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Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840.

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Neumanns Rußland und die Tscherkessen.

Wer über Jerusalem, Rußland und Cirkassien schreibt, braucht sich in unsern Tagen, besonders in Deutschland, kaum mehr zu entschuldigen. Man mag über diese Dinge sagen was und wie viel man will, Nachsicht, Dank und Sympathie der Leser sind für jede nur irgend genießbare Mittheilung vorausgesichert, wäre sie auch nicht so bündig und belehrend, wie die vorgenannte Schrift.

Hr. Neumann, ohne Zweifel vom Standpunkt strenger Wissenschaft und tüchtiger Schulgelahrtheit ausgehend, ist in diesem Punkte freilich etwas weniger duldsam und verwirft in Behandlung historischer Gegenstände, besonders in Länder- und Völkerkunde, alle Weitwendigkeit; er betrachtet vielmehr Monographien, wie die vorliegende, worin von Zeit zu Zeit der überall zerstreute Stoff gesammelt und kritisch gesichtet wird, als vorzügliches Bedürfniß und Verdienst unserer Zeit.

"Publicum und Wissenschaft," fügt er nicht ohne beißende Nebenbeziehung bei, "würden dadurch mehr gewinnen, als durch bändereiche Reiseberichte, nach der neuesten Weise, worin die Verfasser nicht selten, anstatt der Länder, die sie durchzogen, sich selbst beschreiben; worin sie, an die Stelle der politischen und religiösen Einrichtungen, der Gesetze und Sitten fremder Völker, ihre eigenen frommen Gefühle und patriotischen Ansichten, ihre witzigen Einfälle und geistreichen Plaudereien dem getäuschten Leser zum Besten geben."

Daß eine Monographie Cirkassiens Schuberts zwar vortrefflicher, aber schwärmerischer und stets mit dem "Einen" liebäugelnder Pilgerfahrt nach Bethlehem ebensowenig als dem aristokratischen Wanderbuche Semilasso's gleichen dürfe, gibt man gerne zu; und daß sich Hr. Neumann in seiner Abhandlung aller frommen Gefühle und witzigen Einfälle zu enthalten verspreche, will man auch nicht tadeln. Wissen möchte man aber, wie eine fruchtbare Monographie über diesen Gegenstand überhaupt möglich sey.

Die kaukasischen Bergvölker haben ja, nach dem eigenen Geständniß des Verfassers, gar keine Geschichte, und die dritthalbtausend Jahre ihres historischen Daseyns sind, was inneres Staats- und Familienleben betrifft, so viel als vergessen. Waffen haben sie, schöne Körper und ungebändigten Freiheitssinn; das ist Alles, was man weiß.

Cirkassien ist ein Land ohne Hauptstadt und ohne Hof, ohne Buch und Gelehrtenstand, ohne Luxus und Schlüpfrigkeit, ohne Kunst und Mode; selbst Bau, Lage und Volkszahl sind in der Hauptsache unbekannt. Welchen Stoff bietet es nun zu einer 152 Seiten langen, elegant gedruckten Diatribe? Hat der Verfasser vielleicht das Land selbst besucht, oder wenigstens mit einem Fernrohr vom Verdeck eines Dampfschiffes, oder von Ghelendschiks Mauerwällen in die Bergtriften und Buxbaumwälder der Tscherkessen hinaufgesehen und dann, wie Marigny, three Voyages to the Coast of Circassia geschrieben? Auch dieses ist nicht der Fall.

Hr. Neumann hat alles, was von den ältesten Zeiten her in Europa und Asien bis auf den heutigen Tag über das Tscherkessenvolk aufgezeichnet wurde, mit Sorgfalt gesammelt, mit Schärfe geläutert und nicht ohne merkbares Talent in eine handsame Form gebracht.

Preiswürdig wäre eine solche Arbeit zu jeder Zeit, in vorzüglichem Maaße ein Gewinn ist sie aber gerade zu dieser Frist, wo man aus Patriotismus und Liebe zu nationeller Ungebundenheit, aus Neid und Eifersucht von allen Seiten Damm und Riegel gegen die schwellende Macht der Moskowiten sucht.

Der kaukasische Bergwall, und das schöne, tapfere Volk von Cirkassien ist in Jedermanns Sinn. Wie Viele gibt es aber, selbst unter Diplomaten, Publicisten und Scribenten aller Art, die breit und lang über den cirkassischen Krieg, über die Streitkräfte der Bergvölker, über Rajewsky und Sudschuk-Kaleh debattiren, ohne zu wissen was und wo der Kaukasus, und was für Leute die Tscherkessen sind! Mit Neumanns Büchlein und einer guten Karte in der Hand werden wir nicht ein zweitesmal in dieselben Irrthümer, wie einst beim griechischen Freiheitskampf, verfallen.

Handel, Krieg und Neugierde liefern, wie in den meisten Untersuchungen ähnlicher Gattung, auch in dieser die vorzüglichsten Erkenntnißquellen. Die Italiener aus dem Mittelalter, besonders Barbaro und Interiano, neben Britten und Russen der neuesten Zeit, mußten vor andern ausgebeutet werden. Ueberhaupt ist für die Kunde der Länder am schwarzen Meer und des byzantinischen Reichs während der drei letzten Jahrhunderte des Mittelalters, Italien eine reiche, aber viel zu wenig gekannte und benützte Fundgrube. Neben den Archiven in Venedig, Genua, Neapel und Turin liegen in Privatsammlungen altpatricischer Häuser, oft in Städten zweiter Ordnung, ungeahnte Schätze verborgen.

Daß hier nicht von einem gerundeten, und wie aus Einem Guß dramatisch in einander geschmolzenen historischen Kunstwerk, mit Einleitung, Verwickelung und Katastrophe die Rede sey, versteht sich von selbst. Die Natur des Gegenstandes und das jämmerliche Flickwerk unserer und aller Zeiten Kunde vom Kaukasus müssen gleich vornweg Ansprüche und Erwartungen des Lesers ermäßigen.

Zwischen der Palus Mäotis und der Kaspi-See liegt eine verschlossene Urwelt, ein Alpenstock, hoch und breit, und bedeckt mit geheimnißvollem Dunkel; die Heimath der schönsten und kräftigsten Menschenfiguren, der wilden Freiheit, des Weinstocks und der üppigsten Fülle der Natur. Unberührt vom Strudel der Begebenheiten, hat der Kaukasus in seinem Schooße sämmtliche Urbilder der indogermanischen Race, ihrer Sprachen und Regierungsformen, gleichsam als Reservmagazin hinter elfenbeinernen Thoren aufbewahrt. Und besäße irgend ein Mensch, oder irgend ein Volk die Zauberruthe, dieses Chaos aufzuregen und alle, seit Anfang der Dinge, in den Bergschluchten gefesselten Kräfte loszubinden und sich dienstbar zu machen, so müßte eine neue Zeit beginnen, und könnte vielleicht zum erstenmal wahrhaft von allgemeiner Herrschaft die Rede seyn.

Den Cäsarn, den Groß-Chanen Dschingis und Timur war der Gedanke freilich zu kühn. Aber die Russen, die sich Alles unterwinden, und an Klugheit und Ehrgeiz die Eroberer aller Zeiten übertreffen, halten den Versuch keineswegs über ihre Kraft. Und wie alle beglaubigte Weltgeschichte mit der großen Wasserkatastrophe, so müßte auch, wenn es gelänge, das geschichtliche Leben der Kaukasier mit der Springfluth moskowitischer Eroberung beginnen. Daher das Gebrochene, Nebelige und gleichsam Antediluvianische der vorliegenden Schrift. Kann man diese Arbeit auch mit keinem Vorgänger vergleichen, weil sie in dieser Anlage wirklich der erste Versuch im Fache ist, so zeigt sie doch besser als hundert andere, was

Neumanns Rußland und die Tscherkessen.

Wer über Jerusalem, Rußland und Cirkassien schreibt, braucht sich in unsern Tagen, besonders in Deutschland, kaum mehr zu entschuldigen. Man mag über diese Dinge sagen was und wie viel man will, Nachsicht, Dank und Sympathie der Leser sind für jede nur irgend genießbare Mittheilung vorausgesichert, wäre sie auch nicht so bündig und belehrend, wie die vorgenannte Schrift.

Hr. Neumann, ohne Zweifel vom Standpunkt strenger Wissenschaft und tüchtiger Schulgelahrtheit ausgehend, ist in diesem Punkte freilich etwas weniger duldsam und verwirft in Behandlung historischer Gegenstände, besonders in Länder- und Völkerkunde, alle Weitwendigkeit; er betrachtet vielmehr Monographien, wie die vorliegende, worin von Zeit zu Zeit der überall zerstreute Stoff gesammelt und kritisch gesichtet wird, als vorzügliches Bedürfniß und Verdienst unserer Zeit.

„Publicum und Wissenschaft,“ fügt er nicht ohne beißende Nebenbeziehung bei, „würden dadurch mehr gewinnen, als durch bändereiche Reiseberichte, nach der neuesten Weise, worin die Verfasser nicht selten, anstatt der Länder, die sie durchzogen, sich selbst beschreiben; worin sie, an die Stelle der politischen und religiösen Einrichtungen, der Gesetze und Sitten fremder Völker, ihre eigenen frommen Gefühle und patriotischen Ansichten, ihre witzigen Einfälle und geistreichen Plaudereien dem getäuschten Leser zum Besten geben.“

Daß eine Monographie Cirkassiens Schuberts zwar vortrefflicher, aber schwärmerischer und stets mit dem „Einen“ liebäugelnder Pilgerfahrt nach Bethlehem ebensowenig als dem aristokratischen Wanderbuche Semilasso's gleichen dürfe, gibt man gerne zu; und daß sich Hr. Neumann in seiner Abhandlung aller frommen Gefühle und witzigen Einfälle zu enthalten verspreche, will man auch nicht tadeln. Wissen möchte man aber, wie eine fruchtbare Monographie über diesen Gegenstand überhaupt möglich sey.

Die kaukasischen Bergvölker haben ja, nach dem eigenen Geständniß des Verfassers, gar keine Geschichte, und die dritthalbtausend Jahre ihres historischen Daseyns sind, was inneres Staats- und Familienleben betrifft, so viel als vergessen. Waffen haben sie, schöne Körper und ungebändigten Freiheitssinn; das ist Alles, was man weiß.

Cirkassien ist ein Land ohne Hauptstadt und ohne Hof, ohne Buch und Gelehrtenstand, ohne Luxus und Schlüpfrigkeit, ohne Kunst und Mode; selbst Bau, Lage und Volkszahl sind in der Hauptsache unbekannt. Welchen Stoff bietet es nun zu einer 152 Seiten langen, elegant gedruckten Diatribe? Hat der Verfasser vielleicht das Land selbst besucht, oder wenigstens mit einem Fernrohr vom Verdeck eines Dampfschiffes, oder von Ghelendschiks Mauerwällen in die Bergtriften und Buxbaumwälder der Tscherkessen hinaufgesehen und dann, wie Marigny, three Voyages to the Coast of Circassia geschrieben? Auch dieses ist nicht der Fall.

Hr. Neumann hat alles, was von den ältesten Zeiten her in Europa und Asien bis auf den heutigen Tag über das Tscherkessenvolk aufgezeichnet wurde, mit Sorgfalt gesammelt, mit Schärfe geläutert und nicht ohne merkbares Talent in eine handsame Form gebracht.

Preiswürdig wäre eine solche Arbeit zu jeder Zeit, in vorzüglichem Maaße ein Gewinn ist sie aber gerade zu dieser Frist, wo man aus Patriotismus und Liebe zu nationeller Ungebundenheit, aus Neid und Eifersucht von allen Seiten Damm und Riegel gegen die schwellende Macht der Moskowiten sucht.

Der kaukasische Bergwall, und das schöne, tapfere Volk von Cirkassien ist in Jedermanns Sinn. Wie Viele gibt es aber, selbst unter Diplomaten, Publicisten und Scribenten aller Art, die breit und lang über den cirkassischen Krieg, über die Streitkräfte der Bergvölker, über Rajewsky und Sudschuk-Kaleh debattiren, ohne zu wissen was und wo der Kaukasus, und was für Leute die Tscherkessen sind! Mit Neumanns Büchlein und einer guten Karte in der Hand werden wir nicht ein zweitesmal in dieselben Irrthümer, wie einst beim griechischen Freiheitskampf, verfallen.

Handel, Krieg und Neugierde liefern, wie in den meisten Untersuchungen ähnlicher Gattung, auch in dieser die vorzüglichsten Erkenntnißquellen. Die Italiener aus dem Mittelalter, besonders Barbaro und Interiano, neben Britten und Russen der neuesten Zeit, mußten vor andern ausgebeutet werden. Ueberhaupt ist für die Kunde der Länder am schwarzen Meer und des byzantinischen Reichs während der drei letzten Jahrhunderte des Mittelalters, Italien eine reiche, aber viel zu wenig gekannte und benützte Fundgrube. Neben den Archiven in Venedig, Genua, Neapel und Turin liegen in Privatsammlungen altpatricischer Häuser, oft in Städten zweiter Ordnung, ungeahnte Schätze verborgen.

Daß hier nicht von einem gerundeten, und wie aus Einem Guß dramatisch in einander geschmolzenen historischen Kunstwerk, mit Einleitung, Verwickelung und Katastrophe die Rede sey, versteht sich von selbst. Die Natur des Gegenstandes und das jämmerliche Flickwerk unserer und aller Zeiten Kunde vom Kaukasus müssen gleich vornweg Ansprüche und Erwartungen des Lesers ermäßigen.

Zwischen der Palus Mäotis und der Kaspi-See liegt eine verschlossene Urwelt, ein Alpenstock, hoch und breit, und bedeckt mit geheimnißvollem Dunkel; die Heimath der schönsten und kräftigsten Menschenfiguren, der wilden Freiheit, des Weinstocks und der üppigsten Fülle der Natur. Unberührt vom Strudel der Begebenheiten, hat der Kaukasus in seinem Schooße sämmtliche Urbilder der indogermanischen Race, ihrer Sprachen und Regierungsformen, gleichsam als Reservmagazin hinter elfenbeinernen Thoren aufbewahrt. Und besäße irgend ein Mensch, oder irgend ein Volk die Zauberruthe, dieses Chaos aufzuregen und alle, seit Anfang der Dinge, in den Bergschluchten gefesselten Kräfte loszubinden und sich dienstbar zu machen, so müßte eine neue Zeit beginnen, und könnte vielleicht zum erstenmal wahrhaft von allgemeiner Herrschaft die Rede seyn.

Den Cäsarn, den Groß-Chanen Dschingis und Timur war der Gedanke freilich zu kühn. Aber die Russen, die sich Alles unterwinden, und an Klugheit und Ehrgeiz die Eroberer aller Zeiten übertreffen, halten den Versuch keineswegs über ihre Kraft. Und wie alle beglaubigte Weltgeschichte mit der großen Wasserkatastrophe, so müßte auch, wenn es gelänge, das geschichtliche Leben der Kaukasier mit der Springfluth moskowitischer Eroberung beginnen. Daher das Gebrochene, Nebelige und gleichsam Antediluvianische der vorliegenden Schrift. Kann man diese Arbeit auch mit keinem Vorgänger vergleichen, weil sie in dieser Anlage wirklich der erste Versuch im Fache ist, so zeigt sie doch besser als hundert andere, was

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[1153/0009] Neumanns Rußland und die Tscherkessen. Wer über Jerusalem, Rußland und Cirkassien schreibt, braucht sich in unsern Tagen, besonders in Deutschland, kaum mehr zu entschuldigen. Man mag über diese Dinge sagen was und wie viel man will, Nachsicht, Dank und Sympathie der Leser sind für jede nur irgend genießbare Mittheilung vorausgesichert, wäre sie auch nicht so bündig und belehrend, wie die vorgenannte Schrift. Hr. Neumann, ohne Zweifel vom Standpunkt strenger Wissenschaft und tüchtiger Schulgelahrtheit ausgehend, ist in diesem Punkte freilich etwas weniger duldsam und verwirft in Behandlung historischer Gegenstände, besonders in Länder- und Völkerkunde, alle Weitwendigkeit; er betrachtet vielmehr Monographien, wie die vorliegende, worin von Zeit zu Zeit der überall zerstreute Stoff gesammelt und kritisch gesichtet wird, als vorzügliches Bedürfniß und Verdienst unserer Zeit. „Publicum und Wissenschaft,“ fügt er nicht ohne beißende Nebenbeziehung bei, „würden dadurch mehr gewinnen, als durch bändereiche Reiseberichte, nach der neuesten Weise, worin die Verfasser nicht selten, anstatt der Länder, die sie durchzogen, sich selbst beschreiben; worin sie, an die Stelle der politischen und religiösen Einrichtungen, der Gesetze und Sitten fremder Völker, ihre eigenen frommen Gefühle und patriotischen Ansichten, ihre witzigen Einfälle und geistreichen Plaudereien dem getäuschten Leser zum Besten geben.“ Daß eine Monographie Cirkassiens Schuberts zwar vortrefflicher, aber schwärmerischer und stets mit dem „Einen“ liebäugelnder Pilgerfahrt nach Bethlehem ebensowenig als dem aristokratischen Wanderbuche Semilasso's gleichen dürfe, gibt man gerne zu; und daß sich Hr. Neumann in seiner Abhandlung aller frommen Gefühle und witzigen Einfälle zu enthalten verspreche, will man auch nicht tadeln. Wissen möchte man aber, wie eine fruchtbare Monographie über diesen Gegenstand überhaupt möglich sey. Die kaukasischen Bergvölker haben ja, nach dem eigenen Geständniß des Verfassers, gar keine Geschichte, und die dritthalbtausend Jahre ihres historischen Daseyns sind, was inneres Staats- und Familienleben betrifft, so viel als vergessen. Waffen haben sie, schöne Körper und ungebändigten Freiheitssinn; das ist Alles, was man weiß. Cirkassien ist ein Land ohne Hauptstadt und ohne Hof, ohne Buch und Gelehrtenstand, ohne Luxus und Schlüpfrigkeit, ohne Kunst und Mode; selbst Bau, Lage und Volkszahl sind in der Hauptsache unbekannt. Welchen Stoff bietet es nun zu einer 152 Seiten langen, elegant gedruckten Diatribe? Hat der Verfasser vielleicht das Land selbst besucht, oder wenigstens mit einem Fernrohr vom Verdeck eines Dampfschiffes, oder von Ghelendschiks Mauerwällen in die Bergtriften und Buxbaumwälder der Tscherkessen hinaufgesehen und dann, wie Marigny, three Voyages to the Coast of Circassia geschrieben? Auch dieses ist nicht der Fall. Hr. Neumann hat alles, was von den ältesten Zeiten her in Europa und Asien bis auf den heutigen Tag über das Tscherkessenvolk aufgezeichnet wurde, mit Sorgfalt gesammelt, mit Schärfe geläutert und nicht ohne merkbares Talent in eine handsame Form gebracht. Preiswürdig wäre eine solche Arbeit zu jeder Zeit, in vorzüglichem Maaße ein Gewinn ist sie aber gerade zu dieser Frist, wo man aus Patriotismus und Liebe zu nationeller Ungebundenheit, aus Neid und Eifersucht von allen Seiten Damm und Riegel gegen die schwellende Macht der Moskowiten sucht. Der kaukasische Bergwall, und das schöne, tapfere Volk von Cirkassien ist in Jedermanns Sinn. Wie Viele gibt es aber, selbst unter Diplomaten, Publicisten und Scribenten aller Art, die breit und lang über den cirkassischen Krieg, über die Streitkräfte der Bergvölker, über Rajewsky und Sudschuk-Kaleh debattiren, ohne zu wissen was und wo der Kaukasus, und was für Leute die Tscherkessen sind! Mit Neumanns Büchlein und einer guten Karte in der Hand werden wir nicht ein zweitesmal in dieselben Irrthümer, wie einst beim griechischen Freiheitskampf, verfallen. Handel, Krieg und Neugierde liefern, wie in den meisten Untersuchungen ähnlicher Gattung, auch in dieser die vorzüglichsten Erkenntnißquellen. Die Italiener aus dem Mittelalter, besonders Barbaro und Interiano, neben Britten und Russen der neuesten Zeit, mußten vor andern ausgebeutet werden. Ueberhaupt ist für die Kunde der Länder am schwarzen Meer und des byzantinischen Reichs während der drei letzten Jahrhunderte des Mittelalters, Italien eine reiche, aber viel zu wenig gekannte und benützte Fundgrube. Neben den Archiven in Venedig, Genua, Neapel und Turin liegen in Privatsammlungen altpatricischer Häuser, oft in Städten zweiter Ordnung, ungeahnte Schätze verborgen. Daß hier nicht von einem gerundeten, und wie aus Einem Guß dramatisch in einander geschmolzenen historischen Kunstwerk, mit Einleitung, Verwickelung und Katastrophe die Rede sey, versteht sich von selbst. Die Natur des Gegenstandes und das jämmerliche Flickwerk unserer und aller Zeiten Kunde vom Kaukasus müssen gleich vornweg Ansprüche und Erwartungen des Lesers ermäßigen. Zwischen der Palus Mäotis und der Kaspi-See liegt eine verschlossene Urwelt, ein Alpenstock, hoch und breit, und bedeckt mit geheimnißvollem Dunkel; die Heimath der schönsten und kräftigsten Menschenfiguren, der wilden Freiheit, des Weinstocks und der üppigsten Fülle der Natur. Unberührt vom Strudel der Begebenheiten, hat der Kaukasus in seinem Schooße sämmtliche Urbilder der indogermanischen Race, ihrer Sprachen und Regierungsformen, gleichsam als Reservmagazin hinter elfenbeinernen Thoren aufbewahrt. Und besäße irgend ein Mensch, oder irgend ein Volk die Zauberruthe, dieses Chaos aufzuregen und alle, seit Anfang der Dinge, in den Bergschluchten gefesselten Kräfte loszubinden und sich dienstbar zu machen, so müßte eine neue Zeit beginnen, und könnte vielleicht zum erstenmal wahrhaft von allgemeiner Herrschaft die Rede seyn. Den Cäsarn, den Groß-Chanen Dschingis und Timur war der Gedanke freilich zu kühn. Aber die Russen, die sich Alles unterwinden, und an Klugheit und Ehrgeiz die Eroberer aller Zeiten übertreffen, halten den Versuch keineswegs über ihre Kraft. Und wie alle beglaubigte Weltgeschichte mit der großen Wasserkatastrophe, so müßte auch, wenn es gelänge, das geschichtliche Leben der Kaukasier mit der Springfluth moskowitischer Eroberung beginnen. Daher das Gebrochene, Nebelige und gleichsam Antediluvianische der vorliegenden Schrift. Kann man diese Arbeit auch mit keinem Vorgänger vergleichen, weil sie in dieser Anlage wirklich der erste Versuch im Fache ist, so zeigt sie doch besser als hundert andere, was

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840, S. 1153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_145_18400524/9>, abgerufen am 03.12.2024.