Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel-
menromanen mag gleich hier der bedeutendste erwähnt werden: es
ist der mit vielem Geiste, wenn auch häufig mit niedrigem Witz
geschriebene "Simplicius Simplicissimus, das ist: Aus-
führliche unerdichtete und sehr merkwürdige Lebensbeschreibung
eines einfältigen und seltsamen Menschen, Melchior Sternfels von
Fuchsheim, wie er seine Jugend im Spessart verlebt, dann im
Dreißigjährigen Kriege gar denkwürdige und bunte Schicksale ge-
habt, vielerley Noth, Leiden und Lebensgefahr ausgestanden, aber
endlich noch manchen frohen Tag genossen." Der Verfasser dieses
zuerst 1669 (zuletzt bei Wigand in Leipzig 1848) erschienenen Ro-
mans ist "Samuel Greifenson von Hirschfeld" (Christoph von
Grimmelshausen, strasburgischer Amtmann zu Renchen im heuti-
gen Baden).

Als Rudiment eines Schelmenromans ist noch anzusehen das
sechste Gesicht des zweiten Theils der "Wunderlichen wahrhafftigen
Gesichte Philanders von Sittewald, das ist Strafschriften Hanß
Michael Moscherosch von Wilstädt. Getruckt und verlegt zu
Strasburg bey Josias Städele 1665" (2 Thle.). Jn dem be-
zeichneten Gesicht wird von dem geistreichen Sittenmaler Mosche-
rosch das räuberische Leben und Parteigehen der Soldaten und
Vaganten des Dreißigjährigen Kriegs mit lebhaften Farben ge-
schildert. Neben dieser Schilderung werden auch gaunerische Kunst-
griffe und Gebräuche dargestellt und sehr schätzbare Mittheilungen
über die Gaunersprache (Feldsprach) gemacht. Obschon die ganze
Darstellung ein Gesicht genannt wird, so ist das geschilderte Räu-
berleben in seiner vollendeten Roheit und Barbarei schauerliche
Wahrheit, die überhaupt bei der Mehrzahl der in den sogenannten
Schelmenromanen dargestellten Begebenheiten überall durchblickt.

spiegel betrachten, welcher, wahrscheinlich zuerst in niederdeutscher Sprache,
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erschien und wahrscheinlich von Thomas
Murner nur in das Hochdeutsche übertragen ist. Die erste hochdeutsche Ausgabe
erschien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. Dr. Thomas Murner, "Ulen-
spiegel", herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854).

führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel-
menromanen mag gleich hier der bedeutendſte erwähnt werden: es
iſt der mit vielem Geiſte, wenn auch häufig mit niedrigem Witz
geſchriebene „Simplicius Simpliciſſimus, das iſt: Aus-
führliche unerdichtete und ſehr merkwürdige Lebensbeſchreibung
eines einfältigen und ſeltſamen Menſchen, Melchior Sternfels von
Fuchsheim, wie er ſeine Jugend im Speſſart verlebt, dann im
Dreißigjährigen Kriege gar denkwürdige und bunte Schickſale ge-
habt, vielerley Noth, Leiden und Lebensgefahr ausgeſtanden, aber
endlich noch manchen frohen Tag genoſſen.“ Der Verfaſſer dieſes
zuerſt 1669 (zuletzt bei Wigand in Leipzig 1848) erſchienenen Ro-
mans iſt „Samuel Greifenſon von Hirſchfeld“ (Chriſtoph von
Grimmelshauſen, ſtrasburgiſcher Amtmann zu Renchen im heuti-
gen Baden).

Als Rudiment eines Schelmenromans iſt noch anzuſehen das
ſechste Geſicht des zweiten Theils der „Wunderlichen wahrhafftigen
Geſichte Philanders von Sittewald, das iſt Strafſchriften Hanß
Michael Moſcheroſch von Wilſtädt. Getruckt und verlegt zu
Strasburg bey Joſias Städele 1665“ (2 Thle.). Jn dem be-
zeichneten Geſicht wird von dem geiſtreichen Sittenmaler Moſche-
roſch das räuberiſche Leben und Parteigehen der Soldaten und
Vaganten des Dreißigjährigen Kriegs mit lebhaften Farben ge-
ſchildert. Neben dieſer Schilderung werden auch gauneriſche Kunſt-
griffe und Gebräuche dargeſtellt und ſehr ſchätzbare Mittheilungen
über die Gaunerſprache (Feldſprach) gemacht. Obſchon die ganze
Darſtellung ein Geſicht genannt wird, ſo iſt das geſchilderte Räu-
berleben in ſeiner vollendeten Roheit und Barbarei ſchauerliche
Wahrheit, die überhaupt bei der Mehrzahl der in den ſogenannten
Schelmenromanen dargeſtellten Begebenheiten überall durchblickt.

ſpiegel betrachten, welcher, wahrſcheinlich zuerſt in niederdeutſcher Sprache,
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erſchien und wahrſcheinlich von Thomas
Murner nur in das Hochdeutſche übertragen iſt. Die erſte hochdeutſche Ausgabe
erſchien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. Dr. Thomas Murner, „Ulen-
ſpiegel“, herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="215"/>
führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel-<lb/>
menromanen mag gleich hier der bedeutend&#x017F;te erwähnt werden: es<lb/>
i&#x017F;t der mit vielem Gei&#x017F;te, wenn auch häufig mit niedrigem Witz<lb/>
ge&#x017F;chriebene &#x201E;<hi rendition="#g">Simplicius Simplici&#x017F;&#x017F;imus,</hi> das i&#x017F;t: Aus-<lb/>
führliche unerdichtete und &#x017F;ehr merkwürdige Lebensbe&#x017F;chreibung<lb/>
eines einfältigen und &#x017F;elt&#x017F;amen Men&#x017F;chen, Melchior Sternfels von<lb/>
Fuchsheim, wie er &#x017F;eine Jugend im Spe&#x017F;&#x017F;art verlebt, dann im<lb/>
Dreißigjährigen Kriege gar denkwürdige und bunte Schick&#x017F;ale ge-<lb/>
habt, vielerley Noth, Leiden und Lebensgefahr ausge&#x017F;tanden, aber<lb/>
endlich noch manchen frohen Tag geno&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; Der Verfa&#x017F;&#x017F;er die&#x017F;es<lb/>
zuer&#x017F;t 1669 (zuletzt bei Wigand in Leipzig 1848) er&#x017F;chienenen Ro-<lb/>
mans i&#x017F;t &#x201E;Samuel Greifen&#x017F;on von Hir&#x017F;chfeld&#x201C; (Chri&#x017F;toph von<lb/>
Grimmelshau&#x017F;en, &#x017F;trasburgi&#x017F;cher Amtmann zu Renchen im heuti-<lb/>
gen Baden).</p><lb/>
        <p>Als Rudiment eines Schelmenromans i&#x017F;t noch anzu&#x017F;ehen das<lb/>
&#x017F;echste Ge&#x017F;icht des zweiten Theils der &#x201E;Wunderlichen wahrhafftigen<lb/>
Ge&#x017F;ichte Philanders von Sittewald, das i&#x017F;t Straf&#x017F;chriften Hanß<lb/>
Michael Mo&#x017F;chero&#x017F;ch von Wil&#x017F;tädt. Getruckt und verlegt zu<lb/>
Strasburg bey Jo&#x017F;ias Städele 1665&#x201C; (2 Thle.). Jn dem be-<lb/>
zeichneten Ge&#x017F;icht wird von dem gei&#x017F;treichen Sittenmaler Mo&#x017F;che-<lb/>
ro&#x017F;ch das räuberi&#x017F;che Leben und Parteigehen der Soldaten und<lb/>
Vaganten des Dreißigjährigen Kriegs mit lebhaften Farben ge-<lb/>
&#x017F;childert. Neben die&#x017F;er Schilderung werden auch gauneri&#x017F;che Kun&#x017F;t-<lb/>
griffe und Gebräuche darge&#x017F;tellt und &#x017F;ehr &#x017F;chätzbare Mittheilungen<lb/>
über die Gauner&#x017F;prache (Feld&#x017F;prach) gemacht. Ob&#x017F;chon die ganze<lb/>
Dar&#x017F;tellung ein Ge&#x017F;icht genannt wird, &#x017F;o i&#x017F;t das ge&#x017F;childerte Räu-<lb/>
berleben in &#x017F;einer vollendeten Roheit und Barbarei &#x017F;chauerliche<lb/>
Wahrheit, die überhaupt bei der Mehrzahl der in den &#x017F;ogenannten<lb/>
Schelmenromanen darge&#x017F;tellten Begebenheiten überall durchblickt.</p><lb/>
        <p>
          <note xml:id="seg2pn_42_2" prev="#seg2pn_42_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">&#x017F;piegel</hi> betrachten, welcher, wahr&#x017F;cheinlich zuer&#x017F;t in niederdeut&#x017F;cher Sprache,<lb/>
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts er&#x017F;chien und wahr&#x017F;cheinlich von Thomas<lb/>
Murner nur in das Hochdeut&#x017F;che übertragen i&#x017F;t. Die er&#x017F;te hochdeut&#x017F;che Ausgabe<lb/>
er&#x017F;chien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Thomas Murner, &#x201E;Ulen-<lb/>
&#x017F;piegel&#x201C;, herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854).</note>
        </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0231] führlicher Gaunerbiographien geworden. Unter den vielen Schel- menromanen mag gleich hier der bedeutendſte erwähnt werden: es iſt der mit vielem Geiſte, wenn auch häufig mit niedrigem Witz geſchriebene „Simplicius Simpliciſſimus, das iſt: Aus- führliche unerdichtete und ſehr merkwürdige Lebensbeſchreibung eines einfältigen und ſeltſamen Menſchen, Melchior Sternfels von Fuchsheim, wie er ſeine Jugend im Speſſart verlebt, dann im Dreißigjährigen Kriege gar denkwürdige und bunte Schickſale ge- habt, vielerley Noth, Leiden und Lebensgefahr ausgeſtanden, aber endlich noch manchen frohen Tag genoſſen.“ Der Verfaſſer dieſes zuerſt 1669 (zuletzt bei Wigand in Leipzig 1848) erſchienenen Ro- mans iſt „Samuel Greifenſon von Hirſchfeld“ (Chriſtoph von Grimmelshauſen, ſtrasburgiſcher Amtmann zu Renchen im heuti- gen Baden). Als Rudiment eines Schelmenromans iſt noch anzuſehen das ſechste Geſicht des zweiten Theils der „Wunderlichen wahrhafftigen Geſichte Philanders von Sittewald, das iſt Strafſchriften Hanß Michael Moſcheroſch von Wilſtädt. Getruckt und verlegt zu Strasburg bey Joſias Städele 1665“ (2 Thle.). Jn dem be- zeichneten Geſicht wird von dem geiſtreichen Sittenmaler Moſche- roſch das räuberiſche Leben und Parteigehen der Soldaten und Vaganten des Dreißigjährigen Kriegs mit lebhaften Farben ge- ſchildert. Neben dieſer Schilderung werden auch gauneriſche Kunſt- griffe und Gebräuche dargeſtellt und ſehr ſchätzbare Mittheilungen über die Gaunerſprache (Feldſprach) gemacht. Obſchon die ganze Darſtellung ein Geſicht genannt wird, ſo iſt das geſchilderte Räu- berleben in ſeiner vollendeten Roheit und Barbarei ſchauerliche Wahrheit, die überhaupt bei der Mehrzahl der in den ſogenannten Schelmenromanen dargeſtellten Begebenheiten überall durchblickt. 1) 1) ſpiegel betrachten, welcher, wahrſcheinlich zuerſt in niederdeutſcher Sprache, gegen das Ende des 15. Jahrhunderts erſchien und wahrſcheinlich von Thomas Murner nur in das Hochdeutſche übertragen iſt. Die erſte hochdeutſche Ausgabe erſchien 1519 in Quart zu Strasburg. Vgl. Dr. Thomas Murner, „Ulen- ſpiegel“, herausgegeben von J. M. Lappenberg (Leipzig 1854).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/231
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/231>, abgerufen am 04.12.2024.