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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Weise reiche Ausbeute machte. Eine Dirne wußte auf den
Marktplätzen den Käuferinnen unter dem gefälligen Anerbieten,
ein gelöstes Schuhband wieder zu befestigen, sogar in kniender
Stellung die Kleider mit einer Hand niederzuziehen und mit der
andern Hand die Portemonnaies aus den Taschen zu stehlen. 1)
Noch eine ganz junge Dirne beobachtete abends durch die Laden-
fenster, an welcher Seite des Kleides die Käuferinnen ihre Geld-
beutel in die Tasche steckten, und wußte, unter unbefangenem, tän-
delndem Kindergeschwätz, neben den ihr ganz unbekannten Personen
eine Zeit lang einherzutrollen, bis sie unvermerkt den Geldbeutel
aus der Tasche gestohlen hatte. Rennende Jungen wissen so ge-
schickte Griffe in die Körbe oder gegen die in der Hand getragenen
Beutel und Taschen zu machen, daß der Diebstahl oft erst spät
bemerkt, oder, wenn der Verlust bemerkt, doch an den Diebstahl
zunächst nicht geglaubt, vielmehr, durch Suchen nach dem Verloren-
geglaubten, dem Diebe erst recht Gelegenheit zur unverdächtigen
oder raschen Entfernung gegeben wird. Unglaublichen Ertrag
geben die Taschendiebstähle in den Bordells, in welchen die ver-
worfenen Geschöpfe bei der Preisgebung mit desto größerer Zu-
versicht stehlen, als sie wissen, daß der Bestohlene seinen Verlust,
wenn er auch später den Diebstahl ahnet, lieber verschmerzt, als
seine Ausschweifung der Polizei verräth. Besonders kecke Taschen-
diebinnen sind die sich in Verstecken preisgebenden Gassendirnen
(Dappelschicksen), die später schwer oder gar nicht einmal aufge-
funden werden können. Nicht minder frech ist das Ausplündern

1) Der eigenthümliche Griff der Hand heißt die Schere. Zur Schere
dient der Zeigefinger und Mittelfinger, welche seitlich voneinander bewegt und
wie die Schneiden einer Schere zusammengeführt werden, um das in der
Tasche des Freiers befindliche Portemonnaie u. s. w. zu fassen. Der Torf-
drucker führt die Hand gewöhnlich so in die Tasche, daß der Rücken seiner Hand
gegen den Körper des Freiers gewendet ist, damit er desto leichter die Tasche
vom Körper abbiegen und jede körperliche Berührung vermeiden kann; der
Daumen, der vierte und fünfte Finger liegen leicht in der innern Hand, und
werden nach Bedürfniß zur Ausweitung der Taschenfalten bewegt, um so den
Durchgang und die Operation der Schere zu erleichtern.

Weiſe reiche Ausbeute machte. Eine Dirne wußte auf den
Marktplätzen den Käuferinnen unter dem gefälligen Anerbieten,
ein gelöſtes Schuhband wieder zu befeſtigen, ſogar in kniender
Stellung die Kleider mit einer Hand niederzuziehen und mit der
andern Hand die Portemonnaies aus den Taſchen zu ſtehlen. 1)
Noch eine ganz junge Dirne beobachtete abends durch die Laden-
fenſter, an welcher Seite des Kleides die Käuferinnen ihre Geld-
beutel in die Taſche ſteckten, und wußte, unter unbefangenem, tän-
delndem Kindergeſchwätz, neben den ihr ganz unbekannten Perſonen
eine Zeit lang einherzutrollen, bis ſie unvermerkt den Geldbeutel
aus der Taſche geſtohlen hatte. Rennende Jungen wiſſen ſo ge-
ſchickte Griffe in die Körbe oder gegen die in der Hand getragenen
Beutel und Taſchen zu machen, daß der Diebſtahl oft erſt ſpät
bemerkt, oder, wenn der Verluſt bemerkt, doch an den Diebſtahl
zunächſt nicht geglaubt, vielmehr, durch Suchen nach dem Verloren-
geglaubten, dem Diebe erſt recht Gelegenheit zur unverdächtigen
oder raſchen Entfernung gegeben wird. Unglaublichen Ertrag
geben die Taſchendiebſtähle in den Bordells, in welchen die ver-
worfenen Geſchöpfe bei der Preisgebung mit deſto größerer Zu-
verſicht ſtehlen, als ſie wiſſen, daß der Beſtohlene ſeinen Verluſt,
wenn er auch ſpäter den Diebſtahl ahnet, lieber verſchmerzt, als
ſeine Ausſchweifung der Polizei verräth. Beſonders kecke Taſchen-
diebinnen ſind die ſich in Verſtecken preisgebenden Gaſſendirnen
(Dappelſchickſen), die ſpäter ſchwer oder gar nicht einmal aufge-
funden werden können. Nicht minder frech iſt das Ausplündern

1) Der eigenthümliche Griff der Hand heißt die Schere. Zur Schere
dient der Zeigefinger und Mittelfinger, welche ſeitlich voneinander bewegt und
wie die Schneiden einer Schere zuſammengeführt werden, um das in der
Taſche des Freiers befindliche Portemonnaie u. ſ. w. zu faſſen. Der Torf-
drucker führt die Hand gewöhnlich ſo in die Taſche, daß der Rücken ſeiner Hand
gegen den Körper des Freiers gewendet iſt, damit er deſto leichter die Taſche
vom Körper abbiegen und jede körperliche Berührung vermeiden kann; der
Daumen, der vierte und fünfte Finger liegen leicht in der innern Hand, und
werden nach Bedürfniß zur Ausweitung der Taſchenfalten bewegt, um ſo den
Durchgang und die Operation der Schere zu erleichtern.
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[229/0241] Weiſe reiche Ausbeute machte. Eine Dirne wußte auf den Marktplätzen den Käuferinnen unter dem gefälligen Anerbieten, ein gelöſtes Schuhband wieder zu befeſtigen, ſogar in kniender Stellung die Kleider mit einer Hand niederzuziehen und mit der andern Hand die Portemonnaies aus den Taſchen zu ſtehlen. 1) Noch eine ganz junge Dirne beobachtete abends durch die Laden- fenſter, an welcher Seite des Kleides die Käuferinnen ihre Geld- beutel in die Taſche ſteckten, und wußte, unter unbefangenem, tän- delndem Kindergeſchwätz, neben den ihr ganz unbekannten Perſonen eine Zeit lang einherzutrollen, bis ſie unvermerkt den Geldbeutel aus der Taſche geſtohlen hatte. Rennende Jungen wiſſen ſo ge- ſchickte Griffe in die Körbe oder gegen die in der Hand getragenen Beutel und Taſchen zu machen, daß der Diebſtahl oft erſt ſpät bemerkt, oder, wenn der Verluſt bemerkt, doch an den Diebſtahl zunächſt nicht geglaubt, vielmehr, durch Suchen nach dem Verloren- geglaubten, dem Diebe erſt recht Gelegenheit zur unverdächtigen oder raſchen Entfernung gegeben wird. Unglaublichen Ertrag geben die Taſchendiebſtähle in den Bordells, in welchen die ver- worfenen Geſchöpfe bei der Preisgebung mit deſto größerer Zu- verſicht ſtehlen, als ſie wiſſen, daß der Beſtohlene ſeinen Verluſt, wenn er auch ſpäter den Diebſtahl ahnet, lieber verſchmerzt, als ſeine Ausſchweifung der Polizei verräth. Beſonders kecke Taſchen- diebinnen ſind die ſich in Verſtecken preisgebenden Gaſſendirnen (Dappelſchickſen), die ſpäter ſchwer oder gar nicht einmal aufge- funden werden können. Nicht minder frech iſt das Ausplündern 1) Der eigenthümliche Griff der Hand heißt die Schere. Zur Schere dient der Zeigefinger und Mittelfinger, welche ſeitlich voneinander bewegt und wie die Schneiden einer Schere zuſammengeführt werden, um das in der Taſche des Freiers befindliche Portemonnaie u. ſ. w. zu faſſen. Der Torf- drucker führt die Hand gewöhnlich ſo in die Taſche, daß der Rücken ſeiner Hand gegen den Körper des Freiers gewendet iſt, damit er deſto leichter die Taſche vom Körper abbiegen und jede körperliche Berührung vermeiden kann; der Daumen, der vierte und fünfte Finger liegen leicht in der innern Hand, und werden nach Bedürfniß zur Ausweitung der Taſchenfalten bewegt, um ſo den Durchgang und die Operation der Schere zu erleichtern.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/241>, abgerufen am 27.04.2024.