Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840.alle Corporationen wählen, da sie doch nach der neuen Verfassung werden wählen müssen) Stüve sehr zu beachten seyn, namentlich für den Finanzpunkt. Nun hat man es versucht, eine Criminaluntersuchung gegen ihn anhängig zu machen, wie dieß bereits gegen andere Männer der staatsgrundgesetzlichen Meinung geschehen. Stüve soll im Frühjahr 1839 Einiges über die Lage der hannover'schen Angelegenheit am Bundestage, so wie die angebliche Weigerung des Erblandmarschalls Grafen Münster zur Beeidigung der Minoritätsdeputirten geäußert haben. Diese Aeußerungen wurden geeigneten Orts hinterbracht. Ueber diese Aeußerungen ward jetzt eine Criminaluntersuchung gegen Stüve anhängig zu machen befohlen, zunächst der Justizkanzlei zu Osnabrück. Diese erklärte, es sey kein Grund zur Criminaluntersuchung. Ein erneuerter Befehl vermochte nicht jenes Gericht zu überzeugen; jetzt hat man die Sache der Justizkanzlei zu Hannover übertragen, allein diese hat erklärt, sie sey nicht das competente Gericht, und scheine kein Grund zu einer Criminaluntersuchung vorhanden. Ob man es noch mit den übrigen Justizkanzleien versuchen wird, steht dahin. Preußen. Berlin, 17 Mai. Der König, noch immer sehr leidend, ist durch das Ableben des Ministers v. Altenstein ungemein erschüttert worden. Da auch der erste königliche Leibarzt, ebenfalls ein alter bewährter Diener des Monarchen, geheimer Obermedicinalrath Dr. Wiebel, seit kurzem erkrankt ist, so hat der geheime Medicinalrath Professor Schönlein die ärztliche Behandlung Sr. Maj. übernommen, und wenn auch das Unwohlseyn des Königs glücklicherweise nicht ernster Art ist, so spricht sich doch im Publicum, das jetzt den ehrwürdigen Monarchen weniger sieht als sonst, und hin und wieder hört, daß sich Se. Maj. auch von der Umgebung des Hofes etwas zurückgezogen hat, große Theilnahme und anhängliche Besorgniß aus. Das bevorstehende Frühjahrsmanöver des Gardecorps wird darum wohl auch weniger belebt und nicht so von fremden hohen Gästen besucht seyn als sonst, und selbst der Aufenthalt der Kaiserin von Rußland, die am 2 Junius erwartet und eine Woche hier verlen wird, dürfte dießmal kaum von außerordentlichen Festlichkeiten begleitet seyn. Von der polnischen Gränze, 13 Mai. Seit einigen Tagen hatte sich hier ein Gerücht verbreitet, das auch vielleicht seinen Weg in manche öffentliche Blätter finden wird, das aber nichtsdestoweniger sich als ganz grundlos ausgewiesen hat. Es war nämlich die Rede von einer neuen Conspiration in Warschau, der man durch das Auffliegen eines Theils der Festung Modlin (Neu-Georgiewsk) auf die Spur gekommen sey. An der ganzen Geschichte ist jedoch nichts weiter wahr, als daß in einer Caserne der genannten Festung, und zwar in dem Brennholz-Bewahrlocal, plötzlich ein heftiges Feuer ausgebrochen war, das jedoch bei den schnell angewandten und zweckmäßig geleiteten Löschanstalten nicht weiter um sich greifen konnte, und nach Verlauf weniger Stunden gänzlich erstickt war. Wie alle Begebnisse, die sich auf polnischem Boden zutragen, so wird auch dieses Elementar-Ereigniß von einer gewissen reactionären Partei schnell zu tadelswerthen Zwecken ausgebeutet; indessen offenbart sich in solchem Treiben wenig Klugheit und die unverhüllbaren Tendenzen werden immer verfehlt. - Die Klagen über die Gränzsperre dauern ununterbrochen fort, und die Lage der Bewohner des Gränzstrichs wird in der That täglich beklagenswerther; nur die Juden befinden sich leidlich wohl dabei, indem ihre ziemlich laxe Handelsmoral ihnen die Bereicherung mittelst des depravirenden Schmuggelhandels keineswegs als etwas Unerlaubtes erscheinen läßt. Ob Rücksichten der höhern Politik, wie unlängst in öffentlichen Blättern bemerkt wurde, die preußische Regierung abhalten, mit voller Energie gegen das russische Sonder- und Sperrsystem aufzutreten, vermögen wir nicht zu entscheiden; jedenfalls ist das angedeutete Mittel, um die üblen Folgen dieses Systems zu neutralisiren, nämlich möglichste Belebung der Industrie und des Binnenhandels, für unsere Gränzkreise fast ganz erfolglos. Commercialstraßen haben wir seit der Sperre Polens nicht, und alles, was unsere Regierung für uns thun kann, besteht für den Augenblick in der Herstellung guter Communicationswege, damit wir unser Holz - welches jedoch so abnimmt, daß es binnen kurzem aufhören wird ein Ausfuhrartikel zu seyn - und unser Getreide mit möglichst geringen Kosten zu den nächstgelegenen Emporien schaffen können. Eine Fabrik-Industrie, im heutigen Sinne des Worts, haben wir nicht und an eine Belebung der im Ganzen unbedeutenden Tuchfabrication ist nicht zu denken, da uns der Absatz nach Osten fehlt, und wir mit dem Westen unmöglich in Concurrenz treten können. Vielleicht ist es sogar ein Glück für uns, daß das hiesige Fabrikwesen noch so geringen Umfang hat; jetzt können doch nur ein Paar Duzend Tuchmacher verarmen, welches Schicksal bei größerer Industrie alle Manufacturisten getroffen haben würde. Die Frage, ob Rußland klug handle, alle Sympathien im preußischen Volke gänzlich zu ersticken, dürfte sich unbedenklich verneinen lassen, indem Rußland dieser Sympathien noch für lange Zeit bedarf, da weder die utopischen Ideen einer slavischen Universalmonarchie, noch das Gräcisirungssystem Rußland zu einer unerschütterlichen Popularität in den Westprovinzen schnell verhelfen werden. Indessen scheint das Petersburger Cabinet darauf zu bauen, daß die noch immer nicht ausbleibenden, offenkundigen Extravaganzen im constitutionellen Europa, insbesondere in Frankreich, die compacte Einheit der sogenannten nordischen Staaten zu einer unabweislichen Thatsache machen, und alle anderweitigen Rücksichten dem unterordnen. Vor der Hand mag diese Ansicht richtig seyn, doch die Zeit, die schon so manche Illusion zerstört hat, kann auch diese vernichten. - In Warschau werden bereits großartige Vorbereitungen zum Empfang des Herrscherpaars getroffen, dessen Aufenthalt daselbst jedoch nicht von langer Dauer seyn dürfte. Von Warschau bis zur Gränze sind auf jeder Station 70 Pferde für die Kaiserin bestellt. - Aus Odessa erfährt man, daß die Einschiffung von Truppen in den Häfen des schwarzen Meeres wirklich begonnen hat. Ueber ihre Bestimmung weiß man noch immer nichts Zuverlässiges, denn für den Kaukasus ist die Zahl zu groß. Serbien. Von der türkischen Gränze, 7 Mai. Nachträglich erfahre ich, daß auch der vom Volke schwer beschuldigte Vicepräsident des Senats, Stojan Simitsch, sich unter den Schutz der Türken begeben, und ebenfalls in der Festung ein Asyl gefunden hat. Er soll gleich Wucsitsch und Petroniewitsch resignirt haben. Man behauptet, er habe schon früher seine Entlassung angeboten, diese sey jedoch nicht angenommen worden, bevor er über gewisse Punkte Rechenschaft abgelegt habe. Es ist Thatsache, daß er - obwohl angeblich als Anlehen - doch unter sehr verdächtigenden Umständen der Nationalcasse den Betrag von 50,000 Stück Ducaten entnommen hat, was um so leichter zu bewerkstelligen war, als sein Bruder, Alexa Simitsch, das Portefeuille der Finanzen bekleidet, und auch die andern Personen, die sich nach Miloschs Sturz an die Spitze der Verwaltung gedrängt hatten, sich aus der Nationalcasse auf das großmüthigste bedacht haben sollen. So soll z. B. das frühere Regentschaftsmitglied, zuletzt alle Corporationen wählen, da sie doch nach der neuen Verfassung werden wählen müssen) Stüve sehr zu beachten seyn, namentlich für den Finanzpunkt. Nun hat man es versucht, eine Criminaluntersuchung gegen ihn anhängig zu machen, wie dieß bereits gegen andere Männer der staatsgrundgesetzlichen Meinung geschehen. Stüve soll im Frühjahr 1839 Einiges über die Lage der hannover'schen Angelegenheit am Bundestage, so wie die angebliche Weigerung des Erblandmarschalls Grafen Münster zur Beeidigung der Minoritätsdeputirten geäußert haben. Diese Aeußerungen wurden geeigneten Orts hinterbracht. Ueber diese Aeußerungen ward jetzt eine Criminaluntersuchung gegen Stüve anhängig zu machen befohlen, zunächst der Justizkanzlei zu Osnabrück. Diese erklärte, es sey kein Grund zur Criminaluntersuchung. Ein erneuerter Befehl vermochte nicht jenes Gericht zu überzeugen; jetzt hat man die Sache der Justizkanzlei zu Hannover übertragen, allein diese hat erklärt, sie sey nicht das competente Gericht, und scheine kein Grund zu einer Criminaluntersuchung vorhanden. Ob man es noch mit den übrigen Justizkanzleien versuchen wird, steht dahin. Preußen. Berlin, 17 Mai. Der König, noch immer sehr leidend, ist durch das Ableben des Ministers v. Altenstein ungemein erschüttert worden. Da auch der erste königliche Leibarzt, ebenfalls ein alter bewährter Diener des Monarchen, geheimer Obermedicinalrath Dr. Wiebel, seit kurzem erkrankt ist, so hat der geheime Medicinalrath Professor Schönlein die ärztliche Behandlung Sr. Maj. übernommen, und wenn auch das Unwohlseyn des Königs glücklicherweise nicht ernster Art ist, so spricht sich doch im Publicum, das jetzt den ehrwürdigen Monarchen weniger sieht als sonst, und hin und wieder hört, daß sich Se. Maj. auch von der Umgebung des Hofes etwas zurückgezogen hat, große Theilnahme und anhängliche Besorgniß aus. Das bevorstehende Frühjahrsmanöver des Gardecorps wird darum wohl auch weniger belebt und nicht so von fremden hohen Gästen besucht seyn als sonst, und selbst der Aufenthalt der Kaiserin von Rußland, die am 2 Junius erwartet und eine Woche hier verlen wird, dürfte dießmal kaum von außerordentlichen Festlichkeiten begleitet seyn. Von der polnischen Gränze, 13 Mai. Seit einigen Tagen hatte sich hier ein Gerücht verbreitet, das auch vielleicht seinen Weg in manche öffentliche Blätter finden wird, das aber nichtsdestoweniger sich als ganz grundlos ausgewiesen hat. Es war nämlich die Rede von einer neuen Conspiration in Warschau, der man durch das Auffliegen eines Theils der Festung Modlin (Neu-Georgiewsk) auf die Spur gekommen sey. An der ganzen Geschichte ist jedoch nichts weiter wahr, als daß in einer Caserne der genannten Festung, und zwar in dem Brennholz-Bewahrlocal, plötzlich ein heftiges Feuer ausgebrochen war, das jedoch bei den schnell angewandten und zweckmäßig geleiteten Löschanstalten nicht weiter um sich greifen konnte, und nach Verlauf weniger Stunden gänzlich erstickt war. Wie alle Begebnisse, die sich auf polnischem Boden zutragen, so wird auch dieses Elementar-Ereigniß von einer gewissen reactionären Partei schnell zu tadelswerthen Zwecken ausgebeutet; indessen offenbart sich in solchem Treiben wenig Klugheit und die unverhüllbaren Tendenzen werden immer verfehlt. – Die Klagen über die Gränzsperre dauern ununterbrochen fort, und die Lage der Bewohner des Gränzstrichs wird in der That täglich beklagenswerther; nur die Juden befinden sich leidlich wohl dabei, indem ihre ziemlich laxe Handelsmoral ihnen die Bereicherung mittelst des depravirenden Schmuggelhandels keineswegs als etwas Unerlaubtes erscheinen läßt. Ob Rücksichten der höhern Politik, wie unlängst in öffentlichen Blättern bemerkt wurde, die preußische Regierung abhalten, mit voller Energie gegen das russische Sonder- und Sperrsystem aufzutreten, vermögen wir nicht zu entscheiden; jedenfalls ist das angedeutete Mittel, um die üblen Folgen dieses Systems zu neutralisiren, nämlich möglichste Belebung der Industrie und des Binnenhandels, für unsere Gränzkreise fast ganz erfolglos. Commercialstraßen haben wir seit der Sperre Polens nicht, und alles, was unsere Regierung für uns thun kann, besteht für den Augenblick in der Herstellung guter Communicationswege, damit wir unser Holz – welches jedoch so abnimmt, daß es binnen kurzem aufhören wird ein Ausfuhrartikel zu seyn – und unser Getreide mit möglichst geringen Kosten zu den nächstgelegenen Emporien schaffen können. Eine Fabrik-Industrie, im heutigen Sinne des Worts, haben wir nicht und an eine Belebung der im Ganzen unbedeutenden Tuchfabrication ist nicht zu denken, da uns der Absatz nach Osten fehlt, und wir mit dem Westen unmöglich in Concurrenz treten können. Vielleicht ist es sogar ein Glück für uns, daß das hiesige Fabrikwesen noch so geringen Umfang hat; jetzt können doch nur ein Paar Duzend Tuchmacher verarmen, welches Schicksal bei größerer Industrie alle Manufacturisten getroffen haben würde. Die Frage, ob Rußland klug handle, alle Sympathien im preußischen Volke gänzlich zu ersticken, dürfte sich unbedenklich verneinen lassen, indem Rußland dieser Sympathien noch für lange Zeit bedarf, da weder die utopischen Ideen einer slavischen Universalmonarchie, noch das Gräcisirungssystem Rußland zu einer unerschütterlichen Popularität in den Westprovinzen schnell verhelfen werden. Indessen scheint das Petersburger Cabinet darauf zu bauen, daß die noch immer nicht ausbleibenden, offenkundigen Extravaganzen im constitutionellen Europa, insbesondere in Frankreich, die compacte Einheit der sogenannten nordischen Staaten zu einer unabweislichen Thatsache machen, und alle anderweitigen Rücksichten dem unterordnen. Vor der Hand mag diese Ansicht richtig seyn, doch die Zeit, die schon so manche Illusion zerstört hat, kann auch diese vernichten. – In Warschau werden bereits großartige Vorbereitungen zum Empfang des Herrscherpaars getroffen, dessen Aufenthalt daselbst jedoch nicht von langer Dauer seyn dürfte. Von Warschau bis zur Gränze sind auf jeder Station 70 Pferde für die Kaiserin bestellt. – Aus Odessa erfährt man, daß die Einschiffung von Truppen in den Häfen des schwarzen Meeres wirklich begonnen hat. Ueber ihre Bestimmung weiß man noch immer nichts Zuverlässiges, denn für den Kaukasus ist die Zahl zu groß. Serbien. Von der türkischen Gränze, 7 Mai. Nachträglich erfahre ich, daß auch der vom Volke schwer beschuldigte Vicepräsident des Senats, Stojan Simitsch, sich unter den Schutz der Türken begeben, und ebenfalls in der Festung ein Asyl gefunden hat. Er soll gleich Wucsitsch und Petroniewitsch resignirt haben. Man behauptet, er habe schon früher seine Entlassung angeboten, diese sey jedoch nicht angenommen worden, bevor er über gewisse Punkte Rechenschaft abgelegt habe. Es ist Thatsache, daß er – obwohl angeblich als Anlehen – doch unter sehr verdächtigenden Umständen der Nationalcasse den Betrag von 50,000 Stück Ducaten entnommen hat, was um so leichter zu bewerkstelligen war, als sein Bruder, Alexa Simitsch, das Portefeuille der Finanzen bekleidet, und auch die andern Personen, die sich nach Miloschs Sturz an die Spitze der Verwaltung gedrängt hatten, sich aus der Nationalcasse auf das großmüthigste bedacht haben sollen. So soll z. B. das frühere Regentschaftsmitglied, zuletzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0007" n="1143"/> alle Corporationen wählen, da sie doch nach der neuen Verfassung werden wählen müssen) Stüve sehr zu beachten seyn, namentlich für den Finanzpunkt. Nun hat man es versucht, eine Criminaluntersuchung gegen ihn anhängig zu machen, wie dieß bereits gegen andere Männer der staatsgrundgesetzlichen Meinung geschehen. Stüve soll im Frühjahr 1839 Einiges über die Lage der hannover'schen Angelegenheit am Bundestage, so wie die angebliche Weigerung des Erblandmarschalls Grafen Münster zur Beeidigung der Minoritätsdeputirten geäußert haben. Diese Aeußerungen wurden geeigneten Orts hinterbracht. Ueber diese Aeußerungen ward jetzt eine Criminaluntersuchung gegen Stüve anhängig zu machen befohlen, zunächst der Justizkanzlei zu Osnabrück. Diese erklärte, es sey kein Grund zur Criminaluntersuchung. Ein erneuerter Befehl vermochte nicht jenes Gericht zu überzeugen; jetzt hat man die Sache der Justizkanzlei zu Hannover übertragen, allein diese hat erklärt, sie sey nicht das competente Gericht, und scheine kein Grund zu einer Criminaluntersuchung vorhanden. Ob man es noch mit den übrigen Justizkanzleien versuchen wird, steht dahin.</p><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Preußen.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 17 Mai.</dateline> <p> Der König, noch immer sehr leidend, ist durch das Ableben des Ministers v. Altenstein ungemein erschüttert worden. Da auch der erste königliche Leibarzt, ebenfalls ein alter bewährter Diener des Monarchen, geheimer Obermedicinalrath Dr. Wiebel, seit kurzem erkrankt ist, so hat der geheime Medicinalrath Professor Schönlein die ärztliche Behandlung Sr. Maj. übernommen, und wenn auch das Unwohlseyn des Königs glücklicherweise nicht ernster Art ist, so spricht sich doch im Publicum, das jetzt den ehrwürdigen Monarchen weniger sieht als sonst, und hin und wieder hört, daß sich Se. Maj. auch von der Umgebung des Hofes etwas zurückgezogen hat, große Theilnahme und anhängliche Besorgniß aus. Das bevorstehende Frühjahrsmanöver des Gardecorps wird darum wohl auch weniger belebt und nicht so von fremden hohen Gästen besucht seyn als sonst, und selbst der Aufenthalt der Kaiserin von Rußland, die am 2 Junius erwartet und eine Woche hier verlen wird, dürfte dießmal kaum von außerordentlichen Festlichkeiten begleitet seyn.</p> </div><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Von der polnischen Gränze,</hi> 13 Mai.</dateline> <p> Seit einigen Tagen hatte sich hier ein Gerücht verbreitet, das auch vielleicht seinen Weg in manche öffentliche Blätter finden wird, das aber nichtsdestoweniger sich als ganz grundlos ausgewiesen hat. Es war nämlich die Rede von einer neuen Conspiration in Warschau, der man durch das Auffliegen eines Theils der Festung Modlin (Neu-Georgiewsk) auf die Spur gekommen sey. An der ganzen Geschichte ist jedoch nichts weiter wahr, als daß in einer Caserne der genannten Festung, und zwar in dem Brennholz-Bewahrlocal, plötzlich ein heftiges Feuer ausgebrochen war, das jedoch bei den schnell angewandten und zweckmäßig geleiteten Löschanstalten nicht weiter um sich greifen konnte, und nach Verlauf weniger Stunden gänzlich erstickt war. Wie alle Begebnisse, die sich auf polnischem Boden zutragen, so wird auch dieses Elementar-Ereigniß von einer gewissen reactionären Partei schnell zu tadelswerthen Zwecken ausgebeutet; indessen offenbart sich in solchem Treiben wenig Klugheit und die unverhüllbaren Tendenzen werden immer verfehlt. – Die Klagen über die Gränzsperre dauern ununterbrochen fort, und die Lage der Bewohner des Gränzstrichs wird in der That täglich beklagenswerther; nur die Juden befinden sich leidlich wohl dabei, indem ihre ziemlich laxe Handelsmoral ihnen die Bereicherung mittelst des depravirenden Schmuggelhandels keineswegs als etwas Unerlaubtes erscheinen läßt. Ob Rücksichten der höhern Politik, wie unlängst in öffentlichen Blättern bemerkt wurde, die preußische Regierung abhalten, mit voller Energie gegen das russische Sonder- und Sperrsystem aufzutreten, vermögen wir nicht zu entscheiden; jedenfalls ist das angedeutete Mittel, um die üblen Folgen dieses Systems zu neutralisiren, nämlich möglichste Belebung der Industrie und des Binnenhandels, für unsere Gränzkreise fast ganz erfolglos. Commercialstraßen haben wir seit der Sperre Polens nicht, und alles, was unsere Regierung für uns thun kann, besteht für den Augenblick in der Herstellung guter Communicationswege, damit wir unser Holz – welches jedoch so abnimmt, daß es binnen kurzem aufhören wird ein Ausfuhrartikel zu seyn – und unser Getreide mit möglichst geringen Kosten zu den nächstgelegenen Emporien schaffen können. Eine Fabrik-Industrie, im heutigen Sinne des Worts, haben wir nicht und an eine Belebung der im Ganzen unbedeutenden Tuchfabrication ist nicht zu denken, da uns der Absatz nach Osten fehlt, und wir mit dem Westen unmöglich in Concurrenz treten können. Vielleicht ist es sogar ein Glück für uns, daß das hiesige Fabrikwesen noch so geringen Umfang hat; jetzt können doch nur ein Paar Duzend Tuchmacher verarmen, welches Schicksal bei größerer Industrie alle Manufacturisten getroffen haben würde. Die Frage, ob Rußland klug handle, alle Sympathien im preußischen Volke gänzlich zu ersticken, dürfte sich unbedenklich verneinen lassen, indem Rußland dieser Sympathien noch für lange Zeit bedarf, da weder die utopischen Ideen einer slavischen Universalmonarchie, noch das Gräcisirungssystem Rußland zu einer unerschütterlichen Popularität in den Westprovinzen schnell verhelfen werden. Indessen scheint das Petersburger Cabinet darauf zu bauen, daß die noch immer nicht ausbleibenden, offenkundigen Extravaganzen im constitutionellen Europa, insbesondere in Frankreich, die compacte Einheit der sogenannten nordischen Staaten zu einer unabweislichen Thatsache machen, und alle anderweitigen Rücksichten dem unterordnen. Vor der Hand mag diese Ansicht richtig seyn, doch die Zeit, die schon so manche Illusion zerstört hat, kann auch diese vernichten. – In Warschau werden bereits großartige Vorbereitungen zum Empfang des Herrscherpaars getroffen, dessen Aufenthalt daselbst jedoch nicht von langer Dauer seyn dürfte. Von Warschau bis zur Gränze sind auf jeder Station 70 Pferde für die Kaiserin bestellt. – Aus Odessa erfährt man, daß die Einschiffung von Truppen in den Häfen des schwarzen Meeres wirklich begonnen hat. Ueber ihre Bestimmung weiß man noch immer nichts Zuverlässiges, denn für den Kaukasus ist die Zahl zu groß.</p><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Serbien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Von der türkischen Gränze,</hi> 7 Mai.</dateline> <p> Nachträglich erfahre ich, daß auch der vom Volke schwer beschuldigte Vicepräsident des Senats, Stojan Simitsch, sich unter den Schutz der Türken begeben, und ebenfalls in der Festung ein Asyl gefunden hat. Er soll gleich Wucsitsch und Petroniewitsch resignirt haben. Man behauptet, er habe schon früher seine Entlassung angeboten, diese sey jedoch nicht angenommen worden, bevor er über gewisse Punkte Rechenschaft abgelegt habe. Es ist Thatsache, daß er – obwohl angeblich als Anlehen – doch unter sehr verdächtigenden Umständen der Nationalcasse den Betrag von 50,000 Stück Ducaten entnommen hat, was um so leichter zu bewerkstelligen war, als sein Bruder, Alexa Simitsch, das Portefeuille der Finanzen bekleidet, und auch die andern Personen, die sich nach Miloschs Sturz an die Spitze der Verwaltung gedrängt hatten, sich aus der Nationalcasse auf das großmüthigste bedacht haben sollen. So soll z. B. das frühere Regentschaftsmitglied, zuletzt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1143/0007]
alle Corporationen wählen, da sie doch nach der neuen Verfassung werden wählen müssen) Stüve sehr zu beachten seyn, namentlich für den Finanzpunkt. Nun hat man es versucht, eine Criminaluntersuchung gegen ihn anhängig zu machen, wie dieß bereits gegen andere Männer der staatsgrundgesetzlichen Meinung geschehen. Stüve soll im Frühjahr 1839 Einiges über die Lage der hannover'schen Angelegenheit am Bundestage, so wie die angebliche Weigerung des Erblandmarschalls Grafen Münster zur Beeidigung der Minoritätsdeputirten geäußert haben. Diese Aeußerungen wurden geeigneten Orts hinterbracht. Ueber diese Aeußerungen ward jetzt eine Criminaluntersuchung gegen Stüve anhängig zu machen befohlen, zunächst der Justizkanzlei zu Osnabrück. Diese erklärte, es sey kein Grund zur Criminaluntersuchung. Ein erneuerter Befehl vermochte nicht jenes Gericht zu überzeugen; jetzt hat man die Sache der Justizkanzlei zu Hannover übertragen, allein diese hat erklärt, sie sey nicht das competente Gericht, und scheine kein Grund zu einer Criminaluntersuchung vorhanden. Ob man es noch mit den übrigen Justizkanzleien versuchen wird, steht dahin.
Preußen.
_ Berlin, 17 Mai. Der König, noch immer sehr leidend, ist durch das Ableben des Ministers v. Altenstein ungemein erschüttert worden. Da auch der erste königliche Leibarzt, ebenfalls ein alter bewährter Diener des Monarchen, geheimer Obermedicinalrath Dr. Wiebel, seit kurzem erkrankt ist, so hat der geheime Medicinalrath Professor Schönlein die ärztliche Behandlung Sr. Maj. übernommen, und wenn auch das Unwohlseyn des Königs glücklicherweise nicht ernster Art ist, so spricht sich doch im Publicum, das jetzt den ehrwürdigen Monarchen weniger sieht als sonst, und hin und wieder hört, daß sich Se. Maj. auch von der Umgebung des Hofes etwas zurückgezogen hat, große Theilnahme und anhängliche Besorgniß aus. Das bevorstehende Frühjahrsmanöver des Gardecorps wird darum wohl auch weniger belebt und nicht so von fremden hohen Gästen besucht seyn als sonst, und selbst der Aufenthalt der Kaiserin von Rußland, die am 2 Junius erwartet und eine Woche hier verlen wird, dürfte dießmal kaum von außerordentlichen Festlichkeiten begleitet seyn.
_ Von der polnischen Gränze, 13 Mai. Seit einigen Tagen hatte sich hier ein Gerücht verbreitet, das auch vielleicht seinen Weg in manche öffentliche Blätter finden wird, das aber nichtsdestoweniger sich als ganz grundlos ausgewiesen hat. Es war nämlich die Rede von einer neuen Conspiration in Warschau, der man durch das Auffliegen eines Theils der Festung Modlin (Neu-Georgiewsk) auf die Spur gekommen sey. An der ganzen Geschichte ist jedoch nichts weiter wahr, als daß in einer Caserne der genannten Festung, und zwar in dem Brennholz-Bewahrlocal, plötzlich ein heftiges Feuer ausgebrochen war, das jedoch bei den schnell angewandten und zweckmäßig geleiteten Löschanstalten nicht weiter um sich greifen konnte, und nach Verlauf weniger Stunden gänzlich erstickt war. Wie alle Begebnisse, die sich auf polnischem Boden zutragen, so wird auch dieses Elementar-Ereigniß von einer gewissen reactionären Partei schnell zu tadelswerthen Zwecken ausgebeutet; indessen offenbart sich in solchem Treiben wenig Klugheit und die unverhüllbaren Tendenzen werden immer verfehlt. – Die Klagen über die Gränzsperre dauern ununterbrochen fort, und die Lage der Bewohner des Gränzstrichs wird in der That täglich beklagenswerther; nur die Juden befinden sich leidlich wohl dabei, indem ihre ziemlich laxe Handelsmoral ihnen die Bereicherung mittelst des depravirenden Schmuggelhandels keineswegs als etwas Unerlaubtes erscheinen läßt. Ob Rücksichten der höhern Politik, wie unlängst in öffentlichen Blättern bemerkt wurde, die preußische Regierung abhalten, mit voller Energie gegen das russische Sonder- und Sperrsystem aufzutreten, vermögen wir nicht zu entscheiden; jedenfalls ist das angedeutete Mittel, um die üblen Folgen dieses Systems zu neutralisiren, nämlich möglichste Belebung der Industrie und des Binnenhandels, für unsere Gränzkreise fast ganz erfolglos. Commercialstraßen haben wir seit der Sperre Polens nicht, und alles, was unsere Regierung für uns thun kann, besteht für den Augenblick in der Herstellung guter Communicationswege, damit wir unser Holz – welches jedoch so abnimmt, daß es binnen kurzem aufhören wird ein Ausfuhrartikel zu seyn – und unser Getreide mit möglichst geringen Kosten zu den nächstgelegenen Emporien schaffen können. Eine Fabrik-Industrie, im heutigen Sinne des Worts, haben wir nicht und an eine Belebung der im Ganzen unbedeutenden Tuchfabrication ist nicht zu denken, da uns der Absatz nach Osten fehlt, und wir mit dem Westen unmöglich in Concurrenz treten können. Vielleicht ist es sogar ein Glück für uns, daß das hiesige Fabrikwesen noch so geringen Umfang hat; jetzt können doch nur ein Paar Duzend Tuchmacher verarmen, welches Schicksal bei größerer Industrie alle Manufacturisten getroffen haben würde. Die Frage, ob Rußland klug handle, alle Sympathien im preußischen Volke gänzlich zu ersticken, dürfte sich unbedenklich verneinen lassen, indem Rußland dieser Sympathien noch für lange Zeit bedarf, da weder die utopischen Ideen einer slavischen Universalmonarchie, noch das Gräcisirungssystem Rußland zu einer unerschütterlichen Popularität in den Westprovinzen schnell verhelfen werden. Indessen scheint das Petersburger Cabinet darauf zu bauen, daß die noch immer nicht ausbleibenden, offenkundigen Extravaganzen im constitutionellen Europa, insbesondere in Frankreich, die compacte Einheit der sogenannten nordischen Staaten zu einer unabweislichen Thatsache machen, und alle anderweitigen Rücksichten dem unterordnen. Vor der Hand mag diese Ansicht richtig seyn, doch die Zeit, die schon so manche Illusion zerstört hat, kann auch diese vernichten. – In Warschau werden bereits großartige Vorbereitungen zum Empfang des Herrscherpaars getroffen, dessen Aufenthalt daselbst jedoch nicht von langer Dauer seyn dürfte. Von Warschau bis zur Gränze sind auf jeder Station 70 Pferde für die Kaiserin bestellt. – Aus Odessa erfährt man, daß die Einschiffung von Truppen in den Häfen des schwarzen Meeres wirklich begonnen hat. Ueber ihre Bestimmung weiß man noch immer nichts Zuverlässiges, denn für den Kaukasus ist die Zahl zu groß.
Serbien.
_ Von der türkischen Gränze, 7 Mai. Nachträglich erfahre ich, daß auch der vom Volke schwer beschuldigte Vicepräsident des Senats, Stojan Simitsch, sich unter den Schutz der Türken begeben, und ebenfalls in der Festung ein Asyl gefunden hat. Er soll gleich Wucsitsch und Petroniewitsch resignirt haben. Man behauptet, er habe schon früher seine Entlassung angeboten, diese sey jedoch nicht angenommen worden, bevor er über gewisse Punkte Rechenschaft abgelegt habe. Es ist Thatsache, daß er – obwohl angeblich als Anlehen – doch unter sehr verdächtigenden Umständen der Nationalcasse den Betrag von 50,000 Stück Ducaten entnommen hat, was um so leichter zu bewerkstelligen war, als sein Bruder, Alexa Simitsch, das Portefeuille der Finanzen bekleidet, und auch die andern Personen, die sich nach Miloschs Sturz an die Spitze der Verwaltung gedrängt hatten, sich aus der Nationalcasse auf das großmüthigste bedacht haben sollen. So soll z. B. das frühere Regentschaftsmitglied, zuletzt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |