Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel- Als Rudiment eines Schelmenromans ist noch anzusehen das spiegel betrachten, welcher, wahrscheinlich zuerst in niederdeutscher Sprache,
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erschien und wahrscheinlich von Thomas Murner nur in das Hochdeutsche übertragen ist. Die erste hochdeutsche Ausgabe erschien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. Dr. Thomas Murner, "Ulen- spiegel", herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854). führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel- Als Rudiment eines Schelmenromans iſt noch anzuſehen das ſpiegel betrachten, welcher, wahrſcheinlich zuerſt in niederdeutſcher Sprache,
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erſchien und wahrſcheinlich von Thomas Murner nur in das Hochdeutſche übertragen iſt. Die erſte hochdeutſche Ausgabe erſchien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. Dr. Thomas Murner, „Ulen- ſpiegel“, herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0231" n="215"/> führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel-<lb/> menromanen mag gleich hier der bedeutendſte erwähnt werden: es<lb/> iſt der mit vielem Geiſte, wenn auch häufig mit niedrigem Witz<lb/> geſchriebene „<hi rendition="#g">Simplicius Simpliciſſimus,</hi> das iſt: Aus-<lb/> führliche unerdichtete und ſehr merkwürdige Lebensbeſchreibung<lb/> eines einfältigen und ſeltſamen Menſchen, Melchior Sternfels von<lb/> Fuchsheim, wie er ſeine Jugend im Speſſart verlebt, dann im<lb/> Dreißigjährigen Kriege gar denkwürdige und bunte Schickſale ge-<lb/> habt, vielerley Noth, Leiden und Lebensgefahr ausgeſtanden, aber<lb/> endlich noch manchen frohen Tag genoſſen.“ Der Verfaſſer dieſes<lb/> zuerſt 1669 (zuletzt bei Wigand in Leipzig 1848) erſchienenen Ro-<lb/> mans iſt „Samuel Greifenſon von Hirſchfeld“ (Chriſtoph von<lb/> Grimmelshauſen, ſtrasburgiſcher Amtmann zu Renchen im heuti-<lb/> gen Baden).</p><lb/> <p>Als Rudiment eines Schelmenromans iſt noch anzuſehen das<lb/> ſechste Geſicht des zweiten Theils der „Wunderlichen wahrhafftigen<lb/> Geſichte Philanders von Sittewald, das iſt Strafſchriften Hanß<lb/> Michael Moſcheroſch von Wilſtädt. Getruckt und verlegt zu<lb/> Strasburg bey Joſias Städele 1665“ (2 Thle.). Jn dem be-<lb/> zeichneten Geſicht wird von dem geiſtreichen Sittenmaler Moſche-<lb/> roſch das räuberiſche Leben und Parteigehen der Soldaten und<lb/> Vaganten des Dreißigjährigen Kriegs mit lebhaften Farben ge-<lb/> ſchildert. Neben dieſer Schilderung werden auch gauneriſche Kunſt-<lb/> griffe und Gebräuche dargeſtellt und ſehr ſchätzbare Mittheilungen<lb/> über die Gaunerſprache (Feldſprach) gemacht. Obſchon die ganze<lb/> Darſtellung ein Geſicht genannt wird, ſo iſt das geſchilderte Räu-<lb/> berleben in ſeiner vollendeten Roheit und Barbarei ſchauerliche<lb/> Wahrheit, die überhaupt bei der Mehrzahl der in den ſogenannten<lb/> Schelmenromanen dargeſtellten Begebenheiten überall durchblickt.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_42_2" prev="#seg2pn_42_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">ſpiegel</hi> betrachten, welcher, wahrſcheinlich zuerſt in niederdeutſcher Sprache,<lb/> gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erſchien und wahrſcheinlich von Thomas<lb/> Murner nur in das Hochdeutſche übertragen iſt. Die erſte hochdeutſche Ausgabe<lb/> erſchien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Thomas Murner, „Ulen-<lb/> ſpiegel“, herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854).</note> </p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [215/0231]
führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel-
menromanen mag gleich hier der bedeutendſte erwähnt werden: es
iſt der mit vielem Geiſte, wenn auch häufig mit niedrigem Witz
geſchriebene „Simplicius Simpliciſſimus, das iſt: Aus-
führliche unerdichtete und ſehr merkwürdige Lebensbeſchreibung
eines einfältigen und ſeltſamen Menſchen, Melchior Sternfels von
Fuchsheim, wie er ſeine Jugend im Speſſart verlebt, dann im
Dreißigjährigen Kriege gar denkwürdige und bunte Schickſale ge-
habt, vielerley Noth, Leiden und Lebensgefahr ausgeſtanden, aber
endlich noch manchen frohen Tag genoſſen.“ Der Verfaſſer dieſes
zuerſt 1669 (zuletzt bei Wigand in Leipzig 1848) erſchienenen Ro-
mans iſt „Samuel Greifenſon von Hirſchfeld“ (Chriſtoph von
Grimmelshauſen, ſtrasburgiſcher Amtmann zu Renchen im heuti-
gen Baden).
Als Rudiment eines Schelmenromans iſt noch anzuſehen das
ſechste Geſicht des zweiten Theils der „Wunderlichen wahrhafftigen
Geſichte Philanders von Sittewald, das iſt Strafſchriften Hanß
Michael Moſcheroſch von Wilſtädt. Getruckt und verlegt zu
Strasburg bey Joſias Städele 1665“ (2 Thle.). Jn dem be-
zeichneten Geſicht wird von dem geiſtreichen Sittenmaler Moſche-
roſch das räuberiſche Leben und Parteigehen der Soldaten und
Vaganten des Dreißigjährigen Kriegs mit lebhaften Farben ge-
ſchildert. Neben dieſer Schilderung werden auch gauneriſche Kunſt-
griffe und Gebräuche dargeſtellt und ſehr ſchätzbare Mittheilungen
über die Gaunerſprache (Feldſprach) gemacht. Obſchon die ganze
Darſtellung ein Geſicht genannt wird, ſo iſt das geſchilderte Räu-
berleben in ſeiner vollendeten Roheit und Barbarei ſchauerliche
Wahrheit, die überhaupt bei der Mehrzahl der in den ſogenannten
Schelmenromanen dargeſtellten Begebenheiten überall durchblickt.
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1) ſpiegel betrachten, welcher, wahrſcheinlich zuerſt in niederdeutſcher Sprache,
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erſchien und wahrſcheinlich von Thomas
Murner nur in das Hochdeutſche übertragen iſt. Die erſte hochdeutſche Ausgabe
erſchien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. Dr. Thomas Murner, „Ulen-
ſpiegel“, herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854).
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