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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Gaunersprache durch heimliches Hineinlangen wegnehmen, na-
mentlich von kleinern Gegenständen 1); wie denn auch das heim-
liche Wegnehmen des Geldes bei dem Chalfenen stippen genannt
wird. Besonders wird mit Stippen das Stehlen von Geld aus
Ladenkassen, Lesfinne 2), durch die Geldritze (Nekef) mittels der
Stippruthe bezeichnet. Die Stippruthe ist eine dünngeschabte
Stange Fischbein, 1--11/4 Fuß lang, die mit Vogelleim bestrichen
und in die Geldritzen gesteckt wird, sodaß das in der Kasse be-
findliche Geld an der Ruthe anklebt, welche dann mit dem Gelde
herausgezogen wird. Das Stippen wird oft unter Beistand eines
Vertussers oder Schmusers vorgenommen, ist aber immer ein ge-
wagtes und wenig lohnendes Unternehmen, da nur kleine Mün-
zen fest an der Ruthe bleiben, während die größern leicht an-
stoßen und durch ihr Abfallen verdächtiges Geräusch erregen. Die
Stippruthe wird daher meistens nur von unerfahrenen Anfängern
angewandt, bis sie bei der leidigen Operation ertappt und vor-
sichtiger werden. Jm Fall der Entdeckung bleibt dem Gauner
nur die rasche Flucht übrig, die er häufig dadurch erleichtert, daß
er dem Entdecker die Stippruthe ins Gesicht schlägt, um ihn für
den ersten Augenblick zu consterniren. Die Stippruthe ist eine
alte Erfindung, die besonders von John Hall (+ 1707) und von
Koch, dem Genossen des Lips Tullian, angewendet wurde, wie man
denn auch den Koch in den gedruckten Acten (vgl. die Literatur,
Lips Tullian) mit der Stippruthe abgebildet findet. Die Opferstöcke

1) Jn dieser Bedeutung ist auch der Ausdruck stipitzen in die Volks-
sprache übergegangen, der vielleicht zunächst von dem mittelhochdeutschen pfe-
tzen, pfitzen,
zupfen, kneifen, abkneifen, herzuleiten ist, aber auch wol mit
dem gaunerischen Ausdruck fetzen und Stip zusammenhängt. Vgl. Kap. 35,
unter dem Ausdruck fetzen.
2) Finne, corrumpirt von Penne oder Pinne, welches von [fremdsprachliches Material - fehlt], sich
wenden, einkehren, abzuleiten ist, und Behausung, Einkehr bedeutet. Vgl. un-
ten Kap. 89, das Schärfen. Vielleicht ist das "Les" vom jüdisch-deutschen
lutz [fremdsprachliches Material - fehlt], auslachen, verhöhnen, abzuleiten, wovon letz [fremdsprachliches Material - fehlt], Plural letzim
[fremdsprachliches Material - fehlt], Spötter, Höhnender. Uebereinstimmend ist das deutsche: die Letz,
Ergötzung, Possen, Schabernack. Vgl. Schmeller, a. a. O., II, 529.

Gaunerſprache durch heimliches Hineinlangen wegnehmen, na-
mentlich von kleinern Gegenſtänden 1); wie denn auch das heim-
liche Wegnehmen des Geldes bei dem Chalfenen ſtippen genannt
wird. Beſonders wird mit Stippen das Stehlen von Geld aus
Ladenkaſſen, Lesfinne 2), durch die Geldritze (Nekef) mittels der
Stippruthe bezeichnet. Die Stippruthe iſt eine dünngeſchabte
Stange Fiſchbein, 1—1¼ Fuß lang, die mit Vogelleim beſtrichen
und in die Geldritzen geſteckt wird, ſodaß das in der Kaſſe be-
findliche Geld an der Ruthe anklebt, welche dann mit dem Gelde
herausgezogen wird. Das Stippen wird oft unter Beiſtand eines
Vertuſſers oder Schmuſers vorgenommen, iſt aber immer ein ge-
wagtes und wenig lohnendes Unternehmen, da nur kleine Mün-
zen feſt an der Ruthe bleiben, während die größern leicht an-
ſtoßen und durch ihr Abfallen verdächtiges Geräuſch erregen. Die
Stippruthe wird daher meiſtens nur von unerfahrenen Anfängern
angewandt, bis ſie bei der leidigen Operation ertappt und vor-
ſichtiger werden. Jm Fall der Entdeckung bleibt dem Gauner
nur die raſche Flucht übrig, die er häufig dadurch erleichtert, daß
er dem Entdecker die Stippruthe ins Geſicht ſchlägt, um ihn für
den erſten Augenblick zu conſterniren. Die Stippruthe iſt eine
alte Erfindung, die beſonders von John Hall († 1707) und von
Koch, dem Genoſſen des Lips Tullian, angewendet wurde, wie man
denn auch den Koch in den gedruckten Acten (vgl. die Literatur,
Lips Tullian) mit der Stippruthe abgebildet findet. Die Opferſtöcke

1) Jn dieſer Bedeutung iſt auch der Ausdruck ſtipitzen in die Volks-
ſprache übergegangen, der vielleicht zunächſt von dem mittelhochdeutſchen pfe-
tzen, pfitzen,
zupfen, kneifen, abkneifen, herzuleiten iſt, aber auch wol mit
dem gauneriſchen Ausdruck fetzen und Stip zuſammenhängt. Vgl. Kap. 35,
unter dem Ausdruck fetzen.
2) Finne, corrumpirt von Penne oder Pinne, welches von [fremdsprachliches Material – fehlt], ſich
wenden, einkehren, abzuleiten iſt, und Behauſung, Einkehr bedeutet. Vgl. un-
ten Kap. 89, das Schärfen. Vielleicht iſt das „Les“ vom jüdiſch-deutſchen
lutz [fremdsprachliches Material – fehlt], auslachen, verhöhnen, abzuleiten, wovon letz [fremdsprachliches Material – fehlt], Plural letzim
[fremdsprachliches Material – fehlt], Spötter, Höhnender. Uebereinſtimmend iſt das deutſche: die Letz,
Ergötzung, Poſſen, Schabernack. Vgl. Schmeller, a. a. O., II, 529.
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[222/0234] Gaunerſprache durch heimliches Hineinlangen wegnehmen, na- mentlich von kleinern Gegenſtänden 1); wie denn auch das heim- liche Wegnehmen des Geldes bei dem Chalfenen ſtippen genannt wird. Beſonders wird mit Stippen das Stehlen von Geld aus Ladenkaſſen, Lesfinne 2), durch die Geldritze (Nekef) mittels der Stippruthe bezeichnet. Die Stippruthe iſt eine dünngeſchabte Stange Fiſchbein, 1—1¼ Fuß lang, die mit Vogelleim beſtrichen und in die Geldritzen geſteckt wird, ſodaß das in der Kaſſe be- findliche Geld an der Ruthe anklebt, welche dann mit dem Gelde herausgezogen wird. Das Stippen wird oft unter Beiſtand eines Vertuſſers oder Schmuſers vorgenommen, iſt aber immer ein ge- wagtes und wenig lohnendes Unternehmen, da nur kleine Mün- zen feſt an der Ruthe bleiben, während die größern leicht an- ſtoßen und durch ihr Abfallen verdächtiges Geräuſch erregen. Die Stippruthe wird daher meiſtens nur von unerfahrenen Anfängern angewandt, bis ſie bei der leidigen Operation ertappt und vor- ſichtiger werden. Jm Fall der Entdeckung bleibt dem Gauner nur die raſche Flucht übrig, die er häufig dadurch erleichtert, daß er dem Entdecker die Stippruthe ins Geſicht ſchlägt, um ihn für den erſten Augenblick zu conſterniren. Die Stippruthe iſt eine alte Erfindung, die beſonders von John Hall († 1707) und von Koch, dem Genoſſen des Lips Tullian, angewendet wurde, wie man denn auch den Koch in den gedruckten Acten (vgl. die Literatur, Lips Tullian) mit der Stippruthe abgebildet findet. Die Opferſtöcke 1) Jn dieſer Bedeutung iſt auch der Ausdruck ſtipitzen in die Volks- ſprache übergegangen, der vielleicht zunächſt von dem mittelhochdeutſchen pfe- tzen, pfitzen, zupfen, kneifen, abkneifen, herzuleiten iſt, aber auch wol mit dem gauneriſchen Ausdruck fetzen und Stip zuſammenhängt. Vgl. Kap. 35, unter dem Ausdruck fetzen. 2) Finne, corrumpirt von Penne oder Pinne, welches von _ , ſich wenden, einkehren, abzuleiten iſt, und Behauſung, Einkehr bedeutet. Vgl. un- ten Kap. 89, das Schärfen. Vielleicht iſt das „Les“ vom jüdiſch-deutſchen lutz _ , auslachen, verhöhnen, abzuleiten, wovon letz _ , Plural letzim _ , Spötter, Höhnender. Uebereinſtimmend iſt das deutſche: die Letz, Ergötzung, Poſſen, Schabernack. Vgl. Schmeller, a. a. O., II, 529.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/234>, abgerufen am 24.04.2024.