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Allgemeine Zeitung. Nr. 110. Augsburg, 19. April 1840.

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Geologische Briefe.

Dritter Brief.

Werner.

Werners Arbeiten und ihr entscheidender Einfluß, wie wir sie am Schlusse des vorigen Briefes bezeichnet, bleiben einer der schönsten Triumphe des deutschen Geistes. Werner gab den Gebirgsforschern aller Länder das wesentliche Organ, dessen sie bisher entbehrt: eine gemeinsame Sprache; er riß aber auch fast alle in den großartigsten Irrthum über die Entstehung und Constitution der Erdrinde hin, und selbst seine begabtesten Schüler, wie Leopold v. Buch und Alexander v. Humboldt, bedurften, neben dem Genie, der umfassendsten Naturanschauung, um den Bann zu lösen, in den das Wort des Meisters sie geschlagen.

Werner schöpfte seine Vorstellungen über die Bildung der Erdrinde und ihrer Unebenheiten zunächst aus der Betrachtung eines Landstrichs, wo der Gegensatz zwischen neptunischer und vulcanischer Thätigkeit verhältnißmäßig nur selten und unbedeutend zu Tage tritt, wo die Gebilde des Wassers in weiter Erstreckung ruhig und einförmig hingelagert sind. Er kannte aus unmittelbarer Anschauung nicht viel mehr als das Erzgebirge, und so wurde sein System ein consequenter, aber völlig einseitiger Neptunismus. Nach ihm sind alle Gebirgsarten, welche die für uns bloßgelegte Erdrinde zusammensetzen, also alles vom Granit an aufwärts, und am Ende der ganze Erdkörper aus dem Wasser hervorgegangen. Die Schichtung ist nach ihm ein ganz durchgreifendes Verhältniß; er schrieb sie nicht nur den Gebilden zu, bei denen sie mehr oder minder augenfällig ist, er setzte sie auch bei denen voraus, welche überall die Unterlage des Geschichteten und den Kern der Gebirge ausmachen, bei den jetzt sogenannten plutonischen Gesteinen, und sie waren ihm aus Wasser niedergeschlagene Krystalle, an welche sich die spätern, theils chemischen, theils mechanischen Bildungen anlehnten. Im Großen - dieß ist Werners zweiter Hauptsatz - hat das Wasser Alles gerade so zurückgelassen, wie wir es jetzt vor Augen sehen: wie die Schichten in den Gebirgen gegenwärtig daliegen, in derselben relativen Höhe, in derselben Richtung sind sie ursprünglich gebildet worden. Die alten Vorstellungen von Verrückungen ganzer Gebirgsmassen, von Erhebungen ganzer Länder über den Spiegel des Meeres wies er völlig von sich. Das willkürliche, tumultuarische Walten des Hephästos schien ihm ein Mährchen: er übertrug alle Gewalt auf Erden dem ruhig waltenden Poseidon; er konnte aber den Gang desselben in der Erdbildung nur dadurch erklären, daß er den Gott sein bedächtiges Werk durch Katastrophen unterbrechen ließ, die noch weit willkürlicher waren, als die tollsten Strudeleien des Hephästos.

War Alles in der Erdrinde ungefähr so, wie es sich ursprünglich gebildet, und an demselben Flecke, so mußte einst das Meer die höchsten Berge bedeckt haben. Es sprang aber in die Augen, daß sich die geologischen Phänomene, wie sie vorliegen, durch ein allmähliches Sinken des Meeres nicht erklären ließen. Das relative Alter der verschiedenen Gebirgsglieder und die Höhen über dem Meeresspiegel, in denen sie, wenn auch nur stückweise, vorkommen, sind keineswegs, nicht einmal annähernd, proportional. Im Gegentheil bilden Schichten, die man nothwendig für sehr jung erklären muß, die Gipfel oft der bedeutendsten Gebirge, oder reichen doch an den Flanken derselben sehr hoch hinauf. Um daher die Entstehung der Continente zu erklären, um namentlich der Thatsache verschiedener, einander ablösender organischer Schöpfungen Genüge zu thun, mußte Werner, als reine Hypothese, ein wiederholtes Steigen und Fallen des Meeres annehmen, zu welcher Annahme er lediglich keinen andern Grund hatte, als eben das Factum, daß das in verschiedenen Zeiten Gebildete in verschiedenen Höhen über dem jetzigen Meere gelagert ist. Nach einer längern oder kürzern Periode der Ruhe, in welcher das Meer die in ihm aufgelösten oder in ihm suspendirten Mineralien niederschlug, und in der sich eine neue Thier- und Pflanzenschöpfung entwickelte, stieg wieder auf einmal der allgemeine Ocean, zerstörte einen Theil der frühern mineralischen Gebilde, schlug neue nieder, und nach seinem Rückzug bedeckte sich die pacificirte Erde wieder mit einer ganz frischen organischen Schöpfung. Nach den Niveauverhältnissen der verschiedenen Gebirgsarten im Erzgebirge bildete er ein System von fünf solchen auf einanderfolgenden Meeresbedeckungen, von denen zwei auf die sogenannte Urzeit, eine auf die Uebergangszeit und zwei auf die Flötzzeit kommen, und wobei das Wasser jedesmal nur eine bestimmte Höhe sollte erreicht und die betreffenden Gebilde niedergeschlagen haben. Die letzte dieser Ueberschwemmungen ließ die Festländer ungefähr in dem Zustande und mit den Umrissen zurück, wie sie jetzt vorliegen, und das heutige Meer ist der Ueberrest der Bildungsflüssigkeit, aus der sich alles Feste auf Erden rascher oder langsamer niedergeschlagen. Die Veränderungen, welche die Vulcane hervorbrachten und noch hervorbringen, waren ihm rein örtliche Erscheinungen. Er leitete sie von der Entzündung von Lagerstätten brennbarer Mineralien, besonders der Steinkohlenflötze her; er mußte daher consequent ihre Wirksamkeit auf Schichten beschränken, welche bereits organische Körper einschließen. Die Vulcane waren ihm gleichsam Geschwüre in der Oberhaut des Planeten, und er glaubte, daß man bei der Construction der Erdrinde im Großen von den Vulcanen völlig absehen könne.

Nach Werners Grundsatz, daß sich im Allgemeinen sämmtliche Bildungen in der Lage befinden, in der sie ursprünglich entstanden, müssen alle Schichten, als Niederschläge aus dem Wasser, nothwendig horizontal liegen, oder können doch nur wenig geneigt seyn. Er setzte daher voraus, daß es nirgends einen herrschenden Schichtenfall von mehr als 45 Graden gebe; schon bei 30 Grad glaubte er Störungen des ursprünglichen Lagerungsverhältnisses annehmen zu müssen; er begriff aber diese Störungen als rein locale Phänomene, wie durch Einsturz von Höhlen und dergl., ohne Einfluß auf den Schichtenzusammenhang im Großen. Dabei war nun aber die überall auf der Erde in tausendfacher Gestalt sich wiederholende Erscheinung von Höhen und Tiefen, von Berg und Thal zu erklären. Werner konnte dieß nur, indem er, im Großartigsten wie im Kleinsten, das vom Wasser Gebildete wieder durch Wasser zerstören ließ. Die Unebenheiten des Bodens, groß und klein, sind nach ihm reine Oberflächenerscheinungen, ganz unabhängig vom innern Bau der Erdrinde. Die horizontalen Schichten sind vorzüglich durch den jedesmaligen allgemeinen Rückzug der Gewässer, dann aber durch locale Strömungen, durch den Ausbruch aufgestauter Seen, durch die langsam nagende Gewalt des Wassers vielfach abgerissen und durchfurcht worden. Dadurch haben sich Berge und Thäler gebildet, und die Wände der letztern müssen daher, der Theorie nach, im Allgemeinen und Wesentlichen aus den abgerissenen Rändern correspondirender Schichten bestehen.

Geologische Briefe.

Dritter Brief.

Werner.

Werners Arbeiten und ihr entscheidender Einfluß, wie wir sie am Schlusse des vorigen Briefes bezeichnet, bleiben einer der schönsten Triumphe des deutschen Geistes. Werner gab den Gebirgsforschern aller Länder das wesentliche Organ, dessen sie bisher entbehrt: eine gemeinsame Sprache; er riß aber auch fast alle in den großartigsten Irrthum über die Entstehung und Constitution der Erdrinde hin, und selbst seine begabtesten Schüler, wie Leopold v. Buch und Alexander v. Humboldt, bedurften, neben dem Genie, der umfassendsten Naturanschauung, um den Bann zu lösen, in den das Wort des Meisters sie geschlagen.

Werner schöpfte seine Vorstellungen über die Bildung der Erdrinde und ihrer Unebenheiten zunächst aus der Betrachtung eines Landstrichs, wo der Gegensatz zwischen neptunischer und vulcanischer Thätigkeit verhältnißmäßig nur selten und unbedeutend zu Tage tritt, wo die Gebilde des Wassers in weiter Erstreckung ruhig und einförmig hingelagert sind. Er kannte aus unmittelbarer Anschauung nicht viel mehr als das Erzgebirge, und so wurde sein System ein consequenter, aber völlig einseitiger Neptunismus. Nach ihm sind alle Gebirgsarten, welche die für uns bloßgelegte Erdrinde zusammensetzen, also alles vom Granit an aufwärts, und am Ende der ganze Erdkörper aus dem Wasser hervorgegangen. Die Schichtung ist nach ihm ein ganz durchgreifendes Verhältniß; er schrieb sie nicht nur den Gebilden zu, bei denen sie mehr oder minder augenfällig ist, er setzte sie auch bei denen voraus, welche überall die Unterlage des Geschichteten und den Kern der Gebirge ausmachen, bei den jetzt sogenannten plutonischen Gesteinen, und sie waren ihm aus Wasser niedergeschlagene Krystalle, an welche sich die spätern, theils chemischen, theils mechanischen Bildungen anlehnten. Im Großen – dieß ist Werners zweiter Hauptsatz – hat das Wasser Alles gerade so zurückgelassen, wie wir es jetzt vor Augen sehen: wie die Schichten in den Gebirgen gegenwärtig daliegen, in derselben relativen Höhe, in derselben Richtung sind sie ursprünglich gebildet worden. Die alten Vorstellungen von Verrückungen ganzer Gebirgsmassen, von Erhebungen ganzer Länder über den Spiegel des Meeres wies er völlig von sich. Das willkürliche, tumultuarische Walten des Hephästos schien ihm ein Mährchen: er übertrug alle Gewalt auf Erden dem ruhig waltenden Poseidon; er konnte aber den Gang desselben in der Erdbildung nur dadurch erklären, daß er den Gott sein bedächtiges Werk durch Katastrophen unterbrechen ließ, die noch weit willkürlicher waren, als die tollsten Strudeleien des Hephästos.

War Alles in der Erdrinde ungefähr so, wie es sich ursprünglich gebildet, und an demselben Flecke, so mußte einst das Meer die höchsten Berge bedeckt haben. Es sprang aber in die Augen, daß sich die geologischen Phänomene, wie sie vorliegen, durch ein allmähliches Sinken des Meeres nicht erklären ließen. Das relative Alter der verschiedenen Gebirgsglieder und die Höhen über dem Meeresspiegel, in denen sie, wenn auch nur stückweise, vorkommen, sind keineswegs, nicht einmal annähernd, proportional. Im Gegentheil bilden Schichten, die man nothwendig für sehr jung erklären muß, die Gipfel oft der bedeutendsten Gebirge, oder reichen doch an den Flanken derselben sehr hoch hinauf. Um daher die Entstehung der Continente zu erklären, um namentlich der Thatsache verschiedener, einander ablösender organischer Schöpfungen Genüge zu thun, mußte Werner, als reine Hypothese, ein wiederholtes Steigen und Fallen des Meeres annehmen, zu welcher Annahme er lediglich keinen andern Grund hatte, als eben das Factum, daß das in verschiedenen Zeiten Gebildete in verschiedenen Höhen über dem jetzigen Meere gelagert ist. Nach einer längern oder kürzern Periode der Ruhe, in welcher das Meer die in ihm aufgelösten oder in ihm suspendirten Mineralien niederschlug, und in der sich eine neue Thier- und Pflanzenschöpfung entwickelte, stieg wieder auf einmal der allgemeine Ocean, zerstörte einen Theil der frühern mineralischen Gebilde, schlug neue nieder, und nach seinem Rückzug bedeckte sich die pacificirte Erde wieder mit einer ganz frischen organischen Schöpfung. Nach den Niveauverhältnissen der verschiedenen Gebirgsarten im Erzgebirge bildete er ein System von fünf solchen auf einanderfolgenden Meeresbedeckungen, von denen zwei auf die sogenannte Urzeit, eine auf die Uebergangszeit und zwei auf die Flötzzeit kommen, und wobei das Wasser jedesmal nur eine bestimmte Höhe sollte erreicht und die betreffenden Gebilde niedergeschlagen haben. Die letzte dieser Ueberschwemmungen ließ die Festländer ungefähr in dem Zustande und mit den Umrissen zurück, wie sie jetzt vorliegen, und das heutige Meer ist der Ueberrest der Bildungsflüssigkeit, aus der sich alles Feste auf Erden rascher oder langsamer niedergeschlagen. Die Veränderungen, welche die Vulcane hervorbrachten und noch hervorbringen, waren ihm rein örtliche Erscheinungen. Er leitete sie von der Entzündung von Lagerstätten brennbarer Mineralien, besonders der Steinkohlenflötze her; er mußte daher consequent ihre Wirksamkeit auf Schichten beschränken, welche bereits organische Körper einschließen. Die Vulcane waren ihm gleichsam Geschwüre in der Oberhaut des Planeten, und er glaubte, daß man bei der Construction der Erdrinde im Großen von den Vulcanen völlig absehen könne.

Nach Werners Grundsatz, daß sich im Allgemeinen sämmtliche Bildungen in der Lage befinden, in der sie ursprünglich entstanden, müssen alle Schichten, als Niederschläge aus dem Wasser, nothwendig horizontal liegen, oder können doch nur wenig geneigt seyn. Er setzte daher voraus, daß es nirgends einen herrschenden Schichtenfall von mehr als 45 Graden gebe; schon bei 30 Grad glaubte er Störungen des ursprünglichen Lagerungsverhältnisses annehmen zu müssen; er begriff aber diese Störungen als rein locale Phänomene, wie durch Einsturz von Höhlen und dergl., ohne Einfluß auf den Schichtenzusammenhang im Großen. Dabei war nun aber die überall auf der Erde in tausendfacher Gestalt sich wiederholende Erscheinung von Höhen und Tiefen, von Berg und Thal zu erklären. Werner konnte dieß nur, indem er, im Großartigsten wie im Kleinsten, das vom Wasser Gebildete wieder durch Wasser zerstören ließ. Die Unebenheiten des Bodens, groß und klein, sind nach ihm reine Oberflächenerscheinungen, ganz unabhängig vom innern Bau der Erdrinde. Die horizontalen Schichten sind vorzüglich durch den jedesmaligen allgemeinen Rückzug der Gewässer, dann aber durch locale Strömungen, durch den Ausbruch aufgestauter Seen, durch die langsam nagende Gewalt des Wassers vielfach abgerissen und durchfurcht worden. Dadurch haben sich Berge und Thäler gebildet, und die Wände der letztern müssen daher, der Theorie nach, im Allgemeinen und Wesentlichen aus den abgerissenen Rändern correspondirender Schichten bestehen.

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[0873/0009] Geologische Briefe. Dritter Brief. Werner. Werners Arbeiten und ihr entscheidender Einfluß, wie wir sie am Schlusse des vorigen Briefes bezeichnet, bleiben einer der schönsten Triumphe des deutschen Geistes. Werner gab den Gebirgsforschern aller Länder das wesentliche Organ, dessen sie bisher entbehrt: eine gemeinsame Sprache; er riß aber auch fast alle in den großartigsten Irrthum über die Entstehung und Constitution der Erdrinde hin, und selbst seine begabtesten Schüler, wie Leopold v. Buch und Alexander v. Humboldt, bedurften, neben dem Genie, der umfassendsten Naturanschauung, um den Bann zu lösen, in den das Wort des Meisters sie geschlagen. Werner schöpfte seine Vorstellungen über die Bildung der Erdrinde und ihrer Unebenheiten zunächst aus der Betrachtung eines Landstrichs, wo der Gegensatz zwischen neptunischer und vulcanischer Thätigkeit verhältnißmäßig nur selten und unbedeutend zu Tage tritt, wo die Gebilde des Wassers in weiter Erstreckung ruhig und einförmig hingelagert sind. Er kannte aus unmittelbarer Anschauung nicht viel mehr als das Erzgebirge, und so wurde sein System ein consequenter, aber völlig einseitiger Neptunismus. Nach ihm sind alle Gebirgsarten, welche die für uns bloßgelegte Erdrinde zusammensetzen, also alles vom Granit an aufwärts, und am Ende der ganze Erdkörper aus dem Wasser hervorgegangen. Die Schichtung ist nach ihm ein ganz durchgreifendes Verhältniß; er schrieb sie nicht nur den Gebilden zu, bei denen sie mehr oder minder augenfällig ist, er setzte sie auch bei denen voraus, welche überall die Unterlage des Geschichteten und den Kern der Gebirge ausmachen, bei den jetzt sogenannten plutonischen Gesteinen, und sie waren ihm aus Wasser niedergeschlagene Krystalle, an welche sich die spätern, theils chemischen, theils mechanischen Bildungen anlehnten. Im Großen – dieß ist Werners zweiter Hauptsatz – hat das Wasser Alles gerade so zurückgelassen, wie wir es jetzt vor Augen sehen: wie die Schichten in den Gebirgen gegenwärtig daliegen, in derselben relativen Höhe, in derselben Richtung sind sie ursprünglich gebildet worden. Die alten Vorstellungen von Verrückungen ganzer Gebirgsmassen, von Erhebungen ganzer Länder über den Spiegel des Meeres wies er völlig von sich. Das willkürliche, tumultuarische Walten des Hephästos schien ihm ein Mährchen: er übertrug alle Gewalt auf Erden dem ruhig waltenden Poseidon; er konnte aber den Gang desselben in der Erdbildung nur dadurch erklären, daß er den Gott sein bedächtiges Werk durch Katastrophen unterbrechen ließ, die noch weit willkürlicher waren, als die tollsten Strudeleien des Hephästos. War Alles in der Erdrinde ungefähr so, wie es sich ursprünglich gebildet, und an demselben Flecke, so mußte einst das Meer die höchsten Berge bedeckt haben. Es sprang aber in die Augen, daß sich die geologischen Phänomene, wie sie vorliegen, durch ein allmähliches Sinken des Meeres nicht erklären ließen. Das relative Alter der verschiedenen Gebirgsglieder und die Höhen über dem Meeresspiegel, in denen sie, wenn auch nur stückweise, vorkommen, sind keineswegs, nicht einmal annähernd, proportional. Im Gegentheil bilden Schichten, die man nothwendig für sehr jung erklären muß, die Gipfel oft der bedeutendsten Gebirge, oder reichen doch an den Flanken derselben sehr hoch hinauf. Um daher die Entstehung der Continente zu erklären, um namentlich der Thatsache verschiedener, einander ablösender organischer Schöpfungen Genüge zu thun, mußte Werner, als reine Hypothese, ein wiederholtes Steigen und Fallen des Meeres annehmen, zu welcher Annahme er lediglich keinen andern Grund hatte, als eben das Factum, daß das in verschiedenen Zeiten Gebildete in verschiedenen Höhen über dem jetzigen Meere gelagert ist. Nach einer längern oder kürzern Periode der Ruhe, in welcher das Meer die in ihm aufgelösten oder in ihm suspendirten Mineralien niederschlug, und in der sich eine neue Thier- und Pflanzenschöpfung entwickelte, stieg wieder auf einmal der allgemeine Ocean, zerstörte einen Theil der frühern mineralischen Gebilde, schlug neue nieder, und nach seinem Rückzug bedeckte sich die pacificirte Erde wieder mit einer ganz frischen organischen Schöpfung. Nach den Niveauverhältnissen der verschiedenen Gebirgsarten im Erzgebirge bildete er ein System von fünf solchen auf einanderfolgenden Meeresbedeckungen, von denen zwei auf die sogenannte Urzeit, eine auf die Uebergangszeit und zwei auf die Flötzzeit kommen, und wobei das Wasser jedesmal nur eine bestimmte Höhe sollte erreicht und die betreffenden Gebilde niedergeschlagen haben. Die letzte dieser Ueberschwemmungen ließ die Festländer ungefähr in dem Zustande und mit den Umrissen zurück, wie sie jetzt vorliegen, und das heutige Meer ist der Ueberrest der Bildungsflüssigkeit, aus der sich alles Feste auf Erden rascher oder langsamer niedergeschlagen. Die Veränderungen, welche die Vulcane hervorbrachten und noch hervorbringen, waren ihm rein örtliche Erscheinungen. Er leitete sie von der Entzündung von Lagerstätten brennbarer Mineralien, besonders der Steinkohlenflötze her; er mußte daher consequent ihre Wirksamkeit auf Schichten beschränken, welche bereits organische Körper einschließen. Die Vulcane waren ihm gleichsam Geschwüre in der Oberhaut des Planeten, und er glaubte, daß man bei der Construction der Erdrinde im Großen von den Vulcanen völlig absehen könne. Nach Werners Grundsatz, daß sich im Allgemeinen sämmtliche Bildungen in der Lage befinden, in der sie ursprünglich entstanden, müssen alle Schichten, als Niederschläge aus dem Wasser, nothwendig horizontal liegen, oder können doch nur wenig geneigt seyn. Er setzte daher voraus, daß es nirgends einen herrschenden Schichtenfall von mehr als 45 Graden gebe; schon bei 30 Grad glaubte er Störungen des ursprünglichen Lagerungsverhältnisses annehmen zu müssen; er begriff aber diese Störungen als rein locale Phänomene, wie durch Einsturz von Höhlen und dergl., ohne Einfluß auf den Schichtenzusammenhang im Großen. Dabei war nun aber die überall auf der Erde in tausendfacher Gestalt sich wiederholende Erscheinung von Höhen und Tiefen, von Berg und Thal zu erklären. Werner konnte dieß nur, indem er, im Großartigsten wie im Kleinsten, das vom Wasser Gebildete wieder durch Wasser zerstören ließ. Die Unebenheiten des Bodens, groß und klein, sind nach ihm reine Oberflächenerscheinungen, ganz unabhängig vom innern Bau der Erdrinde. Die horizontalen Schichten sind vorzüglich durch den jedesmaligen allgemeinen Rückzug der Gewässer, dann aber durch locale Strömungen, durch den Ausbruch aufgestauter Seen, durch die langsam nagende Gewalt des Wassers vielfach abgerissen und durchfurcht worden. Dadurch haben sich Berge und Thäler gebildet, und die Wände der letztern müssen daher, der Theorie nach, im Allgemeinen und Wesentlichen aus den abgerissenen Rändern correspondirender Schichten bestehen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 110. Augsburg, 19. April 1840, S. 0873. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_110_18400419/9>, abgerufen am 23.11.2024.