Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

gering auch nach der heutigen Gaunerpolitik die Personenzahl
einer Chawrusse, und je leichter eine Gegenwehr zu erwarten ist.
Zwar haben die Gauner stets Messer (Kaut), Pistole (Glaseime),
Stricke (Chewel), Brecheisen (Schabber) und starke Knittel (Jad-
drong) zur Hand. Diese Sachen werden jedoch höchstens nur
zum "Schrecken" 1), auf der Flucht und als Defensivmittel gebraucht.
Nie habe ich bei bewaffneten Gaunern gute Pistolen, fast immer
nur kümmerliche Terzerole, wenn auch doppelläufige, und nie beim
Herausziehen der Ladung etwas anderes als höchstens Enten-
oder Hasenschrot, kein einziges mal aber eine Kugel gefunden.
Die Messer, welche mir vorgekommen sind, waren meistens ge-
wöhnliche Einschlagemesser, und gerade bei den versuchtesten und
verwegensten Schränkern habe ich ganz elend schlechte abgenutzte
Taschenmesser neben den Terzerolen, Nachschlüsseln und Uhrfeder-
sägen getroffen. Man kann nicht von einer humanern Gesinnung
des Gaunerthums sprechen, wenn die in die Enge oder zur Flucht
getriebenen Gauner alles verzweifelt niederschlagen, was sie auf-
hält, und wenn sie gerüstet und gefaßt sind, durch Brandstiftung
die Spuren eines schweren Verbrechens zu verwischen. Eine Un-
zahl neuerer Beispiele beweist, daß die Gauner bei dem leisesten
Geräusch die Flucht ergreifen und alles im Stiche lassen. Jhr
ganzer Muth liegt wesentlich nur im Verlaß auf die Genossen-
schaft, auf die feine Kunst und auf die genau erspähte Gelegen-

unweit Lübeck hingerichteten Mörder waren durch den Hauswirth, in dessen
Behausung sie eingebrochen waren, überrascht worden, und schlugen ihn meuch-
lings nieder, als er am Feuerherde stand, um an den Kohlen Licht anzuzünden,
ohne der Einbrecher gewahr worden zu sein. -- Freilich zeigt aber das
österreichische Polizeicentralblatt leider noch eine Menge brutaler Raub-
morde an, die jedoch meistens in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen verübt
werden.
1) Bezeichnend dafür ist der gaunerische Ausdruck für Pistole: Glaseime,
Klaseime, Kleseime,
von [fremdsprachliches Material - fehlt] (kle), Geschirr, Geräth, und [fremdsprachliches Material - fehlt] (emo,
eimo),
Furcht, Schreck, also Geräth zur Furcht, Schreckgeräth. Entspre-
chende Ausdrücke sind: Knaller, Puffer für Pistole, Terzerol.
2*

gering auch nach der heutigen Gaunerpolitik die Perſonenzahl
einer Chawruſſe, und je leichter eine Gegenwehr zu erwarten iſt.
Zwar haben die Gauner ſtets Meſſer (Kaut), Piſtole (Glaſeime),
Stricke (Chewel), Brecheiſen (Schabber) und ſtarke Knittel (Jad-
drong) zur Hand. Dieſe Sachen werden jedoch höchſtens nur
zum „Schrecken“ 1), auf der Flucht und als Defenſivmittel gebraucht.
Nie habe ich bei bewaffneten Gaunern gute Piſtolen, faſt immer
nur kümmerliche Terzerole, wenn auch doppelläufige, und nie beim
Herausziehen der Ladung etwas anderes als höchſtens Enten-
oder Haſenſchrot, kein einziges mal aber eine Kugel gefunden.
Die Meſſer, welche mir vorgekommen ſind, waren meiſtens ge-
wöhnliche Einſchlagemeſſer, und gerade bei den verſuchteſten und
verwegenſten Schränkern habe ich ganz elend ſchlechte abgenutzte
Taſchenmeſſer neben den Terzerolen, Nachſchlüſſeln und Uhrfeder-
ſägen getroffen. Man kann nicht von einer humanern Geſinnung
des Gaunerthums ſprechen, wenn die in die Enge oder zur Flucht
getriebenen Gauner alles verzweifelt niederſchlagen, was ſie auf-
hält, und wenn ſie gerüſtet und gefaßt ſind, durch Brandſtiftung
die Spuren eines ſchweren Verbrechens zu verwiſchen. Eine Un-
zahl neuerer Beiſpiele beweiſt, daß die Gauner bei dem leiſeſten
Geräuſch die Flucht ergreifen und alles im Stiche laſſen. Jhr
ganzer Muth liegt weſentlich nur im Verlaß auf die Genoſſen-
ſchaft, auf die feine Kunſt und auf die genau erſpähte Gelegen-

unweit Lübeck hingerichteten Mörder waren durch den Hauswirth, in deſſen
Behauſung ſie eingebrochen waren, überraſcht worden, und ſchlugen ihn meuch-
lings nieder, als er am Feuerherde ſtand, um an den Kohlen Licht anzuzünden,
ohne der Einbrecher gewahr worden zu ſein. — Freilich zeigt aber das
öſterreichiſche Polizeicentralblatt leider noch eine Menge brutaler Raub-
morde an, die jedoch meiſtens in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen verübt
werden.
1) Bezeichnend dafür iſt der gauneriſche Ausdruck für Piſtole: Glaſeime,
Klaſeime, Kleſeime,
von [fremdsprachliches Material – fehlt] (kle), Geſchirr, Geräth, und [fremdsprachliches Material – fehlt] (emo,
eimo),
Furcht, Schreck, alſo Geräth zur Furcht, Schreckgeräth. Entſpre-
chende Ausdrücke ſind: Knaller, Puffer für Piſtole, Terzerol.
2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0031" n="19"/>
gering auch nach der heutigen Gaunerpolitik die Per&#x017F;onenzahl<lb/>
einer Chawru&#x017F;&#x017F;e, und je leichter eine Gegenwehr zu erwarten i&#x017F;t.<lb/>
Zwar haben die Gauner &#x017F;tets Me&#x017F;&#x017F;er (Kaut), Pi&#x017F;tole (Gla&#x017F;eime),<lb/>
Stricke (Chewel), Brechei&#x017F;en (Schabber) und &#x017F;tarke Knittel (Jad-<lb/>
drong) zur Hand. Die&#x017F;e Sachen werden jedoch höch&#x017F;tens nur<lb/>
zum &#x201E;Schrecken&#x201C; <note place="foot" n="1)">Bezeichnend dafür i&#x017F;t der gauneri&#x017F;che Ausdruck für Pi&#x017F;tole: <hi rendition="#g">Gla&#x017F;eime,<lb/>
Kla&#x017F;eime, Kle&#x017F;eime,</hi> von <gap reason="fm" unit="words"/> <hi rendition="#aq">(kle),</hi> Ge&#x017F;chirr, Geräth, und <gap reason="fm" unit="words"/> <hi rendition="#aq">(emo,<lb/>
eimo),</hi> Furcht, Schreck, al&#x017F;o Geräth zur Furcht, Schreckgeräth. Ent&#x017F;pre-<lb/>
chende Ausdrücke &#x017F;ind: <hi rendition="#g">Knaller, Puffer</hi> für Pi&#x017F;tole, Terzerol.</note>, auf der Flucht und als Defen&#x017F;ivmittel gebraucht.<lb/>
Nie habe ich bei bewaffneten Gaunern gute Pi&#x017F;tolen, fa&#x017F;t immer<lb/>
nur kümmerliche Terzerole, wenn auch doppelläufige, und nie beim<lb/>
Herausziehen der Ladung etwas anderes als höch&#x017F;tens Enten-<lb/>
oder Ha&#x017F;en&#x017F;chrot, kein einziges mal aber eine Kugel gefunden.<lb/>
Die Me&#x017F;&#x017F;er, welche mir vorgekommen &#x017F;ind, waren mei&#x017F;tens ge-<lb/>
wöhnliche Ein&#x017F;chlageme&#x017F;&#x017F;er, und gerade bei den ver&#x017F;uchte&#x017F;ten und<lb/>
verwegen&#x017F;ten Schränkern habe ich ganz elend &#x017F;chlechte abgenutzte<lb/>
Ta&#x017F;chenme&#x017F;&#x017F;er neben den Terzerolen, Nach&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;eln und Uhrfeder-<lb/>
&#x017F;ägen getroffen. Man kann nicht von einer humanern Ge&#x017F;innung<lb/>
des Gaunerthums &#x017F;prechen, wenn die in die Enge oder zur Flucht<lb/>
getriebenen Gauner alles verzweifelt nieder&#x017F;chlagen, was &#x017F;ie auf-<lb/>
hält, und wenn &#x017F;ie gerü&#x017F;tet und gefaßt &#x017F;ind, durch Brand&#x017F;tiftung<lb/>
die Spuren eines &#x017F;chweren Verbrechens zu verwi&#x017F;chen. Eine Un-<lb/>
zahl neuerer Bei&#x017F;piele bewei&#x017F;t, daß die Gauner bei dem lei&#x017F;e&#x017F;ten<lb/>
Geräu&#x017F;ch die Flucht ergreifen und alles im Stiche la&#x017F;&#x017F;en. Jhr<lb/>
ganzer Muth liegt we&#x017F;entlich nur im Verlaß auf die Geno&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft, auf die feine Kun&#x017F;t und auf die genau er&#x017F;pähte Gelegen-<lb/><note xml:id="seg2pn_3_2" prev="#seg2pn_3_1" place="foot" n="2)">unweit Lübeck hingerichteten Mörder waren durch den Hauswirth, in de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Behau&#x017F;ung &#x017F;ie eingebrochen waren, überra&#x017F;cht worden, und &#x017F;chlugen ihn meuch-<lb/>
lings nieder, als er am Feuerherde &#x017F;tand, um an den Kohlen Licht anzuzünden,<lb/>
ohne der Einbrecher gewahr worden zu &#x017F;ein. &#x2014; Freilich zeigt aber das<lb/>
ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Polizeicentralblatt leider noch eine Menge brutaler Raub-<lb/>
morde an, die jedoch mei&#x017F;tens in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen verübt<lb/>
werden.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0031] gering auch nach der heutigen Gaunerpolitik die Perſonenzahl einer Chawruſſe, und je leichter eine Gegenwehr zu erwarten iſt. Zwar haben die Gauner ſtets Meſſer (Kaut), Piſtole (Glaſeime), Stricke (Chewel), Brecheiſen (Schabber) und ſtarke Knittel (Jad- drong) zur Hand. Dieſe Sachen werden jedoch höchſtens nur zum „Schrecken“ 1), auf der Flucht und als Defenſivmittel gebraucht. Nie habe ich bei bewaffneten Gaunern gute Piſtolen, faſt immer nur kümmerliche Terzerole, wenn auch doppelläufige, und nie beim Herausziehen der Ladung etwas anderes als höchſtens Enten- oder Haſenſchrot, kein einziges mal aber eine Kugel gefunden. Die Meſſer, welche mir vorgekommen ſind, waren meiſtens ge- wöhnliche Einſchlagemeſſer, und gerade bei den verſuchteſten und verwegenſten Schränkern habe ich ganz elend ſchlechte abgenutzte Taſchenmeſſer neben den Terzerolen, Nachſchlüſſeln und Uhrfeder- ſägen getroffen. Man kann nicht von einer humanern Geſinnung des Gaunerthums ſprechen, wenn die in die Enge oder zur Flucht getriebenen Gauner alles verzweifelt niederſchlagen, was ſie auf- hält, und wenn ſie gerüſtet und gefaßt ſind, durch Brandſtiftung die Spuren eines ſchweren Verbrechens zu verwiſchen. Eine Un- zahl neuerer Beiſpiele beweiſt, daß die Gauner bei dem leiſeſten Geräuſch die Flucht ergreifen und alles im Stiche laſſen. Jhr ganzer Muth liegt weſentlich nur im Verlaß auf die Genoſſen- ſchaft, auf die feine Kunſt und auf die genau erſpähte Gelegen- 2) 1) Bezeichnend dafür iſt der gauneriſche Ausdruck für Piſtole: Glaſeime, Klaſeime, Kleſeime, von _ (kle), Geſchirr, Geräth, und _ (emo, eimo), Furcht, Schreck, alſo Geräth zur Furcht, Schreckgeräth. Entſpre- chende Ausdrücke ſind: Knaller, Puffer für Piſtole, Terzerol. 2) unweit Lübeck hingerichteten Mörder waren durch den Hauswirth, in deſſen Behauſung ſie eingebrochen waren, überraſcht worden, und ſchlugen ihn meuch- lings nieder, als er am Feuerherde ſtand, um an den Kohlen Licht anzuzünden, ohne der Einbrecher gewahr worden zu ſein. — Freilich zeigt aber das öſterreichiſche Polizeicentralblatt leider noch eine Menge brutaler Raub- morde an, die jedoch meiſtens in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen verübt werden. 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/31
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/31>, abgerufen am 25.04.2024.