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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Sechsundvierzigstes Kapitel.
l) Der Schutz gegen das Schränken.

Bei der Frage nach den Mitteln, mit welchen dem gewalt-
samen Ueberfall und Einbruch wirksam entgegenzutreten sei, möge
man, statt aller Raisonnements über das offenliegende und viel-
besprochene Misverhältniß der Polizei zum Bürgerthum, einmal
einen kurzen Blick in die Geschichte zurückthun. Sehr merkwür-
dig sind die alten einfachen Bauordnungen, welche vorzüglich auf
eine derbe und solide Construction der Häuser hinwiesen, und
schlicht und recht das Bürgerhaus als Burg und Hort der Fa-
milie darstellten. Zur Befestigung dieses seines Hauses trug der
Bürger nun auch gern das Seine bei, construirte Mauer, Thür
und Fenster massiv und solide, und versah alles mit derben
Schlössern, Riegeln und Gittern. 1) Der ganze durch Concurrenz
wesentlich veränderte Verkehr, die billige fabrikmäßige leichte Arbeit
an Stelle der alten zünftischen wahren Kunst, das künstlichere
Leben, die große Lebenslust und die vielen Lebensgenüsse haben jene
solide freiwillige bürgerliche Zuthat, zum eigenen Nachtheil des Bür-
gers, bedeutend, ja fast gänzlich beseitigt und damit dem Verbrecher
durch die leichtgearbeiteten Fenster mit großen Fensterscheiben, durch
die behenden Thüren von Föhrenholz mit leichten Füllungen und
schlechten Fabrikschlössern den Weg in das Haus gebahnt, bei
dessen Festigkeit in früherer Zeit der Räuber vorüberging, ohne an
Einbruch zu denken. Die heutigen Bauordnungen sind wesentlich

len, sondern etwas übrig lassen. Ebenso gibt es: eine Challe schlagen,
gleich untermackeln, von der Diebsbeute den Genossen heimlich etwas ent-
wenden, unterschlagen, verheimlichen. -- Jm Zigeunerischen ist der beinahe
gleichbedeutende Ausdruck Challu, für Lüge, Betrug, Unterschleif; im Sans-
krit tshhala. Vgl. Pott, a. a. O., II, 202. Grolman bezeichnet den oben
unter "Challe handeln" dargestellten Diebstahl mit Schrendefegen, von
Schrende, Stube, wahrscheinlich nach Schäffer, a. a. O., S. 2, obwol
auch Schäffer den Begriff mit Recht weiter ausdehnt als Grolman.
1) Vgl. Gustav Klemm, "Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit",
IX, 118 fg.
Sechsundvierzigſtes Kapitel.
λ) Der Schutz gegen das Schränken.

Bei der Frage nach den Mitteln, mit welchen dem gewalt-
ſamen Ueberfall und Einbruch wirkſam entgegenzutreten ſei, möge
man, ſtatt aller Raiſonnements über das offenliegende und viel-
beſprochene Misverhältniß der Polizei zum Bürgerthum, einmal
einen kurzen Blick in die Geſchichte zurückthun. Sehr merkwür-
dig ſind die alten einfachen Bauordnungen, welche vorzüglich auf
eine derbe und ſolide Conſtruction der Häuſer hinwieſen, und
ſchlicht und recht das Bürgerhaus als Burg und Hort der Fa-
milie darſtellten. Zur Befeſtigung dieſes ſeines Hauſes trug der
Bürger nun auch gern das Seine bei, conſtruirte Mauer, Thür
und Fenſter maſſiv und ſolide, und verſah alles mit derben
Schlöſſern, Riegeln und Gittern. 1) Der ganze durch Concurrenz
weſentlich veränderte Verkehr, die billige fabrikmäßige leichte Arbeit
an Stelle der alten zünftiſchen wahren Kunſt, das künſtlichere
Leben, die große Lebensluſt und die vielen Lebensgenüſſe haben jene
ſolide freiwillige bürgerliche Zuthat, zum eigenen Nachtheil des Bür-
gers, bedeutend, ja faſt gänzlich beſeitigt und damit dem Verbrecher
durch die leichtgearbeiteten Fenſter mit großen Fenſterſcheiben, durch
die behenden Thüren von Föhrenholz mit leichten Füllungen und
ſchlechten Fabrikſchlöſſern den Weg in das Haus gebahnt, bei
deſſen Feſtigkeit in früherer Zeit der Räuber vorüberging, ohne an
Einbruch zu denken. Die heutigen Bauordnungen ſind weſentlich

len, ſondern etwas übrig laſſen. Ebenſo gibt es: eine Challe ſchlagen,
gleich untermackeln, von der Diebsbeute den Genoſſen heimlich etwas ent-
wenden, unterſchlagen, verheimlichen. — Jm Zigeuneriſchen iſt der beinahe
gleichbedeutende Ausdruck Challu, für Lüge, Betrug, Unterſchleif; im Sans-
krit tshhala. Vgl. Pott, a. a. O., II, 202. Grolman bezeichnet den oben
unter „Challe handeln“ dargeſtellten Diebſtahl mit Schrendefegen, von
Schrende, Stube, wahrſcheinlich nach Schäffer, a. a. O., S. 2, obwol
auch Schäffer den Begriff mit Recht weiter ausdehnt als Grolman.
1) Vgl. Guſtav Klemm, „Allgemeine Culturgeſchichte der Menſchheit“,
IX, 118 fg.
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[150/0162] Sechsundvierzigſtes Kapitel. λ) Der Schutz gegen das Schränken. Bei der Frage nach den Mitteln, mit welchen dem gewalt- ſamen Ueberfall und Einbruch wirkſam entgegenzutreten ſei, möge man, ſtatt aller Raiſonnements über das offenliegende und viel- beſprochene Misverhältniß der Polizei zum Bürgerthum, einmal einen kurzen Blick in die Geſchichte zurückthun. Sehr merkwür- dig ſind die alten einfachen Bauordnungen, welche vorzüglich auf eine derbe und ſolide Conſtruction der Häuſer hinwieſen, und ſchlicht und recht das Bürgerhaus als Burg und Hort der Fa- milie darſtellten. Zur Befeſtigung dieſes ſeines Hauſes trug der Bürger nun auch gern das Seine bei, conſtruirte Mauer, Thür und Fenſter maſſiv und ſolide, und verſah alles mit derben Schlöſſern, Riegeln und Gittern. 1) Der ganze durch Concurrenz weſentlich veränderte Verkehr, die billige fabrikmäßige leichte Arbeit an Stelle der alten zünftiſchen wahren Kunſt, das künſtlichere Leben, die große Lebensluſt und die vielen Lebensgenüſſe haben jene ſolide freiwillige bürgerliche Zuthat, zum eigenen Nachtheil des Bür- gers, bedeutend, ja faſt gänzlich beſeitigt und damit dem Verbrecher durch die leichtgearbeiteten Fenſter mit großen Fenſterſcheiben, durch die behenden Thüren von Föhrenholz mit leichten Füllungen und ſchlechten Fabrikſchlöſſern den Weg in das Haus gebahnt, bei deſſen Feſtigkeit in früherer Zeit der Räuber vorüberging, ohne an Einbruch zu denken. Die heutigen Bauordnungen ſind weſentlich 3) 1) Vgl. Guſtav Klemm, „Allgemeine Culturgeſchichte der Menſchheit“, IX, 118 fg. 3) len, ſondern etwas übrig laſſen. Ebenſo gibt es: eine Challe ſchlagen, gleich untermackeln, von der Diebsbeute den Genoſſen heimlich etwas ent- wenden, unterſchlagen, verheimlichen. — Jm Zigeuneriſchen iſt der beinahe gleichbedeutende Ausdruck Challu, für Lüge, Betrug, Unterſchleif; im Sans- krit tshhala. Vgl. Pott, a. a. O., II, 202. Grolman bezeichnet den oben unter „Challe handeln“ dargeſtellten Diebſtahl mit Schrendefegen, von Schrende, Stube, wahrſcheinlich nach Schäffer, a. a. O., S. 2, obwol auch Schäffer den Begriff mit Recht weiter ausdehnt als Grolman.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/162>, abgerufen am 25.04.2024.