daß er dadurch das Jnteresse Dritter oder des Ganzen nicht in Gefahr bringt.
Auch der nächtliche Schutz des Bürgerhauses und der städti- schen Gemeinde, welche früher der Bürger selbst sich dringend an- gelegen sein ließ, ist gegen früher ganz vernachlässigt vom Bür- ger. Seitdem der Potestas zu Bologna 1271 die zünftischen Waffenausschüsse vermochte, sich der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt anzunehmen, und jene Fähnlein der "Lombarden", "von der Klaue" und "vom Greiffen" bildete 1), fand diese rühmliche Einrichtung auch in Deutschland rasche Verbreitung und bis in die neuere Zeit eine so consequente Beibehaltung, daß sogar die mittelalterliche Costümirung der Nachtwachen mit Helle- barde oder Spieß u. s. w. an vielen Orten sich noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Diese directe Betheiligung des Bürgerthums an der öffentlichen Sicherheit hat gänzlich aufgehört. Dafür fordert der Bürger sogar vom Staate auch den äußern Schutz seines ohnehin leicht oder nachlässig gebauten und ver- schlossenen Hauses, und betrachtet es als eine lästige und un- motivirte Forderung, wenn ihm zugemuthet wird, daß er im Ge- meindeverbande selbst für die nächtliche Sicherheit sorge. Jmmer genügt er dieser Forderung denn nun auch, zum eigenen Schaden, lässig und unfreiwillig, und nur dann, wenn er ihr nicht aus- weichen kann. Nirgends kommen häufiger Einbrüche vor, als in kleinen Städten und Dörfern, nicht so sehr weil diese Ortschaften offen liegen, als weil die Nachtwache schlecht eingerichtet ist, und häufig aus einem einzigen alten stumpfen, halb blödsinnigen Hirtenknecht besteht, der für einen erbärmlichen Lohn sich dazu hergibt, einige male des Nachts in der Dorfgasse auf- und abzu- gehen. Wie wenig Widerstand findet das Verbrechen mit seiner verwegenen Kunst, wie reichlich kann es sich nähren von der so vielfach gebotenen Gelegenheit, und wie wen[ig] darf das Bürger- thum die Ausrottung der überdies allzeit zum offenen Aufstande bereiten Verbrechermasse hoffen, wenn es sich nicht bald mit der
1) Vgl. Hüllmann, "Städtewesen des Mittelalters", IV, 7 fg.
daß er dadurch das Jntereſſe Dritter oder des Ganzen nicht in Gefahr bringt.
Auch der nächtliche Schutz des Bürgerhauſes und der ſtädti- ſchen Gemeinde, welche früher der Bürger ſelbſt ſich dringend an- gelegen ſein ließ, iſt gegen früher ganz vernachläſſigt vom Bür- ger. Seitdem der Poteſtas zu Bologna 1271 die zünftiſchen Waffenausſchüſſe vermochte, ſich der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt anzunehmen, und jene Fähnlein der „Lombarden“, „von der Klaue“ und „vom Greiffen“ bildete 1), fand dieſe rühmliche Einrichtung auch in Deutſchland raſche Verbreitung und bis in die neuere Zeit eine ſo conſequente Beibehaltung, daß ſogar die mittelalterliche Coſtümirung der Nachtwachen mit Helle- barde oder Spieß u. ſ. w. an vielen Orten ſich noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Dieſe directe Betheiligung des Bürgerthums an der öffentlichen Sicherheit hat gänzlich aufgehört. Dafür fordert der Bürger ſogar vom Staate auch den äußern Schutz ſeines ohnehin leicht oder nachläſſig gebauten und ver- ſchloſſenen Hauſes, und betrachtet es als eine läſtige und un- motivirte Forderung, wenn ihm zugemuthet wird, daß er im Ge- meindeverbande ſelbſt für die nächtliche Sicherheit ſorge. Jmmer genügt er dieſer Forderung denn nun auch, zum eigenen Schaden, läſſig und unfreiwillig, und nur dann, wenn er ihr nicht aus- weichen kann. Nirgends kommen häufiger Einbrüche vor, als in kleinen Städten und Dörfern, nicht ſo ſehr weil dieſe Ortſchaften offen liegen, als weil die Nachtwache ſchlecht eingerichtet iſt, und häufig aus einem einzigen alten ſtumpfen, halb blödſinnigen Hirtenknecht beſteht, der für einen erbärmlichen Lohn ſich dazu hergibt, einige male des Nachts in der Dorfgaſſe auf- und abzu- gehen. Wie wenig Widerſtand findet das Verbrechen mit ſeiner verwegenen Kunſt, wie reichlich kann es ſich nähren von der ſo vielfach gebotenen Gelegenheit, und wie wen[ig] darf das Bürger- thum die Ausrottung der überdies allzeit zum offenen Aufſtande bereiten Verbrechermaſſe hoffen, wenn es ſich nicht bald mit der
1) Vgl. Hüllmann, „Städteweſen des Mittelalters“, IV, 7 fg.
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daß er dadurch das Jntereſſe Dritter oder des Ganzen nicht in
Gefahr bringt.
Auch der nächtliche Schutz des Bürgerhauſes und der ſtädti-
ſchen Gemeinde, welche früher der Bürger ſelbſt ſich dringend an-
gelegen ſein ließ, iſt gegen früher ganz vernachläſſigt vom Bür-
ger. Seitdem der Poteſtas zu Bologna 1271 die zünftiſchen
Waffenausſchüſſe vermochte, ſich der öffentlichen Sicherheit und
Wohlfahrt anzunehmen, und jene Fähnlein der „Lombarden“,
„von der Klaue“ und „vom Greiffen“ bildete 1), fand dieſe
rühmliche Einrichtung auch in Deutſchland raſche Verbreitung
und bis in die neuere Zeit eine ſo conſequente Beibehaltung, daß
ſogar die mittelalterliche Coſtümirung der Nachtwachen mit Helle-
barde oder Spieß u. ſ. w. an vielen Orten ſich noch bis auf
den heutigen Tag erhalten hat. Dieſe directe Betheiligung des
Bürgerthums an der öffentlichen Sicherheit hat gänzlich aufgehört.
Dafür fordert der Bürger ſogar vom Staate auch den äußern
Schutz ſeines ohnehin leicht oder nachläſſig gebauten und ver-
ſchloſſenen Hauſes, und betrachtet es als eine läſtige und un-
motivirte Forderung, wenn ihm zugemuthet wird, daß er im Ge-
meindeverbande ſelbſt für die nächtliche Sicherheit ſorge. Jmmer
genügt er dieſer Forderung denn nun auch, zum eigenen Schaden,
läſſig und unfreiwillig, und nur dann, wenn er ihr nicht aus-
weichen kann. Nirgends kommen häufiger Einbrüche vor, als in
kleinen Städten und Dörfern, nicht ſo ſehr weil dieſe Ortſchaften
offen liegen, als weil die Nachtwache ſchlecht eingerichtet iſt, und
häufig aus einem einzigen alten ſtumpfen, halb blödſinnigen
Hirtenknecht beſteht, der für einen erbärmlichen Lohn ſich dazu
hergibt, einige male des Nachts in der Dorfgaſſe auf- und abzu-
gehen. Wie wenig Widerſtand findet das Verbrechen mit ſeiner
verwegenen Kunſt, wie reichlich kann es ſich nähren von der ſo
vielfach gebotenen Gelegenheit, und wie wenig darf das Bürger-
thum die Ausrottung der überdies allzeit zum offenen Aufſtande
bereiten Verbrechermaſſe hoffen, wenn es ſich nicht bald mit der
1) Vgl. Hüllmann, „Städteweſen des Mittelalters“, IV, 7 fg.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/164>, abgerufen am 16.02.2025.
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