezeichnete Persönlichkeit höchst achtbaren Partei mit manchen wirklichen Uebelständen, die zu beseitigen, und mit Wünschen und Anträgen, die zu befriedigen waren, zusammentrafen. Dadurch, daß beides ineinander gewickelt und zu gleicher Zeit geltend gemacht wurde, war ein ansehnlicher Vortheil für die Dissidenten errungen, und das für Jedermann Klare und Verständliche verhüllte den tieferen, geheimeren Gedanken. Vergleicht man mehrere der jüngst erschienenen Schriften und Broschüren staatsrechtlichen Inhalts mit manchen der in den Generalstaaten gehaltenen Reden und gemachten Vorschläge, so erkennt man deutlich eine nach sicherem Plan vorgegangene methodische Bearbeitung des Volksgeistes; ja selbst den Wiederabdruck jener alten Antipathien gegen eine berühmte Familie, welche in verschiedenen Perioden dem niederländischen Volke so theuer zu stehen gekommen und immer am Ende vom einen, dem gehofften entgegengesetzten Erfolge begleitet waren. Nur die Feinde Hollands können sich des Wiederauftauchens jener Antipathien freuen; sie würden die Nation zunächst dem Spotte Belgiens preisgeben und gegenüber von Europa compromittiren. Verschiedene Spuren lenken auch dahin, daß es an solch' geschäftigen Feinden nicht fehlt, welche gerne die Wiedererstarkung des Staats und seine noch größere Kräftigung durch genaues Festhalten an die deutschen Interessen verhindern möchten; leicht dürften daher der Enthusiasmus, welcher sich für theoretische Traumbilder und die Schwächung der monarchischen Action abmüht, und die alt-holländische, etwas ungelenke Loyalität mancher Oppositionsmänner, die den Schlichen der schlauern Collegen mit minder guten Absichten, so wie gewissen Einflüsterungen von außen nicht hinreichend gewachsen sind, als Gimpel in die Falle gehen. - Wie bereit gewisse Leute sind, jede Thatsache, welche dem Credit der Regierung in der öffentlichen Meinung schaden kann, zu benutzen, beweist ein neuerlicher Artikel des Noord-Brabander (welchen wir noch von den Jahren 1828-1830 her als einen der eifrigsten Kämpen der Agitation kennen, in Betreff der letzten Schrift des vielbekannten Hrn. Groen van Pristeren.) Dieser ausgezeichnete Gelehrte, welcher sich lange der besondern Unterstützung von Seite des Königs hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Strebnisse erfreut, hatte in der berufenen Sache der Separatisten, deren auch die Allg. Zeitung in einem sehr gediegenen Artikel vor einigen Jahren gedachte, Partei für die Secte genommen, und zwar, wie Jedermann weiß, der den sanften, stillen, ächtreligiösen, jedoch etwas zum Pietismus hinneigenden Charakter des Hrn. van Groen kennt, aus innerer Ueberzeugung. Der König, weit entfernt, seinem Cabinetsrathe, welchen er mannichfacher Verdienste willen sehr schätzte, Gewalt anzuthun, sah sich gleichwohl genöthigt, ihn von jenem Posten auf seine eigene Bitte zu entlassen, da die förmliche Bekämpfung einer Regierungsmaaßregel in Schriften und öffentlichen Blättern durch ein Mitglied des geheimen Cabinets, das regelmäßig sonst als Organ der königlichen Entschließungen diente, mit demselben länger nicht vereinbar schien. Hr. van Groen, zum Staatsrath im außerordentlichem Dienst ernannt, fuhr seitdem fort, unter der Aegide des Monarchen sein vortreffliches Werk, der Quellensammlung zur Geschichte des Hauses Nassau-Oranien, auf dessen neueste Lieferungen wir demnächst zu sprechen kommen werden, weiter zu führen. In den letzten paar Wochen erschien von ihm nun auch eine politische Schrift: "Beiträge zur Revision des Grundgesetzes in den Niederlanden," worin er die Tagesfragen nach seinen Grundsätzen beleuchtete, und namentlich die kirchlich-religiösen Punkte hervorhob, auf eine Weise, die vorzüglich bei den Katholiken, aber auch bei vielen Protestanten einen ungemein peinlichen Eindruck hervorrief. Der Nord-Brabander bespricht die Schrift mit Beifügung nicht nur des Staatsraths, sondern auch des früher geführten Titels, als Cabinetsrath, um gewissermaßen die von dem Verfasser vertheidigten Ansichten als identisch mit denen der Regierung hinzustellen, welche jedoch wohl sich hüten wird, sie zu adoptiren.

Italien.

Ein neapolitanisches Blatt, der Interprete commerciale, enthält folgendes zum Schein aus London datirtes Sendschreiben an Lord Palmerston, worin das Benehmen der neapolitanischen Regierung in der Schwefelfrage vertheidigt wird gegen frühere Angriffe des Lords Lyndhurst im Oberhause, namentlich gegen den Vorwurf, als habe jene Regierung einen mit England im Jahre 1816 geschlossenen Vertrag verletzt, dem zufolge die brittischen Unterthanen in jeder Hinsicht wie die Unterthanen der begünstigsten Nation behandelt werden sollten. "Jeder unabhängige Staat - heißt es in diesem Schreiben - hat offenbar das Recht, den Gang seines innern Handels so zu reguliren, wie es ihm am vortheilhaftesten dünkt, vorausgesetzt, daß dadurch die mit andern Staaten bestehenden Verträge keine Beeinträchtigung erleiden. Mit dem Vertrag von 1816 sind die Handelsverbindungen Englands mit Sicilien auf denselben Fuß gestellt, wie mit den begünstigtsten Nationen. Der mit der Compagnie geschlossene Contract hat daran nichts geändert. Die Compagnie, welche aus Individuen verschiedener Nationen, keineswegs ausschließlich aus Franzosen besteht, wie Lord Lyndhurst fälschlich behauptet hat, verkauft ihren Schwefel an den Meistbietenden. Ihr ist es ganz gleichgültig, ob die Acquirenten eines solchen Artikels Franzosen, Engländer oder Deutsche seyen. Nie zeigte die Compagnie eine Parteilichkeit für irgend eine Nation, oder wenn dieß geschah, so war es nur

muß. Die niederländische Regierung ist noch immer den Wünschen des Volks entgegen gekommen, sobald sie nur die Ueberzeugung gewonnen, welches der wahre Ausdruck derselben sey. Inwiefern dieß gegenwärtig der Fall, hält schwer zu entscheiden, da die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Classen in Holland sehr verschiedenartig und oft nicht immer in genügender und Alle gleichbefriedigender Weise zu verschmelzen sind; daher auch nicht immer der Deputirte dieser oder jener Provinz und Stadt in dem einzelnen speciellen Punkte wirklich dem Mandate seiner Committenten Folge leistet, sondern eigene Interessen oder doch diejenigen einer stark betheiligten Classe vertritt, während er bei andern Fragen mit ihnen übereinstimmt und ihre Gesinnungen ausspricht. Unter einer großen Fraction der Abgeordneten ist allerdings gegenwärtig die Tendenz nach Mitregierung immer sichtbarer, und Ihr Correspondent vom Niederrhein hat die Motive derselben, so wie die Situationen der Parteien mit Gründlichkeit und Scharfsinn gezeichnet. Es sind alte, seit 25 Jahren eingeschlafene Erinnerungen, sehr bedenklicher Natur, welche man gewaltsam wieder wecken möchte; Erinnerungen, der Freiheit und der Nationalunabhängigkeit gleich gefährlich, wie der Monarchie und ihrem Lebensprincip. Sie tauchten theilweise schon während des Zeitraums der 15 Jahre auf, in der Erscheinung jener Freiwilligen, welche die Masse der belgischen Opposition verstärkten und derselben so gefährliche Waffen und so willkommenen Zuzug brachten. Der status quo von 1830 bis 1839 lieferte Veranlassungen genug, um von Zeit zu Zeit sich wieder vernehmen zu lassen; aber die stärkere Nothwendigkeit der gemeinsamen Nationalehre legte Stillschweigen auf, wollte man anders nicht den Ruf des selbstverläugnenden Patriotismus einbüßen. Nach Abschluß des Definitiv-Vergleichs fühlte man sich aller fernern Rücksichten entbunden, und die Reorganisation des Grondwet eröffnete einen um so bequemern und weitern Kampfplatz, als die Hoffnungen und Forderungen der, übrigens durch tüchtige, ja ausgezeichnete Persönlichkeit höchst achtbaren Partei mit manchen wirklichen Uebelständen, die zu beseitigen, und mit Wünschen und Anträgen, die zu befriedigen waren, zusammentrafen. Dadurch, daß beides ineinander gewickelt und zu gleicher Zeit geltend gemacht wurde, war ein ansehnlicher Vortheil für die Dissidenten errungen, und das für Jedermann Klare und Verständliche verhüllte den tieferen, geheimeren Gedanken. Vergleicht man mehrere der jüngst erschienenen Schriften und Broschüren staatsrechtlichen Inhalts mit manchen der in den Generalstaaten gehaltenen Reden und gemachten Vorschläge, so erkennt man deutlich eine nach sicherem Plan vorgegangene methodische Bearbeitung des Volksgeistes; ja selbst den Wiederabdruck jener alten Antipathien gegen eine berühmte Familie, welche in verschiedenen Perioden dem niederländischen Volke so theuer zu stehen gekommen und immer am Ende vom einen, dem gehofften entgegengesetzten Erfolge begleitet waren. Nur die Feinde Hollands können sich des Wiederauftauchens jener Antipathien freuen; sie würden die Nation zunächst dem Spotte Belgiens preisgeben und gegenüber von Europa compromittiren. Verschiedene Spuren lenken auch dahin, daß es an solch' geschäftigen Feinden nicht fehlt, welche gerne die Wiedererstarkung des Staats und seine noch größere Kräftigung durch genaues Festhalten an die deutschen Interessen verhindern möchten; leicht dürften daher der Enthusiasmus, welcher sich für theoretische Traumbilder und die Schwächung der monarchischen Action abmüht, und die alt-holländische, etwas ungelenke Loyalität mancher Oppositionsmänner, die den Schlichen der schlauern Collegen mit minder guten Absichten, so wie gewissen Einflüsterungen von außen nicht hinreichend gewachsen sind, als Gimpel in die Falle gehen. – Wie bereit gewisse Leute sind, jede Thatsache, welche dem Credit der Regierung in der öffentlichen Meinung schaden kann, zu benutzen, beweist ein neuerlicher Artikel des Noord-Brabander (welchen wir noch von den Jahren 1828-1830 her als einen der eifrigsten Kämpen der Agitation kennen, in Betreff der letzten Schrift des vielbekannten Hrn. Groen van Pristeren.) Dieser ausgezeichnete Gelehrte, welcher sich lange der besondern Unterstützung von Seite des Königs hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Strebnisse erfreut, hatte in der berufenen Sache der Separatisten, deren auch die Allg. Zeitung in einem sehr gediegenen Artikel vor einigen Jahren gedachte, Partei für die Secte genommen, und zwar, wie Jedermann weiß, der den sanften, stillen, ächtreligiösen, jedoch etwas zum Pietismus hinneigenden Charakter des Hrn. van Groen kennt, aus innerer Ueberzeugung. Der König, weit entfernt, seinem Cabinetsrathe, welchen er mannichfacher Verdienste willen sehr schätzte, Gewalt anzuthun, sah sich gleichwohl genöthigt, ihn von jenem Posten auf seine eigene Bitte zu entlassen, da die förmliche Bekämpfung einer Regierungsmaaßregel in Schriften und öffentlichen Blättern durch ein Mitglied des geheimen Cabinets, das regelmäßig sonst als Organ der königlichen Entschließungen diente, mit demselben länger nicht vereinbar schien. Hr. van Groen, zum Staatsrath im außerordentlichem Dienst ernannt, fuhr seitdem fort, unter der Aegide des Monarchen sein vortreffliches Werk, der Quellensammlung zur Geschichte des Hauses Nassau-Oranien, auf dessen neueste Lieferungen wir demnächst zu sprechen kommen werden, weiter zu führen. In den letzten paar Wochen erschien von ihm nun auch eine politische Schrift: „Beiträge zur Revision des Grundgesetzes in den Niederlanden,“ worin er die Tagesfragen nach seinen Grundsätzen beleuchtete, und namentlich die kirchlich-religiösen Punkte hervorhob, auf eine Weise, die vorzüglich bei den Katholiken, aber auch bei vielen Protestanten einen ungemein peinlichen Eindruck hervorrief. Der Nord-Brabander bespricht die Schrift mit Beifügung nicht nur des Staatsraths, sondern auch des früher geführten Titels, als Cabinetsrath, um gewissermaßen die von dem Verfasser vertheidigten Ansichten als identisch mit denen der Regierung hinzustellen, welche jedoch wohl sich hüten wird, sie zu adoptiren.

Italien.

Ein neapolitanisches Blatt, der Interprete commerciale, enthält folgendes zum Schein aus London datirtes Sendschreiben an Lord Palmerston, worin das Benehmen der neapolitanischen Regierung in der Schwefelfrage vertheidigt wird gegen frühere Angriffe des Lords Lyndhurst im Oberhause, namentlich gegen den Vorwurf, als habe jene Regierung einen mit England im Jahre 1816 geschlossenen Vertrag verletzt, dem zufolge die brittischen Unterthanen in jeder Hinsicht wie die Unterthanen der begünstigsten Nation behandelt werden sollten. „Jeder unabhängige Staat – heißt es in diesem Schreiben – hat offenbar das Recht, den Gang seines innern Handels so zu reguliren, wie es ihm am vortheilhaftesten dünkt, vorausgesetzt, daß dadurch die mit andern Staaten bestehenden Verträge keine Beeinträchtigung erleiden. Mit dem Vertrag von 1816 sind die Handelsverbindungen Englands mit Sicilien auf denselben Fuß gestellt, wie mit den begünstigtsten Nationen. Der mit der Compagnie geschlossene Contract hat daran nichts geändert. Die Compagnie, welche aus Individuen verschiedener Nationen, keineswegs ausschließlich aus Franzosen besteht, wie Lord Lyndhurst fälschlich behauptet hat, verkauft ihren Schwefel an den Meistbietenden. Ihr ist es ganz gleichgültig, ob die Acquirenten eines solchen Artikels Franzosen, Engländer oder Deutsche seyen. Nie zeigte die Compagnie eine Parteilichkeit für irgend eine Nation, oder wenn dieß geschah, so war es nur

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muß. Die niederländische Regierung ist noch immer den Wünschen des Volks entgegen gekommen, sobald sie nur die Ueberzeugung gewonnen, welches der wahre Ausdruck derselben sey. Inwiefern dieß gegenwärtig der Fall, hält schwer zu entscheiden, da die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Classen in Holland sehr verschiedenartig und oft nicht immer in genügender und Alle gleichbefriedigender Weise zu verschmelzen sind; daher auch nicht immer der Deputirte dieser oder jener Provinz und Stadt in dem einzelnen speciellen Punkte wirklich dem Mandate seiner Committenten Folge leistet, sondern eigene Interessen oder doch diejenigen einer stark betheiligten Classe vertritt, während er bei andern Fragen mit ihnen übereinstimmt und ihre Gesinnungen ausspricht. 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Der status quo von 1830 bis 1839 lieferte Veranlassungen genug, um von Zeit zu Zeit sich wieder vernehmen zu lassen; aber die stärkere Nothwendigkeit der gemeinsamen Nationalehre legte Stillschweigen auf, wollte man anders nicht den Ruf des selbstverläugnenden Patriotismus einbüßen. Nach Abschluß des Definitiv-Vergleichs fühlte man sich aller fernern Rücksichten entbunden, und die Reorganisation des Grondwet eröffnete einen um so bequemern und weitern Kampfplatz, als die Hoffnungen und Forderungen der, übrigens durch tüchtige, ja ausgezeichnete Persönlichkeit höchst achtbaren Partei mit manchen wirklichen Uebelständen, die zu beseitigen, und mit Wünschen und Anträgen, die zu befriedigen waren, zusammentrafen. Dadurch, daß beides ineinander gewickelt und zu gleicher Zeit geltend gemacht wurde, war ein ansehnlicher Vortheil für die Dissidenten errungen, und das für Jedermann Klare und Verständliche verhüllte den tieferen, geheimeren Gedanken. Vergleicht man mehrere der jüngst erschienenen Schriften und Broschüren staatsrechtlichen Inhalts mit manchen der in den Generalstaaten gehaltenen Reden und gemachten Vorschläge, so erkennt man deutlich eine nach sicherem Plan vorgegangene methodische Bearbeitung des Volksgeistes; ja selbst den Wiederabdruck jener alten Antipathien gegen eine berühmte Familie, welche in verschiedenen Perioden dem niederländischen Volke so theuer zu stehen gekommen und immer am Ende vom einen, dem gehofften entgegengesetzten Erfolge begleitet waren. Nur die Feinde Hollands können sich des Wiederauftauchens jener Antipathien freuen; sie würden die Nation zunächst dem Spotte Belgiens preisgeben und gegenüber von Europa compromittiren. Verschiedene Spuren lenken auch dahin, daß es an solch' geschäftigen Feinden nicht fehlt, welche gerne die Wiedererstarkung des Staats und seine noch größere Kräftigung durch genaues Festhalten an die deutschen Interessen verhindern möchten; leicht dürften daher der Enthusiasmus, welcher sich für theoretische Traumbilder und die Schwächung der monarchischen Action abmüht, und die alt-holländische, etwas ungelenke Loyalität mancher Oppositionsmänner, die den Schlichen der schlauern Collegen mit minder guten Absichten, so wie gewissen Einflüsterungen von außen nicht hinreichend gewachsen sind, als Gimpel in die Falle gehen. &#x2013; Wie bereit gewisse Leute sind, jede Thatsache, welche dem Credit der Regierung in der öffentlichen Meinung schaden kann, zu benutzen, beweist ein neuerlicher Artikel des Noord-Brabander (welchen wir noch von den Jahren 1828-1830 her als einen der eifrigsten Kämpen der Agitation kennen, in Betreff der letzten Schrift des vielbekannten Hrn. <hi rendition="#g">Groen van Pristeren</hi>.) 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Hr. van Groen, zum Staatsrath im außerordentlichem Dienst ernannt, fuhr seitdem fort, unter der Aegide des Monarchen sein vortreffliches Werk, der Quellensammlung zur Geschichte des Hauses Nassau-Oranien, auf dessen neueste Lieferungen wir demnächst zu sprechen kommen werden, weiter zu führen. In den letzten paar Wochen erschien von ihm nun auch eine politische Schrift: &#x201E;Beiträge zur Revision des Grundgesetzes in den Niederlanden,&#x201C; worin er die Tagesfragen nach seinen Grundsätzen beleuchtete, und namentlich die kirchlich-religiösen Punkte hervorhob, auf eine Weise, die vorzüglich bei den Katholiken, aber auch bei vielen Protestanten einen ungemein peinlichen Eindruck hervorrief. 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[0877/0005] muß. Die niederländische Regierung ist noch immer den Wünschen des Volks entgegen gekommen, sobald sie nur die Ueberzeugung gewonnen, welches der wahre Ausdruck derselben sey. Inwiefern dieß gegenwärtig der Fall, hält schwer zu entscheiden, da die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Classen in Holland sehr verschiedenartig und oft nicht immer in genügender und Alle gleichbefriedigender Weise zu verschmelzen sind; daher auch nicht immer der Deputirte dieser oder jener Provinz und Stadt in dem einzelnen speciellen Punkte wirklich dem Mandate seiner Committenten Folge leistet, sondern eigene Interessen oder doch diejenigen einer stark betheiligten Classe vertritt, während er bei andern Fragen mit ihnen übereinstimmt und ihre Gesinnungen ausspricht. Unter einer großen Fraction der Abgeordneten ist allerdings gegenwärtig die Tendenz nach Mitregierung immer sichtbarer, und Ihr Correspondent vom Niederrhein hat die Motive derselben, so wie die Situationen der Parteien mit Gründlichkeit und Scharfsinn gezeichnet. Es sind alte, seit 25 Jahren eingeschlafene Erinnerungen, sehr bedenklicher Natur, welche man gewaltsam wieder wecken möchte; Erinnerungen, der Freiheit und der Nationalunabhängigkeit gleich gefährlich, wie der Monarchie und ihrem Lebensprincip. Sie tauchten theilweise schon während des Zeitraums der 15 Jahre auf, in der Erscheinung jener Freiwilligen, welche die Masse der belgischen Opposition verstärkten und derselben so gefährliche Waffen und so willkommenen Zuzug brachten. Der status quo von 1830 bis 1839 lieferte Veranlassungen genug, um von Zeit zu Zeit sich wieder vernehmen zu lassen; aber die stärkere Nothwendigkeit der gemeinsamen Nationalehre legte Stillschweigen auf, wollte man anders nicht den Ruf des selbstverläugnenden Patriotismus einbüßen. Nach Abschluß des Definitiv-Vergleichs fühlte man sich aller fernern Rücksichten entbunden, und die Reorganisation des Grondwet eröffnete einen um so bequemern und weitern Kampfplatz, als die Hoffnungen und Forderungen der, übrigens durch tüchtige, ja ausgezeichnete Persönlichkeit höchst achtbaren Partei mit manchen wirklichen Uebelständen, die zu beseitigen, und mit Wünschen und Anträgen, die zu befriedigen waren, zusammentrafen. Dadurch, daß beides ineinander gewickelt und zu gleicher Zeit geltend gemacht wurde, war ein ansehnlicher Vortheil für die Dissidenten errungen, und das für Jedermann Klare und Verständliche verhüllte den tieferen, geheimeren Gedanken. Vergleicht man mehrere der jüngst erschienenen Schriften und Broschüren staatsrechtlichen Inhalts mit manchen der in den Generalstaaten gehaltenen Reden und gemachten Vorschläge, so erkennt man deutlich eine nach sicherem Plan vorgegangene methodische Bearbeitung des Volksgeistes; ja selbst den Wiederabdruck jener alten Antipathien gegen eine berühmte Familie, welche in verschiedenen Perioden dem niederländischen Volke so theuer zu stehen gekommen und immer am Ende vom einen, dem gehofften entgegengesetzten Erfolge begleitet waren. Nur die Feinde Hollands können sich des Wiederauftauchens jener Antipathien freuen; sie würden die Nation zunächst dem Spotte Belgiens preisgeben und gegenüber von Europa compromittiren. Verschiedene Spuren lenken auch dahin, daß es an solch' geschäftigen Feinden nicht fehlt, welche gerne die Wiedererstarkung des Staats und seine noch größere Kräftigung durch genaues Festhalten an die deutschen Interessen verhindern möchten; leicht dürften daher der Enthusiasmus, welcher sich für theoretische Traumbilder und die Schwächung der monarchischen Action abmüht, und die alt-holländische, etwas ungelenke Loyalität mancher Oppositionsmänner, die den Schlichen der schlauern Collegen mit minder guten Absichten, so wie gewissen Einflüsterungen von außen nicht hinreichend gewachsen sind, als Gimpel in die Falle gehen. – Wie bereit gewisse Leute sind, jede Thatsache, welche dem Credit der Regierung in der öffentlichen Meinung schaden kann, zu benutzen, beweist ein neuerlicher Artikel des Noord-Brabander (welchen wir noch von den Jahren 1828-1830 her als einen der eifrigsten Kämpen der Agitation kennen, in Betreff der letzten Schrift des vielbekannten Hrn. Groen van Pristeren.) Dieser ausgezeichnete Gelehrte, welcher sich lange der besondern Unterstützung von Seite des Königs hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Strebnisse erfreut, hatte in der berufenen Sache der Separatisten, deren auch die Allg. Zeitung in einem sehr gediegenen Artikel vor einigen Jahren gedachte, Partei für die Secte genommen, und zwar, wie Jedermann weiß, der den sanften, stillen, ächtreligiösen, jedoch etwas zum Pietismus hinneigenden Charakter des Hrn. van Groen kennt, aus innerer Ueberzeugung. Der König, weit entfernt, seinem Cabinetsrathe, welchen er mannichfacher Verdienste willen sehr schätzte, Gewalt anzuthun, sah sich gleichwohl genöthigt, ihn von jenem Posten auf seine eigene Bitte zu entlassen, da die förmliche Bekämpfung einer Regierungsmaaßregel in Schriften und öffentlichen Blättern durch ein Mitglied des geheimen Cabinets, das regelmäßig sonst als Organ der königlichen Entschließungen diente, mit demselben länger nicht vereinbar schien. Hr. van Groen, zum Staatsrath im außerordentlichem Dienst ernannt, fuhr seitdem fort, unter der Aegide des Monarchen sein vortreffliches Werk, der Quellensammlung zur Geschichte des Hauses Nassau-Oranien, auf dessen neueste Lieferungen wir demnächst zu sprechen kommen werden, weiter zu führen. In den letzten paar Wochen erschien von ihm nun auch eine politische Schrift: „Beiträge zur Revision des Grundgesetzes in den Niederlanden,“ worin er die Tagesfragen nach seinen Grundsätzen beleuchtete, und namentlich die kirchlich-religiösen Punkte hervorhob, auf eine Weise, die vorzüglich bei den Katholiken, aber auch bei vielen Protestanten einen ungemein peinlichen Eindruck hervorrief. Der Nord-Brabander bespricht die Schrift mit Beifügung nicht nur des Staatsraths, sondern auch des früher geführten Titels, als Cabinetsrath, um gewissermaßen die von dem Verfasser vertheidigten Ansichten als identisch mit denen der Regierung hinzustellen, welche jedoch wohl sich hüten wird, sie zu adoptiren. Italien. Ein neapolitanisches Blatt, der Interprete commerciale, enthält folgendes zum Schein aus London datirtes Sendschreiben an Lord Palmerston, worin das Benehmen der neapolitanischen Regierung in der Schwefelfrage vertheidigt wird gegen frühere Angriffe des Lords Lyndhurst im Oberhause, namentlich gegen den Vorwurf, als habe jene Regierung einen mit England im Jahre 1816 geschlossenen Vertrag verletzt, dem zufolge die brittischen Unterthanen in jeder Hinsicht wie die Unterthanen der begünstigsten Nation behandelt werden sollten. „Jeder unabhängige Staat – heißt es in diesem Schreiben – hat offenbar das Recht, den Gang seines innern Handels so zu reguliren, wie es ihm am vortheilhaftesten dünkt, vorausgesetzt, daß dadurch die mit andern Staaten bestehenden Verträge keine Beeinträchtigung erleiden. Mit dem Vertrag von 1816 sind die Handelsverbindungen Englands mit Sicilien auf denselben Fuß gestellt, wie mit den begünstigtsten Nationen. Der mit der Compagnie geschlossene Contract hat daran nichts geändert. Die Compagnie, welche aus Individuen verschiedener Nationen, keineswegs ausschließlich aus Franzosen besteht, wie Lord Lyndhurst fälschlich behauptet hat, verkauft ihren Schwefel an den Meistbietenden. Ihr ist es ganz gleichgültig, ob die Acquirenten eines solchen Artikels Franzosen, Engländer oder Deutsche seyen. Nie zeigte die Compagnie eine Parteilichkeit für irgend eine Nation, oder wenn dieß geschah, so war es nur

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 110. Augsburg, 19. April 1840, S. 0877. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_110_18400419/5>, abgerufen am 29.04.2024.