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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Wasserlein, welcher am 2. Aug. 1858 durch sein verwegenes Auf-
treten als höherer Postbeamter den niedern Postbeamten auf der
Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn so zu imponiren wußte, daß
sie ihm zur angeblichen Revision bedeutende Postcontanten über-
gaben, schwerlich zu den Trararumgängern zu zählen sein, sondern
muß als frecher Betrüger gelten, welcher durch seine verwegene
Anmaßung und Ausbeutung höherer Beamtenstellung den mehr
an unbedingten Gehorsam gegen die Uniform als an eigenes Nach-
denken und Aufblick gewohnten Subalternen zu imponiren verstand,
und ein vereinzeltes Verbrechen beging, das weniger wegen der
Größe des Betrags als wegen seiner culturhistorischen Bedeut-
samkeit und wegen seiner raschen und behenden Entdeckung durch
die eifrige berliner Polizei merkwürdig erscheint.



l) Das Jedionen.
Neunundsechzigstes Kapitel.
a) Etymologische Erklärung.

Jedioner 1), specifisch jüdisch-deutscher, aber sehr früh in
die deutsche Gaunersprache übergegangener Ausdruck, welchen schon

Pfister, der die Untersuchung in Heidelberg führte, hat den sehr interessanten
Fall im zweiten Theile seiner merkwürdigen Criminalrechtsfälle dargestellt.
Auch ist der Proceß besonders gedruckt unter dem Titel: "Karl Grandisson
oder Grosjean, der berüchtigte Postwagendieb und Betrüger. Eine crimina-
listische Novelle" (Heidelberg 1816). Vor dem Titel befindet sich ein schlecht
lithographirtes Porträt des Grandisson.
1) Von [fremdsprachliches Material - fehlt] (joda), wissen, kennen, erkennen, merken, erfahren, denken,
vermuthen, sich um etwas kümmern; euphemistisch: ein Weib erkennen (be-
schlafen), einsehen, wissen machen, wissen lassen, anzeigen, bestellen, sich zu
erkennen geben u. s. w. Davon Jedia und Jediass, die Kenntniß, Wissen-
schaft. Deo, Daass, Kenntniß, Wissenschaft. Mode oder Maude sein,
bekennen. Modia sein und Modich sein, kund machen, bekennen, bekannt
machen, wahrsagen. Jedioner ([fremdsprachliches Material - fehlt]), der Wahrsager. Vgl. Callenberg,
"Jüdisch-Deutsches Wörterbuch", S. 135; Selig, "Jüdisch-Deutsches Wör-

Waſſerlein, welcher am 2. Aug. 1858 durch ſein verwegenes Auf-
treten als höherer Poſtbeamter den niedern Poſtbeamten auf der
Niederſchleſiſch-Märkiſchen Eiſenbahn ſo zu imponiren wußte, daß
ſie ihm zur angeblichen Reviſion bedeutende Poſtcontanten über-
gaben, ſchwerlich zu den Trararumgängern zu zählen ſein, ſondern
muß als frecher Betrüger gelten, welcher durch ſeine verwegene
Anmaßung und Ausbeutung höherer Beamtenſtellung den mehr
an unbedingten Gehorſam gegen die Uniform als an eigenes Nach-
denken und Aufblick gewohnten Subalternen zu imponiren verſtand,
und ein vereinzeltes Verbrechen beging, das weniger wegen der
Größe des Betrags als wegen ſeiner culturhiſtoriſchen Bedeut-
ſamkeit und wegen ſeiner raſchen und behenden Entdeckung durch
die eifrige berliner Polizei merkwürdig erſcheint.



l) Das Jedionen.
Neunundſechzigſtes Kapitel.
α) Etymologiſche Erklärung.

Jedioner 1), ſpecifiſch jüdiſch-deutſcher, aber ſehr früh in
die deutſche Gaunerſprache übergegangener Ausdruck, welchen ſchon

Pfiſter, der die Unterſuchung in Heidelberg führte, hat den ſehr intereſſanten
Fall im zweiten Theile ſeiner merkwürdigen Criminalrechtsfälle dargeſtellt.
Auch iſt der Proceß beſonders gedruckt unter dem Titel: „Karl Grandiſſon
oder Grosjean, der berüchtigte Poſtwagendieb und Betrüger. Eine crimina-
liſtiſche Novelle“ (Heidelberg 1816). Vor dem Titel befindet ſich ein ſchlecht
lithographirtes Porträt des Grandiſſon.
1) Von [fremdsprachliches Material – fehlt] (joda), wiſſen, kennen, erkennen, merken, erfahren, denken,
vermuthen, ſich um etwas kümmern; euphemiſtiſch: ein Weib erkennen (be-
ſchlafen), einſehen, wiſſen machen, wiſſen laſſen, anzeigen, beſtellen, ſich zu
erkennen geben u. ſ. w. Davon Jedia und Jediaſſ, die Kenntniß, Wiſſen-
ſchaft. Deo, Daaſſ, Kenntniß, Wiſſenſchaft. Mode oder Maude ſein,
bekennen. Modia ſein und Modich ſein, kund machen, bekennen, bekannt
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[245/0257] Waſſerlein, welcher am 2. Aug. 1858 durch ſein verwegenes Auf- treten als höherer Poſtbeamter den niedern Poſtbeamten auf der Niederſchleſiſch-Märkiſchen Eiſenbahn ſo zu imponiren wußte, daß ſie ihm zur angeblichen Reviſion bedeutende Poſtcontanten über- gaben, ſchwerlich zu den Trararumgängern zu zählen ſein, ſondern muß als frecher Betrüger gelten, welcher durch ſeine verwegene Anmaßung und Ausbeutung höherer Beamtenſtellung den mehr an unbedingten Gehorſam gegen die Uniform als an eigenes Nach- denken und Aufblick gewohnten Subalternen zu imponiren verſtand, und ein vereinzeltes Verbrechen beging, das weniger wegen der Größe des Betrags als wegen ſeiner culturhiſtoriſchen Bedeut- ſamkeit und wegen ſeiner raſchen und behenden Entdeckung durch die eifrige berliner Polizei merkwürdig erſcheint. l) Das Jedionen. Neunundſechzigſtes Kapitel. α) Etymologiſche Erklärung. Jedioner 1), ſpecifiſch jüdiſch-deutſcher, aber ſehr früh in die deutſche Gaunerſprache übergegangener Ausdruck, welchen ſchon 2) 1) Von _ (joda), wiſſen, kennen, erkennen, merken, erfahren, denken, vermuthen, ſich um etwas kümmern; euphemiſtiſch: ein Weib erkennen (be- ſchlafen), einſehen, wiſſen machen, wiſſen laſſen, anzeigen, beſtellen, ſich zu erkennen geben u. ſ. w. Davon Jedia und Jediaſſ, die Kenntniß, Wiſſen- ſchaft. Deo, Daaſſ, Kenntniß, Wiſſenſchaft. Mode oder Maude ſein, bekennen. Modia ſein und Modich ſein, kund machen, bekennen, bekannt machen, wahrſagen. Jedioner (_ ), der Wahrſager. Vgl. Callenberg, „Jüdiſch-Deutſches Wörterbuch“, S. 135; Selig, „Jüdiſch-Deutſches Wör- 2) Pfiſter, der die Unterſuchung in Heidelberg führte, hat den ſehr intereſſanten Fall im zweiten Theile ſeiner merkwürdigen Criminalrechtsfälle dargeſtellt. Auch iſt der Proceß beſonders gedruckt unter dem Titel: „Karl Grandiſſon oder Grosjean, der berüchtigte Poſtwagendieb und Betrüger. Eine crimina- liſtiſche Novelle“ (Heidelberg 1816). Vor dem Titel befindet ſich ein ſchlecht lithographirtes Porträt des Grandiſſon.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/257>, abgerufen am 18.04.2024.