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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Wahrheit verleugnet werden, daß alle unsere social-politischen
Zustände, unsere Justizpflege, Polizei und besonders unsere Straf-
anstalten auch noch immer sehr zu verbessern sind. Mit jener
Ansicht wären wir denn auch nicht weiter gekommen als jene
längst vergangene Zeit, in welcher die erbarmungslose, lieblose,
orthodoxe sittliche Entrüstung ihre Triumphe auf den bluttriefenden
Schaffots feierte. Die Hinrichtung des Bernhard Matter von
Muhen 1) auf der Richtstätte bei Lenzburg im Aargau, am 24. Mai

1) Bernhard Matter von Muhen hatte, nach Ergebniß der wider ihn
angestellten Untersuchung, 41 Diebstähle im Gesammtwerthe von 10500 Francs
begangen und wurde am 3. Mai 1854 vom Obergerichte zum Tode verurtheilt.
Da seine Hand rein von Blut geblieben war, bat er um Begnadigung zur
Freiheitsstrafe. Der Große Rath wies jedoch, ohne vorgängige Discussion, in
geheimer Sitzung, mit 99 gegen 45 Stimmen, das Begnadigungsgesuch ab,
worauf andern Tags die Hinrichtung vollzogen wurde. Vor der Vollstreckung
hielt der vollziehende Regierungsbeamte auf der Richtstätte die Anrede: "Bern-
hard Matter, du bist zum Vollzuge des eben verlesenen obergerichtlichen Ur-
theils, und nachdem die von dir angerufene Begnadigung vom Großen Rathe
dir abgeschlagen worden ist, hierher zur Richtstätte geführt worden. Es sind
Zweifel darüber entstanden, ob an einem Verbrecher, der sich nichts als ge-
waltsame Eingriffe in fremdes Eigenthum hat zu Schulden kommen lassen, in
jetziger Zeit die Todesstrafe vollzogen werden solle, oder nicht. Allein, wenn
überhaupt das Gesetz nur der Ausdruck des öffentlichen Bewußtseins über
Recht und Strafbarkeit sein soll, so bist du schon zum voraus und ehe der
Richter gesprochen hatte dem Tode verfallen gewesen. Nicht umsonst sind es
Bürger gewesen, welche dich ergriffen und dem Arme der Gerechtigkeit über-
liefert haben; nicht umsonst heischt die Stimme der vielen Bürger, Land auf,
Land ab, deinen Tod. Wer, wie du, in ununterbrochenem Kriege gegen die
bürgerliche Gesellschaft, in unversöhnlicher Feindschaft gegen die gesetzliche Ord-
nung gelebt und gehandelt hat; wem kein Kerker zu fest, keine Fessel zu stark
war, um wieder auszubrechen, um sein verbrecherisches Treiben von neuem an-
zufangen, gegen den mußte endlich der Staat zum äußersten Mittel der Noth-
wehr, zur Vertilgung, schreiten, um das Ansehen der Gesetze zu retten, und
um die ruhigen Bürger vor frechen Angriffen zu schützen. Wie der äußere
Feind des Landes, der Räuber seiner Unabhängigkeit und seiner Freiheit, mit
den Waffen in der Hand auf den Tod bekämpft und durch das Schwert ver-
tilgt wird, wo man ihn findet, so wirst auch du als der geschworne Feind der
Ordnung und des Gesetzes, als der Räuber des Eigenthums, durch das Richt-
schwert von der Erde vertilgt. Von den Menschen hast du nichts mehr zu
hoffen; wende dich an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes, daß

Wahrheit verleugnet werden, daß alle unſere ſocial-politiſchen
Zuſtände, unſere Juſtizpflege, Polizei und beſonders unſere Straf-
anſtalten auch noch immer ſehr zu verbeſſern ſind. Mit jener
Anſicht wären wir denn auch nicht weiter gekommen als jene
längſt vergangene Zeit, in welcher die erbarmungsloſe, liebloſe,
orthodoxe ſittliche Entrüſtung ihre Triumphe auf den bluttriefenden
Schaffots feierte. Die Hinrichtung des Bernhard Matter von
Muhen 1) auf der Richtſtätte bei Lenzburg im Aargau, am 24. Mai

1) Bernhard Matter von Muhen hatte, nach Ergebniß der wider ihn
angeſtellten Unterſuchung, 41 Diebſtähle im Geſammtwerthe von 10500 Francs
begangen und wurde am 3. Mai 1854 vom Obergerichte zum Tode verurtheilt.
Da ſeine Hand rein von Blut geblieben war, bat er um Begnadigung zur
Freiheitsſtrafe. Der Große Rath wies jedoch, ohne vorgängige Discuſſion, in
geheimer Sitzung, mit 99 gegen 45 Stimmen, das Begnadigungsgeſuch ab,
worauf andern Tags die Hinrichtung vollzogen wurde. Vor der Vollſtreckung
hielt der vollziehende Regierungsbeamte auf der Richtſtätte die Anrede: „Bern-
hard Matter, du biſt zum Vollzuge des eben verleſenen obergerichtlichen Ur-
theils, und nachdem die von dir angerufene Begnadigung vom Großen Rathe
dir abgeſchlagen worden iſt, hierher zur Richtſtätte geführt worden. Es ſind
Zweifel darüber entſtanden, ob an einem Verbrecher, der ſich nichts als ge-
waltſame Eingriffe in fremdes Eigenthum hat zu Schulden kommen laſſen, in
jetziger Zeit die Todesſtrafe vollzogen werden ſolle, oder nicht. Allein, wenn
überhaupt das Geſetz nur der Ausdruck des öffentlichen Bewußtſeins über
Recht und Strafbarkeit ſein ſoll, ſo biſt du ſchon zum voraus und ehe der
Richter geſprochen hatte dem Tode verfallen geweſen. Nicht umſonſt ſind es
Bürger geweſen, welche dich ergriffen und dem Arme der Gerechtigkeit über-
liefert haben; nicht umſonſt heiſcht die Stimme der vielen Bürger, Land auf,
Land ab, deinen Tod. Wer, wie du, in ununterbrochenem Kriege gegen die
bürgerliche Geſellſchaft, in unverſöhnlicher Feindſchaft gegen die geſetzliche Ord-
nung gelebt und gehandelt hat; wem kein Kerker zu feſt, keine Feſſel zu ſtark
war, um wieder auszubrechen, um ſein verbrecheriſches Treiben von neuem an-
zufangen, gegen den mußte endlich der Staat zum äußerſten Mittel der Noth-
wehr, zur Vertilgung, ſchreiten, um das Anſehen der Geſetze zu retten, und
um die ruhigen Bürger vor frechen Angriffen zu ſchützen. Wie der äußere
Feind des Landes, der Räuber ſeiner Unabhängigkeit und ſeiner Freiheit, mit
den Waffen in der Hand auf den Tod bekämpft und durch das Schwert ver-
tilgt wird, wo man ihn findet, ſo wirſt auch du als der geſchworne Feind der
Ordnung und des Geſetzes, als der Räuber des Eigenthums, durch das Richt-
ſchwert von der Erde vertilgt. Von den Menſchen haſt du nichts mehr zu
hoffen; wende dich an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes, daß
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[388/0400] Wahrheit verleugnet werden, daß alle unſere ſocial-politiſchen Zuſtände, unſere Juſtizpflege, Polizei und beſonders unſere Straf- anſtalten auch noch immer ſehr zu verbeſſern ſind. Mit jener Anſicht wären wir denn auch nicht weiter gekommen als jene längſt vergangene Zeit, in welcher die erbarmungsloſe, liebloſe, orthodoxe ſittliche Entrüſtung ihre Triumphe auf den bluttriefenden Schaffots feierte. Die Hinrichtung des Bernhard Matter von Muhen 1) auf der Richtſtätte bei Lenzburg im Aargau, am 24. Mai 1) Bernhard Matter von Muhen hatte, nach Ergebniß der wider ihn angeſtellten Unterſuchung, 41 Diebſtähle im Geſammtwerthe von 10500 Francs begangen und wurde am 3. Mai 1854 vom Obergerichte zum Tode verurtheilt. Da ſeine Hand rein von Blut geblieben war, bat er um Begnadigung zur Freiheitsſtrafe. Der Große Rath wies jedoch, ohne vorgängige Discuſſion, in geheimer Sitzung, mit 99 gegen 45 Stimmen, das Begnadigungsgeſuch ab, worauf andern Tags die Hinrichtung vollzogen wurde. Vor der Vollſtreckung hielt der vollziehende Regierungsbeamte auf der Richtſtätte die Anrede: „Bern- hard Matter, du biſt zum Vollzuge des eben verleſenen obergerichtlichen Ur- theils, und nachdem die von dir angerufene Begnadigung vom Großen Rathe dir abgeſchlagen worden iſt, hierher zur Richtſtätte geführt worden. Es ſind Zweifel darüber entſtanden, ob an einem Verbrecher, der ſich nichts als ge- waltſame Eingriffe in fremdes Eigenthum hat zu Schulden kommen laſſen, in jetziger Zeit die Todesſtrafe vollzogen werden ſolle, oder nicht. Allein, wenn überhaupt das Geſetz nur der Ausdruck des öffentlichen Bewußtſeins über Recht und Strafbarkeit ſein ſoll, ſo biſt du ſchon zum voraus und ehe der Richter geſprochen hatte dem Tode verfallen geweſen. Nicht umſonſt ſind es Bürger geweſen, welche dich ergriffen und dem Arme der Gerechtigkeit über- liefert haben; nicht umſonſt heiſcht die Stimme der vielen Bürger, Land auf, Land ab, deinen Tod. Wer, wie du, in ununterbrochenem Kriege gegen die bürgerliche Geſellſchaft, in unverſöhnlicher Feindſchaft gegen die geſetzliche Ord- nung gelebt und gehandelt hat; wem kein Kerker zu feſt, keine Feſſel zu ſtark war, um wieder auszubrechen, um ſein verbrecheriſches Treiben von neuem an- zufangen, gegen den mußte endlich der Staat zum äußerſten Mittel der Noth- wehr, zur Vertilgung, ſchreiten, um das Anſehen der Geſetze zu retten, und um die ruhigen Bürger vor frechen Angriffen zu ſchützen. Wie der äußere Feind des Landes, der Räuber ſeiner Unabhängigkeit und ſeiner Freiheit, mit den Waffen in der Hand auf den Tod bekämpft und durch das Schwert ver- tilgt wird, wo man ihn findet, ſo wirſt auch du als der geſchworne Feind der Ordnung und des Geſetzes, als der Räuber des Eigenthums, durch das Richt- ſchwert von der Erde vertilgt. Von den Menſchen haſt du nichts mehr zu hoffen; wende dich an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes, daß

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/400>, abgerufen am 27.11.2024.