Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

trinken; Schöcher, der Wirth, Bierwirth; Schechor, starkes Ge-
tränk, besonders Bier; schikker, betrunken, der Säufer; Schik-
koron,
die Trunkenheit, und Schächerschurrig, Trinkgeschirr
aller Art, Glas, Tasse, Kanne, Flasche.

Je sicherer der Versteck in den Spiessen oder Pennen ist, desto
freier waltet das Gaunerthum darin. Den Zwang und Bann,
den ihm sein Verkehr im bürgerlichen Leben aufgelegt hat, wirft
der Gauner hier wie eine schwere Last von sich: hier ist er der
bloße physische Mensch, der den Genuß wie eine Rache gegen
jenen Zwang sucht, und vom Vergnügen, statt des Reizes, nur
das mechanische Begängniß hat, in welchem selbst die wildeste
Leidenschaft, ja sogar die physische Existenz erschöpft und ruinirt
wird. 1) Auch die Wollust ist hier nur die bloße Thatsache, ohne
die geringste Flitter der Jllusion, ohne den geringsten Reiz des
Geheimnisses und der Scham, ohne eine andere Vergeltung als
den verworfensten Hohn und Spott, welcher den Genuß mit einer
Flut der gemeinsten Ausdrücke zu brandmarken, und dazu die
Anzahl nichtswürdiger Spitz- und Ekelnamen zu erfinden
weiß, welche wie Schmuz hinter jedes Jndividuum herge-
worfen werden, und von denen schon die ältesten Gaunerlisten
Ausweis geben. Bemerkenswerth ist, daß die ältesten Bezeich-
nungen der Prostitution, welche im Liber Vagatorum verzeichnet
sind, meistens deutschen Stammes, zum Theil in die Volkssprache
übergegangen und noch jetzt im Gebrauch sind, weshalb sie in
etymologischer Hinsicht Jnteresse haben. Während die hochdeutsche
Sprache zu jener Zeit für den Begriff des scortum kaum einen
andern Ausdruck hatte, als den der "gemeinen Frawe" oder "ge-
meinen Tochter", "Amye", "Früne" (von Phryne [?] oder von

1) Sehr bezeichnend ist der gaunerische Ausdruck: die Spiesse mahane
sein,
d. h. das Wirthshaus etwas genießen lassen, im Wirthshaus etwas
verzehren; wobei von dem eigenen Genuß des Zahlenden nicht die Rede ist.
So wird die Redensart auch allgemein gebraucht: Jemanden mahane
sein,
jemanden genießen lassen, traktiren, z. B. bei Callenberg, "Wörter-
buch", S. 44: [fremdsprachliches Material - fehlt]. Einen mahane sein von
seinen Nechosim,
jemanden von seinem Vermögen genießen lassen.

trinken; Schöcher, der Wirth, Bierwirth; Schechor, ſtarkes Ge-
tränk, beſonders Bier; ſchikker, betrunken, der Säufer; Schik-
koron,
die Trunkenheit, und Schächerſchurrig, Trinkgeſchirr
aller Art, Glas, Taſſe, Kanne, Flaſche.

Je ſicherer der Verſteck in den Spieſſen oder Pennen iſt, deſto
freier waltet das Gaunerthum darin. Den Zwang und Bann,
den ihm ſein Verkehr im bürgerlichen Leben aufgelegt hat, wirft
der Gauner hier wie eine ſchwere Laſt von ſich: hier iſt er der
bloße phyſiſche Menſch, der den Genuß wie eine Rache gegen
jenen Zwang ſucht, und vom Vergnügen, ſtatt des Reizes, nur
das mechaniſche Begängniß hat, in welchem ſelbſt die wildeſte
Leidenſchaft, ja ſogar die phyſiſche Exiſtenz erſchöpft und ruinirt
wird. 1) Auch die Wolluſt iſt hier nur die bloße Thatſache, ohne
die geringſte Flitter der Jlluſion, ohne den geringſten Reiz des
Geheimniſſes und der Scham, ohne eine andere Vergeltung als
den verworfenſten Hohn und Spott, welcher den Genuß mit einer
Flut der gemeinſten Ausdrücke zu brandmarken, und dazu die
Anzahl nichtswürdiger Spitz- und Ekelnamen zu erfinden
weiß, welche wie Schmuz hinter jedes Jndividuum herge-
worfen werden, und von denen ſchon die älteſten Gaunerliſten
Ausweis geben. Bemerkenswerth iſt, daß die älteſten Bezeich-
nungen der Proſtitution, welche im Liber Vagatorum verzeichnet
ſind, meiſtens deutſchen Stammes, zum Theil in die Volksſprache
übergegangen und noch jetzt im Gebrauch ſind, weshalb ſie in
etymologiſcher Hinſicht Jntereſſe haben. Während die hochdeutſche
Sprache zu jener Zeit für den Begriff des scortum kaum einen
andern Ausdruck hatte, als den der „gemeinen Frawe“ oder „ge-
meinen Tochter“, „Amye“, „Früne“ (von Phryne [?] oder von

1) Sehr bezeichnend iſt der gauneriſche Ausdruck: die Spieſſe mahane
ſein,
d. h. das Wirthshaus etwas genießen laſſen, im Wirthshaus etwas
verzehren; wobei von dem eigenen Genuß des Zahlenden nicht die Rede iſt.
So wird die Redensart auch allgemein gebraucht: Jemanden mahane
ſein,
jemanden genießen laſſen, traktiren, z. B. bei Callenberg, „Wörter-
buch“, S. 44: [fremdsprachliches Material – fehlt]. Einen mahane ſein von
ſeinen Nechoſim,
jemanden von ſeinem Vermögen genießen laſſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0341" n="329"/>
trinken; <hi rendition="#g">Schöcher,</hi> der Wirth, Bierwirth; <hi rendition="#g">Schechor,</hi> &#x017F;tarkes Ge-<lb/>
tränk, be&#x017F;onders Bier; <hi rendition="#g">&#x017F;chikker,</hi> betrunken, der Säufer; <hi rendition="#g">Schik-<lb/>
koron,</hi> die Trunkenheit, und <hi rendition="#g">Schächer&#x017F;churrig,</hi> Trinkge&#x017F;chirr<lb/>
aller Art, Glas, Ta&#x017F;&#x017F;e, Kanne, Fla&#x017F;che.</p><lb/>
              <p>Je &#x017F;icherer der Ver&#x017F;teck in den Spie&#x017F;&#x017F;en oder Pennen i&#x017F;t, de&#x017F;to<lb/>
freier waltet das Gaunerthum darin. Den Zwang und Bann,<lb/>
den ihm &#x017F;ein Verkehr im bürgerlichen Leben aufgelegt hat, wirft<lb/>
der Gauner hier wie eine &#x017F;chwere La&#x017F;t von &#x017F;ich: hier i&#x017F;t er der<lb/>
bloße phy&#x017F;i&#x017F;che Men&#x017F;ch, der den Genuß wie eine Rache gegen<lb/>
jenen Zwang &#x017F;ucht, und vom Vergnügen, &#x017F;tatt des Reizes, nur<lb/>
das mechani&#x017F;che Begängniß hat, in welchem &#x017F;elb&#x017F;t die wilde&#x017F;te<lb/>
Leiden&#x017F;chaft, ja &#x017F;ogar die phy&#x017F;i&#x017F;che Exi&#x017F;tenz er&#x017F;chöpft und ruinirt<lb/>
wird. <note place="foot" n="1)">Sehr bezeichnend i&#x017F;t der gauneri&#x017F;che Ausdruck: <hi rendition="#g">die Spie&#x017F;&#x017F;e mahane<lb/>
&#x017F;ein,</hi> d. h. das <hi rendition="#g">Wirthshaus</hi> etwas genießen la&#x017F;&#x017F;en, im Wirthshaus etwas<lb/>
verzehren; wobei von dem eigenen Genuß des Zahlenden nicht die Rede i&#x017F;t.<lb/>
So wird die Redensart auch allgemein gebraucht: <hi rendition="#g">Jemanden mahane<lb/>
&#x017F;ein,</hi> jemanden genießen la&#x017F;&#x017F;en, traktiren, z. B. bei Callenberg, &#x201E;Wörter-<lb/>
buch&#x201C;, S. 44: <gap reason="fm" unit="words"/>. <hi rendition="#g">Einen mahane &#x017F;ein von<lb/>
&#x017F;einen Necho&#x017F;im,</hi> jemanden von &#x017F;einem Vermögen genießen la&#x017F;&#x017F;en.</note> Auch die Wollu&#x017F;t i&#x017F;t hier nur die bloße That&#x017F;ache, ohne<lb/>
die gering&#x017F;te Flitter der Jllu&#x017F;ion, ohne den gering&#x017F;ten Reiz des<lb/>
Geheimni&#x017F;&#x017F;es und der Scham, ohne eine andere Vergeltung als<lb/>
den verworfen&#x017F;ten Hohn und Spott, welcher den Genuß mit einer<lb/>
Flut der gemein&#x017F;ten Ausdrücke zu brandmarken, und dazu die<lb/>
Anzahl nichtswürdiger Spitz- und Ekelnamen zu erfinden<lb/>
weiß, welche wie Schmuz hinter jedes Jndividuum herge-<lb/>
worfen werden, und von denen &#x017F;chon die älte&#x017F;ten Gaunerli&#x017F;ten<lb/>
Ausweis geben. Bemerkenswerth i&#x017F;t, daß die älte&#x017F;ten Bezeich-<lb/>
nungen der Pro&#x017F;titution, welche im <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> verzeichnet<lb/>
&#x017F;ind, mei&#x017F;tens <hi rendition="#g">deut&#x017F;chen</hi> Stammes, zum Theil in die Volks&#x017F;prache<lb/>
übergegangen und noch jetzt im Gebrauch &#x017F;ind, weshalb &#x017F;ie in<lb/>
etymologi&#x017F;cher Hin&#x017F;icht Jntere&#x017F;&#x017F;e haben. Während die hochdeut&#x017F;che<lb/>
Sprache zu jener Zeit für den Begriff des <hi rendition="#aq">scortum</hi> kaum einen<lb/>
andern Ausdruck hatte, als den der &#x201E;gemeinen Frawe&#x201C; oder &#x201E;ge-<lb/>
meinen Tochter&#x201C;, &#x201E;Amye&#x201C;, &#x201E;Früne&#x201C; (von Phryne [?] oder von<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0341] trinken; Schöcher, der Wirth, Bierwirth; Schechor, ſtarkes Ge- tränk, beſonders Bier; ſchikker, betrunken, der Säufer; Schik- koron, die Trunkenheit, und Schächerſchurrig, Trinkgeſchirr aller Art, Glas, Taſſe, Kanne, Flaſche. Je ſicherer der Verſteck in den Spieſſen oder Pennen iſt, deſto freier waltet das Gaunerthum darin. Den Zwang und Bann, den ihm ſein Verkehr im bürgerlichen Leben aufgelegt hat, wirft der Gauner hier wie eine ſchwere Laſt von ſich: hier iſt er der bloße phyſiſche Menſch, der den Genuß wie eine Rache gegen jenen Zwang ſucht, und vom Vergnügen, ſtatt des Reizes, nur das mechaniſche Begängniß hat, in welchem ſelbſt die wildeſte Leidenſchaft, ja ſogar die phyſiſche Exiſtenz erſchöpft und ruinirt wird. 1) Auch die Wolluſt iſt hier nur die bloße Thatſache, ohne die geringſte Flitter der Jlluſion, ohne den geringſten Reiz des Geheimniſſes und der Scham, ohne eine andere Vergeltung als den verworfenſten Hohn und Spott, welcher den Genuß mit einer Flut der gemeinſten Ausdrücke zu brandmarken, und dazu die Anzahl nichtswürdiger Spitz- und Ekelnamen zu erfinden weiß, welche wie Schmuz hinter jedes Jndividuum herge- worfen werden, und von denen ſchon die älteſten Gaunerliſten Ausweis geben. Bemerkenswerth iſt, daß die älteſten Bezeich- nungen der Proſtitution, welche im Liber Vagatorum verzeichnet ſind, meiſtens deutſchen Stammes, zum Theil in die Volksſprache übergegangen und noch jetzt im Gebrauch ſind, weshalb ſie in etymologiſcher Hinſicht Jntereſſe haben. Während die hochdeutſche Sprache zu jener Zeit für den Begriff des scortum kaum einen andern Ausdruck hatte, als den der „gemeinen Frawe“ oder „ge- meinen Tochter“, „Amye“, „Früne“ (von Phryne [?] oder von 1) Sehr bezeichnend iſt der gauneriſche Ausdruck: die Spieſſe mahane ſein, d. h. das Wirthshaus etwas genießen laſſen, im Wirthshaus etwas verzehren; wobei von dem eigenen Genuß des Zahlenden nicht die Rede iſt. So wird die Redensart auch allgemein gebraucht: Jemanden mahane ſein, jemanden genießen laſſen, traktiren, z. B. bei Callenberg, „Wörter- buch“, S. 44: _ . Einen mahane ſein von ſeinen Nechoſim, jemanden von ſeinem Vermögen genießen laſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/341
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/341>, abgerufen am 22.11.2024.