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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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sondern schwanken im Sprachgebrauch der verschiedenen Zeiten.
So hatte sich der jetzt fast ganz außer Sprachgebrauch gekommene
Ausdruck Felinger im 17. u. 18. Jahrhundert wesentlich für
den ganzen Begriff und Ausdruck des Jedioners im weitesten
Sinne substituirt, nachdem die äußere Erscheinung der fahrenden
Schüler, Stappler u. s. w. vor der Vigilanz der Polizei noch
rascher verschwinden mußte, als der, seiner scheinbaren Unschädlich-
keit oder Nützlichkeit wegen weniger controlirte, ja sogar häufig
begünstigte Hausirhandel.

Der Liber Vagatorum spricht noch in Kap. 23 über die
Veranerinnen, welchen Ausdruck die älteste "Rotwelsche Gram-
matik" von Rud. Dekk, im Kapitelinder, Bl. 4b, O. 3, als "ge-
taufft Judin, Wahrsagerin" übersetzt, aber sowenig wie der Liber
Vagatorum
in den Vocabular aufgenommen hat. Der Ausdruck
ist eine augenscheinlich gesuchte Verstümmelung 1) des im "Baseler
Rathsmandat" vorkommenden, in der Ebener'schen und Brückner'-

1) Freilich ungeschickt genug dem deutschen Wahrsagen mit dem lateini-
schen Ausdruck verus nachgebildet, gleichsam verum dicere, ebenso falsch, wie
wenn man in der Gaunersprache sagt: Emmes dibbern, wahrsagen, für
die Wahrheit sagen. Das völlig ohne Kenntniß und Kritik der Gaunersprache
geschriebene Wörterbuch des v. Train enthält unter "Wahrsager" ohne Um-
stände die beiden Ausdrücke Veraner und Kaschperer (von [fremdsprachliches Material - fehlt] [kosaw],
Jemandem lügen, heucheln, trügen, zum Nachtheil der Wahrheit durchstechen,
vgl. oben Kasspern, Kap. 27) nebeneinander, also dort: die Wahrheit
sagen, hier: die Lüge sagen. Niemals ist der Ausdruck kasspern für
wahrsagen in der Gaunersprache üblich gewesen. Schäffer, S. 126, ge-
braucht den Ausdruck in ganz anderer Beziehung bei dem Christophelsgebet, in
der Bedeutung betrügen. Noch treffender hebt sich der Gegensatz S. 99
hervor, wo Schäffer den [F]enkel Caspar als "Betrug (Caspar) mit Hexerei
(Fenkel)" darstellt und erläutert. Wahrscheinlich ist bei v. Train der Kasch-
perer aus der Verwechselung mit [fremdsprachliches Material - fehlt] (koschaph) entstanden, welches beten,
Zauberformeln sprechen, murmeln, gleich dem pharmakeuesthai bedeutet, wovon
das jüdisch-deutsche Kischuv, Zauberei, Kischuvmacher oder Meka-
schev,
Zauberer, Mekaschev sein und bekaschphenen, bezaubern, be-
hexen. Das Wort Vermerin ist vom deutschen mär abzuleiten. Märinn
ist auch noch heute im Pinzgau die Ausschwätzerin besonders von Liebesver-
hältnissen. Vermären, vermeren, ist: durch Reden, Plaudern, bekannt
machen, verkünden (vgl. Schmeller, a. a. O., II, 607).

ſondern ſchwanken im Sprachgebrauch der verſchiedenen Zeiten.
So hatte ſich der jetzt faſt ganz außer Sprachgebrauch gekommene
Ausdruck Felinger im 17. u. 18. Jahrhundert weſentlich für
den ganzen Begriff und Ausdruck des Jedioners im weiteſten
Sinne ſubſtituirt, nachdem die äußere Erſcheinung der fahrenden
Schüler, Stappler u. ſ. w. vor der Vigilanz der Polizei noch
raſcher verſchwinden mußte, als der, ſeiner ſcheinbaren Unſchädlich-
keit oder Nützlichkeit wegen weniger controlirte, ja ſogar häufig
begünſtigte Hauſirhandel.

Der Liber Vagatorum ſpricht noch in Kap. 23 über die
Veranerinnen, welchen Ausdruck die älteſte „Rotwelſche Gram-
matik“ von Rud. Dekk, im Kapitelinder, Bl. 4b, O. 3, als „ge-
taufft Judin, Wahrſagerin“ überſetzt, aber ſowenig wie der Liber
Vagatorum
in den Vocabular aufgenommen hat. Der Ausdruck
iſt eine augenſcheinlich geſuchte Verſtümmelung 1) des im „Baſeler
Rathsmandat“ vorkommenden, in der Ebener’ſchen und Brückner’-

1) Freilich ungeſchickt genug dem deutſchen Wahrſagen mit dem lateini-
ſchen Ausdruck verus nachgebildet, gleichſam verum dicere, ebenſo falſch, wie
wenn man in der Gaunerſprache ſagt: Emmes dibbern, wahrſagen, für
die Wahrheit ſagen. Das völlig ohne Kenntniß und Kritik der Gaunerſprache
geſchriebene Wörterbuch des v. Train enthält unter „Wahrſager“ ohne Um-
ſtände die beiden Ausdrücke Veraner und Kaſchperer (von [fremdsprachliches Material – fehlt] [kosaw],
Jemandem lügen, heucheln, trügen, zum Nachtheil der Wahrheit durchſtechen,
vgl. oben Kaſſpern, Kap. 27) nebeneinander, alſo dort: die Wahrheit
ſagen, hier: die Lüge ſagen. Niemals iſt der Ausdruck kaſſpern für
wahrſagen in der Gaunerſprache üblich geweſen. Schäffer, S. 126, ge-
braucht den Ausdruck in ganz anderer Beziehung bei dem Chriſtophelsgebet, in
der Bedeutung betrügen. Noch treffender hebt ſich der Gegenſatz S. 99
hervor, wo Schäffer den [F]enkel Caſpar als „Betrug (Caſpar) mit Hexerei
(Fenkel)“ darſtellt und erläutert. Wahrſcheinlich iſt bei v. Train der Kaſch-
perer aus der Verwechſelung mit [fremdsprachliches Material – fehlt] (koschaph) entſtanden, welches beten,
Zauberformeln ſprechen, murmeln, gleich dem φαρμακεύεσϑαι bedeutet, wovon
das jüdiſch-deutſche Kiſchuv, Zauberei, Kiſchuvmacher oder Meka-
ſchev,
Zauberer, Mekaſchev ſein und bekaſchphenen, bezaubern, be-
hexen. Das Wort Vermerin iſt vom deutſchen mär abzuleiten. Märinn
iſt auch noch heute im Pinzgau die Ausſchwätzerin beſonders von Liebesver-
hältniſſen. Vermären, vermeren, iſt: durch Reden, Plaudern, bekannt
machen, verkünden (vgl. Schmeller, a. a. O., II, 607).
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[247/0259] ſondern ſchwanken im Sprachgebrauch der verſchiedenen Zeiten. So hatte ſich der jetzt faſt ganz außer Sprachgebrauch gekommene Ausdruck Felinger im 17. u. 18. Jahrhundert weſentlich für den ganzen Begriff und Ausdruck des Jedioners im weiteſten Sinne ſubſtituirt, nachdem die äußere Erſcheinung der fahrenden Schüler, Stappler u. ſ. w. vor der Vigilanz der Polizei noch raſcher verſchwinden mußte, als der, ſeiner ſcheinbaren Unſchädlich- keit oder Nützlichkeit wegen weniger controlirte, ja ſogar häufig begünſtigte Hauſirhandel. Der Liber Vagatorum ſpricht noch in Kap. 23 über die Veranerinnen, welchen Ausdruck die älteſte „Rotwelſche Gram- matik“ von Rud. Dekk, im Kapitelinder, Bl. 4b, O. 3, als „ge- taufft Judin, Wahrſagerin“ überſetzt, aber ſowenig wie der Liber Vagatorum in den Vocabular aufgenommen hat. Der Ausdruck iſt eine augenſcheinlich geſuchte Verſtümmelung 1) des im „Baſeler Rathsmandat“ vorkommenden, in der Ebener’ſchen und Brückner’- 1) Freilich ungeſchickt genug dem deutſchen Wahrſagen mit dem lateini- ſchen Ausdruck verus nachgebildet, gleichſam verum dicere, ebenſo falſch, wie wenn man in der Gaunerſprache ſagt: Emmes dibbern, wahrſagen, für die Wahrheit ſagen. Das völlig ohne Kenntniß und Kritik der Gaunerſprache geſchriebene Wörterbuch des v. Train enthält unter „Wahrſager“ ohne Um- ſtände die beiden Ausdrücke Veraner und Kaſchperer (von _ [kosaw], Jemandem lügen, heucheln, trügen, zum Nachtheil der Wahrheit durchſtechen, vgl. oben Kaſſpern, Kap. 27) nebeneinander, alſo dort: die Wahrheit ſagen, hier: die Lüge ſagen. Niemals iſt der Ausdruck kaſſpern für wahrſagen in der Gaunerſprache üblich geweſen. Schäffer, S. 126, ge- braucht den Ausdruck in ganz anderer Beziehung bei dem Chriſtophelsgebet, in der Bedeutung betrügen. Noch treffender hebt ſich der Gegenſatz S. 99 hervor, wo Schäffer den Fenkel Caſpar als „Betrug (Caſpar) mit Hexerei (Fenkel)“ darſtellt und erläutert. Wahrſcheinlich iſt bei v. Train der Kaſch- perer aus der Verwechſelung mit _ (koschaph) entſtanden, welches beten, Zauberformeln ſprechen, murmeln, gleich dem φαρμακεύεσϑαι bedeutet, wovon das jüdiſch-deutſche Kiſchuv, Zauberei, Kiſchuvmacher oder Meka- ſchev, Zauberer, Mekaſchev ſein und bekaſchphenen, bezaubern, be- hexen. Das Wort Vermerin iſt vom deutſchen mär abzuleiten. Märinn iſt auch noch heute im Pinzgau die Ausſchwätzerin beſonders von Liebesver- hältniſſen. Vermären, vermeren, iſt: durch Reden, Plaudern, bekannt machen, verkünden (vgl. Schmeller, a. a. O., II, 607).

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/259>, abgerufen am 26.11.2024.