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Allgemeine Zeitung. Nr. 159. Augsburg, 7. Juni 1840.

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als ein Schiff das die Wogen durchschneidet, laßt sie die Ackerbauer beschützen, die nicht ermangeln werden, in großer Anzahl herbeizukommen. So haben die Engländer in Indien gehandelt, so handeln heutiges Tages die Russen im nördlichen Asien, wo sie es mit nomadischen Völkerschaften, ziemlich ähnlich den Beduinen in Afrika, zu thun haben. Die Engländer haben in Indien eines der größten Reiche der Welt gegründet, und Rußland vereinigt mit sich alle die so verschiedenen Völkerschaften, die vom Kaukasus bis zur chinesischen Gränze wohnen. Freilich haben wir selbst in Rußland, dem Lande des Despotismus, nicht gehört, daß man thöricht genug war, von einer Armee zu verlangen, daß sie Prinzen ins innere Land führe und wieder zurückgeleite, wenn sie den Einfall haben, den Krieg zu sehen und nach einigen Tagen wieder nach Haus zu kehren.

Der Toulonnais vom 29 Mai gibt neben den schon bekannten Berichten über die Gefechte am Teniah und bei Medeah etc. auch Berichte aus andern Punkten der französisch-afrikanischen Besitzungen, die ein trauriges Bild von der Verwirrung geben, in welche die Unfähigkeit des Gouverneurs diese französische Eroberung versetzt. Während er bei Medeah alle seine Streitkräfte zusammenzieht und, nach einem Bericht im Courrier, seiner Bequemlichkeit eine Menge Menschen opfert, indem er, um in Ruhe sein Frühstück zu genießen, die gehörigen Anordnungen der Armee zu geben vergißt, wird eine Abtheilung der schwachen Besatzung von Philippeville, und selbst mehrere Bewohner der Stadt von den Arabern gemordet, die Verbindung der Posten aufgehoben und dadurch das ohnedieß leicht reizbare Volk dieser Stadt (das meist aus Maltesern besteht) zu Gewaltthätigkeiten gegen befreundete Stämme der Kabylen gebracht, die nur die traurigsten Folgen haben können. Einige Kabylen aus dem Stamme der Boisias, die sich in der Umgegend von Philippeville aufhielten, wurden theils getödtet, theils mehr oder weniger schwer verwundet. - In Scherschel und gleichzeitig in Mostaganem fanden lebhafte Angriffe von Seite der Araber gegen Ende April statt und zwar so unvermuthet, daß ein Brief aus letzterer Stadt sagt, sie wären, wie aus dem Boden hervorgewachsen, plötzlich vor den Thoren erschienen. Wenn auch hier die französische Besatzung bald ihrer Meister wurde, oder die Araber selbst zu einem ernsten Angriff keine Lust bezeugten und sich schneller entfernten als sie gekommen, so dauerte der Angriff auf Scherschel desto länger, indem die Araber mit überlegener Macht sieben Tage und sieben Nächte die geringe Besatzung belagerten und ängstigten.

Die sonderbare und beunruhigende Lage der Bewohner von Algier, der Stadt, und der um sie her liegenden Ansiedler, von welcher wir schon vor mehreren Tagen gesprochen haben, ist endlich von den ministeriellen Journalen selbst zur Sprache gebracht. Was nützen die Siege und Triumphe über Abd-El-Kader und seine Hauptleute, wenn unterdessen der Mittelpunkt der Niederlassung, die Hauptstadt, nicht sicher ist vor den räuberischen Einfällen der Araber. Ist es eine strategische Berechnung des kühnen Häuptlings, stets nach dem Haupte und dem Herzen zu zielen, selbst in den Augenblicken, wo er die vereinte Macht des französischen Oberbefehlshabers vor sich hat, oder ist es bloße Unfähigkeit und Fahrlässigkeit Valee's, der auf diese Weise die Stadt Algier einestheils ohne Kenntniß der Fortschritte der Armee und anderntheils unter den Bedrohungen und Räubereien der Feinde läßt? Gewiß ist jedenfalls, daß, so unvollständig unsere Nachrichten dahier über die Operationen der französischen Armee in Afrika sind, die Bewohner von Algier noch übler berichtet werden als wir, denn sie erfahren meistens erst aus den Pariser Journalen, was das Expeditionscorps thut und läßt. Unter diesen Umständen möchte am Ende zur Wahrheit werden, was bis jetzt nur als Vermuthung gegeben werden kann: die Zurückberufung Valee's, an dessen Stelle General Trezel kommen soll. Hoffentlich wird der langerwartete und ersehnte Armeebericht des Marschalls die glücklichen Nachrichten, die der Regierung in unvollständiger Form zugekommen sind, bestätigen und vervollständigen. - Die Subscription "zu Gunsten der Asche Napoleons" wird ins Wasser fallen und eines frühen Todes erbleichen, noch ehe sie gelebt hat. Aufrichtig, dieser Ausgang ist vielleicht der glücklichste, den man ihr wünschen konnte, und in dieser Beziehung mögen alle ihre Anhänger dem Hrn. Odilon-Barrot die Hand drücken für den Brief, den er an die Zeitungen seiner Partei geschrieben hat. Unterschriften wie die folgende: "Dem großen, dem unerreichbaren Kaiser, dem mächtigen Feldherrn, dem weisen Gesetzgeber, dem Wiederhersteller der Kirche und der Religion, für mich und meine Familie .... zehn Sols, mit dem Erbieten, diese Summe zu verdoppeln, falls die Million nicht zusammen käme," mögen sehr wohl gefühlt und patriotisch seyn, allein sie würden die Thatsache, daß der Bonapartismus im Herzen des Volkes todt ist, nicht beseitigen, und selbst andere peinlichere Deutungen zulassen. Uebrigens hat man nur einen Blick auf die bisherigen Listen zu werfen, um zu sehen, daß die reiche und hochstehende Classe der Gesellschaft so zu sagen gar nicht beigetreten ist. - Ist es mir vergönnt, der Allgemeinen Zeitung eine Bemerkung in Betreff der zahlreichen und noch immer folgenden Widerlegungen des Marmier'schen Aufsatzes über Deutschland zu machen? Wir finden hier in Paris, daß Deutschland allzu gutmüthig ist, und seine Zeit zu leicht verschwendet, indem es die zahllosen Irrthümer, Versehen, die moralische und die litterarische Naseweisheit des Hrn. Marmier einer so gründlichen Ueberführung würdigt. Mein Gott! was Ihre Correspondenten hier ab ovo und des Breitern darthun wollen, lesen die Franzosen doch nicht, und sind schon im voraus davon überzeugt, denn Hr. Marmier hat eigentlich hier noch Niemanden gefunden, der an seine Wichtigkeit glaubte, und für Deutschland ist es doch wohl rein überflüssig, mit Vor- und Nachsatz zu beweisen, daß Hr. Marmier das Land nicht kennt, von dem er spricht, seine Sprache und Litteratur nur höchst oberflächlich versteht, und die Männer, mit denen er verkehrt, und gegen die er sich undankbar bewiesen, mit falschen Farben malt. Reicht es aber hin, um von so ernsten Gegnern und so gelehrten Widerlegungen beehrt zu werden, daß Jemand im süßen Taumel der Unkunde schwebe, und hier und da ein wenig Aberwitz, selbst viel, auskrame, so möchte ich, der Abwechslung halber, unsern deutschen Collegen den Hrn. Andreas Delrieu im Feuilleton des Siecle empfohlen haben. Jener Delrieu ist unstreitig eine der kolossalsten Notabilitäten, die über Deutschland geschrieben haben, im Gebiete der anmaßlichen Ignoranz und des vorlauten Absprechens nämlich. Er schreibt so eben seine Erinnerungen aus Deutschland, wie er es in einem Vogelfluge durch unsre Provinzen im Eilwagen erschaut und in Gesellschaft einiger Studenten zu Heidelberg, München und Prag ergründet hat. Sein neuester Aufsatz ist eine Skizze von Böhmen; sie besteht aus einem sogenannten homme a'esprit, dem Führer Delrieu's in Prag und der Folie seines Witzes, einem Leuchter, den Titus von Jerusalem zurückgebracht, einem bleichen Wolkenschein, der stets über dem Rathhause zu Prag schwebe, wo im Jahr 1618 die "hohen Herren" von einer Höhe von 80 Fuß auf einen Misthaufen gestürzt wurden und der Geschichte der Libussa im romantischen Gewande

als ein Schiff das die Wogen durchschneidet, laßt sie die Ackerbauer beschützen, die nicht ermangeln werden, in großer Anzahl herbeizukommen. So haben die Engländer in Indien gehandelt, so handeln heutiges Tages die Russen im nördlichen Asien, wo sie es mit nomadischen Völkerschaften, ziemlich ähnlich den Beduinen in Afrika, zu thun haben. Die Engländer haben in Indien eines der größten Reiche der Welt gegründet, und Rußland vereinigt mit sich alle die so verschiedenen Völkerschaften, die vom Kaukasus bis zur chinesischen Gränze wohnen. Freilich haben wir selbst in Rußland, dem Lande des Despotismus, nicht gehört, daß man thöricht genug war, von einer Armee zu verlangen, daß sie Prinzen ins innere Land führe und wieder zurückgeleite, wenn sie den Einfall haben, den Krieg zu sehen und nach einigen Tagen wieder nach Haus zu kehren.

Der Toulonnais vom 29 Mai gibt neben den schon bekannten Berichten über die Gefechte am Teniah und bei Medeah etc. auch Berichte aus andern Punkten der französisch-afrikanischen Besitzungen, die ein trauriges Bild von der Verwirrung geben, in welche die Unfähigkeit des Gouverneurs diese französische Eroberung versetzt. Während er bei Medeah alle seine Streitkräfte zusammenzieht und, nach einem Bericht im Courrier, seiner Bequemlichkeit eine Menge Menschen opfert, indem er, um in Ruhe sein Frühstück zu genießen, die gehörigen Anordnungen der Armee zu geben vergißt, wird eine Abtheilung der schwachen Besatzung von Philippeville, und selbst mehrere Bewohner der Stadt von den Arabern gemordet, die Verbindung der Posten aufgehoben und dadurch das ohnedieß leicht reizbare Volk dieser Stadt (das meist aus Maltesern besteht) zu Gewaltthätigkeiten gegen befreundete Stämme der Kabylen gebracht, die nur die traurigsten Folgen haben können. Einige Kabylen aus dem Stamme der Boisias, die sich in der Umgegend von Philippeville aufhielten, wurden theils getödtet, theils mehr oder weniger schwer verwundet. – In Scherschel und gleichzeitig in Mostaganem fanden lebhafte Angriffe von Seite der Araber gegen Ende April statt und zwar so unvermuthet, daß ein Brief aus letzterer Stadt sagt, sie wären, wie aus dem Boden hervorgewachsen, plötzlich vor den Thoren erschienen. Wenn auch hier die französische Besatzung bald ihrer Meister wurde, oder die Araber selbst zu einem ernsten Angriff keine Lust bezeugten und sich schneller entfernten als sie gekommen, so dauerte der Angriff auf Scherschel desto länger, indem die Araber mit überlegener Macht sieben Tage und sieben Nächte die geringe Besatzung belagerten und ängstigten.

Die sonderbare und beunruhigende Lage der Bewohner von Algier, der Stadt, und der um sie her liegenden Ansiedler, von welcher wir schon vor mehreren Tagen gesprochen haben, ist endlich von den ministeriellen Journalen selbst zur Sprache gebracht. Was nützen die Siege und Triumphe über Abd-El-Kader und seine Hauptleute, wenn unterdessen der Mittelpunkt der Niederlassung, die Hauptstadt, nicht sicher ist vor den räuberischen Einfällen der Araber. Ist es eine strategische Berechnung des kühnen Häuptlings, stets nach dem Haupte und dem Herzen zu zielen, selbst in den Augenblicken, wo er die vereinte Macht des französischen Oberbefehlshabers vor sich hat, oder ist es bloße Unfähigkeit und Fahrlässigkeit Valée's, der auf diese Weise die Stadt Algier einestheils ohne Kenntniß der Fortschritte der Armee und anderntheils unter den Bedrohungen und Räubereien der Feinde läßt? Gewiß ist jedenfalls, daß, so unvollständig unsere Nachrichten dahier über die Operationen der französischen Armee in Afrika sind, die Bewohner von Algier noch übler berichtet werden als wir, denn sie erfahren meistens erst aus den Pariser Journalen, was das Expeditionscorps thut und läßt. Unter diesen Umständen möchte am Ende zur Wahrheit werden, was bis jetzt nur als Vermuthung gegeben werden kann: die Zurückberufung Valée's, an dessen Stelle General Trezel kommen soll. Hoffentlich wird der langerwartete und ersehnte Armeebericht des Marschalls die glücklichen Nachrichten, die der Regierung in unvollständiger Form zugekommen sind, bestätigen und vervollständigen. – Die Subscription „zu Gunsten der Asche Napoleons“ wird ins Wasser fallen und eines frühen Todes erbleichen, noch ehe sie gelebt hat. Aufrichtig, dieser Ausgang ist vielleicht der glücklichste, den man ihr wünschen konnte, und in dieser Beziehung mögen alle ihre Anhänger dem Hrn. Odilon-Barrot die Hand drücken für den Brief, den er an die Zeitungen seiner Partei geschrieben hat. Unterschriften wie die folgende: „Dem großen, dem unerreichbaren Kaiser, dem mächtigen Feldherrn, dem weisen Gesetzgeber, dem Wiederhersteller der Kirche und der Religion, für mich und meine Familie .... zehn Sols, mit dem Erbieten, diese Summe zu verdoppeln, falls die Million nicht zusammen käme,“ mögen sehr wohl gefühlt und patriotisch seyn, allein sie würden die Thatsache, daß der Bonapartismus im Herzen des Volkes todt ist, nicht beseitigen, und selbst andere peinlichere Deutungen zulassen. Uebrigens hat man nur einen Blick auf die bisherigen Listen zu werfen, um zu sehen, daß die reiche und hochstehende Classe der Gesellschaft so zu sagen gar nicht beigetreten ist. – Ist es mir vergönnt, der Allgemeinen Zeitung eine Bemerkung in Betreff der zahlreichen und noch immer folgenden Widerlegungen des Marmier'schen Aufsatzes über Deutschland zu machen? Wir finden hier in Paris, daß Deutschland allzu gutmüthig ist, und seine Zeit zu leicht verschwendet, indem es die zahllosen Irrthümer, Versehen, die moralische und die litterarische Naseweisheit des Hrn. Marmier einer so gründlichen Ueberführung würdigt. Mein Gott! was Ihre Correspondenten hier ab ovo und des Breitern darthun wollen, lesen die Franzosen doch nicht, und sind schon im voraus davon überzeugt, denn Hr. Marmier hat eigentlich hier noch Niemanden gefunden, der an seine Wichtigkeit glaubte, und für Deutschland ist es doch wohl rein überflüssig, mit Vor- und Nachsatz zu beweisen, daß Hr. Marmier das Land nicht kennt, von dem er spricht, seine Sprache und Litteratur nur höchst oberflächlich versteht, und die Männer, mit denen er verkehrt, und gegen die er sich undankbar bewiesen, mit falschen Farben malt. Reicht es aber hin, um von so ernsten Gegnern und so gelehrten Widerlegungen beehrt zu werden, daß Jemand im süßen Taumel der Unkunde schwebe, und hier und da ein wenig Aberwitz, selbst viel, auskrame, so möchte ich, der Abwechslung halber, unsern deutschen Collegen den Hrn. Andreas Delrieu im Feuilleton des Siècle empfohlen haben. Jener Delrieu ist unstreitig eine der kolossalsten Notabilitäten, die über Deutschland geschrieben haben, im Gebiete der anmaßlichen Ignoranz und des vorlauten Absprechens nämlich. Er schreibt so eben seine Erinnerungen aus Deutschland, wie er es in einem Vogelfluge durch unsre Provinzen im Eilwagen erschaut und in Gesellschaft einiger Studenten zu Heidelberg, München und Prag ergründet hat. Sein neuester Aufsatz ist eine Skizze von Böhmen; sie besteht aus einem sogenannten homme à'esprit, dem Führer Delrieu's in Prag und der Folie seines Witzes, einem Leuchter, den Titus von Jerusalem zurückgebracht, einem bleichen Wolkenschein, der stets über dem Rathhause zu Prag schwebe, wo im Jahr 1618 die „hohen Herren“ von einer Höhe von 80 Fuß auf einen Misthaufen gestürzt wurden und der Geschichte der Libussa im romantischen Gewande

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[1268/0004] als ein Schiff das die Wogen durchschneidet, laßt sie die Ackerbauer beschützen, die nicht ermangeln werden, in großer Anzahl herbeizukommen. So haben die Engländer in Indien gehandelt, so handeln heutiges Tages die Russen im nördlichen Asien, wo sie es mit nomadischen Völkerschaften, ziemlich ähnlich den Beduinen in Afrika, zu thun haben. Die Engländer haben in Indien eines der größten Reiche der Welt gegründet, und Rußland vereinigt mit sich alle die so verschiedenen Völkerschaften, die vom Kaukasus bis zur chinesischen Gränze wohnen. Freilich haben wir selbst in Rußland, dem Lande des Despotismus, nicht gehört, daß man thöricht genug war, von einer Armee zu verlangen, daß sie Prinzen ins innere Land führe und wieder zurückgeleite, wenn sie den Einfall haben, den Krieg zu sehen und nach einigen Tagen wieder nach Haus zu kehren. Der Toulonnais vom 29 Mai gibt neben den schon bekannten Berichten über die Gefechte am Teniah und bei Medeah etc. auch Berichte aus andern Punkten der französisch-afrikanischen Besitzungen, die ein trauriges Bild von der Verwirrung geben, in welche die Unfähigkeit des Gouverneurs diese französische Eroberung versetzt. Während er bei Medeah alle seine Streitkräfte zusammenzieht und, nach einem Bericht im Courrier, seiner Bequemlichkeit eine Menge Menschen opfert, indem er, um in Ruhe sein Frühstück zu genießen, die gehörigen Anordnungen der Armee zu geben vergißt, wird eine Abtheilung der schwachen Besatzung von Philippeville, und selbst mehrere Bewohner der Stadt von den Arabern gemordet, die Verbindung der Posten aufgehoben und dadurch das ohnedieß leicht reizbare Volk dieser Stadt (das meist aus Maltesern besteht) zu Gewaltthätigkeiten gegen befreundete Stämme der Kabylen gebracht, die nur die traurigsten Folgen haben können. Einige Kabylen aus dem Stamme der Boisias, die sich in der Umgegend von Philippeville aufhielten, wurden theils getödtet, theils mehr oder weniger schwer verwundet. – In Scherschel und gleichzeitig in Mostaganem fanden lebhafte Angriffe von Seite der Araber gegen Ende April statt und zwar so unvermuthet, daß ein Brief aus letzterer Stadt sagt, sie wären, wie aus dem Boden hervorgewachsen, plötzlich vor den Thoren erschienen. Wenn auch hier die französische Besatzung bald ihrer Meister wurde, oder die Araber selbst zu einem ernsten Angriff keine Lust bezeugten und sich schneller entfernten als sie gekommen, so dauerte der Angriff auf Scherschel desto länger, indem die Araber mit überlegener Macht sieben Tage und sieben Nächte die geringe Besatzung belagerten und ängstigten. _ Paris, 2 Jun. Die sonderbare und beunruhigende Lage der Bewohner von Algier, der Stadt, und der um sie her liegenden Ansiedler, von welcher wir schon vor mehreren Tagen gesprochen haben, ist endlich von den ministeriellen Journalen selbst zur Sprache gebracht. Was nützen die Siege und Triumphe über Abd-El-Kader und seine Hauptleute, wenn unterdessen der Mittelpunkt der Niederlassung, die Hauptstadt, nicht sicher ist vor den räuberischen Einfällen der Araber. Ist es eine strategische Berechnung des kühnen Häuptlings, stets nach dem Haupte und dem Herzen zu zielen, selbst in den Augenblicken, wo er die vereinte Macht des französischen Oberbefehlshabers vor sich hat, oder ist es bloße Unfähigkeit und Fahrlässigkeit Valée's, der auf diese Weise die Stadt Algier einestheils ohne Kenntniß der Fortschritte der Armee und anderntheils unter den Bedrohungen und Räubereien der Feinde läßt? Gewiß ist jedenfalls, daß, so unvollständig unsere Nachrichten dahier über die Operationen der französischen Armee in Afrika sind, die Bewohner von Algier noch übler berichtet werden als wir, denn sie erfahren meistens erst aus den Pariser Journalen, was das Expeditionscorps thut und läßt. Unter diesen Umständen möchte am Ende zur Wahrheit werden, was bis jetzt nur als Vermuthung gegeben werden kann: die Zurückberufung Valée's, an dessen Stelle General Trezel kommen soll. Hoffentlich wird der langerwartete und ersehnte Armeebericht des Marschalls die glücklichen Nachrichten, die der Regierung in unvollständiger Form zugekommen sind, bestätigen und vervollständigen. – Die Subscription „zu Gunsten der Asche Napoleons“ wird ins Wasser fallen und eines frühen Todes erbleichen, noch ehe sie gelebt hat. Aufrichtig, dieser Ausgang ist vielleicht der glücklichste, den man ihr wünschen konnte, und in dieser Beziehung mögen alle ihre Anhänger dem Hrn. Odilon-Barrot die Hand drücken für den Brief, den er an die Zeitungen seiner Partei geschrieben hat. Unterschriften wie die folgende: „Dem großen, dem unerreichbaren Kaiser, dem mächtigen Feldherrn, dem weisen Gesetzgeber, dem Wiederhersteller der Kirche und der Religion, für mich und meine Familie .... zehn Sols, mit dem Erbieten, diese Summe zu verdoppeln, falls die Million nicht zusammen käme,“ mögen sehr wohl gefühlt und patriotisch seyn, allein sie würden die Thatsache, daß der Bonapartismus im Herzen des Volkes todt ist, nicht beseitigen, und selbst andere peinlichere Deutungen zulassen. Uebrigens hat man nur einen Blick auf die bisherigen Listen zu werfen, um zu sehen, daß die reiche und hochstehende Classe der Gesellschaft so zu sagen gar nicht beigetreten ist. – Ist es mir vergönnt, der Allgemeinen Zeitung eine Bemerkung in Betreff der zahlreichen und noch immer folgenden Widerlegungen des Marmier'schen Aufsatzes über Deutschland zu machen? Wir finden hier in Paris, daß Deutschland allzu gutmüthig ist, und seine Zeit zu leicht verschwendet, indem es die zahllosen Irrthümer, Versehen, die moralische und die litterarische Naseweisheit des Hrn. Marmier einer so gründlichen Ueberführung würdigt. Mein Gott! was Ihre Correspondenten hier ab ovo und des Breitern darthun wollen, lesen die Franzosen doch nicht, und sind schon im voraus davon überzeugt, denn Hr. Marmier hat eigentlich hier noch Niemanden gefunden, der an seine Wichtigkeit glaubte, und für Deutschland ist es doch wohl rein überflüssig, mit Vor- und Nachsatz zu beweisen, daß Hr. Marmier das Land nicht kennt, von dem er spricht, seine Sprache und Litteratur nur höchst oberflächlich versteht, und die Männer, mit denen er verkehrt, und gegen die er sich undankbar bewiesen, mit falschen Farben malt. Reicht es aber hin, um von so ernsten Gegnern und so gelehrten Widerlegungen beehrt zu werden, daß Jemand im süßen Taumel der Unkunde schwebe, und hier und da ein wenig Aberwitz, selbst viel, auskrame, so möchte ich, der Abwechslung halber, unsern deutschen Collegen den Hrn. Andreas Delrieu im Feuilleton des Siècle empfohlen haben. Jener Delrieu ist unstreitig eine der kolossalsten Notabilitäten, die über Deutschland geschrieben haben, im Gebiete der anmaßlichen Ignoranz und des vorlauten Absprechens nämlich. Er schreibt so eben seine Erinnerungen aus Deutschland, wie er es in einem Vogelfluge durch unsre Provinzen im Eilwagen erschaut und in Gesellschaft einiger Studenten zu Heidelberg, München und Prag ergründet hat. Sein neuester Aufsatz ist eine Skizze von Böhmen; sie besteht aus einem sogenannten homme à'esprit, dem Führer Delrieu's in Prag und der Folie seines Witzes, einem Leuchter, den Titus von Jerusalem zurückgebracht, einem bleichen Wolkenschein, der stets über dem Rathhause zu Prag schwebe, wo im Jahr 1618 die „hohen Herren“ von einer Höhe von 80 Fuß auf einen Misthaufen gestürzt wurden und der Geschichte der Libussa im romantischen Gewande

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 159. Augsburg, 7. Juni 1840, S. 1268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_159_18400607/4>, abgerufen am 03.05.2024.