Amnestirung der gefährlichsten Hauptverbrecher zu erbringen ver- mochte.
Groß und ernst ist die Aufgabe des Jnquirenten, welcher den Verbrecher aus Noth, Leidenschaft oder Unwissenheit überführen soll. Aber der ungeübte Verbrecher weiß die Spurenschrift der That weniger geschickt zu zerstören und die That im Verhör weniger zu verleugnen. Somit hat der Jnquirent mit seinem Scharfblick auf die That und auf den der That verdächtigen Jnqui- siten einen festern Anhalt in der That und im Jnquisiten, in sich selbst und vor allem in dem kräftigenden Bewußtsein der Gerech- tigkeit, um derentwillen er das Verbrechen bloßlegen und den Ver- brecher der Strafe entgegenführen soll. Viel schwieriger und groß- artiger ist aber die Ueberführung des Gauners, der das Ver- brechen mit kaltem Bedacht, mit überlegter Kunst, als sein gewohntes Tagewerk betreibt, seine Haft und Untersuchung als eine lästige Unterbrechung seines täglichen Nahrungsbetriebs be- trachtet, und, durch Schule und Erfahrung geübt, mit raffinirter Schlauheit und Gewandtheit sich den Händen der Gerechtigkeit zu entziehen weiß. Da das Leben nur im völlerischen Genuß Reiz für ihn hat, da er kein Recht, keine Religion, keine Sitte kennt, so drückt ihn nur die Haft, nicht das Gewissen, und er sinnt, weiß und hat die mannichfachsten Mittel, von diesem Drucke sich zu befreien. Nicht als armer Sünder, sondern ungebeugt, als sieggewohnte geistige Potenz tritt er vor den Verhörtisch, vor welchem er jede Situation mit lauernder Schlauheit auffaßt und ausbeutet, und in großartiger Selbstverleugnung alle Leidenschaften wie künstliche Marionetten auf diesem seinen theatrum mundi spielen läßt. Wehe dem Jnquirenten, der nicht ahnet, daß der Verhörtisch die Wahlstatt ist, auf welcher der Gauner mit ihm um die geistige Herrschaft kämpft; der nicht weiß, wie, ehe er dem Gegner von Angesicht zu Angesicht gegenübertritt, dieser in der feinen Forschung und in der ungeheuer ausgedehnten Verbindung des gesammten Gaunerthums ihn schon vorher in seiner Schwäche kennt, und bei den Antworten, die er gibt, mehr vom Jnquirenten zu erforschen weiß, als dieser von ihm in den an ihn gestellten Fragen!
Amneſtirung der gefährlichſten Hauptverbrecher zu erbringen ver- mochte.
Groß und ernſt iſt die Aufgabe des Jnquirenten, welcher den Verbrecher aus Noth, Leidenſchaft oder Unwiſſenheit überführen ſoll. Aber der ungeübte Verbrecher weiß die Spurenſchrift der That weniger geſchickt zu zerſtören und die That im Verhör weniger zu verleugnen. Somit hat der Jnquirent mit ſeinem Scharfblick auf die That und auf den der That verdächtigen Jnqui- ſiten einen feſtern Anhalt in der That und im Jnquiſiten, in ſich ſelbſt und vor allem in dem kräftigenden Bewußtſein der Gerech- tigkeit, um derentwillen er das Verbrechen bloßlegen und den Ver- brecher der Strafe entgegenführen ſoll. Viel ſchwieriger und groß- artiger iſt aber die Ueberführung des Gauners, der das Ver- brechen mit kaltem Bedacht, mit überlegter Kunſt, als ſein gewohntes Tagewerk betreibt, ſeine Haft und Unterſuchung als eine läſtige Unterbrechung ſeines täglichen Nahrungsbetriebs be- trachtet, und, durch Schule und Erfahrung geübt, mit raffinirter Schlauheit und Gewandtheit ſich den Händen der Gerechtigkeit zu entziehen weiß. Da das Leben nur im völleriſchen Genuß Reiz für ihn hat, da er kein Recht, keine Religion, keine Sitte kennt, ſo drückt ihn nur die Haft, nicht das Gewiſſen, und er ſinnt, weiß und hat die mannichfachſten Mittel, von dieſem Drucke ſich zu befreien. Nicht als armer Sünder, ſondern ungebeugt, als ſieggewohnte geiſtige Potenz tritt er vor den Verhörtiſch, vor welchem er jede Situation mit lauernder Schlauheit auffaßt und ausbeutet, und in großartiger Selbſtverleugnung alle Leidenſchaften wie künſtliche Marionetten auf dieſem ſeinen theatrum mundi ſpielen läßt. Wehe dem Jnquirenten, der nicht ahnet, daß der Verhörtiſch die Wahlſtatt iſt, auf welcher der Gauner mit ihm um die geiſtige Herrſchaft kämpft; der nicht weiß, wie, ehe er dem Gegner von Angeſicht zu Angeſicht gegenübertritt, dieſer in der feinen Forſchung und in der ungeheuer ausgedehnten Verbindung des geſammten Gaunerthums ihn ſchon vorher in ſeiner Schwäche kennt, und bei den Antworten, die er gibt, mehr vom Jnquirenten zu erforſchen weiß, als dieſer von ihm in den an ihn geſtellten Fragen!
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Amneſtirung der gefährlichſten Hauptverbrecher zu erbringen ver-
mochte.
Groß und ernſt iſt die Aufgabe des Jnquirenten, welcher den
Verbrecher aus Noth, Leidenſchaft oder Unwiſſenheit überführen
ſoll. Aber der ungeübte Verbrecher weiß die Spurenſchrift der
That weniger geſchickt zu zerſtören und die That im Verhör
weniger zu verleugnen. Somit hat der Jnquirent mit ſeinem
Scharfblick auf die That und auf den der That verdächtigen Jnqui-
ſiten einen feſtern Anhalt in der That und im Jnquiſiten, in ſich
ſelbſt und vor allem in dem kräftigenden Bewußtſein der Gerech-
tigkeit, um derentwillen er das Verbrechen bloßlegen und den Ver-
brecher der Strafe entgegenführen ſoll. Viel ſchwieriger und groß-
artiger iſt aber die Ueberführung des Gauners, der das Ver-
brechen mit kaltem Bedacht, mit überlegter Kunſt, als ſein
gewohntes Tagewerk betreibt, ſeine Haft und Unterſuchung als
eine läſtige Unterbrechung ſeines täglichen Nahrungsbetriebs be-
trachtet, und, durch Schule und Erfahrung geübt, mit raffinirter
Schlauheit und Gewandtheit ſich den Händen der Gerechtigkeit
zu entziehen weiß. Da das Leben nur im völleriſchen Genuß
Reiz für ihn hat, da er kein Recht, keine Religion, keine Sitte
kennt, ſo drückt ihn nur die Haft, nicht das Gewiſſen, und er
ſinnt, weiß und hat die mannichfachſten Mittel, von dieſem Drucke
ſich zu befreien. Nicht als armer Sünder, ſondern ungebeugt,
als ſieggewohnte geiſtige Potenz tritt er vor den Verhörtiſch, vor
welchem er jede Situation mit lauernder Schlauheit auffaßt und
ausbeutet, und in großartiger Selbſtverleugnung alle Leidenſchaften
wie künſtliche Marionetten auf dieſem ſeinen theatrum mundi
ſpielen läßt. Wehe dem Jnquirenten, der nicht ahnet, daß der
Verhörtiſch die Wahlſtatt iſt, auf welcher der Gauner mit ihm
um die geiſtige Herrſchaft kämpft; der nicht weiß, wie, ehe er dem
Gegner von Angeſicht zu Angeſicht gegenübertritt, dieſer in der
feinen Forſchung und in der ungeheuer ausgedehnten Verbindung
des geſammten Gaunerthums ihn ſchon vorher in ſeiner Schwäche
kennt, und bei den Antworten, die er gibt, mehr vom Jnquirenten zu
erforſchen weiß, als dieſer von ihm in den an ihn geſtellten Fragen!
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/392>, abgerufen am 26.11.2024.
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