Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sie in ihrer unmittelbaren Gegenwart und vor ihren Augen
so arg bestohlen werden, wobei sie den unleugbar vorhandenen
Lagerdefect bei der Jahresinventur auf jegliche andere Ursache
schieben, als auf das Schottenfellen. 1) Kein Jndustriezweig des
Gaunerthums hat sich in das Handelsleben so tief und unschein-
bar eingebürgert wie das Schottenfellen, das ebenso gut unter der
Maske einer schlichten Bürgerfrau und manierirten Gouvernante
betrieben wird, welche Leinwand zu einer Schürze oder ein seidenes
Kleid kaufen, als von der Baronin oder dem Grafen, welcher in
der Equipage vorfährt und um die theuerste Waare handelt. Das
Schottenfellen hat keinen sichtbaren technischen Apparat, keine Ge-
waltthätigkeit, keine andere Manipulation als das geschickte, heim-
liche Verschwindenmachen unter dem Gange des alltäglichen
Scheins, Gesprächs und Handelns. Dieser Umstand gerade ist
es, der dem Verkäufer noch immer Vertrauen zu rechtlicher Kund-
schaft und dem Schottenfeller so große Sicherheit gibt, daß er
schon bei einiger Uebung und Erfahrung den Vertusser oder Schre-
kener ganz beiseite läßt, und auf eigene Hand und Gefahr
Schätze aus den Läden hebt, die in das Unglaubliche gehen, und
von deren Größe man eine Ahnung bekommen kann, wenn man
auf die Spottpreise sieht, für welche eine Unzahl der verschieden-
sten Waaren aus den Läden wie auf der Hausirkarre, "unter der
Hand, durch besondere Gelegenheit, unter Einkaufspreis, im
Ausverkauf, als Bergegut, aus Assecuranzauction", oder wie sonst
die Redensarten lauten, verkauft wird.

Besonders wird von Frauenzimmern das Schottenfellen be-

1) Oft haben mir Kaufleute mit großer Zuversicht ausgesprochen, daß es
ganz unmöglich sei, in ihrem Laden bestohlen zu werden, da sie mit ihren
Commis bestimmte Zeichen verabredet hätten, um gegenseitig die besondere Auf-
merksamkeit auf verdächtige Jndividuen zu lenken. Dahin gehört das Zurufen
einer scheinbaren Packsignatur, wie z. B. D. C. S. "Die Canaille stiehlt!"
oder P. A. D. C. "Paß auf die Canaille!" u. dgl. Aber die raffinirten
Schottenfeller geben sich gerade das unverdächtigste Aeußere, wissen sehr genau,
was alle jene Zurufe zu bedeuten haben, und verdoppeln dabei nur ihre Ge-
schicklichkeit erst recht aus Uebermuth.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 13

daß ſie in ihrer unmittelbaren Gegenwart und vor ihren Augen
ſo arg beſtohlen werden, wobei ſie den unleugbar vorhandenen
Lagerdefect bei der Jahresinventur auf jegliche andere Urſache
ſchieben, als auf das Schottenfellen. 1) Kein Jnduſtriezweig des
Gaunerthums hat ſich in das Handelsleben ſo tief und unſchein-
bar eingebürgert wie das Schottenfellen, das ebenſo gut unter der
Maske einer ſchlichten Bürgerfrau und manierirten Gouvernante
betrieben wird, welche Leinwand zu einer Schürze oder ein ſeidenes
Kleid kaufen, als von der Baronin oder dem Grafen, welcher in
der Equipage vorfährt und um die theuerſte Waare handelt. Das
Schottenfellen hat keinen ſichtbaren techniſchen Apparat, keine Ge-
waltthätigkeit, keine andere Manipulation als das geſchickte, heim-
liche Verſchwindenmachen unter dem Gange des alltäglichen
Scheins, Geſprächs und Handelns. Dieſer Umſtand gerade iſt
es, der dem Verkäufer noch immer Vertrauen zu rechtlicher Kund-
ſchaft und dem Schottenfeller ſo große Sicherheit gibt, daß er
ſchon bei einiger Uebung und Erfahrung den Vertuſſer oder Schre-
kener ganz beiſeite läßt, und auf eigene Hand und Gefahr
Schätze aus den Läden hebt, die in das Unglaubliche gehen, und
von deren Größe man eine Ahnung bekommen kann, wenn man
auf die Spottpreiſe ſieht, für welche eine Unzahl der verſchieden-
ſten Waaren aus den Läden wie auf der Hauſirkarre, „unter der
Hand, durch beſondere Gelegenheit, unter Einkaufspreis, im
Ausverkauf, als Bergegut, aus Aſſecuranzauction“, oder wie ſonſt
die Redensarten lauten, verkauft wird.

Beſonders wird von Frauenzimmern das Schottenfellen be-

1) Oft haben mir Kaufleute mit großer Zuverſicht ausgeſprochen, daß es
ganz unmöglich ſei, in ihrem Laden beſtohlen zu werden, da ſie mit ihren
Commis beſtimmte Zeichen verabredet hätten, um gegenſeitig die beſondere Auf-
merkſamkeit auf verdächtige Jndividuen zu lenken. Dahin gehört das Zurufen
einer ſcheinbaren Packſignatur, wie z. B. D. C. S. „Die Canaille ſtiehlt!“
oder P. A. D. C. „Paß auf die Canaille!“ u. dgl. Aber die raffinirten
Schottenfeller geben ſich gerade das unverdächtigſte Aeußere, wiſſen ſehr genau,
was alle jene Zurufe zu bedeuten haben, und verdoppeln dabei nur ihre Ge-
ſchicklichkeit erſt recht aus Uebermuth.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0205" n="193"/>
daß &#x017F;ie in ihrer unmittelbaren Gegenwart und vor ihren Augen<lb/>
&#x017F;o arg be&#x017F;tohlen werden, wobei &#x017F;ie den unleugbar vorhandenen<lb/>
Lagerdefect bei der Jahresinventur auf jegliche andere Ur&#x017F;ache<lb/>
&#x017F;chieben, als auf das Schottenfellen. <note place="foot" n="1)">Oft haben mir Kaufleute mit großer Zuver&#x017F;icht ausge&#x017F;prochen, daß es<lb/>
ganz unmöglich &#x017F;ei, in ihrem Laden be&#x017F;tohlen zu werden, da &#x017F;ie mit ihren<lb/>
Commis be&#x017F;timmte Zeichen verabredet hätten, um gegen&#x017F;eitig die be&#x017F;ondere Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit auf verdächtige Jndividuen zu lenken. Dahin gehört das Zurufen<lb/>
einer &#x017F;cheinbaren Pack&#x017F;ignatur, wie z. B. <hi rendition="#b">D. C. S.</hi> &#x201E;Die Canaille &#x017F;tiehlt!&#x201C;<lb/>
oder <hi rendition="#b">P. A. D. C.</hi> &#x201E;Paß auf die Canaille!&#x201C; u. dgl. Aber die raffinirten<lb/>
Schottenfeller geben &#x017F;ich gerade das unverdächtig&#x017F;te Aeußere, wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehr genau,<lb/>
was alle jene Zurufe zu bedeuten haben, und verdoppeln dabei nur ihre Ge-<lb/>
&#x017F;chicklichkeit er&#x017F;t recht aus Uebermuth.</note> Kein Jndu&#x017F;triezweig des<lb/>
Gaunerthums hat &#x017F;ich in das Handelsleben &#x017F;o tief und un&#x017F;chein-<lb/>
bar eingebürgert wie das Schottenfellen, das eben&#x017F;o gut unter der<lb/>
Maske einer &#x017F;chlichten Bürgerfrau und manierirten Gouvernante<lb/>
betrieben wird, welche Leinwand zu einer Schürze oder ein &#x017F;eidenes<lb/>
Kleid kaufen, als von der Baronin oder dem Grafen, welcher in<lb/>
der Equipage vorfährt und um die theuer&#x017F;te Waare handelt. Das<lb/>
Schottenfellen hat keinen &#x017F;ichtbaren techni&#x017F;chen Apparat, keine Ge-<lb/>
waltthätigkeit, keine andere Manipulation als das ge&#x017F;chickte, heim-<lb/>
liche Ver&#x017F;chwindenmachen unter dem Gange des alltäglichen<lb/>
Scheins, Ge&#x017F;prächs und Handelns. Die&#x017F;er Um&#x017F;tand gerade i&#x017F;t<lb/>
es, der dem Verkäufer noch immer Vertrauen zu rechtlicher Kund-<lb/>
&#x017F;chaft und dem Schottenfeller &#x017F;o große Sicherheit gibt, daß er<lb/>
&#x017F;chon bei einiger Uebung und Erfahrung den Vertu&#x017F;&#x017F;er oder Schre-<lb/>
kener ganz bei&#x017F;eite läßt, und auf eigene Hand und Gefahr<lb/>
Schätze aus den Läden hebt, die in das Unglaubliche gehen, und<lb/>
von deren Größe man eine Ahnung bekommen kann, wenn man<lb/>
auf die Spottprei&#x017F;e &#x017F;ieht, für welche eine Unzahl der ver&#x017F;chieden-<lb/>
&#x017F;ten Waaren aus den Läden wie auf der Hau&#x017F;irkarre, &#x201E;unter der<lb/>
Hand, durch be&#x017F;ondere Gelegenheit, unter Einkaufspreis, im<lb/>
Ausverkauf, als Bergegut, aus A&#x017F;&#x017F;ecuranzauction&#x201C;, oder wie &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
die Redensarten lauten, verkauft wird.</p><lb/>
              <p>Be&#x017F;onders wird von Frauenzimmern das Schottenfellen be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Avé-Lallemant,</hi> Gaunerthum. <hi rendition="#aq">II.</hi> 13</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0205] daß ſie in ihrer unmittelbaren Gegenwart und vor ihren Augen ſo arg beſtohlen werden, wobei ſie den unleugbar vorhandenen Lagerdefect bei der Jahresinventur auf jegliche andere Urſache ſchieben, als auf das Schottenfellen. 1) Kein Jnduſtriezweig des Gaunerthums hat ſich in das Handelsleben ſo tief und unſchein- bar eingebürgert wie das Schottenfellen, das ebenſo gut unter der Maske einer ſchlichten Bürgerfrau und manierirten Gouvernante betrieben wird, welche Leinwand zu einer Schürze oder ein ſeidenes Kleid kaufen, als von der Baronin oder dem Grafen, welcher in der Equipage vorfährt und um die theuerſte Waare handelt. Das Schottenfellen hat keinen ſichtbaren techniſchen Apparat, keine Ge- waltthätigkeit, keine andere Manipulation als das geſchickte, heim- liche Verſchwindenmachen unter dem Gange des alltäglichen Scheins, Geſprächs und Handelns. Dieſer Umſtand gerade iſt es, der dem Verkäufer noch immer Vertrauen zu rechtlicher Kund- ſchaft und dem Schottenfeller ſo große Sicherheit gibt, daß er ſchon bei einiger Uebung und Erfahrung den Vertuſſer oder Schre- kener ganz beiſeite läßt, und auf eigene Hand und Gefahr Schätze aus den Läden hebt, die in das Unglaubliche gehen, und von deren Größe man eine Ahnung bekommen kann, wenn man auf die Spottpreiſe ſieht, für welche eine Unzahl der verſchieden- ſten Waaren aus den Läden wie auf der Hauſirkarre, „unter der Hand, durch beſondere Gelegenheit, unter Einkaufspreis, im Ausverkauf, als Bergegut, aus Aſſecuranzauction“, oder wie ſonſt die Redensarten lauten, verkauft wird. Beſonders wird von Frauenzimmern das Schottenfellen be- 1) Oft haben mir Kaufleute mit großer Zuverſicht ausgeſprochen, daß es ganz unmöglich ſei, in ihrem Laden beſtohlen zu werden, da ſie mit ihren Commis beſtimmte Zeichen verabredet hätten, um gegenſeitig die beſondere Auf- merkſamkeit auf verdächtige Jndividuen zu lenken. Dahin gehört das Zurufen einer ſcheinbaren Packſignatur, wie z. B. D. C. S. „Die Canaille ſtiehlt!“ oder P. A. D. C. „Paß auf die Canaille!“ u. dgl. Aber die raffinirten Schottenfeller geben ſich gerade das unverdächtigſte Aeußere, wiſſen ſehr genau, was alle jene Zurufe zu bedeuten haben, und verdoppeln dabei nur ihre Ge- ſchicklichkeit erſt recht aus Uebermuth. Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/205
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/205>, abgerufen am 04.12.2024.