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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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ist der Werth der Colonial-, besonders aber der Manufactur-
und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer-
tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterschlagen und
in die Bordells getragen werden, wo sie zum größten Theil nicht
einmal den damit beschenkten Dirnen, sondern dem Wirthe zugute
kommen. Fast ebenso groß ist die Menge von Pfändern, welche
leichtsinnigen oder angetrunkenen Gästen, trotz aller Verbote, ab-
genommen, oder von sonstigen Gegenständen aller Art, die als
"Fund" aufgehoben und verhehlt werden.

Die reiche Gaunersprache, welche für jede ihrer Künste min-
destens eine Bezeichnung aufzuweisen hat, ist nicht ohne Bedeut-
samkeit so karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und
bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spiesse
treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden
Lebensregung des Gaunerthums. Die Geschichte der Bordells,
namentlich zur Zeit der rheinischen und aller spätern Räuberbanden,
die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die
Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erste Stufe zum Schaffot,
die immer wieder auftauchende Entdeckung diebischen Verkehrs in
den Bordells: alles das muß die unglückliche, selbstgenügsame
Ansicht herabstimmen, daß mit der bestehenden, oft mit so eitelm,
selbstgefälligem, großstädtischem Glanz und Gepräge überzogenen
Sanitäts- und sogenannten "Sittenpolizei" in den Bordells irgend-
etwas Ausreichendes gethan sei. Vielmehr tritt die Nothwendig-
keit mit ganzer, gewaltiger, ernster Mahnung hervor, daß durchaus
eine bei weitem tiefer und schärfer eingreifende Aufsicht über das
gesammte Bordellwesen eingeführt werden muß. Die kunstvolle
und scharfe Fremdenpolizei und ihre breite Gesetzgebung ist so
lange eine Anomalie, als sie den Gastwirth und Hauswirth zwingt,
den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund

stube eines Viehhändlers kämen. Jn der That ist die Dirne im Bordell
nur Körper, nach dessen Seele nicht gefragt wird; dem sogar der christliche
Taufname genommen und, wie dem französischen Soldaten der nom de bataille,
ein phantastischer Name gegeben wird, dessen Klang eine ungeheuere Jronie
für die Lage und Umgebung des Opfers ist.

iſt der Werth der Colonial-, beſonders aber der Manufactur-
und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer-
tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterſchlagen und
in die Bordells getragen werden, wo ſie zum größten Theil nicht
einmal den damit beſchenkten Dirnen, ſondern dem Wirthe zugute
kommen. Faſt ebenſo groß iſt die Menge von Pfändern, welche
leichtſinnigen oder angetrunkenen Gäſten, trotz aller Verbote, ab-
genommen, oder von ſonſtigen Gegenſtänden aller Art, die als
„Fund“ aufgehoben und verhehlt werden.

Die reiche Gaunerſprache, welche für jede ihrer Künſte min-
deſtens eine Bezeichnung aufzuweiſen hat, iſt nicht ohne Bedeut-
ſamkeit ſo karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und
bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spieſſe
treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden
Lebensregung des Gaunerthums. Die Geſchichte der Bordells,
namentlich zur Zeit der rheiniſchen und aller ſpätern Räuberbanden,
die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die
Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erſte Stufe zum Schaffot,
die immer wieder auftauchende Entdeckung diebiſchen Verkehrs in
den Bordells: alles das muß die unglückliche, ſelbſtgenügſame
Anſicht herabſtimmen, daß mit der beſtehenden, oft mit ſo eitelm,
ſelbſtgefälligem, großſtädtiſchem Glanz und Gepräge überzogenen
Sanitäts- und ſogenannten „Sittenpolizei“ in den Bordells irgend-
etwas Ausreichendes gethan ſei. Vielmehr tritt die Nothwendig-
keit mit ganzer, gewaltiger, ernſter Mahnung hervor, daß durchaus
eine bei weitem tiefer und ſchärfer eingreifende Aufſicht über das
geſammte Bordellweſen eingeführt werden muß. Die kunſtvolle
und ſcharfe Fremdenpolizei und ihre breite Geſetzgebung iſt ſo
lange eine Anomalie, als ſie den Gaſtwirth und Hauswirth zwingt,
den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund

ſtube eines Viehhändlers kämen. Jn der That iſt die Dirne im Bordell
nur Körper, nach deſſen Seele nicht gefragt wird; dem ſogar der chriſtliche
Taufname genommen und, wie dem franzöſiſchen Soldaten der nom de bataille,
ein phantaſtiſcher Name gegeben wird, deſſen Klang eine ungeheuere Jronie
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[336/0348] iſt der Werth der Colonial-, beſonders aber der Manufactur- und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer- tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterſchlagen und in die Bordells getragen werden, wo ſie zum größten Theil nicht einmal den damit beſchenkten Dirnen, ſondern dem Wirthe zugute kommen. Faſt ebenſo groß iſt die Menge von Pfändern, welche leichtſinnigen oder angetrunkenen Gäſten, trotz aller Verbote, ab- genommen, oder von ſonſtigen Gegenſtänden aller Art, die als „Fund“ aufgehoben und verhehlt werden. Die reiche Gaunerſprache, welche für jede ihrer Künſte min- deſtens eine Bezeichnung aufzuweiſen hat, iſt nicht ohne Bedeut- ſamkeit ſo karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spieſſe treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden Lebensregung des Gaunerthums. Die Geſchichte der Bordells, namentlich zur Zeit der rheiniſchen und aller ſpätern Räuberbanden, die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erſte Stufe zum Schaffot, die immer wieder auftauchende Entdeckung diebiſchen Verkehrs in den Bordells: alles das muß die unglückliche, ſelbſtgenügſame Anſicht herabſtimmen, daß mit der beſtehenden, oft mit ſo eitelm, ſelbſtgefälligem, großſtädtiſchem Glanz und Gepräge überzogenen Sanitäts- und ſogenannten „Sittenpolizei“ in den Bordells irgend- etwas Ausreichendes gethan ſei. Vielmehr tritt die Nothwendig- keit mit ganzer, gewaltiger, ernſter Mahnung hervor, daß durchaus eine bei weitem tiefer und ſchärfer eingreifende Aufſicht über das geſammte Bordellweſen eingeführt werden muß. Die kunſtvolle und ſcharfe Fremdenpolizei und ihre breite Geſetzgebung iſt ſo lange eine Anomalie, als ſie den Gaſtwirth und Hauswirth zwingt, den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund 2) 2) ſtube eines Viehhändlers kämen. Jn der That iſt die Dirne im Bordell nur Körper, nach deſſen Seele nicht gefragt wird; dem ſogar der chriſtliche Taufname genommen und, wie dem franzöſiſchen Soldaten der nom de bataille, ein phantaſtiſcher Name gegeben wird, deſſen Klang eine ungeheuere Jronie für die Lage und Umgebung des Opfers iſt.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/348>, abgerufen am 25.04.2024.