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Allgemeine Zeitung. Nr. 142. Augsburg, 21. Mai 1840.

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die Parteien ihre Vertheidigungsmittel vervollständigen, um sie in den Augen ihrer Gegner desto furchtbarer erscheinen zu lassen. Visne Dea mecum ire Romam? fragte der Römer die Göttin einer eroberten Stadt, und betrachtete das Stillschweigen der Bildsäule als Einwilligung. So geht es jetzt mit den politischen Parteien. Man mag der Politik auch noch so fremd seyn, sie wissen einen doch zu finden, und wenn man auch nur zu ihren Anfechtungen schweigt, wenn man es versäumt, gegen jede Theilnahme sich zeitig durch eine laute Protestation zu verwahren, so kann man sicher darauf rechnen, zu der einen oder der andern gezählt zu werden, und die natürliche Folge ist, daß man gegen seinen Willen und ohne Veranlassung von seiner Seite seinen Theil erhält von dem Haß und der Verfolgung der Gegner.

"Die Westslaven sind durch ihre Bemühung, fast jeden ihrer zahlreichen Dialekte zu einer Schriftsprache zu erheben, zerbröckelt, und fühlten in sich bald den Mangel an Lebenskraft zu einem selbstständigen intellectuellen Daseyn. Eine nähere Erwähnung verdient, daß der Correspondent unter dem neuaufblühenden geistigen Leben der Westslaven nicht die kümmerlichen Bemühungen versteht, um ein Duzend Dialekte in fast eben so viele Schriftsprachen zu verwandeln. Wenn überhaupt bisher Gleichförmigkeit mit der Volkssprache als Hauptwahrzeichen für die Schriftsprache galt, und man darum eine solche aus den vereinzelten Dialekten bildete, so bringt er im Gegentheil als ein ächtes Wahrzeichen der Nationalität einer Schriftsprache die bedeutende Zahl derer, die sie verstehen, in Erwägung, und betrachtet nicht die Gleichförmigkeit, sondern nur die Aehnlichkeit mit der Volkssprache für durchaus nothwendig; er nennt die Ausbildung der Dialekte eine Kleingeisterei, und um den Beweis der Volksthümlichkeit der böhmischen Sprache zu führen, weist er auf die acht Millionen hin, welche dieselben oder eine ihr ähnliche Sprache sprechen, und nimmt weniger Rücksicht auf die provincialen, ja selbst auf die historischen Spaltungen, die sich unter den in dieser Zahl begriffenen Böhmen, Mähren und Nordungarn ergeben.

"Die Sprachen und Dialekte der westlichen Slaven haben größtentheils eine ausgesprochene Aehnlichkeit unter einander, und sogar die vergleichungsweise minder ähnlichen laufen doch nicht weit auseinander. Wenn also der Correspondent bei seiner Untersuchung der Sprachformation nur der von der größten geschlossenen Volksmasse angenommenen Schriftsprache den Stempel der Nationalität zuerkennt, und im Uebrigen die Gränzen dieses Verbands ohne Rücksicht auf die sprachlichen, ja auch auf die historischen Verschiedenheiten der einzelner Theile da festsetzt, wo die Aehnlichkeit der Mundart überhaupt aufhört, so sehen wir keinen Grund, warum er in diese Gränzen bloß die Böhmen, die (nordwestlichen) Ungarn und Mähren einschließt, sondern müssen in strenger Folgerichtigkeit seiner eigenen Grundsätze weiter schließen, daß er die intellectuelle Verbindung aller Westslaven durch die Annahme einer gemeinsamen Schriftsprache nicht nur für möglich, sondern auch zur Erhöhung ihrer Aufklärung unerläßlich erachtet.

"Wenn auf diese Weise die Idee einer neuen Gestaltung des Slaventhums, im Gegensatz gegen die in Praxi bisher unter den Slaven allgemeine Ansicht, zum erstenmal so offen auftritt, ist es vielleicht nicht unzweckmäßig, einige Gedanken hinzuwerfen, die zum leichteren Verständniß dieser streitenden Tendenzen dienen können. Um den Standpunkt zu zeigen, von dem wir den vorliegenden Gegenstand auffassen, müssen wir voraus bemerken, daß wir unter Nation einen solchen Theil des Menschengeschlechts verstehen, der durch seine Anzahl zur selbstständigen Erreichung aller Zwecke des gemeinsamen Lebens befähigt, und durch eine geschriebene Sprache, durch die gleiche Richtung der Ideen und namentlich durch die Aehnlichkeit der Sitten und Gewohnheiten verbunden ist. Für gleichgültig halten wir, ob die Verschmelzung Einer Nation eine Wirkung der gleichartigen Abstammung, des politischen oder intellectuellen Lebens ist. Zu den Hauptzwecken des gemeinsamen Verbands gehört die Vertheidigung gegen Fremde und die Ausbildung im Innern. Nach dieser Ansicht verdienen die da und dort aus einander gerissenen Stämme und vereinzelte, von der Gesammtheit der Nation abgelösten Districte, die wegen ihrer geringen Menschenzahl augenscheinlich nicht im Stande sind, sich selbstständig zu vertheidigen und die Aufklärung zu fördern, nicht den Namen einer Nation. Sind denn nationelle Sprache, Sitten und Gewohnheiten, von ihrem innern Werthe abgesehen, nur dazu da, daß sie eben nationell sind und in uns einen hohen Stolz erwecken? Was macht sie denn so heilig? Gewiß nicht das, daß sie die unsrigen, daß sie alt sind, oder daß die Menge der Individuen, die sie theilt, ihnen die Unsterblichkeit sichert, sondern vielmehr die Idee, daß die dadurch bewirkte stumme Verbrüderung, indem sie die physischen Kräfte von Millionen durch das Gemeingefühl vereinigt, die Menschenrechte nicht verletzen oder wenigstens das Unrecht nicht verewigen läßt, und eben dadurch die Nationalität zur wirksamsten Wehre gegen ewige Unterdrückung macht, weil sie, die intellectuellen Kräfte durch die Gemeinsamkeit der Sprache vereinend, diese zur wirksamen Grundlage der Bildung macht. Darum rathen wir, trotz alles Werths, den wir auf die Nationalität legen, solchen zertheilten Völkern, daß sie ihre Provincial- und Stammverschiedenheiten fahren lassen, und durch gegenseitige Vereinigung mit diesem oder jenem Volke, welches ihrer Nationalität am nächsten steht, sich zur Größe einer Nation aufschwingen. Denn zu was hilft das Pflegen einer besondern Stammeseigenthümlichkeit, wenn man durch seine Zertheiltheit verurtheilt ist, für alle Zukunft bei fremden Nationen Schutz zu suchen? Zu was dient die Ausbildung einer besondern Sprache, wenn man nichtsdestoweniger stets genöthigt ist, zu seiner fortschreitenden Bildung fremde Sprachen zu erlernen? Besser ist es gewiß, durch Verschmelzung mit einem andern Volke sich für immer die Möglichkeit des Schutzes und der Fortbildung zu sichern, als durch Beharren auf seiner speciellen Eigenthümlichkeit die ganze Nachkommenschaft auf ewig zum Spielball des politischen Ehrgeizes der Nachbarn zu machen, und eine Generation nach der andern zur Erlernung fremder Sprachen zu nöthigen. Zu welchem Zweck sollten übrigens solche zertheilte Stämme ihre Absonderung hegen und pflegen? etwa damit neben ihrer Kleinheit die Größe anderer Nationen um so erhabener sich ausnehme? Wir müssen indeß hier voraussenden, daß wir bei der Hinweisung auf die Ursachen einer Vereinigung der Stämme unter sich oder mit andern Völkern nur ihren freien Entschluß im Auge haben, denn wir erkennen keiner menschlichen Gewalt das Recht oder auch nur die Kraft zu, gegen den Willen eines Volks die Kennzeichen seiner Stammeseigenthümlichkeit zu vernichten. Ein Beweis hievon ist das jüdische Volk. Aber, wirft man ein, die Nationalität ist eine heilige Sache, wir müssen sie in der Gestalt erhalten, in welcher sie sich äußert, ohne Rücksicht auf die größere oder geringere Volkszahl, denn wer wollte bestimmen, welche Anzahl eigentlich nöthig ist, um ein Volk zu bilden? Wenn wir überhaupt keinen Anstand nehmen, alle Dinge unsern Bedürfnissen anzupassen, so sehen wir keinen Grund, weßhalb die Nationalität allein eine Ausnahme bilden soll, denn nichts halten wir für so heilig, daß es nicht frei stünde, es zu den vernünftigen Zwecken des Menschen zu benützen. Allerdings kann man im Allgemeinen nicht wohl die Menschenzahl angeben,

die Parteien ihre Vertheidigungsmittel vervollständigen, um sie in den Augen ihrer Gegner desto furchtbarer erscheinen zu lassen. Visne Dea mecum ire Romam? fragte der Römer die Göttin einer eroberten Stadt, und betrachtete das Stillschweigen der Bildsäule als Einwilligung. So geht es jetzt mit den politischen Parteien. Man mag der Politik auch noch so fremd seyn, sie wissen einen doch zu finden, und wenn man auch nur zu ihren Anfechtungen schweigt, wenn man es versäumt, gegen jede Theilnahme sich zeitig durch eine laute Protestation zu verwahren, so kann man sicher darauf rechnen, zu der einen oder der andern gezählt zu werden, und die natürliche Folge ist, daß man gegen seinen Willen und ohne Veranlassung von seiner Seite seinen Theil erhält von dem Haß und der Verfolgung der Gegner.

„Die Westslaven sind durch ihre Bemühung, fast jeden ihrer zahlreichen Dialekte zu einer Schriftsprache zu erheben, zerbröckelt, und fühlten in sich bald den Mangel an Lebenskraft zu einem selbstständigen intellectuellen Daseyn. Eine nähere Erwähnung verdient, daß der Correspondent unter dem neuaufblühenden geistigen Leben der Westslaven nicht die kümmerlichen Bemühungen versteht, um ein Duzend Dialekte in fast eben so viele Schriftsprachen zu verwandeln. Wenn überhaupt bisher Gleichförmigkeit mit der Volkssprache als Hauptwahrzeichen für die Schriftsprache galt, und man darum eine solche aus den vereinzelten Dialekten bildete, so bringt er im Gegentheil als ein ächtes Wahrzeichen der Nationalität einer Schriftsprache die bedeutende Zahl derer, die sie verstehen, in Erwägung, und betrachtet nicht die Gleichförmigkeit, sondern nur die Aehnlichkeit mit der Volkssprache für durchaus nothwendig; er nennt die Ausbildung der Dialekte eine Kleingeisterei, und um den Beweis der Volksthümlichkeit der böhmischen Sprache zu führen, weist er auf die acht Millionen hin, welche dieselben oder eine ihr ähnliche Sprache sprechen, und nimmt weniger Rücksicht auf die provincialen, ja selbst auf die historischen Spaltungen, die sich unter den in dieser Zahl begriffenen Böhmen, Mähren und Nordungarn ergeben.

„Die Sprachen und Dialekte der westlichen Slaven haben größtentheils eine ausgesprochene Aehnlichkeit unter einander, und sogar die vergleichungsweise minder ähnlichen laufen doch nicht weit auseinander. Wenn also der Correspondent bei seiner Untersuchung der Sprachformation nur der von der größten geschlossenen Volksmasse angenommenen Schriftsprache den Stempel der Nationalität zuerkennt, und im Uebrigen die Gränzen dieses Verbands ohne Rücksicht auf die sprachlichen, ja auch auf die historischen Verschiedenheiten der einzelner Theile da festsetzt, wo die Aehnlichkeit der Mundart überhaupt aufhört, so sehen wir keinen Grund, warum er in diese Gränzen bloß die Böhmen, die (nordwestlichen) Ungarn und Mähren einschließt, sondern müssen in strenger Folgerichtigkeit seiner eigenen Grundsätze weiter schließen, daß er die intellectuelle Verbindung aller Westslaven durch die Annahme einer gemeinsamen Schriftsprache nicht nur für möglich, sondern auch zur Erhöhung ihrer Aufklärung unerläßlich erachtet.

„Wenn auf diese Weise die Idee einer neuen Gestaltung des Slaventhums, im Gegensatz gegen die in Praxi bisher unter den Slaven allgemeine Ansicht, zum erstenmal so offen auftritt, ist es vielleicht nicht unzweckmäßig, einige Gedanken hinzuwerfen, die zum leichteren Verständniß dieser streitenden Tendenzen dienen können. Um den Standpunkt zu zeigen, von dem wir den vorliegenden Gegenstand auffassen, müssen wir voraus bemerken, daß wir unter Nation einen solchen Theil des Menschengeschlechts verstehen, der durch seine Anzahl zur selbstständigen Erreichung aller Zwecke des gemeinsamen Lebens befähigt, und durch eine geschriebene Sprache, durch die gleiche Richtung der Ideen und namentlich durch die Aehnlichkeit der Sitten und Gewohnheiten verbunden ist. Für gleichgültig halten wir, ob die Verschmelzung Einer Nation eine Wirkung der gleichartigen Abstammung, des politischen oder intellectuellen Lebens ist. Zu den Hauptzwecken des gemeinsamen Verbands gehört die Vertheidigung gegen Fremde und die Ausbildung im Innern. Nach dieser Ansicht verdienen die da und dort aus einander gerissenen Stämme und vereinzelte, von der Gesammtheit der Nation abgelösten Districte, die wegen ihrer geringen Menschenzahl augenscheinlich nicht im Stande sind, sich selbstständig zu vertheidigen und die Aufklärung zu fördern, nicht den Namen einer Nation. Sind denn nationelle Sprache, Sitten und Gewohnheiten, von ihrem innern Werthe abgesehen, nur dazu da, daß sie eben nationell sind und in uns einen hohen Stolz erwecken? Was macht sie denn so heilig? Gewiß nicht das, daß sie die unsrigen, daß sie alt sind, oder daß die Menge der Individuen, die sie theilt, ihnen die Unsterblichkeit sichert, sondern vielmehr die Idee, daß die dadurch bewirkte stumme Verbrüderung, indem sie die physischen Kräfte von Millionen durch das Gemeingefühl vereinigt, die Menschenrechte nicht verletzen oder wenigstens das Unrecht nicht verewigen läßt, und eben dadurch die Nationalität zur wirksamsten Wehre gegen ewige Unterdrückung macht, weil sie, die intellectuellen Kräfte durch die Gemeinsamkeit der Sprache vereinend, diese zur wirksamen Grundlage der Bildung macht. Darum rathen wir, trotz alles Werths, den wir auf die Nationalität legen, solchen zertheilten Völkern, daß sie ihre Provincial- und Stammverschiedenheiten fahren lassen, und durch gegenseitige Vereinigung mit diesem oder jenem Volke, welches ihrer Nationalität am nächsten steht, sich zur Größe einer Nation aufschwingen. Denn zu was hilft das Pflegen einer besondern Stammeseigenthümlichkeit, wenn man durch seine Zertheiltheit verurtheilt ist, für alle Zukunft bei fremden Nationen Schutz zu suchen? Zu was dient die Ausbildung einer besondern Sprache, wenn man nichtsdestoweniger stets genöthigt ist, zu seiner fortschreitenden Bildung fremde Sprachen zu erlernen? Besser ist es gewiß, durch Verschmelzung mit einem andern Volke sich für immer die Möglichkeit des Schutzes und der Fortbildung zu sichern, als durch Beharren auf seiner speciellen Eigenthümlichkeit die ganze Nachkommenschaft auf ewig zum Spielball des politischen Ehrgeizes der Nachbarn zu machen, und eine Generation nach der andern zur Erlernung fremder Sprachen zu nöthigen. Zu welchem Zweck sollten übrigens solche zertheilte Stämme ihre Absonderung hegen und pflegen? etwa damit neben ihrer Kleinheit die Größe anderer Nationen um so erhabener sich ausnehme? Wir müssen indeß hier voraussenden, daß wir bei der Hinweisung auf die Ursachen einer Vereinigung der Stämme unter sich oder mit andern Völkern nur ihren freien Entschluß im Auge haben, denn wir erkennen keiner menschlichen Gewalt das Recht oder auch nur die Kraft zu, gegen den Willen eines Volks die Kennzeichen seiner Stammeseigenthümlichkeit zu vernichten. Ein Beweis hievon ist das jüdische Volk. Aber, wirft man ein, die Nationalität ist eine heilige Sache, wir müssen sie in der Gestalt erhalten, in welcher sie sich äußert, ohne Rücksicht auf die größere oder geringere Volkszahl, denn wer wollte bestimmen, welche Anzahl eigentlich nöthig ist, um ein Volk zu bilden? Wenn wir überhaupt keinen Anstand nehmen, alle Dinge unsern Bedürfnissen anzupassen, so sehen wir keinen Grund, weßhalb die Nationalität allein eine Ausnahme bilden soll, denn nichts halten wir für so heilig, daß es nicht frei stünde, es zu den vernünftigen Zwecken des Menschen zu benützen. Allerdings kann man im Allgemeinen nicht wohl die Menschenzahl angeben,

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die Parteien ihre Vertheidigungsmittel vervollständigen, um sie in den Augen ihrer Gegner desto furchtbarer erscheinen zu lassen. Visne Dea mecum ire Romam? fragte der Römer die Göttin einer eroberten Stadt, und betrachtete das Stillschweigen der Bildsäule als Einwilligung. So geht es jetzt mit den politischen Parteien. Man mag der Politik auch noch so fremd seyn, sie wissen einen doch zu finden, und wenn man auch nur zu ihren Anfechtungen schweigt, wenn man es versäumt, gegen jede Theilnahme sich zeitig durch eine laute Protestation zu verwahren, so kann man sicher darauf rechnen, zu der einen oder der andern gezählt zu werden, und die natürliche Folge ist, daß man gegen seinen Willen und ohne Veranlassung von seiner Seite seinen Theil erhält von dem Haß und der Verfolgung der Gegner.</p><lb/>
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[1131/0011] die Parteien ihre Vertheidigungsmittel vervollständigen, um sie in den Augen ihrer Gegner desto furchtbarer erscheinen zu lassen. Visne Dea mecum ire Romam? fragte der Römer die Göttin einer eroberten Stadt, und betrachtete das Stillschweigen der Bildsäule als Einwilligung. So geht es jetzt mit den politischen Parteien. Man mag der Politik auch noch so fremd seyn, sie wissen einen doch zu finden, und wenn man auch nur zu ihren Anfechtungen schweigt, wenn man es versäumt, gegen jede Theilnahme sich zeitig durch eine laute Protestation zu verwahren, so kann man sicher darauf rechnen, zu der einen oder der andern gezählt zu werden, und die natürliche Folge ist, daß man gegen seinen Willen und ohne Veranlassung von seiner Seite seinen Theil erhält von dem Haß und der Verfolgung der Gegner. „Die Westslaven sind durch ihre Bemühung, fast jeden ihrer zahlreichen Dialekte zu einer Schriftsprache zu erheben, zerbröckelt, und fühlten in sich bald den Mangel an Lebenskraft zu einem selbstständigen intellectuellen Daseyn. Eine nähere Erwähnung verdient, daß der Correspondent unter dem neuaufblühenden geistigen Leben der Westslaven nicht die kümmerlichen Bemühungen versteht, um ein Duzend Dialekte in fast eben so viele Schriftsprachen zu verwandeln. Wenn überhaupt bisher Gleichförmigkeit mit der Volkssprache als Hauptwahrzeichen für die Schriftsprache galt, und man darum eine solche aus den vereinzelten Dialekten bildete, so bringt er im Gegentheil als ein ächtes Wahrzeichen der Nationalität einer Schriftsprache die bedeutende Zahl derer, die sie verstehen, in Erwägung, und betrachtet nicht die Gleichförmigkeit, sondern nur die Aehnlichkeit mit der Volkssprache für durchaus nothwendig; er nennt die Ausbildung der Dialekte eine Kleingeisterei, und um den Beweis der Volksthümlichkeit der böhmischen Sprache zu führen, weist er auf die acht Millionen hin, welche dieselben oder eine ihr ähnliche Sprache sprechen, und nimmt weniger Rücksicht auf die provincialen, ja selbst auf die historischen Spaltungen, die sich unter den in dieser Zahl begriffenen Böhmen, Mähren und Nordungarn ergeben. „Die Sprachen und Dialekte der westlichen Slaven haben größtentheils eine ausgesprochene Aehnlichkeit unter einander, und sogar die vergleichungsweise minder ähnlichen laufen doch nicht weit auseinander. Wenn also der Correspondent bei seiner Untersuchung der Sprachformation nur der von der größten geschlossenen Volksmasse angenommenen Schriftsprache den Stempel der Nationalität zuerkennt, und im Uebrigen die Gränzen dieses Verbands ohne Rücksicht auf die sprachlichen, ja auch auf die historischen Verschiedenheiten der einzelner Theile da festsetzt, wo die Aehnlichkeit der Mundart überhaupt aufhört, so sehen wir keinen Grund, warum er in diese Gränzen bloß die Böhmen, die (nordwestlichen) Ungarn und Mähren einschließt, sondern müssen in strenger Folgerichtigkeit seiner eigenen Grundsätze weiter schließen, daß er die intellectuelle Verbindung aller Westslaven durch die Annahme einer gemeinsamen Schriftsprache nicht nur für möglich, sondern auch zur Erhöhung ihrer Aufklärung unerläßlich erachtet. „Wenn auf diese Weise die Idee einer neuen Gestaltung des Slaventhums, im Gegensatz gegen die in Praxi bisher unter den Slaven allgemeine Ansicht, zum erstenmal so offen auftritt, ist es vielleicht nicht unzweckmäßig, einige Gedanken hinzuwerfen, die zum leichteren Verständniß dieser streitenden Tendenzen dienen können. Um den Standpunkt zu zeigen, von dem wir den vorliegenden Gegenstand auffassen, müssen wir voraus bemerken, daß wir unter Nation einen solchen Theil des Menschengeschlechts verstehen, der durch seine Anzahl zur selbstständigen Erreichung aller Zwecke des gemeinsamen Lebens befähigt, und durch eine geschriebene Sprache, durch die gleiche Richtung der Ideen und namentlich durch die Aehnlichkeit der Sitten und Gewohnheiten verbunden ist. Für gleichgültig halten wir, ob die Verschmelzung Einer Nation eine Wirkung der gleichartigen Abstammung, des politischen oder intellectuellen Lebens ist. Zu den Hauptzwecken des gemeinsamen Verbands gehört die Vertheidigung gegen Fremde und die Ausbildung im Innern. Nach dieser Ansicht verdienen die da und dort aus einander gerissenen Stämme und vereinzelte, von der Gesammtheit der Nation abgelösten Districte, die wegen ihrer geringen Menschenzahl augenscheinlich nicht im Stande sind, sich selbstständig zu vertheidigen und die Aufklärung zu fördern, nicht den Namen einer Nation. Sind denn nationelle Sprache, Sitten und Gewohnheiten, von ihrem innern Werthe abgesehen, nur dazu da, daß sie eben nationell sind und in uns einen hohen Stolz erwecken? Was macht sie denn so heilig? Gewiß nicht das, daß sie die unsrigen, daß sie alt sind, oder daß die Menge der Individuen, die sie theilt, ihnen die Unsterblichkeit sichert, sondern vielmehr die Idee, daß die dadurch bewirkte stumme Verbrüderung, indem sie die physischen Kräfte von Millionen durch das Gemeingefühl vereinigt, die Menschenrechte nicht verletzen oder wenigstens das Unrecht nicht verewigen läßt, und eben dadurch die Nationalität zur wirksamsten Wehre gegen ewige Unterdrückung macht, weil sie, die intellectuellen Kräfte durch die Gemeinsamkeit der Sprache vereinend, diese zur wirksamen Grundlage der Bildung macht. Darum rathen wir, trotz alles Werths, den wir auf die Nationalität legen, solchen zertheilten Völkern, daß sie ihre Provincial- und Stammverschiedenheiten fahren lassen, und durch gegenseitige Vereinigung mit diesem oder jenem Volke, welches ihrer Nationalität am nächsten steht, sich zur Größe einer Nation aufschwingen. Denn zu was hilft das Pflegen einer besondern Stammeseigenthümlichkeit, wenn man durch seine Zertheiltheit verurtheilt ist, für alle Zukunft bei fremden Nationen Schutz zu suchen? Zu was dient die Ausbildung einer besondern Sprache, wenn man nichtsdestoweniger stets genöthigt ist, zu seiner fortschreitenden Bildung fremde Sprachen zu erlernen? Besser ist es gewiß, durch Verschmelzung mit einem andern Volke sich für immer die Möglichkeit des Schutzes und der Fortbildung zu sichern, als durch Beharren auf seiner speciellen Eigenthümlichkeit die ganze Nachkommenschaft auf ewig zum Spielball des politischen Ehrgeizes der Nachbarn zu machen, und eine Generation nach der andern zur Erlernung fremder Sprachen zu nöthigen. Zu welchem Zweck sollten übrigens solche zertheilte Stämme ihre Absonderung hegen und pflegen? etwa damit neben ihrer Kleinheit die Größe anderer Nationen um so erhabener sich ausnehme? Wir müssen indeß hier voraussenden, daß wir bei der Hinweisung auf die Ursachen einer Vereinigung der Stämme unter sich oder mit andern Völkern nur ihren freien Entschluß im Auge haben, denn wir erkennen keiner menschlichen Gewalt das Recht oder auch nur die Kraft zu, gegen den Willen eines Volks die Kennzeichen seiner Stammeseigenthümlichkeit zu vernichten. Ein Beweis hievon ist das jüdische Volk. Aber, wirft man ein, die Nationalität ist eine heilige Sache, wir müssen sie in der Gestalt erhalten, in welcher sie sich äußert, ohne Rücksicht auf die größere oder geringere Volkszahl, denn wer wollte bestimmen, welche Anzahl eigentlich nöthig ist, um ein Volk zu bilden? Wenn wir überhaupt keinen Anstand nehmen, alle Dinge unsern Bedürfnissen anzupassen, so sehen wir keinen Grund, weßhalb die Nationalität allein eine Ausnahme bilden soll, denn nichts halten wir für so heilig, daß es nicht frei stünde, es zu den vernünftigen Zwecken des Menschen zu benützen. Allerdings kann man im Allgemeinen nicht wohl die Menschenzahl angeben,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 142. Augsburg, 21. Mai 1840, S. 1131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_142_18400521/11>, abgerufen am 27.04.2024.