Allgemeine Zeitung. Nr. 118. Augsburg, 27. April 1840.Die Indianer und der Indianerkrieg. Washington, 21 Febr. (Beschluß.) Merkwürdig sind, trotz aller Versicherungen der Amerikaner vom Gegentheil, die indianischen Gesetze von Ehrlichkeit. So oft nämlich die Glieder eines Stammes ihr Jagdrevier verkaufen, verpflichten sich die Vereinigten Staaten, die Bezahlung ihrer Schulden nicht nur gegen einander, sondern auch gegen die Weißen zu übernehmen, und noch auffallender ist es, daß die Amerikaner die bloße mündliche Zusage eines Indianers einem geschriebenen Schuldschein ihrer Landsleute vorziehen. Auf gleiche Weise sorgen sie für die aus der Vermischung mit den Weißen entstehenden Kinder. Die aus ihren eigenen ehelichen Verbindungen entspringenden Kinder und Waisen werden nämlich von dem ganzen Stamm erhalten, die Kinder aus den gemischten Ehen aber lassen sie in den Collegier und Schulen der Freistaaten erziehen, und machen dieß zur Bedingung in ihren Verträgen mit der amerikanischen Regierung. Die Erziehung, sagen sie, vervollkommnet alle Talente einer gewissen Classe, verdirbt aber den Charakter der ganz aus rothem Blut entsprossenen Indianer. Tapferkeit, Staats- und Redekunst seyen die schönsten Zierden der rothen Menschenrace; diese Talente aber würden durch die Schulerziehung der Weißen nur verdorben, und träten überhaupt nur dort recht lebhaft hervor, wo man ihrer Entwicklung keinen Zwang anlege. Was Hr. Nicollet und Obrist Gardiner - die sich überhaupt, obwohl von gänzlich verschiedenen Standpunkten ausgehend, nirgends widersprechen - von der Gastfreundschaft der Indianer sagen, ist eben so interessant als die vorausgeschickte Beschreibung ihrer elterlichen Liebe und Keuschheit. Nie nämlich setzt sich ein Indianer, der einen weißen Gast hat, zu Tisch, als bis der Weiße satt geworden; dann erst ißt sein Kind, dann er und endlich, wenn etwas übrig bleibt, sein Weib. Ist das Mahl reichlich, was leider bei dem abnehmenden Reichthum des Wildes selten der Fall ist, so essen Weib und Mann zu gleicher Zeit an einem Tisch; aber diese Sitte ist unter vielen Stämmen, seitdem ihnen Schießgewehre und Pulver zum Bedürfniß geworden, der Ertrag ihrer jährlichen Jagd aber kaum hinreichend ist, sie für das kommende Jahr mit neuer Munition zu versehen, fast ganz abgekommen, wie denn ihr Elend und der Hohn und Spott der Amerikaner mit jedem Tage zunimmt, die Hoffnung aber, sie nach und nach zu civilisiren und der amerikanischen Familie einzuverleiben, mit jedem Tage geringer wird, und zuletzt selbst für den aufrichtigsten Freund der Indianer gänzlich verschwinden muß. Die Frage über die Civilisation der Indianer ist eine reine Geldfrage, die natürlich von einem Volke, wie die Amerikaner, immer negativ entschieden werden muß. Wäre die Civilisation der Rothhäute weniger kostspielig als ihre Vertreibung und endliche Vertilgung, so hätte man schon längst die hiezu geeigneten Plane der Regierung vorgelegt. Die bis jetzt von Pelz- und Schleichhändlern, Hausirern, Krämern und dergleichen Gesindel (zu denen man allerdings einen großen Theil der Missionäre aus Speculation rechnen darf) gemachten Versuche können weder für die Indianer noch für die Mestizen entscheidend seyn. Was die letztern betrifft, so habe ich selbst Handwerker, Geschäftsmänner und sogar Advocaten gekannt, welche Indianerblut in ihren Adern hatten, und es ist bekannt, daß die vornehmsten Familien in Virginien indianische Ahnfrauen haben, auf welche sie sich nicht wenig einbilden, besonders da, wo diese Stammütter der gegenwärtigen Geschlechter Prinzessinnen waren. Uebrigens ist bis jetzt, wie uns die Geschichte lehrt, die Civilisation eines barbarischen Volkes nur dort vollkommen gelungen, wo dasselbe mit einem gebildeten, schwächeren Menschenstamm in Berührung kam, wie dieß z. B. bei den Germanen zur Zeit des Verfalls des römischen Reichs der Fall war, weil in diesem Fall der physisch Stärkere nur so viel von dem Gebildeten anzunehmen braucht, als er auf einmal und, ohne seine eigene Natur zu verläugnen, davon aufnehmen kann, und es scheint als ob diese gradweise, langsame Verfeinerung die einzige sey, welche der Entwicklung des Menschengeschlechts zusagt, ja sogar für beide Stämme, selbst wenn der eine der siegende, der andere aber der unterjochte ist, von entschiedenem Vortheil ist. Die Indianer sind unglücklicherweise nicht nur der moralisch, sondern auch der physisch schwächere Menschenstamm, und deßwegen will auch ihre Civilisation nicht recht gelingen. Man läßt ihnen keine Alternative, sondern zwingt sie, Alles auf Einmal zu werden, oder sogleich das Feld zu räumen. Von einer im Fluge vorwärts eilenden Nation angetrieben, sollen sie sich von einem heidnischen Nomadenvolke schnell zum christlichen Glauben und zum nordamerikanisch-demokratischen Republicanismus bekehren, von Jägern Ackerbauer, von Helden Krämer und Speculanten werden, oder gegen eine tausendmal größere Macht einen Vertilgungskrieg führen, der die Menschheit schändet und alles religiöse und sittliche Gefühl mit Füßen tritt. Wer könnte da etwas Gutes hoffen, wer sich mit der Hoffnung schmeicheln, ein mit den herrlichsten Gaben ausgestattetes Geschlecht nicht gänzlich untergehen zu sehen? Wären die mit den Indianern unmittelbar in Berührung stehenden Weißen ein moralisches Volk, wären sie wirklich von Menschenliebe beseelt und suchten sie in ihrem Verkehr mit den Rothhäuten mehr als bloßen kaufmännischen Gewinn, so könnte man die vielbesprochenen verunglückten Civilisationsversuche noch eher auf Rechnung der Indianer schreiben; so aber ist es bekannt, daß die Bewohner der sogenannten Westgränze der Vereinigten Staaten meistens aus dem verworfensten, den Schulden- oder Diebsgefängnissen entflohnen Auswurf besteht, gegen dessen Betrügereien selbst der Arm der Bundesregierung die mit ihr in Frieden lebenden freundlich gesinnten Indianerstämme nicht zu schützen vermag. Man war gezwungen, den gewisse Annuitäten beziehenden Stämmen von Staatswegen Curatoren zu setzen, um zu verhindern, daß die so ausgezahlten Gelder nicht sogleich in die Hände des sie umgebenden Räubervolks gerathen, und selbst dann noch wurden sie um ihr Armensündergeld auf die unerhörteste Art betrogen und geprellt. Wie theuer bezahlen die Indianer nicht die elenden wollenen Decken, mit welchen sie sich jetzt, statt der früher gebrauchten Thierfelle, bekleiden; wie theuer bezahlen sie nicht ihren Branntwein, ihren Tabak und das wenige sie kaum vom Verhungern errettende Mehl! Und von solchen selbst halbwilden haus- und obdachlosen Freibeutern sollen die Indianer Civilisation lernen! Ist dieß Spott oder Ernst? Und wenn, wie Jedermann einsieht, das erstere, warum sucht man das Betragen der Regierung durch Verleumdung der Indianer in den Augen der Welt zu rechtfertigen? - Man spricht von den vielen von den Indianern begangenen Grausamkeiten; allein wie natürlich sind diese nicht, wenn man auf die sie begleitenden oder vorangegangenen Herausforderungen und auf die allen wilden Völkern eigene Logik Rücksicht nimmt! Bei allen solchen Gelegenheiten sind, nach den übereinstimmenden Aussagen aller unparteiischen Die Indianer und der Indianerkrieg. Washington, 21 Febr. (Beschluß.) Merkwürdig sind, trotz aller Versicherungen der Amerikaner vom Gegentheil, die indianischen Gesetze von Ehrlichkeit. So oft nämlich die Glieder eines Stammes ihr Jagdrevier verkaufen, verpflichten sich die Vereinigten Staaten, die Bezahlung ihrer Schulden nicht nur gegen einander, sondern auch gegen die Weißen zu übernehmen, und noch auffallender ist es, daß die Amerikaner die bloße mündliche Zusage eines Indianers einem geschriebenen Schuldschein ihrer Landsleute vorziehen. Auf gleiche Weise sorgen sie für die aus der Vermischung mit den Weißen entstehenden Kinder. Die aus ihren eigenen ehelichen Verbindungen entspringenden Kinder und Waisen werden nämlich von dem ganzen Stamm erhalten, die Kinder aus den gemischten Ehen aber lassen sie in den Collegier und Schulen der Freistaaten erziehen, und machen dieß zur Bedingung in ihren Verträgen mit der amerikanischen Regierung. Die Erziehung, sagen sie, vervollkommnet alle Talente einer gewissen Classe, verdirbt aber den Charakter der ganz aus rothem Blut entsprossenen Indianer. Tapferkeit, Staats- und Redekunst seyen die schönsten Zierden der rothen Menschenrace; diese Talente aber würden durch die Schulerziehung der Weißen nur verdorben, und träten überhaupt nur dort recht lebhaft hervor, wo man ihrer Entwicklung keinen Zwang anlege. Was Hr. Nicollet und Obrist Gardiner – die sich überhaupt, obwohl von gänzlich verschiedenen Standpunkten ausgehend, nirgends widersprechen – von der Gastfreundschaft der Indianer sagen, ist eben so interessant als die vorausgeschickte Beschreibung ihrer elterlichen Liebe und Keuschheit. Nie nämlich setzt sich ein Indianer, der einen weißen Gast hat, zu Tisch, als bis der Weiße satt geworden; dann erst ißt sein Kind, dann er und endlich, wenn etwas übrig bleibt, sein Weib. Ist das Mahl reichlich, was leider bei dem abnehmenden Reichthum des Wildes selten der Fall ist, so essen Weib und Mann zu gleicher Zeit an einem Tisch; aber diese Sitte ist unter vielen Stämmen, seitdem ihnen Schießgewehre und Pulver zum Bedürfniß geworden, der Ertrag ihrer jährlichen Jagd aber kaum hinreichend ist, sie für das kommende Jahr mit neuer Munition zu versehen, fast ganz abgekommen, wie denn ihr Elend und der Hohn und Spott der Amerikaner mit jedem Tage zunimmt, die Hoffnung aber, sie nach und nach zu civilisiren und der amerikanischen Familie einzuverleiben, mit jedem Tage geringer wird, und zuletzt selbst für den aufrichtigsten Freund der Indianer gänzlich verschwinden muß. Die Frage über die Civilisation der Indianer ist eine reine Geldfrage, die natürlich von einem Volke, wie die Amerikaner, immer negativ entschieden werden muß. Wäre die Civilisation der Rothhäute weniger kostspielig als ihre Vertreibung und endliche Vertilgung, so hätte man schon längst die hiezu geeigneten Plane der Regierung vorgelegt. Die bis jetzt von Pelz- und Schleichhändlern, Hausirern, Krämern und dergleichen Gesindel (zu denen man allerdings einen großen Theil der Missionäre aus Speculation rechnen darf) gemachten Versuche können weder für die Indianer noch für die Mestizen entscheidend seyn. Was die letztern betrifft, so habe ich selbst Handwerker, Geschäftsmänner und sogar Advocaten gekannt, welche Indianerblut in ihren Adern hatten, und es ist bekannt, daß die vornehmsten Familien in Virginien indianische Ahnfrauen haben, auf welche sie sich nicht wenig einbilden, besonders da, wo diese Stammütter der gegenwärtigen Geschlechter Prinzessinnen waren. Uebrigens ist bis jetzt, wie uns die Geschichte lehrt, die Civilisation eines barbarischen Volkes nur dort vollkommen gelungen, wo dasselbe mit einem gebildeten, schwächeren Menschenstamm in Berührung kam, wie dieß z. B. bei den Germanen zur Zeit des Verfalls des römischen Reichs der Fall war, weil in diesem Fall der physisch Stärkere nur so viel von dem Gebildeten anzunehmen braucht, als er auf einmal und, ohne seine eigene Natur zu verläugnen, davon aufnehmen kann, und es scheint als ob diese gradweise, langsame Verfeinerung die einzige sey, welche der Entwicklung des Menschengeschlechts zusagt, ja sogar für beide Stämme, selbst wenn der eine der siegende, der andere aber der unterjochte ist, von entschiedenem Vortheil ist. Die Indianer sind unglücklicherweise nicht nur der moralisch, sondern auch der physisch schwächere Menschenstamm, und deßwegen will auch ihre Civilisation nicht recht gelingen. Man läßt ihnen keine Alternative, sondern zwingt sie, Alles auf Einmal zu werden, oder sogleich das Feld zu räumen. Von einer im Fluge vorwärts eilenden Nation angetrieben, sollen sie sich von einem heidnischen Nomadenvolke schnell zum christlichen Glauben und zum nordamerikanisch-demokratischen Republicanismus bekehren, von Jägern Ackerbauer, von Helden Krämer und Speculanten werden, oder gegen eine tausendmal größere Macht einen Vertilgungskrieg führen, der die Menschheit schändet und alles religiöse und sittliche Gefühl mit Füßen tritt. Wer könnte da etwas Gutes hoffen, wer sich mit der Hoffnung schmeicheln, ein mit den herrlichsten Gaben ausgestattetes Geschlecht nicht gänzlich untergehen zu sehen? Wären die mit den Indianern unmittelbar in Berührung stehenden Weißen ein moralisches Volk, wären sie wirklich von Menschenliebe beseelt und suchten sie in ihrem Verkehr mit den Rothhäuten mehr als bloßen kaufmännischen Gewinn, so könnte man die vielbesprochenen verunglückten Civilisationsversuche noch eher auf Rechnung der Indianer schreiben; so aber ist es bekannt, daß die Bewohner der sogenannten Westgränze der Vereinigten Staaten meistens aus dem verworfensten, den Schulden- oder Diebsgefängnissen entflohnen Auswurf besteht, gegen dessen Betrügereien selbst der Arm der Bundesregierung die mit ihr in Frieden lebenden freundlich gesinnten Indianerstämme nicht zu schützen vermag. Man war gezwungen, den gewisse Annuitäten beziehenden Stämmen von Staatswegen Curatoren zu setzen, um zu verhindern, daß die so ausgezahlten Gelder nicht sogleich in die Hände des sie umgebenden Räubervolks gerathen, und selbst dann noch wurden sie um ihr Armensündergeld auf die unerhörteste Art betrogen und geprellt. Wie theuer bezahlen die Indianer nicht die elenden wollenen Decken, mit welchen sie sich jetzt, statt der früher gebrauchten Thierfelle, bekleiden; wie theuer bezahlen sie nicht ihren Branntwein, ihren Tabak und das wenige sie kaum vom Verhungern errettende Mehl! Und von solchen selbst halbwilden haus- und obdachlosen Freibeutern sollen die Indianer Civilisation lernen! Ist dieß Spott oder Ernst? Und wenn, wie Jedermann einsieht, das erstere, warum sucht man das Betragen der Regierung durch Verleumdung der Indianer in den Augen der Welt zu rechtfertigen? – Man spricht von den vielen von den Indianern begangenen Grausamkeiten; allein wie natürlich sind diese nicht, wenn man auf die sie begleitenden oder vorangegangenen Herausforderungen und auf die allen wilden Völkern eigene Logik Rücksicht nimmt! Bei allen solchen Gelegenheiten sind, nach den übereinstimmenden Aussagen aller unparteiischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0009" n="0937"/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Indianer und der Indianerkrieg</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Washington,</hi> 21 Febr.</dateline> <p> (Beschluß.) Merkwürdig sind, trotz aller Versicherungen der Amerikaner vom Gegentheil, die indianischen Gesetze von Ehrlichkeit. So oft nämlich die Glieder eines Stammes ihr Jagdrevier verkaufen, verpflichten sich die Vereinigten Staaten, die Bezahlung ihrer Schulden nicht nur gegen einander, sondern auch gegen die Weißen zu übernehmen, und noch auffallender ist es, daß die Amerikaner die bloße mündliche Zusage eines Indianers einem geschriebenen Schuldschein ihrer Landsleute vorziehen. Auf gleiche Weise sorgen sie für die aus der Vermischung mit den Weißen entstehenden Kinder. Die aus ihren eigenen ehelichen Verbindungen entspringenden Kinder und Waisen werden nämlich von dem ganzen Stamm erhalten, die Kinder aus den gemischten Ehen aber lassen sie in den Collegier und Schulen der Freistaaten erziehen, und machen dieß zur Bedingung in ihren Verträgen mit der amerikanischen Regierung. Die Erziehung, sagen sie, vervollkommnet alle Talente einer gewissen Classe, verdirbt aber den Charakter der ganz aus rothem Blut entsprossenen Indianer. Tapferkeit, Staats- und Redekunst seyen die schönsten Zierden der rothen Menschenrace; diese Talente aber würden durch die Schulerziehung der Weißen nur verdorben, und träten überhaupt nur dort recht lebhaft hervor, wo man ihrer Entwicklung keinen Zwang anlege.</p><lb/> <p>Was Hr. Nicollet und Obrist Gardiner – die sich überhaupt, obwohl von gänzlich verschiedenen Standpunkten ausgehend, nirgends widersprechen – von der Gastfreundschaft der Indianer sagen, ist eben so interessant als die vorausgeschickte Beschreibung ihrer elterlichen Liebe und Keuschheit. Nie nämlich setzt sich ein Indianer, der einen weißen Gast hat, zu Tisch, als bis der Weiße satt geworden; dann erst ißt sein Kind, dann er und endlich, wenn etwas übrig bleibt, sein Weib. Ist das Mahl reichlich, was leider bei dem abnehmenden Reichthum des Wildes selten der Fall ist, so essen Weib und Mann zu gleicher Zeit an einem Tisch; aber diese Sitte ist unter vielen Stämmen, seitdem ihnen Schießgewehre und Pulver zum Bedürfniß geworden, der Ertrag ihrer jährlichen Jagd aber kaum hinreichend ist, sie für das kommende Jahr mit neuer Munition zu versehen, fast ganz abgekommen, wie denn ihr Elend und der Hohn und Spott der Amerikaner mit jedem Tage zunimmt, die Hoffnung aber, sie nach und nach zu civilisiren und der amerikanischen Familie einzuverleiben, mit jedem Tage geringer wird, und zuletzt selbst für den aufrichtigsten Freund der Indianer gänzlich verschwinden muß.</p><lb/> <p>Die Frage über die Civilisation der Indianer ist eine reine Geldfrage, die natürlich von einem Volke, wie die Amerikaner, immer negativ entschieden werden muß. Wäre die Civilisation der Rothhäute weniger kostspielig als ihre Vertreibung und endliche Vertilgung, so hätte man schon längst die hiezu geeigneten Plane der Regierung vorgelegt. Die bis jetzt von Pelz- und Schleichhändlern, Hausirern, Krämern und dergleichen Gesindel (zu denen man allerdings einen großen Theil der Missionäre aus Speculation rechnen darf) gemachten Versuche können weder für die Indianer noch für die Mestizen entscheidend seyn. Was die letztern betrifft, so habe ich selbst Handwerker, Geschäftsmänner und sogar Advocaten gekannt, welche Indianerblut in ihren Adern hatten, und es ist bekannt, daß die vornehmsten Familien in Virginien indianische Ahnfrauen haben, auf welche sie sich nicht wenig einbilden, besonders da, wo diese Stammütter der gegenwärtigen Geschlechter Prinzessinnen waren. Uebrigens ist bis jetzt, wie uns die Geschichte lehrt, die Civilisation eines barbarischen Volkes nur dort vollkommen gelungen, wo dasselbe mit einem gebildeten, schwächeren Menschenstamm in Berührung kam, wie dieß z. B. bei den Germanen zur Zeit des Verfalls des römischen Reichs der Fall war, weil in diesem Fall der physisch Stärkere nur so viel von dem Gebildeten anzunehmen braucht, als er auf einmal und, ohne seine eigene Natur zu verläugnen, davon aufnehmen kann, und es scheint als ob diese gradweise, langsame Verfeinerung die einzige sey, welche der Entwicklung des Menschengeschlechts zusagt, ja sogar für beide Stämme, selbst wenn der eine der siegende, der andere aber der unterjochte ist, von entschiedenem Vortheil ist. Die Indianer sind unglücklicherweise nicht nur der moralisch, sondern auch der physisch schwächere Menschenstamm, und deßwegen will auch ihre Civilisation nicht recht gelingen. Man läßt ihnen keine Alternative, sondern zwingt sie, Alles auf Einmal zu werden, oder sogleich das Feld zu räumen. Von einer im Fluge vorwärts eilenden Nation angetrieben, sollen sie sich von einem heidnischen Nomadenvolke schnell zum christlichen Glauben und zum nordamerikanisch-demokratischen Republicanismus bekehren, von Jägern Ackerbauer, von Helden Krämer und Speculanten werden, oder gegen eine tausendmal größere Macht einen Vertilgungskrieg führen, der die Menschheit schändet und alles religiöse und sittliche Gefühl mit Füßen tritt. Wer könnte da etwas Gutes hoffen, wer sich mit der Hoffnung schmeicheln, ein mit den herrlichsten Gaben ausgestattetes Geschlecht nicht gänzlich untergehen zu sehen? Wären die mit den Indianern unmittelbar in Berührung stehenden Weißen ein moralisches Volk, wären sie wirklich von Menschenliebe beseelt und suchten sie in ihrem Verkehr mit den Rothhäuten mehr als bloßen kaufmännischen Gewinn, so könnte man die vielbesprochenen verunglückten Civilisationsversuche noch eher auf Rechnung der Indianer schreiben; so aber ist es bekannt, daß die Bewohner der sogenannten Westgränze der Vereinigten Staaten meistens aus dem verworfensten, den Schulden- oder Diebsgefängnissen entflohnen Auswurf besteht, gegen dessen Betrügereien selbst der Arm der Bundesregierung die mit ihr in Frieden lebenden freundlich gesinnten Indianerstämme nicht zu schützen vermag. Man war gezwungen, den gewisse Annuitäten beziehenden Stämmen von Staatswegen Curatoren zu setzen, um zu verhindern, daß die so ausgezahlten Gelder nicht sogleich in die Hände des sie umgebenden Räubervolks gerathen, und selbst dann noch wurden sie um ihr Armensündergeld auf die unerhörteste Art betrogen und geprellt. Wie theuer bezahlen die Indianer nicht die elenden wollenen Decken, mit welchen sie sich jetzt, statt der früher gebrauchten Thierfelle, bekleiden; wie theuer bezahlen sie nicht ihren Branntwein, ihren Tabak und das wenige sie kaum vom Verhungern errettende Mehl! Und von solchen selbst halbwilden haus- und obdachlosen Freibeutern sollen die Indianer Civilisation lernen! Ist dieß Spott oder Ernst? Und wenn, wie Jedermann einsieht, das erstere, warum sucht man das Betragen der Regierung durch Verleumdung der Indianer in den Augen der Welt zu rechtfertigen? – Man spricht von den vielen von den Indianern begangenen Grausamkeiten; allein wie natürlich sind diese nicht, wenn man auf die sie begleitenden oder vorangegangenen Herausforderungen und auf die allen wilden Völkern eigene Logik Rücksicht nimmt! Bei allen solchen Gelegenheiten sind, nach den übereinstimmenden Aussagen aller unparteiischen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0937/0009]
Die Indianer und der Indianerkrieg.
_ Washington, 21 Febr. (Beschluß.) Merkwürdig sind, trotz aller Versicherungen der Amerikaner vom Gegentheil, die indianischen Gesetze von Ehrlichkeit. So oft nämlich die Glieder eines Stammes ihr Jagdrevier verkaufen, verpflichten sich die Vereinigten Staaten, die Bezahlung ihrer Schulden nicht nur gegen einander, sondern auch gegen die Weißen zu übernehmen, und noch auffallender ist es, daß die Amerikaner die bloße mündliche Zusage eines Indianers einem geschriebenen Schuldschein ihrer Landsleute vorziehen. Auf gleiche Weise sorgen sie für die aus der Vermischung mit den Weißen entstehenden Kinder. Die aus ihren eigenen ehelichen Verbindungen entspringenden Kinder und Waisen werden nämlich von dem ganzen Stamm erhalten, die Kinder aus den gemischten Ehen aber lassen sie in den Collegier und Schulen der Freistaaten erziehen, und machen dieß zur Bedingung in ihren Verträgen mit der amerikanischen Regierung. Die Erziehung, sagen sie, vervollkommnet alle Talente einer gewissen Classe, verdirbt aber den Charakter der ganz aus rothem Blut entsprossenen Indianer. Tapferkeit, Staats- und Redekunst seyen die schönsten Zierden der rothen Menschenrace; diese Talente aber würden durch die Schulerziehung der Weißen nur verdorben, und träten überhaupt nur dort recht lebhaft hervor, wo man ihrer Entwicklung keinen Zwang anlege.
Was Hr. Nicollet und Obrist Gardiner – die sich überhaupt, obwohl von gänzlich verschiedenen Standpunkten ausgehend, nirgends widersprechen – von der Gastfreundschaft der Indianer sagen, ist eben so interessant als die vorausgeschickte Beschreibung ihrer elterlichen Liebe und Keuschheit. Nie nämlich setzt sich ein Indianer, der einen weißen Gast hat, zu Tisch, als bis der Weiße satt geworden; dann erst ißt sein Kind, dann er und endlich, wenn etwas übrig bleibt, sein Weib. Ist das Mahl reichlich, was leider bei dem abnehmenden Reichthum des Wildes selten der Fall ist, so essen Weib und Mann zu gleicher Zeit an einem Tisch; aber diese Sitte ist unter vielen Stämmen, seitdem ihnen Schießgewehre und Pulver zum Bedürfniß geworden, der Ertrag ihrer jährlichen Jagd aber kaum hinreichend ist, sie für das kommende Jahr mit neuer Munition zu versehen, fast ganz abgekommen, wie denn ihr Elend und der Hohn und Spott der Amerikaner mit jedem Tage zunimmt, die Hoffnung aber, sie nach und nach zu civilisiren und der amerikanischen Familie einzuverleiben, mit jedem Tage geringer wird, und zuletzt selbst für den aufrichtigsten Freund der Indianer gänzlich verschwinden muß.
Die Frage über die Civilisation der Indianer ist eine reine Geldfrage, die natürlich von einem Volke, wie die Amerikaner, immer negativ entschieden werden muß. Wäre die Civilisation der Rothhäute weniger kostspielig als ihre Vertreibung und endliche Vertilgung, so hätte man schon längst die hiezu geeigneten Plane der Regierung vorgelegt. Die bis jetzt von Pelz- und Schleichhändlern, Hausirern, Krämern und dergleichen Gesindel (zu denen man allerdings einen großen Theil der Missionäre aus Speculation rechnen darf) gemachten Versuche können weder für die Indianer noch für die Mestizen entscheidend seyn. Was die letztern betrifft, so habe ich selbst Handwerker, Geschäftsmänner und sogar Advocaten gekannt, welche Indianerblut in ihren Adern hatten, und es ist bekannt, daß die vornehmsten Familien in Virginien indianische Ahnfrauen haben, auf welche sie sich nicht wenig einbilden, besonders da, wo diese Stammütter der gegenwärtigen Geschlechter Prinzessinnen waren. Uebrigens ist bis jetzt, wie uns die Geschichte lehrt, die Civilisation eines barbarischen Volkes nur dort vollkommen gelungen, wo dasselbe mit einem gebildeten, schwächeren Menschenstamm in Berührung kam, wie dieß z. B. bei den Germanen zur Zeit des Verfalls des römischen Reichs der Fall war, weil in diesem Fall der physisch Stärkere nur so viel von dem Gebildeten anzunehmen braucht, als er auf einmal und, ohne seine eigene Natur zu verläugnen, davon aufnehmen kann, und es scheint als ob diese gradweise, langsame Verfeinerung die einzige sey, welche der Entwicklung des Menschengeschlechts zusagt, ja sogar für beide Stämme, selbst wenn der eine der siegende, der andere aber der unterjochte ist, von entschiedenem Vortheil ist. Die Indianer sind unglücklicherweise nicht nur der moralisch, sondern auch der physisch schwächere Menschenstamm, und deßwegen will auch ihre Civilisation nicht recht gelingen. Man läßt ihnen keine Alternative, sondern zwingt sie, Alles auf Einmal zu werden, oder sogleich das Feld zu räumen. Von einer im Fluge vorwärts eilenden Nation angetrieben, sollen sie sich von einem heidnischen Nomadenvolke schnell zum christlichen Glauben und zum nordamerikanisch-demokratischen Republicanismus bekehren, von Jägern Ackerbauer, von Helden Krämer und Speculanten werden, oder gegen eine tausendmal größere Macht einen Vertilgungskrieg führen, der die Menschheit schändet und alles religiöse und sittliche Gefühl mit Füßen tritt. Wer könnte da etwas Gutes hoffen, wer sich mit der Hoffnung schmeicheln, ein mit den herrlichsten Gaben ausgestattetes Geschlecht nicht gänzlich untergehen zu sehen? Wären die mit den Indianern unmittelbar in Berührung stehenden Weißen ein moralisches Volk, wären sie wirklich von Menschenliebe beseelt und suchten sie in ihrem Verkehr mit den Rothhäuten mehr als bloßen kaufmännischen Gewinn, so könnte man die vielbesprochenen verunglückten Civilisationsversuche noch eher auf Rechnung der Indianer schreiben; so aber ist es bekannt, daß die Bewohner der sogenannten Westgränze der Vereinigten Staaten meistens aus dem verworfensten, den Schulden- oder Diebsgefängnissen entflohnen Auswurf besteht, gegen dessen Betrügereien selbst der Arm der Bundesregierung die mit ihr in Frieden lebenden freundlich gesinnten Indianerstämme nicht zu schützen vermag. Man war gezwungen, den gewisse Annuitäten beziehenden Stämmen von Staatswegen Curatoren zu setzen, um zu verhindern, daß die so ausgezahlten Gelder nicht sogleich in die Hände des sie umgebenden Räubervolks gerathen, und selbst dann noch wurden sie um ihr Armensündergeld auf die unerhörteste Art betrogen und geprellt. Wie theuer bezahlen die Indianer nicht die elenden wollenen Decken, mit welchen sie sich jetzt, statt der früher gebrauchten Thierfelle, bekleiden; wie theuer bezahlen sie nicht ihren Branntwein, ihren Tabak und das wenige sie kaum vom Verhungern errettende Mehl! Und von solchen selbst halbwilden haus- und obdachlosen Freibeutern sollen die Indianer Civilisation lernen! Ist dieß Spott oder Ernst? Und wenn, wie Jedermann einsieht, das erstere, warum sucht man das Betragen der Regierung durch Verleumdung der Indianer in den Augen der Welt zu rechtfertigen? – Man spricht von den vielen von den Indianern begangenen Grausamkeiten; allein wie natürlich sind diese nicht, wenn man auf die sie begleitenden oder vorangegangenen Herausforderungen und auf die allen wilden Völkern eigene Logik Rücksicht nimmt! Bei allen solchen Gelegenheiten sind, nach den übereinstimmenden Aussagen aller unparteiischen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |