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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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aufsichtsloser Kinder, welche zu dem Zwecke besonders von Wei-
bern beiseite, in Thorwege, auf Hausfluren u. s. w. gelockt, oft
aber auch auf der Gasse selbst, am lichten Tage, ihrer Ohrringe,
Tücher oder Körbchen beraubt werden. Hierher gehört besonders
auch alles, was schon früher vom Vertuß und Meistern ge-
sagt ist, und besonders das Wandmachen, d. h. das verabredete
Verdecken des Diebes vor dem Beobachter oder vor dem Bestoh-
lenen, durch Vorschieben einer Personengruppe oder eines andern
Gegenstandes, welches, wie schon gesagt ist, auf Messen und Märk-
ten ganz besonders cultivirt wird.

Der Taschendiebstahl ist wegen seiner Heimlichkeit, Apparat-
losigkeit, Behendigkeit, seiner ausgesuchten Gelegenheit in der arg-
losen Lebensbewegung, und besonders wegen der durchgängigen
Kleinheit und Gleichmäßigkeit seines Objects, äußerst schwer in
flagranti
zu entdecken, selbst wenn der Bestohlene den Muth hat,
den Verdächtigen auf frischer That anzugreifen. Der Torfdrucker
weiß im Nu das Gestohlene seinen Genossen zuzuplanten, das rasch
von Hand zu Hand geht, und oft schon weit außer dem Bereich der
ganzen Umgebung ist, wenn der Diebstahl bemerkt wird. Jm Fall
der Bedrängniß und des Alleinseins versarkent der Torfdrucker
den Massematten oder Kiss 1), d. h. er wirft das Gestohlene heim-
lich fort, damit ihm der Besitz desselben nicht nachgewiesen werden

1) Von [fremdsprachliches Material - fehlt] (sorak), er hat gestreut, gesprengt, geworfen. Kiss ([fremdsprachliches Material - fehlt])
ist der Beutel, Säckel, Geldbeutel, baares Geld, Courantgeld, Scheidemünze,
z. B. den Dalles bekiss haben, Armuth im Beutel haben, ein armer
Schlucker sein. Das Wort Kies ist nur durch falsche Aussprache und Schrei-
bung entstanden und bedeutet nichts anderes als Kiss, obwol Kies ganz beson-
ders zur Bezeichnung von baarem Geld, Scheidemünze, Courantgeld, dient
(vgl. Thiele, I, 265). Man sagt jedoch nicht etwa "kein Kies bekiss haben",
sondern "kein Kies bemulje haben". Von Kiss ist noch abgeleitet Kißler,
für Torfdrucker. Das Wort Mulje oder Mulle, Tasche, besonders die ge-
füllte Tasche, kommt wol nicht vom hebräischen [fremdsprachliches Material - fehlt] (mole), voll, die Fülle,
her, sondern vom hochdeutschen Mulle, Wanne, Trog, zum Aufbewahren
von Getreide, Mehl, Teig und Brot (vgl. bei Schmid, a. a. O., S. 393 u.
394, die Formen: Milde, Molle, Mollje, Molge, Molde, Molter [Malter]
und Mulde).

aufſichtsloſer Kinder, welche zu dem Zwecke beſonders von Wei-
bern beiſeite, in Thorwege, auf Hausfluren u. ſ. w. gelockt, oft
aber auch auf der Gaſſe ſelbſt, am lichten Tage, ihrer Ohrringe,
Tücher oder Körbchen beraubt werden. Hierher gehört beſonders
auch alles, was ſchon früher vom Vertuß und Meiſtern ge-
ſagt iſt, und beſonders das Wandmachen, d. h. das verabredete
Verdecken des Diebes vor dem Beobachter oder vor dem Beſtoh-
lenen, durch Vorſchieben einer Perſonengruppe oder eines andern
Gegenſtandes, welches, wie ſchon geſagt iſt, auf Meſſen und Märk-
ten ganz beſonders cultivirt wird.

Der Taſchendiebſtahl iſt wegen ſeiner Heimlichkeit, Apparat-
loſigkeit, Behendigkeit, ſeiner ausgeſuchten Gelegenheit in der arg-
loſen Lebensbewegung, und beſonders wegen der durchgängigen
Kleinheit und Gleichmäßigkeit ſeines Objects, äußerſt ſchwer in
flagranti
zu entdecken, ſelbſt wenn der Beſtohlene den Muth hat,
den Verdächtigen auf friſcher That anzugreifen. Der Torfdrucker
weiß im Nu das Geſtohlene ſeinen Genoſſen zuzuplanten, das raſch
von Hand zu Hand geht, und oft ſchon weit außer dem Bereich der
ganzen Umgebung iſt, wenn der Diebſtahl bemerkt wird. Jm Fall
der Bedrängniß und des Alleinſeins verſarkent der Torfdrucker
den Maſſematten oder Kiſſ 1), d. h. er wirft das Geſtohlene heim-
lich fort, damit ihm der Beſitz deſſelben nicht nachgewieſen werden

1) Von [fremdsprachliches Material – fehlt] (sorak), er hat geſtreut, geſprengt, geworfen. Kiſſ ([fremdsprachliches Material – fehlt])
iſt der Beutel, Säckel, Geldbeutel, baares Geld, Courantgeld, Scheidemünze,
z. B. den Dalles bekiſſ haben, Armuth im Beutel haben, ein armer
Schlucker ſein. Das Wort Kies iſt nur durch falſche Ausſprache und Schrei-
bung entſtanden und bedeutet nichts anderes als Kiſſ, obwol Kies ganz beſon-
ders zur Bezeichnung von baarem Geld, Scheidemünze, Courantgeld, dient
(vgl. Thiele, I, 265). Man ſagt jedoch nicht etwa „kein Kies bekiſſ haben“,
ſondern „kein Kies bemulje haben“. Von Kiſſ iſt noch abgeleitet Kißler,
für Torfdrucker. Das Wort Mulje oder Mulle, Taſche, beſonders die ge-
füllte Taſche, kommt wol nicht vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material – fehlt] (mole), voll, die Fülle,
her, ſondern vom hochdeutſchen Mulle, Wanne, Trog, zum Aufbewahren
von Getreide, Mehl, Teig und Brot (vgl. bei Schmid, a. a. O., S. 393 u.
394, die Formen: Milde, Molle, Mollje, Molge, Molde, Molter [Malter]
und Mulde).
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[230/0242] aufſichtsloſer Kinder, welche zu dem Zwecke beſonders von Wei- bern beiſeite, in Thorwege, auf Hausfluren u. ſ. w. gelockt, oft aber auch auf der Gaſſe ſelbſt, am lichten Tage, ihrer Ohrringe, Tücher oder Körbchen beraubt werden. Hierher gehört beſonders auch alles, was ſchon früher vom Vertuß und Meiſtern ge- ſagt iſt, und beſonders das Wandmachen, d. h. das verabredete Verdecken des Diebes vor dem Beobachter oder vor dem Beſtoh- lenen, durch Vorſchieben einer Perſonengruppe oder eines andern Gegenſtandes, welches, wie ſchon geſagt iſt, auf Meſſen und Märk- ten ganz beſonders cultivirt wird. Der Taſchendiebſtahl iſt wegen ſeiner Heimlichkeit, Apparat- loſigkeit, Behendigkeit, ſeiner ausgeſuchten Gelegenheit in der arg- loſen Lebensbewegung, und beſonders wegen der durchgängigen Kleinheit und Gleichmäßigkeit ſeines Objects, äußerſt ſchwer in flagranti zu entdecken, ſelbſt wenn der Beſtohlene den Muth hat, den Verdächtigen auf friſcher That anzugreifen. Der Torfdrucker weiß im Nu das Geſtohlene ſeinen Genoſſen zuzuplanten, das raſch von Hand zu Hand geht, und oft ſchon weit außer dem Bereich der ganzen Umgebung iſt, wenn der Diebſtahl bemerkt wird. Jm Fall der Bedrängniß und des Alleinſeins verſarkent der Torfdrucker den Maſſematten oder Kiſſ 1), d. h. er wirft das Geſtohlene heim- lich fort, damit ihm der Beſitz deſſelben nicht nachgewieſen werden 1) Von _ (sorak), er hat geſtreut, geſprengt, geworfen. Kiſſ (_ ) iſt der Beutel, Säckel, Geldbeutel, baares Geld, Courantgeld, Scheidemünze, z. B. den Dalles bekiſſ haben, Armuth im Beutel haben, ein armer Schlucker ſein. Das Wort Kies iſt nur durch falſche Ausſprache und Schrei- bung entſtanden und bedeutet nichts anderes als Kiſſ, obwol Kies ganz beſon- ders zur Bezeichnung von baarem Geld, Scheidemünze, Courantgeld, dient (vgl. Thiele, I, 265). Man ſagt jedoch nicht etwa „kein Kies bekiſſ haben“, ſondern „kein Kies bemulje haben“. Von Kiſſ iſt noch abgeleitet Kißler, für Torfdrucker. Das Wort Mulje oder Mulle, Taſche, beſonders die ge- füllte Taſche, kommt wol nicht vom hebräiſchen _ (mole), voll, die Fülle, her, ſondern vom hochdeutſchen Mulle, Wanne, Trog, zum Aufbewahren von Getreide, Mehl, Teig und Brot (vgl. bei Schmid, a. a. O., S. 393 u. 394, die Formen: Milde, Molle, Mollje, Molge, Molde, Molter [Malter] und Mulde).

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/242>, abgerufen am 28.11.2024.