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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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eine Menge von Schreibern zur Ausfertigung der Urkunden oder
zur Ausfüllung der Urkundenblankets. Man ist daher gewohnt,
gleichgültig auf die Handschrift selbst zu sehen, von der man nur
Deutlichkeit und Sauberkeit verlangt, und sucht die Beglaubigung
der Urkunden wesentlich in der Unterschrift, in dem Siegel und
Stempel. Dieser Umstand hat nun aber auch die Kunst der
Fleppenmelochner auf die Nachbildung von Siegel- und Stempel-
formen geführt, und das Chassimemelochnen 1) zu einer Aus-
bildung gebracht, die kaum einmal so groß zu sein braucht, wie
sie ist, da ökonomische Behörden sowol bei Anfertigung ihrer
Stempel- und Siegelformen sehr wenig für ihr weniges Geld
vom Graveur verlangen, als auch bei dem Gebrauch und der
Controle der Stempel- und Siegelformen im raschen Geschäfts-
gange vielfache Nachlässigkeiten sich zu Schulden kommen lassen. 2)
Man findet heutzutage nicht selten zu den currentesten amtlichen
Urkunden noch Siegel benutzt, welche außer der Jahreszahl auch
noch durch ihre arge Abgenutztheit ihr zwei- bis dreihundert-
jähriges Alter sehr stark verrathen, oder wenn auch neue, doch so
einfach, schlecht und unordentlich gestochene Stempel, daß man sie
sofort für das Fabrikat der auf Jahrmärkten umherziehenden
Graveurs erkennt, welche gerade die gefährlichsten Chassimeme-

1) Chassime -- von [fremdsprachliches Material - fehlt] (chatam), siegeln, vollenden, einprägen --
ist die Unterschrift, das Siegel, die Beglaubigung. Chassimass hakssav,
Unterschrift und Siegel. Chossom (Chaussom) das Siegel. Pittuche
Chaussom,
Siegelstempel, Petschaft. Chossomwachs, Siegellack. Chass-
menen,
siegeln, unterschreiben; gechassment, gesiegelt, unterschrieben.
2) Noch im August 1858 wurde vom Polizeiamt in Lübeck ein Fleppen-
melochner bestraft, der ein volles Jahr mit einem gefälschten Attest um-
hergezogen war, welchem er auf bräunlichrothem Lack das in rothem
Lack
abgedruckte, eng beschnittene Wappenschild eines wahrscheinlich auf einem
verworfenen Couvert befindlich gewesenen echten öffentlichen Siegels beigefügt
hatte. Mit ihm wurde in flagranti ein verwegener Kittenschieber verhaftet,
welcher hier als Kachler und Merchitzer gehandelt hatte, und ein halbes
Jahr lang
mit einer Fleppe umhergezogen war, die nach den eingezogenen
Erkundigungen durchaus gefälscht, und unter anderm mit einem Visum eines
deutschen Städtchens versehen war, dem der Gauner ein -- französisches
Douanesiegel
mit dem kaiserlichen Adler beigedruckt hatte!

eine Menge von Schreibern zur Ausfertigung der Urkunden oder
zur Ausfüllung der Urkundenblankets. Man iſt daher gewohnt,
gleichgültig auf die Handſchrift ſelbſt zu ſehen, von der man nur
Deutlichkeit und Sauberkeit verlangt, und ſucht die Beglaubigung
der Urkunden weſentlich in der Unterſchrift, in dem Siegel und
Stempel. Dieſer Umſtand hat nun aber auch die Kunſt der
Fleppenmelochner auf die Nachbildung von Siegel- und Stempel-
formen geführt, und das Chaſſimemelochnen 1) zu einer Aus-
bildung gebracht, die kaum einmal ſo groß zu ſein braucht, wie
ſie iſt, da ökonomiſche Behörden ſowol bei Anfertigung ihrer
Stempel- und Siegelformen ſehr wenig für ihr weniges Geld
vom Graveur verlangen, als auch bei dem Gebrauch und der
Controle der Stempel- und Siegelformen im raſchen Geſchäfts-
gange vielfache Nachläſſigkeiten ſich zu Schulden kommen laſſen. 2)
Man findet heutzutage nicht ſelten zu den currenteſten amtlichen
Urkunden noch Siegel benutzt, welche außer der Jahreszahl auch
noch durch ihre arge Abgenutztheit ihr zwei- bis dreihundert-
jähriges Alter ſehr ſtark verrathen, oder wenn auch neue, doch ſo
einfach, ſchlecht und unordentlich geſtochene Stempel, daß man ſie
ſofort für das Fabrikat der auf Jahrmärkten umherziehenden
Graveurs erkennt, welche gerade die gefährlichſten Chaſſimeme-

1) Chaſſime — von [fremdsprachliches Material – fehlt] (chatam), ſiegeln, vollenden, einprägen —
iſt die Unterſchrift, das Siegel, die Beglaubigung. Chaſſimaſſ hakſſav,
Unterſchrift und Siegel. Choſſom (Chauſſom) das Siegel. Pittuche
Chauſſom,
Siegelſtempel, Petſchaft. Choſſomwachs, Siegellack. Chaſſ-
menen,
ſiegeln, unterſchreiben; gechaſſment, geſiegelt, unterſchrieben.
2) Noch im Auguſt 1858 wurde vom Polizeiamt in Lübeck ein Fleppen-
melochner beſtraft, der ein volles Jahr mit einem gefälſchten Atteſt um-
hergezogen war, welchem er auf bräunlichrothem Lack das in rothem
Lack
abgedruckte, eng beſchnittene Wappenſchild eines wahrſcheinlich auf einem
verworfenen Couvert befindlich geweſenen echten öffentlichen Siegels beigefügt
hatte. Mit ihm wurde in flagranti ein verwegener Kittenſchieber verhaftet,
welcher hier als Kachler und Merchitzer gehandelt hatte, und ein halbes
Jahr lang
mit einer Fleppe umhergezogen war, die nach den eingezogenen
Erkundigungen durchaus gefälſcht, und unter anderm mit einem Viſum eines
deutſchen Städtchens verſehen war, dem der Gauner ein — franzöſiſches
Douaneſiegel
mit dem kaiſerlichen Adler beigedruckt hatte!
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[310/0322] eine Menge von Schreibern zur Ausfertigung der Urkunden oder zur Ausfüllung der Urkundenblankets. Man iſt daher gewohnt, gleichgültig auf die Handſchrift ſelbſt zu ſehen, von der man nur Deutlichkeit und Sauberkeit verlangt, und ſucht die Beglaubigung der Urkunden weſentlich in der Unterſchrift, in dem Siegel und Stempel. Dieſer Umſtand hat nun aber auch die Kunſt der Fleppenmelochner auf die Nachbildung von Siegel- und Stempel- formen geführt, und das Chaſſimemelochnen 1) zu einer Aus- bildung gebracht, die kaum einmal ſo groß zu ſein braucht, wie ſie iſt, da ökonomiſche Behörden ſowol bei Anfertigung ihrer Stempel- und Siegelformen ſehr wenig für ihr weniges Geld vom Graveur verlangen, als auch bei dem Gebrauch und der Controle der Stempel- und Siegelformen im raſchen Geſchäfts- gange vielfache Nachläſſigkeiten ſich zu Schulden kommen laſſen. 2) Man findet heutzutage nicht ſelten zu den currenteſten amtlichen Urkunden noch Siegel benutzt, welche außer der Jahreszahl auch noch durch ihre arge Abgenutztheit ihr zwei- bis dreihundert- jähriges Alter ſehr ſtark verrathen, oder wenn auch neue, doch ſo einfach, ſchlecht und unordentlich geſtochene Stempel, daß man ſie ſofort für das Fabrikat der auf Jahrmärkten umherziehenden Graveurs erkennt, welche gerade die gefährlichſten Chaſſimeme- 1) Chaſſime — von _ (chatam), ſiegeln, vollenden, einprägen — iſt die Unterſchrift, das Siegel, die Beglaubigung. Chaſſimaſſ hakſſav, Unterſchrift und Siegel. Choſſom (Chauſſom) das Siegel. Pittuche Chauſſom, Siegelſtempel, Petſchaft. Choſſomwachs, Siegellack. Chaſſ- menen, ſiegeln, unterſchreiben; gechaſſment, geſiegelt, unterſchrieben. 2) Noch im Auguſt 1858 wurde vom Polizeiamt in Lübeck ein Fleppen- melochner beſtraft, der ein volles Jahr mit einem gefälſchten Atteſt um- hergezogen war, welchem er auf bräunlichrothem Lack das in rothem Lack abgedruckte, eng beſchnittene Wappenſchild eines wahrſcheinlich auf einem verworfenen Couvert befindlich geweſenen echten öffentlichen Siegels beigefügt hatte. Mit ihm wurde in flagranti ein verwegener Kittenſchieber verhaftet, welcher hier als Kachler und Merchitzer gehandelt hatte, und ein halbes Jahr lang mit einer Fleppe umhergezogen war, die nach den eingezogenen Erkundigungen durchaus gefälſcht, und unter anderm mit einem Viſum eines deutſchen Städtchens verſehen war, dem der Gauner ein — franzöſiſches Douaneſiegel mit dem kaiſerlichen Adler beigedruckt hatte!

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/322>, abgerufen am 16.04.2024.