zöge, den Heerbann ihres Landes aufzubieten und die Landtage zu berufen, auf denen sie Vergleiche schließen und Recht sprechen konnten, wurde die regierende Gewalt auf die verschiedenen ein- zelnen Staaten vertheilt, sodaß das Königthum in Deutschland niemals zur vollen Entwickelung kam 1), dafür aber die innere Entwickelung des deutschen Wesens und Lebens bedeutend geför- dert wurde. Die sichtliche Zunahme dieser herzoglichen Gewalt machte es zur Politik der Ottonen, die meisten Herzogssitze mit ihren Verwandten zu besetzen, und dazu die Pfalzgrafen aufzu- stellen und Markgrafen einzusetzen, durch welche Politik die her- zogliche Macht zwar zeitweise mit dem Kaiserthum in eine stützende Verbindung gebracht, aber auch innerlich nur noch mehr gekräftigt wurde, besonders unter den schwachen Kaisern in kräftiger Selb- ständigkeit hervortrat, und ihren wesentlichen Widerstand nicht in der Kaisermacht, sondern, gleich dieser, in der rasch emporstreben- den Gewalt der besonders schon durch die Ottonische Politik eben- falls mit bedeutenden Jmmunitäten und Grafschaftsrechten be- lehnten Geistlichkeit fand. Es ist bereits im historischen Ab- schnitte die Rede gewesen von dem Wetteifer, in welchem Hierarchie und Lehnwesen neben-, gegen- und wiederum mit einander jene Unzahl von Formen schufen, deren Durchführung und Geltend- machung auf Kosten der Volksnatur den wesentlichen Jnhalt der Geschichte des Mittelalters ausmacht, sowie von der Festsetzung des deutschen Wesens in den Freien Städten, welche damit viel- mehr zu Palatien dieses deutschen Volkswesens als der Kaiser- macht wurden, und dies Wesen retteten und pflegten. Neben der Protection der Freien Städte von Seiten der Kaiser erscheint die Reichspolizei als ein, vielleicht nicht ohne Hinblick auf Frankreich gemachter, politischer Versuch einer festern Centralisirung der deut- schen Macht zur Verstärkung des geschwächten Kaiserthums, wozu
1) Der gewaltige Heinrich III. (1039--1056), welcher die Königsmacht zur höchsten Blüte brachte, starb zu früh für die Durchführung des deutschen Kaiserthums. Sein Tod brachte einen ganz andern Umschwung der Dinge hervor.
zöge, den Heerbann ihres Landes aufzubieten und die Landtage zu berufen, auf denen ſie Vergleiche ſchließen und Recht ſprechen konnten, wurde die regierende Gewalt auf die verſchiedenen ein- zelnen Staaten vertheilt, ſodaß das Königthum in Deutſchland niemals zur vollen Entwickelung kam 1), dafür aber die innere Entwickelung des deutſchen Weſens und Lebens bedeutend geför- dert wurde. Die ſichtliche Zunahme dieſer herzoglichen Gewalt machte es zur Politik der Ottonen, die meiſten Herzogsſitze mit ihren Verwandten zu beſetzen, und dazu die Pfalzgrafen aufzu- ſtellen und Markgrafen einzuſetzen, durch welche Politik die her- zogliche Macht zwar zeitweiſe mit dem Kaiſerthum in eine ſtützende Verbindung gebracht, aber auch innerlich nur noch mehr gekräftigt wurde, beſonders unter den ſchwachen Kaiſern in kräftiger Selb- ſtändigkeit hervortrat, und ihren weſentlichen Widerſtand nicht in der Kaiſermacht, ſondern, gleich dieſer, in der raſch emporſtreben- den Gewalt der beſonders ſchon durch die Ottoniſche Politik eben- falls mit bedeutenden Jmmunitäten und Grafſchaftsrechten be- lehnten Geiſtlichkeit fand. Es iſt bereits im hiſtoriſchen Ab- ſchnitte die Rede geweſen von dem Wetteifer, in welchem Hierarchie und Lehnweſen neben-, gegen- und wiederum mit einander jene Unzahl von Formen ſchufen, deren Durchführung und Geltend- machung auf Koſten der Volksnatur den weſentlichen Jnhalt der Geſchichte des Mittelalters ausmacht, ſowie von der Feſtſetzung des deutſchen Weſens in den Freien Städten, welche damit viel- mehr zu Palatien dieſes deutſchen Volksweſens als der Kaiſer- macht wurden, und dies Weſen retteten und pflegten. Neben der Protection der Freien Städte von Seiten der Kaiſer erſcheint die Reichspolizei als ein, vielleicht nicht ohne Hinblick auf Frankreich gemachter, politiſcher Verſuch einer feſtern Centraliſirung der deut- ſchen Macht zur Verſtärkung des geſchwächten Kaiſerthums, wozu
1) Der gewaltige Heinrich III. (1039—1056), welcher die Königsmacht zur höchſten Blüte brachte, ſtarb zu früh für die Durchführung des deutſchen Kaiſerthums. Sein Tod brachte einen ganz andern Umſchwung der Dinge hervor.
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zöge, den Heerbann ihres Landes aufzubieten und die Landtage
zu berufen, auf denen ſie Vergleiche ſchließen und Recht ſprechen
konnten, wurde die regierende Gewalt auf die verſchiedenen ein-
zelnen Staaten vertheilt, ſodaß das Königthum in Deutſchland
niemals zur vollen Entwickelung kam 1), dafür aber die innere
Entwickelung des deutſchen Weſens und Lebens bedeutend geför-
dert wurde. Die ſichtliche Zunahme dieſer herzoglichen Gewalt
machte es zur Politik der Ottonen, die meiſten Herzogsſitze mit
ihren Verwandten zu beſetzen, und dazu die Pfalzgrafen aufzu-
ſtellen und Markgrafen einzuſetzen, durch welche Politik die her-
zogliche Macht zwar zeitweiſe mit dem Kaiſerthum in eine ſtützende
Verbindung gebracht, aber auch innerlich nur noch mehr gekräftigt
wurde, beſonders unter den ſchwachen Kaiſern in kräftiger Selb-
ſtändigkeit hervortrat, und ihren weſentlichen Widerſtand nicht in
der Kaiſermacht, ſondern, gleich dieſer, in der raſch emporſtreben-
den Gewalt der beſonders ſchon durch die Ottoniſche Politik eben-
falls mit bedeutenden Jmmunitäten und Grafſchaftsrechten be-
lehnten Geiſtlichkeit fand. Es iſt bereits im hiſtoriſchen Ab-
ſchnitte die Rede geweſen von dem Wetteifer, in welchem Hierarchie
und Lehnweſen neben-, gegen- und wiederum mit einander jene
Unzahl von Formen ſchufen, deren Durchführung und Geltend-
machung auf Koſten der Volksnatur den weſentlichen Jnhalt der
Geſchichte des Mittelalters ausmacht, ſowie von der Feſtſetzung
des deutſchen Weſens in den Freien Städten, welche damit viel-
mehr zu Palatien dieſes deutſchen Volksweſens als der Kaiſer-
macht wurden, und dies Weſen retteten und pflegten. Neben der
Protection der Freien Städte von Seiten der Kaiſer erſcheint die
Reichspolizei als ein, vielleicht nicht ohne Hinblick auf Frankreich
gemachter, politiſcher Verſuch einer feſtern Centraliſirung der deut-
ſchen Macht zur Verſtärkung des geſchwächten Kaiſerthums, wozu
1) Der gewaltige Heinrich III. (1039—1056), welcher die Königsmacht
zur höchſten Blüte brachte, ſtarb zu früh für die Durchführung des deutſchen
Kaiſerthums. Sein Tod brachte einen ganz andern Umſchwung der Dinge
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/360>, abgerufen am 20.05.2024.
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