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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Dreißigstes Kapitel.
g) Die Kutsche.

Jst es dem Gauner nicht möglich, oder erscheint es ihm der
Umgebung und Bewachung wegen nicht rathsam, durch Wort,
Gesang und andere Stimmittel mit seinem Genossen in Verbin-
dung zu treten, oder hat er ihm sonst irgendetwas zuzuplanten, so
wird die Zuflucht zur Kutsche, Agole, genommen. Die Kutsche
ist eine Schnur oder ein Faden, welcher von einem Fenster zum
andern gelassen, und nicht etwa allein gerade herunter, sondern
auch schräge und zur Seite nach einem Fenster geführt werden
kann. Aus dem Garn der Strümpfe, aus den Fäden der Hem-
den, Strohsäcke und Decken werden mit großem Geschick leichte
und starke Schnüre zusammengesetzt; ja selbst von Strohhalmen
habe ich feine, sauber geflochtene, lange Schnüre gesehen. Ein
Stückchen Brot oder der Knäuel am untern Ende des Fadens
führt den Faden senkrecht in das untere Zellenfenster, sehr häufig
wird der Faden in pendelmäßige Schwingung gebracht, daß er
das seitlich unten gelegene Fenster erreicht, zu welchem Zwecke
auch wol der Faden an einem steifen Ende Strohseil befestigt wird,
um die Schwingung zu verstärken. Häufig bei hohen Gefäng-
nissen, an deren Mauerflächen der Luftzug scharf vorbeistreift,
flattert der lose Faden seitlich weg, namentlich wenn ein Blatt
Papier aus dem stets geforderten Erbauungsbuch am untern
Ende befestigt ist, wobei denn die mittels eines Strohhalms oder
Splitters mit Blut markirten Buchstaben zugleich die Mittheilung
erhalten. 1) Jst die Kutsche erst von einem Fenster zum andern
geführt, so dauert die Verbindung der Gauner so lange, bis die
Kutsche entdeckt wird, was bei der Feinheit und meistens dunkeln

1) Mir sind Stücke Leinwand vorgekommen, die eine Gaunerin von ihrem
Hemde abgerissen und mit Blut beschrieben hatte. Auf einem Butterbrot
waren einzelne aus einem Erbauungsbuch gerissene Buchstaben zu einer Notiz
zusammengeklebt und im Gefangenhof unter einen Ziegelstein gelegt; ebenso
in Wecken und kleinen Brötchen auf Papier geschriebene Notizen.
Dreißigſtes Kapitel.
γ) Die Kutſche.

Jſt es dem Gauner nicht möglich, oder erſcheint es ihm der
Umgebung und Bewachung wegen nicht rathſam, durch Wort,
Geſang und andere Stimmittel mit ſeinem Genoſſen in Verbin-
dung zu treten, oder hat er ihm ſonſt irgendetwas zuzuplanten, ſo
wird die Zuflucht zur Kutſche, Agole, genommen. Die Kutſche
iſt eine Schnur oder ein Faden, welcher von einem Fenſter zum
andern gelaſſen, und nicht etwa allein gerade herunter, ſondern
auch ſchräge und zur Seite nach einem Fenſter geführt werden
kann. Aus dem Garn der Strümpfe, aus den Fäden der Hem-
den, Strohſäcke und Decken werden mit großem Geſchick leichte
und ſtarke Schnüre zuſammengeſetzt; ja ſelbſt von Strohhalmen
habe ich feine, ſauber geflochtene, lange Schnüre geſehen. Ein
Stückchen Brot oder der Knäuel am untern Ende des Fadens
führt den Faden ſenkrecht in das untere Zellenfenſter, ſehr häufig
wird der Faden in pendelmäßige Schwingung gebracht, daß er
das ſeitlich unten gelegene Fenſter erreicht, zu welchem Zwecke
auch wol der Faden an einem ſteifen Ende Strohſeil befeſtigt wird,
um die Schwingung zu verſtärken. Häufig bei hohen Gefäng-
niſſen, an deren Mauerflächen der Luftzug ſcharf vorbeiſtreift,
flattert der loſe Faden ſeitlich weg, namentlich wenn ein Blatt
Papier aus dem ſtets geforderten Erbauungsbuch am untern
Ende befeſtigt iſt, wobei denn die mittels eines Strohhalms oder
Splitters mit Blut markirten Buchſtaben zugleich die Mittheilung
erhalten. 1) Jſt die Kutſche erſt von einem Fenſter zum andern
geführt, ſo dauert die Verbindung der Gauner ſo lange, bis die
Kutſche entdeckt wird, was bei der Feinheit und meiſtens dunkeln

1) Mir ſind Stücke Leinwand vorgekommen, die eine Gaunerin von ihrem
Hemde abgeriſſen und mit Blut beſchrieben hatte. Auf einem Butterbrot
waren einzelne aus einem Erbauungsbuch geriſſene Buchſtaben zu einer Notiz
zuſammengeklebt und im Gefangenhof unter einen Ziegelſtein gelegt; ebenſo
in Wecken und kleinen Brötchen auf Papier geſchriebene Notizen.
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[90/0102] Dreißigſtes Kapitel. γ) Die Kutſche. Jſt es dem Gauner nicht möglich, oder erſcheint es ihm der Umgebung und Bewachung wegen nicht rathſam, durch Wort, Geſang und andere Stimmittel mit ſeinem Genoſſen in Verbin- dung zu treten, oder hat er ihm ſonſt irgendetwas zuzuplanten, ſo wird die Zuflucht zur Kutſche, Agole, genommen. Die Kutſche iſt eine Schnur oder ein Faden, welcher von einem Fenſter zum andern gelaſſen, und nicht etwa allein gerade herunter, ſondern auch ſchräge und zur Seite nach einem Fenſter geführt werden kann. Aus dem Garn der Strümpfe, aus den Fäden der Hem- den, Strohſäcke und Decken werden mit großem Geſchick leichte und ſtarke Schnüre zuſammengeſetzt; ja ſelbſt von Strohhalmen habe ich feine, ſauber geflochtene, lange Schnüre geſehen. Ein Stückchen Brot oder der Knäuel am untern Ende des Fadens führt den Faden ſenkrecht in das untere Zellenfenſter, ſehr häufig wird der Faden in pendelmäßige Schwingung gebracht, daß er das ſeitlich unten gelegene Fenſter erreicht, zu welchem Zwecke auch wol der Faden an einem ſteifen Ende Strohſeil befeſtigt wird, um die Schwingung zu verſtärken. Häufig bei hohen Gefäng- niſſen, an deren Mauerflächen der Luftzug ſcharf vorbeiſtreift, flattert der loſe Faden ſeitlich weg, namentlich wenn ein Blatt Papier aus dem ſtets geforderten Erbauungsbuch am untern Ende befeſtigt iſt, wobei denn die mittels eines Strohhalms oder Splitters mit Blut markirten Buchſtaben zugleich die Mittheilung erhalten. 1) Jſt die Kutſche erſt von einem Fenſter zum andern geführt, ſo dauert die Verbindung der Gauner ſo lange, bis die Kutſche entdeckt wird, was bei der Feinheit und meiſtens dunkeln 1) Mir ſind Stücke Leinwand vorgekommen, die eine Gaunerin von ihrem Hemde abgeriſſen und mit Blut beſchrieben hatte. Auf einem Butterbrot waren einzelne aus einem Erbauungsbuch geriſſene Buchſtaben zu einer Notiz zuſammengeklebt und im Gefangenhof unter einen Ziegelſtein gelegt; ebenſo in Wecken und kleinen Brötchen auf Papier geſchriebene Notizen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/102>, abgerufen am 21.11.2024.