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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller
polizeilichen Aufsicht zum Trotz, zu halten wissen. Nach dem ge-
heimen Gewerbscartel, in welchem die Bordellwirthe miteinander
stehen, ist die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter
dem Namen der Auslösung bestehender Kauf, bei welchem
wirklich, oder nur dem Scheine nach, die sogenannten Schulden
einer Dirne bezahlt werden, welche entweder gar nicht oder doch
nicht in solcher Höhe existiren. Nicht allein ein ungeheueres
wöchentliches Kostgeld, nicht allein 33 bis 50 Procent vom ver-
dienten Lustsolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäsche
und Bedienung, und sogar eine schmähliche Miethe für das Um-
hängen des dem Wirthe abzuborgenden klapperigen Schmucks,
und die Menge Geschenke 1), welche bei den vielen gesuchten Ge-
legenheiten dem Wirthe geopfert werden müssen: das Schlimmste
ist die künstliche Creditlosigkeit, in welcher die Dirnen ge-
halten, und bei welcher sie gezwungen werden, alle gewöhnlichen
Bedürfnisse von dem Wirthe selbst zu kaufen, der sich den
billigsten Plunder oft mit dem zehn- und zwanzigfachen Preise
bezahlen läßt, wobei er häufig geschärfte, verpfändete und an
Zahlungsstatt angenommene Sachen anbringt. 2) Unglaublich groß

1) Den größten Vorrath an Gold- und Silbersachen, den ich in bürger-
lichem Privatbesitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß -- einer
Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, so dürftig und blechern war
doch auch die Mehrzahl dieser Gegenstände, deren Werthgehalt nur den Zwang,
nicht den freien Willen zu schenken, deutlich aussprach.
2) Dieser materielle Bann ist so groß und so furchtbar, daß gerade durch
ihn zunächst die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltsam erstickt wird.
Was hilft die Gesetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden
befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe sie doch
später überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß
selbst nicht einmal die Ehe sie gegen beschimpfende Erinnerungen und Mah-
nungen schützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthschaft bekommt man
erst dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geschäftliche Correspon-
denz zwischen Bordellwirthen geräth. Jn diesen Briefen wird mit eisiger
Kälte und Geschäftsmäßigkeit, die sogar nicht einmal zu einer Zote gelangt,
lediglich über die Körperbeschaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe,
Haar, Alter, Zähne u. s. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib-

Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller
polizeilichen Aufſicht zum Trotz, zu halten wiſſen. Nach dem ge-
heimen Gewerbscartel, in welchem die Bordellwirthe miteinander
ſtehen, iſt die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter
dem Namen der Auslöſung beſtehender Kauf, bei welchem
wirklich, oder nur dem Scheine nach, die ſogenannten Schulden
einer Dirne bezahlt werden, welche entweder gar nicht oder doch
nicht in ſolcher Höhe exiſtiren. Nicht allein ein ungeheueres
wöchentliches Koſtgeld, nicht allein 33 bis 50 Procent vom ver-
dienten Luſtſolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäſche
und Bedienung, und ſogar eine ſchmähliche Miethe für das Um-
hängen des dem Wirthe abzuborgenden klapperigen Schmucks,
und die Menge Geſchenke 1), welche bei den vielen geſuchten Ge-
legenheiten dem Wirthe geopfert werden müſſen: das Schlimmſte
iſt die künſtliche Creditloſigkeit, in welcher die Dirnen ge-
halten, und bei welcher ſie gezwungen werden, alle gewöhnlichen
Bedürfniſſe von dem Wirthe ſelbſt zu kaufen, der ſich den
billigſten Plunder oft mit dem zehn- und zwanzigfachen Preiſe
bezahlen läßt, wobei er häufig geſchärfte, verpfändete und an
Zahlungsſtatt angenommene Sachen anbringt. 2) Unglaublich groß

1) Den größten Vorrath an Gold- und Silberſachen, den ich in bürger-
lichem Privatbeſitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß — einer
Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, ſo dürftig und blechern war
doch auch die Mehrzahl dieſer Gegenſtände, deren Werthgehalt nur den Zwang,
nicht den freien Willen zu ſchenken, deutlich ausſprach.
2) Dieſer materielle Bann iſt ſo groß und ſo furchtbar, daß gerade durch
ihn zunächſt die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltſam erſtickt wird.
Was hilft die Geſetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden
befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe ſie doch
ſpäter überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß
ſelbſt nicht einmal die Ehe ſie gegen beſchimpfende Erinnerungen und Mah-
nungen ſchützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthſchaft bekommt man
erſt dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geſchäftliche Correſpon-
denz zwiſchen Bordellwirthen geräth. Jn dieſen Briefen wird mit eiſiger
Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, die ſogar nicht einmal zu einer Zote gelangt,
lediglich über die Körperbeſchaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe,
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[335/0347] Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller polizeilichen Aufſicht zum Trotz, zu halten wiſſen. Nach dem ge- heimen Gewerbscartel, in welchem die Bordellwirthe miteinander ſtehen, iſt die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter dem Namen der Auslöſung beſtehender Kauf, bei welchem wirklich, oder nur dem Scheine nach, die ſogenannten Schulden einer Dirne bezahlt werden, welche entweder gar nicht oder doch nicht in ſolcher Höhe exiſtiren. Nicht allein ein ungeheueres wöchentliches Koſtgeld, nicht allein 33 bis 50 Procent vom ver- dienten Luſtſolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäſche und Bedienung, und ſogar eine ſchmähliche Miethe für das Um- hängen des dem Wirthe abzuborgenden klapperigen Schmucks, und die Menge Geſchenke 1), welche bei den vielen geſuchten Ge- legenheiten dem Wirthe geopfert werden müſſen: das Schlimmſte iſt die künſtliche Creditloſigkeit, in welcher die Dirnen ge- halten, und bei welcher ſie gezwungen werden, alle gewöhnlichen Bedürfniſſe von dem Wirthe ſelbſt zu kaufen, der ſich den billigſten Plunder oft mit dem zehn- und zwanzigfachen Preiſe bezahlen läßt, wobei er häufig geſchärfte, verpfändete und an Zahlungsſtatt angenommene Sachen anbringt. 2) Unglaublich groß 1) Den größten Vorrath an Gold- und Silberſachen, den ich in bürger- lichem Privatbeſitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß — einer Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, ſo dürftig und blechern war doch auch die Mehrzahl dieſer Gegenſtände, deren Werthgehalt nur den Zwang, nicht den freien Willen zu ſchenken, deutlich ausſprach. 2) Dieſer materielle Bann iſt ſo groß und ſo furchtbar, daß gerade durch ihn zunächſt die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltſam erſtickt wird. Was hilft die Geſetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe ſie doch ſpäter überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß ſelbſt nicht einmal die Ehe ſie gegen beſchimpfende Erinnerungen und Mah- nungen ſchützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthſchaft bekommt man erſt dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geſchäftliche Correſpon- denz zwiſchen Bordellwirthen geräth. Jn dieſen Briefen wird mit eiſiger Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, die ſogar nicht einmal zu einer Zote gelangt, lediglich über die Körperbeſchaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe, Haar, Alter, Zähne u. ſ. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/347>, abgerufen am 26.04.2024.