auf denselben alten soliden Grundlagen stehen, aber doch wieder auch im Rückstande geblieben. Von der einen Seite sind die Bauord- nungen strenge, in andern Beziehungen sind dagegen manche alte wohlbedachte Einrichtungen und Rücksichten geschwunden, und für das Geschwundene nichts Ausreichendes substituirt worden. So sind mit der frühern Verpflichtung zur festen und sichern Con- struction der Häuser die strengen Nachbarrechte als lästige Beschränkungen fast gänzlich aufgehoben worden, ohne daß man bedeutend in Anschlag brachte, daß jene allen gemein- same Rechte gerade auch allen gemeinsame Pflichten enthiel- ten und auf gegenseitigen Schutz berechnet waren. Wenn ein Hausbesitzer jetzt sein leichtgebautes Haus schlecht in Verschluß hält, und dem Diebe Gelegenheit gibt, in sein Haus und durch dasselbe an und in des Nachbars Haus zu dringen, so wird letzterer ebenso sehr durch die Nachlässigkeit des erstern an Hab und Gut bedroht, wie wenn er selbst nachlässig und feuergefährlich baut und wirthschaftet? Welchen Schutz gewährt der Staat dem Bürger gegen die schlechte Bewachung seines Nachbarhauses, das für die ganze Nachbarschaft ebenso gefährlich sein kann, wie eine aller- dings gemeingefährliche Feuersbrunst, die doch aber auch immer zunächst erst die Nachbarn bedroht? Ein Weitergehen der Bau- und Wohnungspolizei, mindestens in Bezug auf die äußere Solidität und Bewachung der Häuser, ist dringend nothwendig, zumal der Bürger, der sein Haus nicht fest genug gegen den Einbruch sichert, beständig und ungestüm von der Polizei Schutz gegen den Einbruch fordert, und sie laut und scharf in ihren Ein- richtungen tadelt, wenn ein Einbruch geschehen ist. Mit welcher Empfindlichkeit wird aber jede Warnung oder gar Bestrafung von demjenigen zurückgewiesen, welcher über Nacht sein Haus oder sonstige Verschlüsse offen ließ, und sich und die Nachbarschaft in Gefahr setzte! Unzweifelhaft darf der Staat aus denselben Grün- den, mit welchen er gegen den Verschwender, Trunkenbold und Geistesschwachen einschreitet, dem Bürger zur Pflicht machen, daß er das stets von ihm eifersüchtig in Anspruch genommene haus- herrliche Recht auch wirklich und mindestens insoweit ausübe,
auf denſelben alten ſoliden Grundlagen ſtehen, aber doch wieder auch im Rückſtande geblieben. Von der einen Seite ſind die Bauord- nungen ſtrenge, in andern Beziehungen ſind dagegen manche alte wohlbedachte Einrichtungen und Rückſichten geſchwunden, und für das Geſchwundene nichts Ausreichendes ſubſtituirt worden. So ſind mit der frühern Verpflichtung zur feſten und ſichern Con- ſtruction der Häuſer die ſtrengen Nachbarrechte als läſtige Beſchränkungen faſt gänzlich aufgehoben worden, ohne daß man bedeutend in Anſchlag brachte, daß jene allen gemein- ſame Rechte gerade auch allen gemeinſame Pflichten enthiel- ten und auf gegenſeitigen Schutz berechnet waren. Wenn ein Hausbeſitzer jetzt ſein leichtgebautes Haus ſchlecht in Verſchluß hält, und dem Diebe Gelegenheit gibt, in ſein Haus und durch daſſelbe an und in des Nachbars Haus zu dringen, ſo wird letzterer ebenſo ſehr durch die Nachläſſigkeit des erſtern an Hab und Gut bedroht, wie wenn er ſelbſt nachläſſig und feuergefährlich baut und wirthſchaftet? Welchen Schutz gewährt der Staat dem Bürger gegen die ſchlechte Bewachung ſeines Nachbarhauſes, das für die ganze Nachbarſchaft ebenſo gefährlich ſein kann, wie eine aller- dings gemeingefährliche Feuersbrunſt, die doch aber auch immer zunächſt erſt die Nachbarn bedroht? Ein Weitergehen der Bau- und Wohnungspolizei, mindeſtens in Bezug auf die äußere Solidität und Bewachung der Häuſer, iſt dringend nothwendig, zumal der Bürger, der ſein Haus nicht feſt genug gegen den Einbruch ſichert, beſtändig und ungeſtüm von der Polizei Schutz gegen den Einbruch fordert, und ſie laut und ſcharf in ihren Ein- richtungen tadelt, wenn ein Einbruch geſchehen iſt. Mit welcher Empfindlichkeit wird aber jede Warnung oder gar Beſtrafung von demjenigen zurückgewieſen, welcher über Nacht ſein Haus oder ſonſtige Verſchlüſſe offen ließ, und ſich und die Nachbarſchaft in Gefahr ſetzte! Unzweifelhaft darf der Staat aus denſelben Grün- den, mit welchen er gegen den Verſchwender, Trunkenbold und Geiſtesſchwachen einſchreitet, dem Bürger zur Pflicht machen, daß er das ſtets von ihm eiferſüchtig in Anſpruch genommene haus- herrliche Recht auch wirklich und mindeſtens inſoweit ausübe,
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auf denſelben alten ſoliden Grundlagen ſtehen, aber doch wieder auch
im Rückſtande geblieben. Von der einen Seite ſind die Bauord-
nungen ſtrenge, in andern Beziehungen ſind dagegen manche
alte wohlbedachte Einrichtungen und Rückſichten geſchwunden, und
für das Geſchwundene nichts Ausreichendes ſubſtituirt worden.
So ſind mit der frühern Verpflichtung zur feſten und ſichern Con-
ſtruction der Häuſer die ſtrengen Nachbarrechte als läſtige
Beſchränkungen faſt gänzlich aufgehoben worden, ohne daß
man bedeutend in Anſchlag brachte, daß jene allen gemein-
ſame Rechte gerade auch allen gemeinſame Pflichten enthiel-
ten und auf gegenſeitigen Schutz berechnet waren. Wenn
ein Hausbeſitzer jetzt ſein leichtgebautes Haus ſchlecht in Verſchluß
hält, und dem Diebe Gelegenheit gibt, in ſein Haus und durch
daſſelbe an und in des Nachbars Haus zu dringen, ſo wird letzterer
ebenſo ſehr durch die Nachläſſigkeit des erſtern an Hab und Gut
bedroht, wie wenn er ſelbſt nachläſſig und feuergefährlich baut und
wirthſchaftet? Welchen Schutz gewährt der Staat dem Bürger
gegen die ſchlechte Bewachung ſeines Nachbarhauſes, das für die
ganze Nachbarſchaft ebenſo gefährlich ſein kann, wie eine aller-
dings gemeingefährliche Feuersbrunſt, die doch aber auch immer
zunächſt erſt die Nachbarn bedroht? Ein Weitergehen der Bau-
und Wohnungspolizei, mindeſtens in Bezug auf die äußere
Solidität und Bewachung der Häuſer, iſt dringend nothwendig,
zumal der Bürger, der ſein Haus nicht feſt genug gegen den
Einbruch ſichert, beſtändig und ungeſtüm von der Polizei Schutz
gegen den Einbruch fordert, und ſie laut und ſcharf in ihren Ein-
richtungen tadelt, wenn ein Einbruch geſchehen iſt. Mit welcher
Empfindlichkeit wird aber jede Warnung oder gar Beſtrafung von
demjenigen zurückgewieſen, welcher über Nacht ſein Haus oder
ſonſtige Verſchlüſſe offen ließ, und ſich und die Nachbarſchaft in
Gefahr ſetzte! Unzweifelhaft darf der Staat aus denſelben Grün-
den, mit welchen er gegen den Verſchwender, Trunkenbold und
Geiſtesſchwachen einſchreitet, dem Bürger zur Pflicht machen, daß
er das ſtets von ihm eiferſüchtig in Anſpruch genommene haus-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/163>, abgerufen am 24.11.2024.
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