Noth, trotz dem besten Eifer, fehlt es aber auch auf vielen Stel- len an wahrer Kenntniß des Gaunerthums, seiner Kunst und seiner Repräsentanten. Daher erhält man auf Anfragen nach dem Aufenthalt und der Führung dieses oder jenes Gauners die lei- dige Antwort, "daß dergleichen hierorts nicht vorgekommen", oder bekommt die besten Leumundszeugnisse der Heimatsbehörden über Gauner, welche doch auf der That ertappt, aber klug genug gewesen sind, in der Heimat ein scheinbar unbescholtenes Leben zu führen, um im Auslande desto ärgere Gaunereien zu treiben. Auf der andern Seite hat man weder Muth noch Mittel, dem wuchernden Gaunerthum mit Nachdruck entgegenzutreten. So kommt es, daß ganz neuerlich der schon früher, freilich zur Zeit der offenen frechen Uebergewalt des Räuberthums und großen Rathlosigkeit der Polizei, von vielen, namentlich von Pfister, a. a. O., II, 7, gemachte Vorschlag, "zur Errichtung von Special-Gerichten oder eigenen Gerichtsstellen für Räuber und Gauner, ohne Gestattung eines Appella- tionszugs von denselben", wiederholt laut geworden ist. Abgesehen von dieser schlimmen Bloßstellung der Polizei und von der Ungerechtigkeit eines solchen criminalistischen Standrechts, würde das Gaunerthum, wie das ja auch schon seine Geschichte schlagend beweist, außerhalb der Grenzen solcher Specialgerichte nur desto ärger und verwegener hausen, wenn es überhaupt sich darin irre machen ließe, sogar auch unmittelbar unter den Augen dieser Gerichte die Kunst mit desto größerer Keckheit und feinerer Vorsicht zu betreiben.
Ein gleich übles Kriterium für die Stärke des Gaunerthums und für die Schwäche der Polizei liegt endlich noch in den von Zeit zu Zeit von den Behörden eines Landes oder mehrerer be- nachbarten Territorien vorgenommenen gemeinsamen Streifen nach Gaunern, welche, wie schon der Name "Taterjagd" ausweist, eine alte Tradition des scheidenden Mittelalters sind, und beson- ders durch Titel 27 des Reichsabschiedes zu Augsburg von 1500 veranlaßt sein mögen, nach welchem "sich die Ziegeuner darauff hie zwischen Ostern nechstkünfftig aus den Landen Teutscher
Noth, trotz dem beſten Eifer, fehlt es aber auch auf vielen Stel- len an wahrer Kenntniß des Gaunerthums, ſeiner Kunſt und ſeiner Repräſentanten. Daher erhält man auf Anfragen nach dem Aufenthalt und der Führung dieſes oder jenes Gauners die lei- dige Antwort, „daß dergleichen hierorts nicht vorgekommen“, oder bekommt die beſten Leumundszeugniſſe der Heimatsbehörden über Gauner, welche doch auf der That ertappt, aber klug genug geweſen ſind, in der Heimat ein ſcheinbar unbeſcholtenes Leben zu führen, um im Auslande deſto ärgere Gaunereien zu treiben. Auf der andern Seite hat man weder Muth noch Mittel, dem wuchernden Gaunerthum mit Nachdruck entgegenzutreten. So kommt es, daß ganz neuerlich der ſchon früher, freilich zur Zeit der offenen frechen Uebergewalt des Räuberthums und großen Rathloſigkeit der Polizei, von vielen, namentlich von Pfiſter, a. a. O., II, 7, gemachte Vorſchlag, „zur Errichtung von Special-Gerichten oder eigenen Gerichtsſtellen für Räuber und Gauner, ohne Geſtattung eines Appella- tionszugs von denſelben“, wiederholt laut geworden iſt. Abgeſehen von dieſer ſchlimmen Bloßſtellung der Polizei und von der Ungerechtigkeit eines ſolchen criminaliſtiſchen Standrechts, würde das Gaunerthum, wie das ja auch ſchon ſeine Geſchichte ſchlagend beweiſt, außerhalb der Grenzen ſolcher Specialgerichte nur deſto ärger und verwegener hauſen, wenn es überhaupt ſich darin irre machen ließe, ſogar auch unmittelbar unter den Augen dieſer Gerichte die Kunſt mit deſto größerer Keckheit und feinerer Vorſicht zu betreiben.
Ein gleich übles Kriterium für die Stärke des Gaunerthums und für die Schwäche der Polizei liegt endlich noch in den von Zeit zu Zeit von den Behörden eines Landes oder mehrerer be- nachbarten Territorien vorgenommenen gemeinſamen Streifen nach Gaunern, welche, wie ſchon der Name „Taterjagd“ ausweiſt, eine alte Tradition des ſcheidenden Mittelalters ſind, und beſon- ders durch Titel 27 des Reichsabſchiedes zu Augsburg von 1500 veranlaßt ſein mögen, nach welchem „ſich die Ziegeuner darauff hie zwiſchen Oſtern nechſtkünfftig aus den Landen Teutſcher
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Noth, trotz dem beſten Eifer, fehlt es aber auch auf vielen Stel-
len an wahrer Kenntniß des Gaunerthums, ſeiner Kunſt und
ſeiner Repräſentanten. Daher erhält man auf Anfragen nach dem
Aufenthalt und der Führung dieſes oder jenes Gauners die lei-
dige Antwort, „daß dergleichen hierorts nicht vorgekommen“,
oder bekommt die beſten Leumundszeugniſſe der Heimatsbehörden
über Gauner, welche doch auf der That ertappt, aber klug genug
geweſen ſind, in der Heimat ein ſcheinbar unbeſcholtenes Leben
zu führen, um im Auslande deſto ärgere Gaunereien zu treiben.
Auf der andern Seite hat man weder Muth noch Mittel, dem
wuchernden Gaunerthum mit Nachdruck entgegenzutreten. So
kommt es, daß ganz neuerlich der ſchon früher, freilich zur Zeit
der offenen frechen Uebergewalt des Räuberthums und großen
Rathloſigkeit der Polizei, von vielen, namentlich von Pfiſter,
a. a. O., II, 7, gemachte Vorſchlag, „zur Errichtung von
Special-Gerichten oder eigenen Gerichtsſtellen für
Räuber und Gauner, ohne Geſtattung eines Appella-
tionszugs von denſelben“, wiederholt laut geworden iſt.
Abgeſehen von dieſer ſchlimmen Bloßſtellung der Polizei und von
der Ungerechtigkeit eines ſolchen criminaliſtiſchen Standrechts,
würde das Gaunerthum, wie das ja auch ſchon ſeine Geſchichte
ſchlagend beweiſt, außerhalb der Grenzen ſolcher Specialgerichte
nur deſto ärger und verwegener hauſen, wenn es überhaupt ſich
darin irre machen ließe, ſogar auch unmittelbar unter den Augen
dieſer Gerichte die Kunſt mit deſto größerer Keckheit und feinerer
Vorſicht zu betreiben.
Ein gleich übles Kriterium für die Stärke des Gaunerthums
und für die Schwäche der Polizei liegt endlich noch in den von
Zeit zu Zeit von den Behörden eines Landes oder mehrerer be-
nachbarten Territorien vorgenommenen gemeinſamen Streifen nach
Gaunern, welche, wie ſchon der Name „Taterjagd“ ausweiſt,
eine alte Tradition des ſcheidenden Mittelalters ſind, und beſon-
ders durch Titel 27 des Reichsabſchiedes zu Augsburg von 1500
veranlaßt ſein mögen, nach welchem „ſich die Ziegeuner darauff
hie zwiſchen Oſtern nechſtkünfftig aus den Landen Teutſcher
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/384>, abgerufen am 25.11.2024.
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